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PARTEIEN/234: Zitterpartie in Belfast und kein Ende (SB)


Zitterpartie in Belfast und kein Ende

Uneinigkeit im unionistischen Lager wegen des Umgangs mit Sinn Féin


Die Verhandlungen in Belfast zwischen der pro-britischen, protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und der katholisch-nationalistischen Sinn Féin zur Rettung der gemeinsamen nordirischen Koalitionsregierung gehen am heutigen Mittwoch, dem 3. Februar, in den neunten Tag. Das 48stündige Ultimatum, das die britischen und irischen Premierminister, Gordon Brown und Brian Cowen, den zerstrittenen nordirischen Koalitionären gestellt hatten, um sich endlich zu einigen, ist bereits am Freitagnachmittag abgelaufen. Dennoch haben Dublin und Belfast ihre Drohung, im Falle einer ausbleibenden Einigung in Belfast eigene Pläne zur Rückübertragung der Polizeigewalt für die Unruheprovinz von den britischen an die nordirischen Behörden zu veröffentlichen, nicht wahrgemacht, weil die Verhandlungen zwischen DUP und Sinn Féin gut liefen und man kurz vor dem Durchbruch zu stehen schien. Am Montag, dem 1. Februar, sollten deshalb Brown und Cowen nach Belfast fliegen, um zusammen mit der Führung von DUP und Sinn Féin das Ergebnis der Gespräche der Öffentlichkeit zu präsentieren. Doch hierzu ist es nicht gekommen, und zwar angeblich deshalb, weil 14 der 36 Abgeordneten der DUP in der 108 Mitglieder zählenden nordirischen Versammlung nicht bereit waren, den Kompromiß mitzutragen.

Die Gespräche sind einerseits wegen der brisanten Materie, andererseits wegen der Zerstrittenheit im unionistischen Lager, die sich durch den jüngsten Mini-Aufstand der DUP-Hinterbänkler gegen die eigene Parteiführung erneut manifestiert hat, unendlich schwierig. Als 1998 die gemäßigte Ulster Unionist Party (UUP) unter der damaligen Führung David Trimbles mit Sinn Féin und der gemäßigten nationalistisch-katholischen Social Democratic Labour Party (SDLP) das Karfreitagsabkommen abschloß - die DUP blieb den Verhandlungen fern -, hatte sie ein ganz bestimmtes Kalkül im Sinne. Das Abkommen schreibt vor, daß die Provinzregierung nur unter Teilnahme jeweils der größten unionistischem und nationalistischen Partei gemeinsam gebildet werden kann. Mit dieser Regelung sollte verhindert werden, daß die Protestanten, welche die Bevölkerungsmehrheit in den sogenannten Six Counties innehaben, in Nordirland das alleinige Sagen haben, wie sie es von 1922 bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges Ende der sechziger Jahre und der Übertragung der Regierungsgewalt an London 1972 hatten. Gleichzeitig bedeutet die Regelung für die Unionisten, daß auch an ihnen nicht vorbeiregiert werden kann, sollten irgendwann einmal die Katholiken die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Vor diesem Hintergrund hatte die UUP, traditionell die stärkste politische Kraft in der Provinz, vor, gemeinsam mit der SDLP und eventuell unter Teilnahme der DUP, aber vor allem unter Ausschluß von Sinn Féin, dem politischen Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), Nordirland zu regieren. Die Rechnung ging aber nicht auf. Sinn Féin überholte die SDLP in der Wählergunst und wurde zur stärksten nationalistischen Partei. Es konnte ohne sie keine Regierung gebildet werden. Als die UUP folglich in den sauren Apfel biß und eine Koalition mit Sinn Féin einging, wurde ihr seitens der DUP, damals noch unter der Leitung ihres Gründers Ian Paisley, jahrelang die Hölle heiß gemacht. Mit dem ständigen Vorwurf, die Ulster Unionists paktierten mit "Terroristen" und verkauften Nordirland an die Republik im Süden, gelang es der DUP ihrerseits, Trimble und Co. in den Augen der Protestanten Ulsters zu diskreditieren und selbst stärkste pro-britische Partei zu werden. Der Erfolg hatte jedoch seinen Preis. Um des Friedensprozesses willen wurden die ewigen Nein-Sager ihrerseits von Dublin und London gezwungen, endlich politische Verantwortung zu übernehmen und eine Koalition mit Sinn Féin einzugehen.

Widerwillig tat dies die DUP unter der Bedingung, daß Sinn Féin den Police Service of Northern Ireland (PSNI), die Nachfolgeorganisation der durch Einseitigkeit während des Bürgerkrieges diskreditierten Royal Ulster Constabulary (RUC), anzuerkennen. Im Saint-Andrews-Abkommen verpflichtete sich Sinn Féin Ende 2006 dazu und löste das Versprechen drei Monate später auf einem Sonderparteitag ein. Im Gegenzug sollte die Verantwortung für die Polizei von London an Belfast und dort einem neuen Innen- und Justizministerium übertragen werden. Doch seit drei Jahren blockiert die DUP diese Maßnahme, angeblich weil das Vertrauen der protestantischen Bevölkerung in die friedlichen Absichten der Sinn Féin nicht weit genug gediehen ist. Durch die Blockadehaltung der DUP genervt, droht Sinn Féin mit Austritt aus der Allparteienregierung, was zum Kollaps der neuen nordirischen Institutionen führen würde. Um dies zu verhindern, finden die derzeitigen Verhandlungen statt.

Die aktuellen Schwierigkeiten der DUP resultieren daraus, daß es im unionistischen Lager einen nicht geringen Prozentsatz von Menschen gibt, die jedes Zugeständnis an die katholische Bevölkerung ablehnen, im Karfreitagsabkommen den Ausverkauf Nordirlands sehen und jegliche Zusammenarbeit mit Sinn Féin für inakzeptabel halten. Dieses Klientel, das die DUP jahrelang bedient und in seiner Kompromißlosigkeit bestärkt hat, läuft jetzt zur Traditional Unionist Voice (TUV) über, die 2007 vom früheren Paisley-Kampfgefährten Jim Allister gegründet wurde. Die Splittergruppierung hat bereits bei der Europawahl 2009 der DUP den Platz als stärkste Partei Nordirlands gekostet. Die Erben Paisleys fielen sogar auf den dritten Platz hinter der UUP zurück. Platz eins errang Sinn Féin. Für die DUP kam es noch schlimmer, als bei einer Umfrage, die vom Belfast Telegraph durchgeführt und Ende November veröffentlicht wurde, Martin McGuinness zum fähigsten Politiker Nordirlands gewählt wurde. Selbst unter den protestantischen Teilnehmern der Umfrage lag der ehemalige IRA-Kommandeur, der Stellvertretender Regierungschef ist, weit vor seinem Kabinettskollegen, dem DUP-Chef und Ersten Minister Nordirlands, Peter Robinson.

Unter den Unionisten geht seitdem die Angst um, Sinn Féin könnte aus den nächsten Wahlen zur nordirischen Versammlung als stärkste Fraktion hervorgehen, womit sie Anspruch auf den Posten des Ersten Ministers hätte. Um mitregieren zu können, müßten sich die unionistischen Politiker McGuinness, den sie jahrelang als "Terrorpaten" verteufelt haben, unterordnen. Diese Vorstellung ist für die DUP und die UUP so grauenhaft, daß sie sogar vermutlich weniger Probleme hätten, würden statt dessen Dublin und London gemeinsam die Provinz als eine Art Kondominium verwalten. Ihre Abneigung gegenüber Sinn Féin und ihre berechtigte Sorge vor einer Aufsplittung der unionistischen Wählerstimmen treibt seltsame Blüten. Wie man erst vor kurzem erfuhr, hat sich im November die Führung von DUP und UUP zu Geheimgesprächen unter der Leitung des protestantischen Oranierordens eingefunden, um über eine Zusammenarbeit bei den nächsten Wahlen zu diskutieren. Mitte Januar flogen DUP- und UUP-Führungsfiguren nach England, um bei einem erneuten Geheimtreffen mit Owen Patterson, dem Nordirland-Sprecher der oppositionellen britischen Konservativen, über die Bildung eines gemeinsamen unionistischen Blocks zu beraten. Das Interesse der Tories an einer Zusammenarbeit mit den nordirischen Unionisten erklärt sich von daher, daß aktuelle Umfragen in Großbritannien eine Patt-Situation im britischen Unterhaus nach den nächsten Wahlen, die im Mai anstehen, nahelegen.

Zusätzliche Sorge macht der DUP der Anfang Januar bekanntgewordene Sex- und Korruptionsskandal um Iris Robinson, die Ehefrau des Parteichefs, die inzwischen von ihren politischen Ämtern als Abgeordnete im Belfaster Parlament und Kommunalrätin in Südostbelfast zurückgetreten ist. Dieser Skandal hat Peter Robinsons Position als Parteichef stark geschwächt. In Reaktion auf die laufenden Polizeiermittlungen hat Robinson zwar sein Amt als nordirischer Regierungschef vorübergehend ruhen lassen, dennoch führt er dieser Tage zusammen mit Arlene Foster und Sammy Wilson im Namen der DUP Gespräche mit Sinn Féin unter der Leitung des irischen Außenministers Mícheál Martin und des britischen Nordirland-Ministers Sean Woodward. Die Tatsache, daß Robinson seine Abgeordneten am 1. Februar nicht auf das erzielte Verhandlungsergebnis einschwören konnte, läßt erkennen, daß seine Zeit als Parteichef zu Ende geht. Auch optisch gibt die langjährige rechte Hand von Ian Paisley keine gute Figur ab. Bei Auftritten vor der Presse sieht er aus wie ein Mann, der eine enorme Last trägt und an dieser zugrundegeht.

Bei den Verhandlungen soll sich die DUP bereiterklärt haben, daß die Übertragung Der Polizeigewalt für Nordirland einschließlich der Besetzung des Postens des neuen Innenministers mit David Ford, dem Chef der neutralen Alliance Party bis Mai, also vor den britischen Unterhauswahlen, wie von Sinn Féin gefordert, erfolgt. Sinn Féin soll Zugeständnisse gemacht haben, indem sie auf ein Gesetz zur Gleichstellung der gälischen Sprache mit dem Englischen verzichtet - statt dessen soll es eine Strategie zu deren Wiederbelebung geben. Zwar ist Sinn Féin der Forderung der DUP nach Abschaffung der Parades Commission, die seit 1999 zum Ärgernis des Oranierordens die Routen der umstrittensten seiner Umzüge - allen voran in Portadown und im Nordbelfaster Ardoyne - aus Sicherheitsgründen neu verlegen ließ, nicht nachgekommen, doch statt dessen sind die Irisch-Republikaner bereit, an der Einrichtung von Foren auf lokaler Ebene mitzuwirken, die eine Einigung zwischen protestantischen Marschierern und katholischen Einwohnern erleichtern bzw. erst möglich machen sollen.

Für einen nicht geringer Teil der DUP-Fraktion im Belfaster Parlament war dieses Ergebnis der Verhandlungen nicht ausreichend. Jene Minderheit befürchtet, daß die Partei bei den Wahlen zum britischen Unterhaus im Mai zwischen der UUP und der TUV zerrieben wird, weil Sinn Féin feste Zusagen in Bezug auf ihre wichtigste Forderung bekommen hat und sie selbst keinen handfesten Erfolg in der Parades-Frage rechtzeitig zur diesjährigen Marschsaison vorweisen kann. Den Widerstand der DUP-Hinterbänkler gegen die erzielte Einigung scheint der Sinn-Féin-Parteichef Gerry Adams geschürt zu haben, als sich dieser am 1. Januar bei einem Radiointerview über die Forderung der DUP nach einer Auszeit, damit man "die Wähler" nach ihrer Meinung zu dem Kompromiß fragen kann, lustig machte. Adams erklärt mit nicht wenig Häme, er würde es sehr begrüßen, es wäre sogar eine "coole" Sache, würde sich Gregory Campbell, der als Anführer der DUP-Blockierer gilt, zur Garvaghy Road begeben und das Gespräch mit den Menschen dort suchen. Das würde Campbell niemals tun. Schließlich sind diese Katholiken, während er die Interessen derjenigen Oranier vertritt, die mit Pauken und Trompeten und gegen den Willen der Anwohner die Garvaghy Road entlang stolzieren wollen.

Darüber hinaus erklärte Adams im selben Interview, die Beendigung der politischen Krise in Belfast und die Wiederbelebung der politischen Institutionen dort stellten nur einen "Zwischenschritt" dar. Auf diese Weise unterstrich er, daß für Sinn Féin weiterhin das Endziel die Wiedervereinigung Irlands bleibt. Kaum hatte er das Interview gegeben, meldete sich Jim Allister von der TUV, um öffentlich die Gefahr des Untergangs des protestantischen Nordirlands an die Wand zu malen. Der öffentliche Schlagabtausch dürfte die Angst der DUP-Hinterbänkler vor der Einigung mit Sinn Féin bestärkt haben. Inzwischen sehen sich DUP- Politiker gezwungen, Presseberichte über eine drohende Spaltung der Partei energisch zu bestreiten.

Wegen der Uneinigkeit bei der DUP soll der britische Premierminister Brown - laut einem Bericht der Onlineausgabe der britischen Tageszeitung Guardian vom 3. Februar - eingegriffen haben und den Democratic Unionists mit Neuwahlen gedroht haben, statt es wie in der Vergangenheit bei einer Suspendierung der Exekutive zu belassen, sollten die Verhandlungen mit Sinn Féin scheitern. Dies könnte die DUP-Abgeordneten, von denen viele ihre Sitze verlieren würden, sollten alsbald Wahlen zur nordirischen Versammlung stattfinden, zur Besinnung bringen. Immerhin hätte die DUP, auch wenn die Wahlen im Mai für das britische Unterhaus, wo sie derzeit 9 Sitze und die UUP nur einen hat, für sie nicht so berauschend verlaufen sollten, Zeit bis 2011 gewonnen, um den Skandal um Iris Robinson hinter sich zu bringen und vielleicht einen neuen Vorsitzenden zu küren. Ob sie diese Zeit zu einer sinnvollen Zusammenarbeit mit Sinn Féin nutzen wird, ist eine andere Frage. Eines steht jedenfalls fest, nämlich daß Sinn Féin vorerst alles tun wird, um in der Regierung zu bleiben. Denn durch ihre Präsenz dort sorgt sie dafür, daß sich die Pragmatiker und Uneinsichtigen unter den Unionisten selbst zerfleischen.

3. Februar 2010