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SOZIALES/151: Spanien - Krise trifft Roma, Rückschlag für Bildungsprogramme (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Dezember 2012

Spanien: Krise trifft Roma - Rückschlag für Bildungsprogramme

von Inés Benítez


Roma-Mädchen erhält Nachhilfe in einer Schule in Málaga - Bild: © Inés Benítez/IPS

Roma-Mädchen erhält Nachhilfe in einer Schule in Málaga
Bild: © Inés Benítez/IPS

Málaga, Spanien, 14. Dezember (IPS) - Daniel stellt sich als 'Zigeuner und Gitarrist' vor. Francisco José möchte Arzt werden, Yomara sagt schüchtern, dass sie gern kocht, und María hat keine Ahnung, was sie eigentlich werden will. Die zwölf- bis 17-jährigen Schüler in der südspanischen Stadt Málaga sind Angehörige der Kalé, einer Untergruppe der Roma.

Trotz "bemerkenswerter Fortschritte", was den Zugang der ethnischen Minderheit zu Bildung angeht, halten nur 20 Prozent ihrer Kinder, die eine weiterführende Schule besuchen, bis zum Ende durch und machen einen Abschluss, wie Humberto García von der Hilfsorganisation 'Fundación Secretariado Gitano' (FSG) berichtet. Und obwohl der Besuch der Sekundarstufe in den ersten vier Jahren Pflicht ist, fallen viele Jugendliche der Ethnie durch das Raster.

Nach Schätzungen des Europarats leben in Spanien etwa 725.000 Roma. Sie stellen 1,57 Prozent der spanischen Bevölkerung mit 46 Millionen Menschen. Auch wenn Angehörige der Minderheit in allen Berufssparten anzutreffen sind, arbeiten viele als Straßenverkäufer oder Müllsammler.

"Ich konnte keine höhere Schule besuchen und will nicht, dass es meinen Kinder ebenso ergeht", sagt die 44-jährige Antonia Martin. Sie hat drei Kinder - den 24-jährigen Jesús, die 16-jährige Yomara und den 15-jährigen José - sowie einen zweijährigen Enkel.


Roma pflegen traditionellen Lebensstil

Ihr Mann Antonio Campos, dessen Eltern Korbflechter waren, arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr auf einem Golfplatz an der Küste nahe Málaga. "Die Gitano-Mentalität muss sich ändern", meint er. "Viele unserer Leute meinen, dass sie immer noch so leben müssten wie unsere Großeltern. Heute gibt es aber ganz andere Möglichkeiten. Wenn wir weiter ausgebildet sind, können wir besser leben und werden mehr respektiert."

Müllsammler oder Straßenverkäufer zu sein, sei kein gutes Leben, sagt Campos. Die Barrieren, die durch den traditionellen Lebensstil der 'Gitanos' errichtet worden seien, müssten fallen. Spaniens Kalé sprechen Caló. Ihre ursprüngliche Sprache, das 'Romani', ist in Vergessenheit geraten.

Im Spanischen hat der Begriff 'Gitano' anders als das deutsche Wort 'Zigeuner' keine abwertende Konnotation. Dennoch werden die Roma, Europas größte ethnische Minderheit, auch in diesem Land diskriminiert. Bis zum Ende der Franco-Diktatur 1975 und der Annahme einer neuen Verfassung drei Jahre später hatten die Roma nicht die gleichen Rechte wie die übrige Bevölkerung. Seitdem haben sich die Anmeldungen von Roma-Kindern an Schulen von einem sehr niedrigen Niveau auf 93 Prozent erhöht.

"Bildung und Arbeit sind zwei entscheidende Faktoren für die Integration der Kalé", sagt García, dessen Förderprogramm Kalé-Schüler, deren Familien und Schulen zusammenbringt, um die Zahl der Schulabbrecher und Klassenwiederholer zu senken. Das Programm wird in 300 Bildungseinrichtungen in 27 Städten in ganz Spanien durchgeführt.

In Málaga arbeitet ein Team aus vier Frauen mit etwa 50 Schülern, deren Familien und Lehrern zusammen. Die Mitarbeiterinnen besuchen die Eltern der Kinder zu Hause und führen Workshops durch - auch an der Portada-Alta-Schule in Malaga, die Daniel, Yomara, María, Francisco und José besuchen.

"Wir wollen die Kinder mit Hilfe ihrer Eltern vom Schulschwänzen abbringen", berichtet die Biologielehrerin Isabel Passas aus der Guadalmedina-Schule, wo 80 Prozent der Kinder Roma sind. Sie bedauert, dass die meisten Mädchen mit 14 Jahren die Schule verlassen. In dem Alter werden für sie oft Ehen arrangiert, und häufig bekommen sie dann schon ihr erstes Kind.

Antonia Martin möchte aber nicht, dass die 16-jährige Yomara sich so früh an einen Mann bindet. "Sie will das auch nicht. Es ist rückschrittlich, so jung zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen. Später ist dazu noch genug Zeit." Als Martin selbst ein Kind war, half sie ihrer Mutter dabei, Obst und Kleidung auf der Straße zu verkaufen. Sie hat noch neun Geschwister.

Viele Eltern sind darauf angewiesen, dass ihnen ihre Kinder bei der Arbeit helfen. Darum lassen sie ihre Kinder nicht mehr zur Schule gehen, wie die Vize-Direktorin der Portada-Alta-Schule, María Victoria Toscazo, erläutert.


Roma von Krise besonders stark getroffen

Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die derzeit Spanien erschüttert, wirkt sich verheerend auf die Roma aus. Campos, der Verwandte hat, die ihre Waren auf Märkten verkaufen, berichtet, dass sich dort derzeit kaum noch etwas verkaufen lässt. Hinzu komme der stets heftiger werdende Wettbewerb mit den Migranten.

Nach einer in diesem Jahr von der FSG veröffentlichten Studie hat sich der Anteil der Arbeitslosen unter den spanischen Roma zwischen 2005 und 2011 auf 36,4 Prozent nahezu verdreifacht. Während der Anteil vor sieben Jahre um fünf Prozent über der landesweiten Arbeitslosenrate lag, beträgt die Differenz inzwischen 14 Prozent. "Die Krise trifft jeden im Land, vor allem aber die Schwächsten", sagt García. "Die Gesellschaft hat außerdem nach wie vor ein negatives Bild von uns, und wir spüren große Ablehnung." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.gitanos.org/
http://www.ipsnews.net/2012/12/crisis-hits-spains-roma-hard/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2012