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SOZIALES/147: Indignados auf dem Marsch nach Brüssel (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 36 vom 9. September 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Indignados auf dem Marsch nach Brüssel
"Die Empörung in Europa ist grenzenlos"

von Pierre Poulain


Seit dem 16. Juli sind sie unterwegs, seit dem 17. August in Frankreich, am 17. September wollen sie in Paris sein und am 8. Oktober in Brüssel. Als sie aufbrachen, um die mehr als 1500 Kilometer lange Strecke von Madrid nach Brüssel zu Fuß zurückzulegen, waren sie nur rund zwei Dutzend. Inzwischen haben sich mehrere "Laufgemeinschaften" gebildet, die alle das gleiche Ziel verfolgen: den Protest der "Indignados" ("Empörten") von Spanien über Frankreich zu den EU-Instanzen in Brüssel zu tragen und in ganz Europa zu verbreiten.

"Reale Demokratie jetzt" und "Zugang zur Bildung, Gesundheit, Kultur, Wohnung und Arbeit für alle" lauten die Hauptparolen, unter denen schon am 23. Juli ein großer Sternmarsch der "Indignados" aus mehr als 80 spanischen Städten gegen den von der EU diktierten Sparkurs und den Sozialabbau der spanischen Regierung Zapatero stattgefunden hatte. Bei diesem Treffen von 40.000 Teilnehmern soll unter den Aktivisten auch die Idee für den Marsch nach Brüssel entstanden sein.

Die Teilnehmer veranstalten in den Städten und Dörfern, durch die sie kommen, immer wieder kleine Versammlungen und Diskussionsforen. Sowohl in Spanien wie in Frankreich seien sie von der Bevölkerung zwar oft mit Staunen, aber immer mit spontaner Solidarität aufgenommen und unterstützt worden, berichteten sie. Sie seien mit Essen und Getränken versorgt worden und da und dort seien ihnen auch Schlafplätze zur Verfügung gestellt worden, manchmal sogar in städtischen Turnhallen. Aber gelegentlich übernachten sie auch in Zelten auf Grünflächen unter Bäumen. Die Truppe ist inzwischen "international" geworden: Den Teilnehmern aus Spanien schlossen sich auch Italiener, Briten, Niederländer und seit dem Überschreiten der spanisch-französischen Grenze auch Franzosen und sogar Israelis an.

Am 17. September soll in Paris eine große Vereinigung der von Madrid und Barcelona gestarteten Marschgruppen mit Marschgruppen aus verschiedenen Städten Frankreichs, unter anderem aus Marseille, stattfinden. Von dort aus soll es dann nach Brüssel weiter gehen, wo ab dem 8. Oktober ein Treffen mit Abordnungen der Protestierenden aus zahlreichen weiteren EU-Staaten und bis zum 15. Oktober eine ganze Woche von gemeinsamen Aktionen und Diskussionsforen in der belgischen Hauptstadt stattfinden soll. Für diesen Tag hat die Bewegung "Reale Demokratie jetzt" europa- und weltweit dazu aufgerufen auf die Straße zu gehen, um "unsere Empörung über den Verlust unserer Rechte zu zeigen - Rechte, die uns durch ein Bündnis zwischen großen Unternehmen und der politischen Klasse entzogen werden", wie es in dem Text heißt. Es sei "der Augenblick gekommen, die Stimme zu erheben. Unsere Zukunft steht auf dem Spiel, und niemand kann der Kraft von Millionen von Menschen trotzen, wenn sie sich in gemeinsamer Absicht vereinen".

Die Teilnehmer der Märsche nach Brüssel sind naturgemäß vorwiegend jüngeren Alters. Sie seien jedoch "ganz normale Leute", Bauarbeiter, Lehrer, Arbeitslose, Ingenieure, Sozialarbeiter, Köche und Künstler, durchaus unterschiedlicher Meinungen, betonten Teilnehmer. Es vereine sie aber der Wille zu demonstrieren, "dass die Empörung in Europa grenzenlos ist".


Europäische Gewerkschaftsdemo in Wroclaw

Der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) ruft gemeinsam mit seinen beiden polnischen Mitgliedsorganisationen "Solidarnosc" und "OPZZ" zu einer großen europäischen Demonstration am 17. September in Wroclaw auf. Ziel dieser Demonstration sei es, hieß es beim EGB, anlässlich der nächsten Tagung der EU-Wirtschafts- und Finanzminister am 16./17. September in der gleichen Stadt, die sich mit der Euro-Krise befassen wird, "die Opposition der europäischen Gewerkschaften gegen den Angriff auf die gewerkschaftlichen Rechte und Tarifverträge sowie gegen die von der EU geforderte Sparzwangpolitik zum Ausdruck zu bringen". EGB-Generalsekretärin Bernadette Ségol erklärte dazu, nach zwei Jahren einer zerstörerischen Krise sei es geboten, dass die EU-Chefs einen Kurswechsel beschließen und sich für eine europäische "Wirtschaftsregierung" entscheiden, die Solidarität und Arbeitsplätze in den Mittelpunkt stellt, statt weiter den Finanzmärkten und Ratingagenturen das Kommando zu überlassen.


Neue Gewerkschaftsproteste in Portugal und Frankreich

Nach dem von einem breiten Spektrum linker Kräfte unterstützten Aufruf des größten italienischen Gewerkschaftsbundes CGIL zu einem landesweiten Generalstreik am 6. September (nach unserem Redaktionsschluss) bereiten auch die Gewerkschaften in Frankreich und Portugal neue Massenproteste gegen die von der EU diktierte und von ihren Regierungen umgesetzte "Sparpolitik" vor. Die CGTP, der größte Gewerkschaftsbund Portugals, ruft für den 1. Oktober zu zwei Großkundgebungen in Lissabon und Porto auf. Ihre Führung bezeichnete den von der EU geforderten, von der sozialdemokratischen Regierung und der Parlamentsmehrheit mit Hilfe der Rechten beschlossenen "Sparplan" im Umfang von 78 Milliarden Euro als "Aggressionsplan". Die darin enthaltenen 75 "Maßnahmen" sehen u.a. eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für Strom und Gas sowie eine "Arbeitsmarktreform" vor, mit der das Tarifrecht weiter ausgehöhlt, die "Flexibilisierung" von Arbeitszeiten vorangetrieben, der Kündigungsschutz abgebaut und ungesicherte Niedriglohn-Arbeitsverhältnisse ausgeweitet werden sollen.

In Frankreich haben die Spitzen der in der nationalen Gewerkschaftskoordination (Intersyndicale) vereinigten fünf größten französischen Gewerkschaftsdachverbände (CGT, CFDT, FSU, UNSA und SUD) sich am 1. September darauf geeinigt, für Dienstag, den 11. Oktober einen gemeinsamen landesweiten Aktionstag zu organisieren. Einzelheiten bezüglich der dabei in den Vordergrund zu stellenden Forderungen und der Aktionsformen sollen demnächst weiter beraten werden. Während die CGT, die FSU und "Solidaires" sich für einen eindrucksvollen Aktionstag mit Demonstrationen und Kundgebungen einschließlich von Arbeitsniederlegungen aussprachen, hieß es von der CFDT, dass ihr "angesichts der sehr schwierigen Situation bezüglich der Kaufkraft und der Sorgen der Lohnabhängigen um ihre Arbeitsplätze" ein Streik "absolut nicht der gute Weg" zu sein scheine. Die nicht der "Intersyndicale" angeschlossene, früher der SP nahestehende "Force Ouvrière" organisiert für den 20. September einen eigenen gewerkschaftlichen "Informationstag". Der Christliche Gewerkschaftsbund CFTC und die Angestelltengewerkschaft CFE-CGC haben die Einladung zur Beteiligung an den Beratungen der "Intersyndicale" nicht angenommen. Im Text des Aufrufs zu dem "nationalen branchenübergreifenden Aktionstag" heißt es, das Eingreifen der Lohnabhängigen sei "unerlässlich", um auf de Regierung, die Unternehmer und die laufenden und kommenden Parlamentsdebatten Druck auszuüben. Es gehe darum, einen Prozess der Mobilisierung der Menschen einzuleiten, um dem von der Regierung Fillon angekündigten "Sparkurs" Widerstand entgegenzusetzen, hieß es in einer Stellungnahme.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 36 vom 9. September 2011, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. September 2011