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SOZIALES/135: Abgeschoben und kriminalisiert - EU-Staaten machen Jagd auf Roma (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2010

Minderheiten: Abgeschoben und kriminalisiert - EU-Staaten machen Jagd auf Roma

Von Claudia Ciobanu


Bukarest, 16. August (IPS) - Inmitten der Dekade zur Integration der Roma (2005-2015) gehen EU-Staaten wie Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Schweden massiv gegen die Minderheit vor. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass mit den Roma eine ganze Bevölkerungsgruppe kriminalisiert wird.

In Belgien mussten im Juli 700 Roma Flandern verlassen. Sie halten sich derzeit in Wallonien auf - mit befristetem Bleiberecht. Ebenfalls im Juli deportierte Dänemark 23 Roma. Deutschland will in den nächsten Jahren 12.000 Mitglieder der Minderheit in den Kosovo zurückschicken.

Großbritannien arbeitet an einer Gesetzgebung, die nichtsesshafte Roma in die Illegalität treiben wird, Italien hat wegen einer hohen Roma-Zuwanderung schon 2008 den Notstand ausgerufen, und Schweden ließ in diesem Jahr 50 Roma aus Osteuropa deportieren. Vorgeworfen wurde ihnen das Betteln, das in Schweden allerdings nicht verboten ist.

Für besonderen Aufruhr unter Kritikern sorgte eine Erklärung der französischen Regierung von Ende Juli. In den kommenden drei Monaten will Frankreich 300 illegale Roma-Siedlungen zerstören. Staatspräsident Nicolas Sarkozy bezeichnete die Siedlungen als Hort des Menschenhandels und sprach von schockierenden Lebensbedingungen und der Ausbeutung von Kindern. Minderjährige würden zum Betteln, in die Prostitution und zu kriminellen Handlungen gezwungen. Bis Jahresende sollen die französischen Einwanderungsgesetze geändert werden. Ziel ist eine Erleichterung der Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung.

In Europa leben etwa zehn Millionen Roma, die meisten von ihnen in Rumänien. Nach inoffiziellen Schätzungen sollen dort zwei Millionen Roma zu Hause sein. Hunderttausende weitere leben in anderen zentral- und osteuropäischen Staaten. Im Westen Europas stehen vor allem die nichtsesshaften Roma am Pranger, die am traditionellen Nomadenleben festhalten. Ihre Zahl wird in Großbritannien auf 18.000 geschätzt, in Frankreich auf zwischen 300.000 und 500.000.


Minderheit unter Generalverdacht

Natürlich gebe es auch unter den Roma schwarze Schafe, die zu Recht verdächtigt würden, sagt David Mark, der Leiter der Bürgerallianz der Roma in Rumänien - eine Koalition von über 20 Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für die Rechte der Roma einsetzt. "Weil vielleicht ein Prozent der Roma Verbrechen begehen und die Behörden außerstande sind, dem Einhalt zu gebieten, werden jetzt alle Roma kriminalisiert", moniert er. Es gerate eine Minderheit unter Generalverdacht, wo jedes Vergehen einzeln untersucht werden müsse.

Rob Kushen, Exekutivdirektor des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma, sieht in den Roma-feindlichen Reaktionen auch einen Verstoß gegen das Recht auf freie Bewegung innerhalb der EU. Matthew Newman, Sprecher der Europäischen Kommission, hält dagegen: "Es ist nicht Aufgabe der Kommission, über Einzelfälle zu urteilen." Diese Entscheidungen oblägen den zuständigen Regierungen und Behörden.

Wie Mark betont steht die aktuelle Roma-Politik in einer unguten Tradition. "Wir Roma werden immer verfolgt sein. Die ersten Schritte hat das deutsche NS-Regime unternommen und damit die weitere Richtung vorgegeben. Bis heute missbrauchen Politiker Vorurteile gegen Roma zu ihren eigenen Zwecken. Darin liegt eine große Gefahr." (Ende/IPS/hn/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2010