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MEDIEN/027: Europa wird erwachsen - Die EU ist in den Medien präsent (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 130/Dezember 2010
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Europa wird erwachsen

Die EU ist in den Medien präsent, aber noch haben Regierungspolitiker die kräftigste Stimme

Von Ruud Koopmans


Trifft der Eindruck zu, die Medien widmeten der EU zu wenig und zu negative Aufmerksamkeit und trügen so zur Verbreitung von Euroskepsis bei? Eine international vergleichende Medienanalyse widerlegt diese Vermutung. Es zeigt sich allerdings, dass Regierungsvertreter in Debatten zu europäischen Themen stark dominieren. Die Meinungen von Parlamenten, Parteien und der Zivilgesellschaft spielen dagegen eine viel geringere Rolle als in nationalen politischen Debatten. Der Grund dafür liegt nicht so sehr in einer verzerrten Darstellung in den Medien, sondern in den realen Machtverhältnissen auf der europäischen Ebene.


Bis Anfang der 1990er Jahre betrachteten die meisten Europäer die Europäische Gemeinschaft mit wohlwollendem Desinteresse. Wer nicht gerade Landwirt war, bemerkte im Alltag wenig von den Entscheidungen, die auf europäischer Ebene getroffen wurden. Seitdem hat sich in der Europäischen Union (EU) - wie diese seit dem Maastrichter Vertrag von 1992 heißt - viel geändert. Grenzkontrollen sind weggefallen, die kaum jemand vermissen wird. Die nationalen Währungen sind verschwunden, denen manche wohl nachtrauern mögen. Auf vielen Gebieten mischen die Institutionen der EU heute mit, und in manchen Bereichen sind nationale Kompetenzen europäischen Entscheidungen untergeordnet. Mit dem Vertrag von Lissabon von 2007 ist die Bandbreite europäischer Entscheidungen, die durch Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden, erweitert, und damit sind auch die Vetomöglichkeiten nationaler Regierungen und Parlamente eingeschränkt worden. Zugleich sind die Anforderungen an die innereuropäische Solidarität durch immer stärkere Abhängigkeiten drastisch gewachsen. Dies wurde spätestens deutlich, als während der Finanzkrise Unterstützungen in Milliardenhöhe für die maroden griechischen Staatsfinanzen fällig wurden.

All diese Entwicklungen lassen das alte Modell einer von Eliten betriebenen europäischen Diplomatie, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, an seine Grenzen stoßen. Die Ablehnung des Europäischen Verfassungsvertrags durch die französischen und niederländischen Wähler im Jahre 2005 stellte klar, dass die Legitimation europäischer Institutionen und Entscheidungen nicht länger eine Selbstverständlichkeit ist, sondern in einer kritischen Öffentlichkeit hergestellt werden muss. Aber gibt es eine solche europäische Öffentlichkeit, in der europäische Themen über nationale Grenzen hinweg diskutiert werden können? Räumen die Medien der EU und ihren Entscheidungen hinreichend Platz ein oder bleiben sie einer rein nationalen Perspektive verhaftet? Und wer kommt in diesen europäischen Mediendebatten zu Wort? Sind es vor allem die Skeptiker? Wird die europäische Öffentlichkeit nach wie vor von Eliten dominiert oder bietet sie gerade zivilgesellschaftlichen Organisationen neue Chancen? Diese Fragen wurden in einem vom WZB koordinierten internationalen Forschungsprojekt untersucht, dessen Ergebnisse nun in einem Buch publiziert wurden.

Presse, Hörfunk und Fernsehen wird oft eine Mitverantwortung für die "europäische Malaise" der letzten Jahre vorgeworfen, weil sie die Bürger nicht hinreichend über die Bedeutung der Europäischen Union informieren würden. Um herauszufinden, ob diese Behauptung zutrifft, wurde für den Zeitraum von 1990 bis 2002 die Berichterstattung in sieben europäischen Ländern ausgewertet: Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien, die Niederlande und die Schweiz. In jedem Land wurden vier Zeitungen ausgewählt: eine links- und eine rechtsorientierte Qualitätszeitung, eine regionale Zeitung und ein Boulevardblatt. In Deutschland waren es die Süddeutsche Zeitung, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die Leipziger Volkszeitung und die Bild-Zeitung. Da die Kompetenzen der EU zwischen den Politikfeldern stark variieren, wurden Themenfelder verglichen, die bereits stark europäisiert waren (Geldpolitik und Landwirtschaft), mit solchen, in denen sich der EU-Einfluss nur mäßig (Zuwanderung und Truppenstationierung) oder kaum bemerkbar macht (Renten- und Bildungspolitik).

Sobald es um politische Debatten über Geld- und Agrarpolitik geht, wo die europäischen Institutionen wichtige supranationale Entscheidungskompetenzen besitzen, verweisen die meisten Äußerungen in den Medien in der Tat auf die EU oder auf andere europäische Länder. In der Zuwanderungs- und Verteidigungspolitik ist der EU-Einfluss begrenzter und vor allem zwischenstaatlicher Natur, das heißt, europäische Entscheidungen werden zwischen nationalen Regierungen ausgehandelt. Genau das zeigt sich in der Medienberichterstattung: Es gibt recht wenige Bezugnahmen auf die supranationalen Institutionen der EU, aber relativ viel Aufmerksamkeit für andere europäische Länder. Nur in der Medienberichterstattung über Renten- und Bildungspolitik spielen weder die EU noch andere europäische Länder eine große Rolle. Das kann kaum als eine Verzerrung gedeutet werden, denn die Rolle der EU beschränkt sich in diesen Bereichen auf unverbindliche Koordination und bloßen Austausch. Unsere Befunde widerlegen also die These, dass europäische Dimensionen von politischen Entscheidungsprozessen in den Medien zu wenig Aufmerksamkeit finden würden.

Den Medien wird auch häufig vorgeworfen, dass sie die EU und ihre Institutionen in einem negativen Licht erscheinen ließen. Um diese Behauptung zu überprüfen, wurde untersucht, ob Äußerungen in den Medien pro oder kontra Erweiterung von EU-Kompetenzen ausfielen und ob Institutionen und Vertreter der EU unterstützt oder kritisiert wurden. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse auf einer Skala von 1 (völlige Ablehnung) bis +1 (volle Unterstützung). Es zeigt sich, dass die Unterstützung für den europäischen Integrationsprozess im Laufe der Zeit in der Tat rückläufig ist. Doch auch gegen Ende der Untersuchungsperiode fielen die Äußerungen über die europäische Integration in den Medien im Schnitt immer noch positiv aus. Dies gilt allerdings nicht für die Bewertung von europäischen Akteuren und Institutionen, die keine deutliche Tendenz über die Zeit erkennen lässt, aber durchgängig negativ ist. Dabei ist zu bedenken, dass politische Debatten in aller Regel nicht durch den Austausch wechselseitiger Komplimente, sondern zumeist durch Kritik an der Position anderer gekennzeichnet sind. Deshalb ist es sinnvoll, die negative Einschätzung europäischer Institutionen mit den Bewertungen für nationale Akteure, Einrichtungen und Behörden zu vergleichen. Es zeigt sich, dass europäische Institutionen im Mittel weniger kritisch bewertet werden als nationale Institutionen. In diesem Sinne muss die Kritik, mit der europäische Institutionen seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend leben müssen, eher als ein Prozess der Normalisierung angesehen werden, in dem europäische Politik allmählich genauso kontrovers wie nationale Entscheidungen diskutiert wird. Dies ist dann aber kein Indiz für eine Krise der EU, sondern eher ein Zeichen ihres Erwachsenwerdens.

Heißt das nun, dass es um die europäische Öffentlichkeit bestens bestellt ist? Diese Schlussfolgerung wäre voreilig, denn die Qualität einer europäischen Öffentlichkeit hängt nicht zuletzt davon ab, wessen Stimmen in öffentlichen Debatten zu hören sind. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass nationale Mediendebatten stark von Regierungsvertretern und zum Teil auch von Parlamenten und Parteivertretern dominiert werden. Sprecher zivilgesellschaftlicher Organisationen kommen hingegen seltener zu Wort. Die Frage ist nun, inwieweit die Europäisierung öffentlicher Debatten sich durch eine demokratische Offenheit für Stimmen unterschiedlicher Art kennzeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur gehen die Ansichten zu dieser Frage weit auseinander, aber auch hier mangelte es bislang an empirischen Belegen. Manche meinen, dass die europäische Politik sowohl nationale Parlamente als auch zivilgesellschaftliche Gruppen tendenziell entmachten würde, während andere in der EU geradezu einen Verbündeten zivilgesellschaftlicher Akteure ausmachen.

Aus der Abbildung 2 lässt sich ersehen, welche dieser beiden Sichtweisen eher zutrifft. Links ist dargestellt, wie stark sich verschiedene politische Akteure an Debatten mit rein nationalem Bezug beteiligen. Sowohl Akteure wie auch Adressaten und Inhalte sind hier auf das eigene Land begrenzt. Rechts finden wir die entsprechenden Anteile für Debatten, die eine europäische Dimension aufweisen, weil entweder die Akteure selbst, ihre Adressaten oder aber die Inhalte auf die europäische Ebene oder auf ein anderes europäisches Land verweisen. Es zeigt sich, dass Akteure der politischen Exekutive sowohl in nationalen als auch in europäisierten Debatten dominieren, ihr Übergewicht mit einem Anteil von mehr als 60 Prozent in europäisierten Debatten aber viel stärker ausgeprägt ist. Im Vergleich dazu haben parlamentarische und parteipolitische Akteure auf der europäischen Ebene wenig Einfluss: Sie bringen es nur auf einen Anteil von 15 Prozent. Am weitesten abgeschlagen sind die zivilgesellschaftlichen Akteure. Während sie in nationalen Debatten noch auf 20 Prozent kommen, liegt ihr Anteil in der europäisierten Berichterstattung bei lediglich 5 Prozent. Im Lichte dieser Befunde verwundert es nicht, dass nationale Regierungen die stärksten Befürworter einer Verlagerung von Entscheidungskompetenzen auf die europäische Ebene sind. Auf der europäischen Spielwiese führen sie weitgehend allein das Wort und sind auch nicht annähernd so stark einer kritischen Begleitung durch parlamentarische und zivilgesellschaftliche Akteure ausgesetzt wie in ihren nationalen Arenen.

Zusammenfassend zeigt die Studie - die auch Kommunikationsstrukturen im Internet sowie Strategien politischer Akteure untersuchte -, dass die Medien die Europäische Union weder zu wenig noch ausnehmend negativ ins Bild bringen. Allerdings ist die europäisierte Medienöffentlichkeit sehr stark auf Regierungseliten orientiert und höhlt eher die Rolle von Parlamenten, Parteien und der Zivilgesellschaft in der öffentlichen Meinungsbildung aus. Somit ist man nun wieder versucht, die geringe Inklusivität europäisierter Debatten dem Botschafter, das heißt den Medien, anzulasten. Da die Medien aber in nationalen Debatten Regierungsvertreter nicht systematisch bevorzugt zu Wort kommen lassen, liegt es eher auf der Hand, dass die Medien im Großen und Ganzen die realen Machtverhältnisse auch auf der europäischen Ebene widerspiegeln. So lange die institutionellen Spielregeln der EU die Exekutive weiter so stark bevorzugen wie bisher, wird es keine inklusive und wahrhaft demokratische europäische Öffentlichkeit geben. Und so lange wird auch die Euroskepsis unter den Bürgern nicht abnehmen.


Ruud Koopmans ist Direktor der WZB-Abteilung Migration, Integration, Transnationalisierung und Professor am Lehrstuhl "Social Conflict and Change" der Vrije Universiteit Amsterdam. Zuvor arbeitete er unter anderem an der Amsterdam School for Social Science Research und am Sociaal en Cultureel Planbureau (Den Haag). Er forscht über Einwanderungs- und Integrationspolitik, Rechtsradikalismus, soziale Bewegungen, europäische Integration und Evolutionäre Soziologie.
koopmans@wzb.eu


Literatur

Koopmans, Ruud/Statham, Paul (Eds.): The Making of a European Public Sphere. Media Discourse and Political Contention. Cambridge, MA: Cambridge University Press 2010.


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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 130, Dezember 2010, Seite 18-21
Herausgeber:
Der Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2011