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INNEN/430: Neuer Fünfjahresplan für Europäische Union - Aufrüstung im Inneren (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 22. Oktober 2009

Aufrüstung im Inneren

Neuer Fünfjahresplan für Europäische Union: Mit »Stockholmer Programm«
sollen Kompetenzen der Polizei ausgeweitet und mit dem Militär verzahnt werden

Von Hanne Jobst und Matthias Monroy


Die Europäische Union soll noch unter schwedischer Ratspräsidentschaft mehr Kompetenzen im Bereich innere Sicherheit erhalten. Am vergangenen Freitag wurde ein Zwischenstand in den Verhandlungen um das neue Mehrjahresprogramm der EU veröffentlicht. Nur wenige Tage vor der offiziellen Präsentation des Entwurfs des »Stockholmer Programm« genannten Fünfjahresplans war eine Vorabversion des Unterausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten publik geworden. Ein Vergleich beider Dokumente, zwischen deren Erstellung nur zehn Tage liegen, gibt Aufschluß über die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen

Die EU beeilt sich, einzelne Richtlinien noch vor Beschluß des »Stockholmer Programms« im Dezember vorzubereiten und damit den Prozeß ihrer Abstimmung zu beschleunigen. Die Kommission verhandelt etwa mit den USA über eine Einigung über die Weitergabe von Daten des Finanzdienstleisters SWIFT oder der verdachtsunabhängigen Erfassung von Flugpassagierdaten. Für eine Einigung im Rahmen der Verhandlungen um SWIFT mußte die US-Delegation allerdings zugestehen, im Gegenzug auch europäische Polizeien mit US-Bankdaten zu versorgen. Druckmittel war die Ankündigung, daß die EU ein eigenes »Terrorist Finance Tracking Program« (TFTP) entwickelt, um Überweisungsdaten künftig selbst auszuwerten. Dieser Hinweis findet sich im nichtoffiziellen Entwurf des »Stockholmer Programms«, wurde aber in der jetzt publizierten Version getilgt.

Im Arbeitspapier fand sich auch der Vorschlag zu prüfen, wie »kriminelle Provider« durch Entzug von IP-Adressen bekämpft werden könnten. Dieser Versuch einer EU-weiten Strategie für Internetsperren wurde aus dem nun vorliegenden Entwurf ebenfalls herausgenommen. Die deutsche Bundesregierung hatte Anfang Oktober eine europäische Lösung zur Durchsetzung von Internetsperren im »Stockholmer Programm« gefordert und eine Evaluierung ähnlicher Maßnahmen anderer Länder »mit Blick auf das soeben beschlossene Zugangserschwerungsgesetz in Deutschland« vorgeschlagen.

Verantwortlich für die EU-weite Kontrolle des Internets wäre die Polizeibehörde Europol, die ab 2010 neue Kompetenzen erhält und fortan für »alle Formen grenzüberschreitender schwerer Kriminalität« zuständig ist. Europol unterhält zahlreiche eigene Datenbanken und betreibt eine »Check the web-Plattform«. Nach dem Willen der schwedischen Präsidentschaft wird sich die Behörde fortan zur »Drehscheibe« des Informationsaustauschs, »Service Provider« und »Netzwerkplattform« entwickeln. Um zukünftig abweichendes Verhalten besser voraussehen zu können, soll die EU zudem ein Beobachtungszentrum zur Verbrechensprävention (»Observatory for the Prevention of crime« - OPC) aufbauen. Im Vorabentwurf war noch die Rede davon, dessen Sekretariat bei Europol anzusiedeln. Nun soll die Koordination dezentral im seit 2001 eingesetzten Europäischen Netz für Kriminalprävention organisiert werden, das sich unter anderem der Gewaltprävention im Internet, aber auch der Jugendkriminalität verschrieben hat. Das Beobachtungszentrum wird umfangreiche statistische Daten erheben, die mittels Auswertung durch Data-Mining-Software »proaktive« Prognosen über zukünftige Straftaten erlauben sollen. Ergebnisse dieser Risikoanalysen werden in »Erasmus-Programmen für europäische Polizeien« europaweit ausgetauscht.

Weitgehend unverändert in beiden Entwürfen ist die Priorität einer »Strategie der inneren Sicherheit« für die EU, die Gebrauch »proaktiver« (also vorhersehender) wie auch geheimdienstlicher Informationen machen soll. Angestrebt wird eine Verzahnung mit anderen EU-Agenturen, darunter der »Strategie der externen Sicherheit«. Weil in einer globalen Welt die »Kriminalität keine Grenzen kennt«, soll die innere Sicherheit als ein »umfassender Ansatz« von Militär, Polizei, Sicherheitsforschung und Industrie organisiert werden. Hier verbirgt sich das Konzept von »Homeland Security«, das seit der Gründung des gleichnamigen Ministeriums in den USA auch unter Europas Innenpolitikern populär geworden ist. Im Entwurf der schwedischen Präsidentschaft werden eine ganze Reihe von »Herausforderungen« genannt, in denen die außenpolitische Dimension von Fragen innerer Sicherheit tangiert ist, darunter Migration und Asyl, Zusammenarbeit mit »Drittstaaten«, Drogen- und Menschenhandel, organisiertes Verbrechen, Schutz kritischer Infrastrukturen, Informationsfluß und die Schaffung einer »zuverlässigen Umgebung« für Unternehmen, Handel und Investitionen. Eine Schlüsselrolle soll der Zusammenarbeit mit den USA und Rußland eingeräumt werden. Andere Länder »strategischer und geografischer Prioritäten« sind etwa Marokko, Ägypten und Libyen, die verläßlicher Partner zur Förderung der europäischen Sicherheitsindustrie und der Migrationsabwehr werden sollen.

Mit dem »Stockholmer Programm« soll die Verzahnung von Polizei und Militär forciert werden, darunter Polizeieinsätze im Ausland unter militärischer Befehlsgewalt, auch von der sogenannten Grenzschutzagentur Frontex. Während das NATO-Strategiepapier »Towards a grand strategy for an uncertain world« die Notwendigkeit starker »Homeland Security« als Grundlage einer effektiven Verteidigungspolitik betont, streben die EU-Innenminister wiederum mehr polizeiliche Interventionen außerhalb der EU an. Der nun vorliegende Entwurf, der in den nächsten Wochen in den zuständigen Ausschüssen der Mitgliedsstaaten diskutiert wird, kommt den Innenministern entgegen: Durchgesetzt hat sich ihre Forderung, auch Europol solle »seine internationale Dimension verstärken« und stärker in die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) eingebunden werden.


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Quelle:
junge Welt vom 22.10.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2009