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ITALIEN/340: Anzeige gegen unbekannt soll Premier Conte für Corona-Opfer verantwortlich machen (Gerhard Feldbauer)


Anzeige gegen unbekannt soll Italiens Premier Conte für Opfer der Corona-Krise verantwortlich machen

von Gerhard Feldbauer, 11. Juni 2020


Italiens Premier Conte und sein Gesundheitsminister Roberto Speranza (Linkspartei LeU) sowie die parteilose Innenministerin Luciana Lamorgese werden heute von der Staatsanwaltschaft Bergamo in der Lombardei als Zeugen zu einer "gegen unbekannt" erstatteten Anzeige gehört werden, die den Behörden "Fahrlässigkeit und Inkompetenz" für zahlreiche durch das Corona-Virus verursachte Todesfälle vorwirft. Erstattet wird die Anzeige, die 50 Einzel-Anzeigen umfasst, von Hinterbliebenen der Coronavirus-Opfer, die sich zu einer Gruppe "Noi Denunceremo" (Wir werden anklagen) zusammengeschlossen haben. Es habe "fünfzehn Tage absoluter Trägheit" gegeben, die es dem Virus ermöglichten, sich "frei und unkontrolliert auszudehnen" und zu einem "Feuer von verheerenden Ausmaßen" zu werden, argumentieren die Opfer. "Wir sind alle aus der Gegend um Bergamo und haben ähnliche Geschichten, Geschichten von Familientragödien", wird die Leiterin der Gruppe, Cristina Longhini, zitiert.

Die Provinz Bergamo war das Epizentrum der im März ausbrechenden Epidemie. Am 19. März zählte Italien 3405 COVID-19-Todesfälle, davon die meisten in der Lombardei. Auch jetzt entfallen von den über 34.000 Toten in ganz Italien mit mehr als 16.300 noch rund die Hälfte auf die Lombardei. In der Anzeige geht es vor allem darum, ob die als Corona-Hotspots bekannten Orte Alzano Lombardo und Nembro zu spät abgeriegelt wurden. Das Missmanagement hatte in Altersheimen besonders viele Opfer gefordert. Weil die Krematorien nicht mehr alle Leichen verbrennen konnten, mussten die Särge mit Militärwagen abtransportiert werden. In den Kliniken und Krankenhäusern gab es keine Plätze mehr auf den Intensivstationen. Auf diese Aspekte würden sich, so ANSA, die Fragen der Staatsanwaltschaft konzentrieren.

Die von der faschistischen Lega Matteo Salvinis gestellte Regionalregierung mit Präsident Attilio Fontana an der Spitze wurde beschuldigt, die Gegend nicht zur roten Zone erklärt zu haben, was die Ausbreitung begünstigt habe. Die Regionalregierung wies die Kritik zurück und erklärte, die Regierung in Rom hätte diese Entscheidung treffen müssen. Bereits am 2. März wollte Salvini mit diesen Argumenten Conte mit einem Mißtrauensantrag im Senat stürzen. "Dieses Regierungsteam ist schon für die Bewältigung der Normalität nicht geeignet, geschweige denn für den Notfall", begründete er laut ANSA den Vorstoß, der jedoch scheiterte.

ANSA vom Donnerstag zitiert Conte mit der Erklärung: "Ich werde alles sagen, was ich weiß, und das in aller Gelassenheit." Der Premier werde wahrscheinlich in Rom angehört. Das linke Manifesto ordnete am Mittwoch das Vorgehen in die weiterhin von der Lega mit der FI Berlusconis und den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni betriebenen Versuche ein, die Regierung Conte zu stürzen. Mit der Anzeige sei eine Operation "Salva Fontana" (Rettet Fontana, den Regierungschef der Lombardei) im Gange, um das Ansehen Matteo Salvinis und des durch die Corona-Krise beschädigten lombardischen Modells zu retten. Vorsorglich habe Fontana seinen bisherigen Direktor für das Gesundheitswesen Luigi Cajazzo abgelöst und durch Marco Trivelli ersetzt, was darauf abziele, wenn nötig die Schuld auf ihn abzuwälzen.

Nicht zufällig erfolgt die Anklage, die sich gegen Conte richtet, zu einem Zeitpunkt, da die faschistische Rechte erneut versucht, dessen Regierung zu Fall zu bringen. Wie ANSA am Donnerstag berichtet, haben es die Lega Salvinis, Melonis Brüder Italiens (FdI) und Berlusconis FI abgelehnt, an den von Conto vorgeschlagenen "Generalständen", einer Versammlung zur Beratung über das "Neustart-Dossier" der Regierung zur Corona-Krise, teilzunehmen. Conte will damit vermeiden, dass die Opposition sein Neustart-Dossier, das er braucht, um bereits Anfang Juli ein neues Defizitdekret der EU von mindestens 10 Milliarden Euro in Anspruch zu nehmen, um Sektoren wie Schulen und Kommunen zu unterstützen, verhindert.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2020

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