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ITALIEN/327: Contes "Dekret zur Wiederbelebung" erfordert Akzeptanz des Europäischen Rettungsschirms (Gerhard Feldbauer)


Premier Conte legt "Decreto Rilancio" (Dekret zur Wiederbelebung) über 155 Mrd. Euro vor

Dazu muss jetzt der Europäische Rettungsschirm ESM akzeptiert werden

von Gerhard Feldbauer, 19. Mai 2020


Zur Überwindung der noch gar nicht abzusehenden schweren Auswirkungen der Corona-Virus-Krise auf Wirtschaft und Gesellschaft hat der italienische Premier Giuseppe Conte ein "Decreto Rilancio" (Dekret zur Wiederbelebung) über 155 Mrd. Euro "für den Neustart der italienischen Wirtschaft" vorgelegt. 55 Mrd. davon sollen Familien und Unternehmen zu Gute kommen. Für Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 250 Millionen Euro sollen die Steuern um 4 Mrd. Euro gesenkt oder auch ganz erlassen werden, was aber eine einmalige Maßnahme und keine Steuerreform sei, die für einen späteren Zeitraum folgen werde.

Familien mit weniger als 40.000 Euro Jahreseinkommen wird eine Steuergutschrift bis zu 500 Euro zugesagt. Für das Gesundheitswesen sind 3,25 Mrd. Euro vorgesehen, an Fachschulen für Medizin sollen zusätzlich 4200 Stipendien gezahlt werden. Für Universitäten und Forschung, darunter für die Einstellung von 4000 neuen Wissenschaftlern, sind 1,4 Mrd. Euro vorgesehen. Um sofort Ressourcen zu beschaffen und das Land wiederzubeleben sollen neue Regeln zur Beschleunigung der Kreditvergabe an Unternehmen erlassen werden. Zur Sicherung der Arbeitskraft der Beschäftigten gehört, dass die Stopps von Entlassungen um weitere 3 Monate verlängert werden, Familien mit Kindern ein Noteinkommen und Gastgewerbetreibende bis zu 2 Mrd. Euro erhalten sollen.

Der Haken an der Sache ist, die Regierung verfügt gar nicht über die Gelder zur Realisierung dieses Dekrets. Bis Anfang Mai hatte Conte den EU-Rettungsschirm ESM (italienisch MES) abgelehnt und stattdessen sogenannte Eurobonds gegen die schweren wirtschaftlichen Auswirkungen der Conora-Krise gefordert. "La Repubblica" schrieb, ESM sei ein neuer "Marshallplan", aber es sei eine "unbequeme, aber unwiderlegbare Wahrheit", dass Italien ohne die EU die Situation mit der öffentlichen Verschuldung "nicht in den in den Griff bekommen" werde. Dem zufolge musste Conte nun, um sein "Decreto Rilancio" finanzieren zu können, schließlich der Annahme einer Kreditlinie von inzwischen 500 Mrd. Euro des Recoveryfonds (Wiederaufbaufond) zustimmen, nach der ab 1. Juni zwei Prozent des BIP zu nahezu Null für direkte und indirekte Gesundheits- und Präventionskosten zur Finanzierung der Covid-19-Folgen zur Verfügung stehen sollen. Das wären für Italien etwa 37 Milliarden Euro. Gleichzeitig nannte Conte die für die 27 Mitgliedsländer zur Verfügung gestellte Summe "unzureichend". Zur Überwindung der gegenwärtigen Krise und zur Förderung einer raschen Erholung auf dem gesamten Kontinent sei eine "Größe von mindestens einer Billion Euro" erforderlich. Denn dem hoch verschuldeten Italien droht für 2020 ein Minus bei der Wirtschaftsleistung um 9,5 Prozent.

Über das "Rilancio"-Dekret brechen die alten Gegensätze zur EU sowohl mit der Opposition als auch in der Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), der sozialdemokratischen PD und der von ihr abgespaltenen Partei Italia Viva (IV) Matteo Renzis neu auf. Die PD-Vorsitzende im Senat, Andrea Marcucci, stellte klar, dass "MES kein Geschenk ist", sondern "geliehenes Geld, das unter bestimmten Bedingungen zurückzugegeben ist, über die in Brüssel und nicht in Italien entschieden werde." Die PD stimmte der Annahme zu, wenn "keine zusätzlichen Bedingungen eingeführt werden", so ihr Finanzminister Roberto Gualtiero. Während M5S ihre EU-feindliche Haltung inzwischen weitgehend aufgegeben hat, erklärte der Chef der faschistischen Lega, Matteo Salvini, MES sei "ein gefährlicher und unsicherer Weg" und seine Fraktion stimmte im Abgeordnetenhaus dagegen. Es wird jedoch erwartet, dass er der Confindustria folgen und hier nachgeben wird, während er gegen die Legalisierung der schwarz arbeitenden Migranten, die Bestandteil des Dekrets ist, ankündigte, dagegen "werden wir auf die Straße gehen".

Bei der "Regularisierung" der Migranten handelt es sich vor allem um die jährlich über eine Million Menschen, die auf den Feldern vor allem in Süditalien meist illegal arbeiten. Etwa 350.000 davon sind ausländische Saisonarbeiter vor allem aus Osteuropa, die aufgrund der Covid-19-Beschränkungen dieses Jahr nicht ihre saisonalen Jobs leisten können, warnte die Nachrichtenagentur "ANSA". Deshalb sagte Conte zu, "eine Sonderregelung" für Saisonarbeiter vorzunehmen, die sich aber auf drei Monate beschränken soll. Endgültig geklärt ist das noch nicht, selbst die Zahl ist umstritten und schwankt "zwischen 600.000 und 877000". Dann soll es nur die Saisonarbeiter betreffen und nicht "alle irregulären Bürger". Ausgeschlossen werden sollen auch illegale Einwanderer, die wegen Verbrechen oder auch Prostitution verurteilt wurden.

Um die Hilfe beantragen zu können, muss Conte sein Rilancio-Dekret durch das Parlament bringen. Während er am vergangenen Freitag in der Abgeordnetenkammer, wo M5S und PD über eine ausreichende Mehrheit verfügen, mit 241 Ja- gegen 166 Nein-Stimmen die erforderliche Zustimmung erhielt, ist das bei der Abstimmung am Mittwoch im Senat fraglich. Hier möchte Renzi mit seiner IV die Gelegenheit nutzen, sein seit der Abspaltung von der PD verfolgtes Ziel, Conte zu stürzen, um eine "Regierung der nationalen Einheit" unter Beteiligung der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi und der Lega ins Amt zu bringen, möglichst mit ihm an der Spitze, durchsetzen.

Damit dürfte das Votum im Senat am Mittwoch zum echten "Stresstest" für die Mehrheit Contes werden, schrieb "ANSA" am Montag. Conte brauche im Senat "die 17 Stimmen von IV", andernfalls drohe ihm das "Mißtrauen", das sich aber vor allem gegen Justizminister Alfonso Bonafede (M5S) richte, "der seit Monaten Ziel der Renzianer ist". Die meisten bezweifelten jedoch, so "ANSA", dass Renzi beschließt, "den ganzen Weg zu gehen", denn M5S zu treffen, würde bedeuten, "die Regierung in die Luft zu jagen". Dann würde es laut einer Äußerung aus der PD "für uns nur Wahlen geben".

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2020

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