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ITALIEN/292: M5S vor Regionalwahlen gespalten (Gerhard Feldbauer)


M5S vor Regionalwahlen gespalten

Während Sozialdemokraten Siegeschancen eingeräumt werden, droht der Sternepartei eine neue Niederlage

von Gerhard Feldbauer, 9. Januar 2020


Vor den am 26. Januar in der norditalienischen Emilia Romagna und im südlichen Kalabrien angesetzten Regionalwahlen (Landtagswahlen vergleichbar) ist es in der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zur lange erwarteten Spaltung gekommen. Bis zum Wochenanfang hatten laut der Nachrichtenagentur "ANSA" 19 Abgeordnete und Senatoren in den vergangenen Monaten die Partei verlassen. Fünf liefen zu den Faschisten (drei zur Lega, je einer zur Forza Italia (FI) Berlusconis bzw. zu den Brüdern Italiens (FdI) von Georgia Meloni über), einer schloss sich der von der Demokratischen Partei (PD) von deren Ex-Chef und früherem Premier Matteo Renzi abgespaltenen Partei Lebendiges Italien (IV) an. Schwerer wiegt, dass 13 mit dem zurückgetretenen Bildungsminister Lorenzo Fioramonte eine "gemischte Gruppe" bildeten, die als Basis einer neuen Partei gesehen wird.

In der heterogen zusammengesetzten Gruppe steht die Kritik am fehlenden Einsatz der Führung für die versprochenen sozialen Veränderungen, so von Fioramonte, der zum Anlass seines Rücktritts nahm, dass ihm im Haushalt eine Milliarde Euro nicht gewährt worden sei, im Vordergrund. Weiter wird der autoritäre Führungsstil von Sterne-Chef Luigi Di Maio, der die Meinung der Basis ignoriere und sie vor vollendete Tatsachen stelle, abgelehnt und sein Rücktritt gefordert. Das wird bisher von Parteigründer Beppe Grillo, der weiter die Fäden in der Hand hält, verhindert, der damit der wachsenden Vorherrschaft der PD in der Regierung einen Riegel vorschieben will.

Die Spaltung der M5S ist bisheriger Höhepunkt ihrer Krise, die mit den Niederlagen 2019 bei drei Regionalwahlen einsetzte. Sie waren die Quittung der Wähler, die zum beträchtlichen Teil aus enttäuschten früheren Linksdemokraten bestehen, für die Nichteinhaltung von Wahlversprechen nach sozialen Verbesserungen und die Bildung einer Regierung mit der faschistischen Lega. Im März 2018 mit 32,9 Prozent noch erste Partei, sackte die Bewegung auf rund 20 und zuletzt in Umbrien auf unter acht Prozent. Die PD, die mit 18,7 auch eine Niederlage kassiert hatte, stieg dagegen auf 22,4 an. Sie stellt wieder ihr sozialdemokratisches Profil heraus, nennt sich stärkste Basis-Partei der Linken und macht geltend, führende Oppositionspartei zu sein. Von ihrem gewachsenen Selbstbewusstsein zeugte die Erklärung ihres Sekretärs Nicola Zingaretti, sollte es zu einem Sturz der Regierung (was auf M5S zielt) kommen, werde es Neuwahlen geben.

Nachdem Di Maio nach der Niederlage in Umbrien das bestehende Wahlbündnis mit der PD aufkündigte, tritt M5S allein an. Umfragen sagen ihr in der Emilia ein weiteres Tief von sechs Prozent voraus. Die faschistische Lega will dort, unterstützt von der FI und FdI, "die rote Hochburg", wie ihr Chef Salvini ankündigte, "schleifen". Für die PD tritt dort ihr Amtsinhaber, der Politologe Stefano Bonaccini, unterstützt von der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) und weiteren Linken, zur Wiederwahl an. Die neue Protest-Bewegung der Sardinen will ihm ebenfalls ihre Stimmen geben.

Wie "ANSA" am Donnerstag meldete, will sich die Bewegung jedoch nach dem 26. Januar auf einem Nationalkongress parteimäßig organisieren und es wird erwartet, dass sie zu den vier weiteren Regionalwahlen in Veneto, den Marken, im südlichen Kampanien und Apulien, die im Frühjahr anberaumt sind, selbst antreten wird. Der Aufruf des in der Emilia lebenden argentinischen Volleyballtrainers Julio Velasco, Bonaccini zu wählen, könnte ihm viele Stimmen der Sportbegeisterten einbringen. Velasco trainierte die italienische Volleyballnationalmannschaft der Männer, die unter ihm olympisches Silber, zwei Weltmeistertitel, drei europäische, einen World Cup und fünf Weltliga-Siege einfuhr.

Premier Conte wird nicht müde, an die Einheit seiner Regierung zu appellieren. Den Rücktritt des Bildungsministers von M5S Ende des Jahres hat er gut umschifft. Das bisherige Ressort wurde in zwei Ministerien geteilt. Zur neuen Ministerin für die Schulen hat er die bisherige Staatssekretärin von M5S im Bildungsministerium, Lucia Azzolina, eine frühere Schuldirektorin, ernannt, und für das neue Universitäts- und Forschungsministerium den parteilosen Rektor der renommierten Universität "Federico II" von Neapel, Gaetano Manfredi, der auch Präsident der Rektorenkonferenz ist, berufen. Als Schwerpunkte seiner Politik bezeichnet er die Verbesserung der Verwaltung, des Rechtswesens und der Infrastruktur. Der parteilose Jura-Professor, der als politischer Newcomer angetreten war, hat offensichtlich Geschmack an dem Amt gefunden und will nicht nur bis zum Ende der Legislaturperiode regieren, sondern auch danach weiter zur Verfügung stehen, verbreitete "La Repubblica", die als Sprachrohr der PD gilt.

Jedenfalls ist er ungewöhnlich aktiv, um rechtsextreme Hinterlassenschaften aufzuarbeiten. Mit einem zu Jahresbeginn in Kraft getretenen Gesetz sollen die einst von Berlusconi eingeführten Verjährungsfristen von drei Jahren bei Korruptionsprozessen bzw. Urteilen aufgehoben werden. 2017 waren bei 126.000 Fällen 67.000 schon verjährt, bevor es überhaupt zum erstinstanzlichen Verfahren kam. Das Gesetz trifft gleich mehrere Lega-Politiker, darunter ihren Parteigründer Umberto Bossi, der 2017 in erster Instanz wegen Unterschlagung von 43 Millionen Euro zu zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Im Senat will Conte jetzt die Aufhebung der Immunität Salvinis durchsetzen, damit der Prozess wegen Freiheitsberaubung und Amtsmißbrauch gegen den Lega-Chef wegen der im August 2019 verhinderten Anlandung des Flüchtlingsschiffes Diciotti mit 150 Migranten eröffnet werden kann.

Als das staatliche Amt für Statistik (ISTAT) vergangene Woche für 2018 mit 439.747 Geburten gegenüber dem Vorjahr einen alarmierenden Rückgang von 18.404 mitteilte, reagierte er ungewöhnlich schnell. Noch am selben Tag nannte er das "besorgniserregend" und versprach laut "ANSA", er werde "mit aller Entschlossenheit daran arbeiten, diesen Trend umzukehren und zu verhindern, dass unser Land immer älter wird." Er verwies auf im Haushalt 2020 vorgesehenen "Investitionen für Kindergärten und Babyprämien".

Andererseits vergißt Conte nicht, die Unternehmer für sich einzunehmen. So hat er die Konzession für den Betreiber der Autostrade per l'Italia, an der der Benetton-Konzern die Aktienmehrheit hält, verlängert, obwohl diese für den Einsturz der Brücke bei Genua 2018 verantwortlich gemacht wird, bei dem 43 Menschen den Tod fanden. M5S, die in der Regierung mit der Lega dem zugestimmt hatte, vollzieht hier, um Wähler zurückzugewinnen, eine Kehrtwende und fordert eine Annullierung.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2020

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