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ITALIEN/288: Gefahr eines Einsturzes der Morandi-Brücke 2018 bei Genua wurde geheim gehalten (Gerhard Feldbauer)


Neuer Skandal erschüttert Italien

Die Gefahr eines Einsturzes der Morandi-Brücke 2018 bei Genua war der Betreiberfirma seit 2014 bekannt, wurde aber geheim gehalten

von Gerhard Feldbauer, 26. November 2019


Während in Italien wieder eine Brücke eingestürzt ist, wird ein neuer Skandal bekannt.

Die Gefahr eines Einsturzes der vierspurigen 1967 erbauten Morandi-Autobahnbrücke bei der Hafenstadt Genua am 14. August 2018 war der Betreiberfirma seit 2014 bekannt. Das hat die römische Zeitung La Repubblica am 20. November enthüllt. Bei der Katastrophe stürzten über 30 PkW und drei schwere Fahrzeuge in den Fluss Polcevera (Wildbach) und die Via Fillak im Stadtteil Sampierdarena. 43 Menschen kamen ums Leben, 16 wurden verletzt. Die wegen ihrer Ähnlichkeit mit der berühmten amerikanischen Brücke von den Italienern "Brooklyn Bridge" genannte Überführung war 1.182 Meter lang, 45 Meter hoch und ruhte auf drei 90 Meter hohen Stahlbetonpfeilern. Zuständig für den Betrieb war der private Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia", ein Tochter-Unternehmen des Infra-Strukturkonzerns Atlantia, an dem der Milliardenschwere Mischkonzern (Mode, Gastronomie, Banken und Versicherungen) der Bennetton-Familie mit Firmensitz in Luxemburg ein Drittel der Aktien hält. Autostrade betreibt 3.100 Kilometer italienischer Autobahnen mit 262 Mautstellen und kassiert etwa 56 Prozent der Gebühren. Auf Autostrade-Strecken legen jährlich 750 Millionen Fahrzeuge 45 Milliarden Kilometer zurück. Atlantia betreibt außerdem Straßen in Brasilien, Chile, Indien und Polen, Flughäfen in Frankreich, u. a. in Nizza, und über die Tochter Aeroporti Roma die Flughäfen Fiumicino und Ciampino in Rom. Dabei sind die Autobahnen der Cash-Cow des Vermögens von 13,3 Mrd. Dollar der Bennettons, zu dem sie ein Drittel beisteuern.

Die Nachrichtenagentur ANSA hatte schon 2018 "strukturelles Versagen" und einen "maroden" Zustand als Ursachen genannt. La Repubblica hatte eine bereits 2009 verfasste Expertenstudie "La Gronda di Genova", in der ein "Abbruch" erwogen wurde, veröffentlicht. Darin hieß es, der Verkehr über die Brücke habe sich in den zurückliegenden 30 Jahren vervierfacht und war auf 25,5 Millionen Durchfahrten pro Jahr angewachsen. Unter der faschistischen Regierung Berlusconis wurde auf Betreiben der Lega ein Abbruch verhindert. Obwohl Ministerpräsident Giuseppe Conte, der 2018 an der Spitze einer Regierung aus der 5 Sterne Bewegung (M5S) mit der faschistischen Lega stand, damals eine umfassende Untersuchung der Ursachen, die zu der Katastrophe führten, ankündigte, verlief erst einmal alles im Sande. Eine Entscheidung, die Brücke nicht wieder aufzubauen, wofür der Architekt Diego Zoppi aus Genua, Mitglied des National Council of Architects, plädierte, wurde rasch gekippt.

Nun hat La Repubblica enthüllt, dass Atlantia seit 2014 über die drohende Einsturzgefahr durch ihre firmeneigene Überwachungs- und Wartungsgesellschaft Spea unterrichtet wurde. Die Dokumente wurden von der Guarda di Finanza (Finanzbehörde) in den Computern des Unternehmens gefunden. Die einzige Reaktion der Atlantia sei gewesen, noch 2014 die Versicherungspolice zu erhöhen. Erforderliche Reparaturen seien, so das Blatt, "aus Kostengründen" verschoben worden. Die Ingenieure der Spea seien gedrängt worden, nicht länger wegen des Zustands der Brücke "Alarm zu schlagen". 2017 sei dann nur noch ein "Risiko des Verlusts der Stabilität" erwähnt worden.

Die Staatsanwaltschaft in Rom ermittelt gegen 73 Personen, unter ihnen die Leitung der Atlantia. Den meisten wird fahrlässige Tötung vorgeworfen. Atlantia droht dabei auch der Entzug der Betreiber-Lizenz. Der Skandal hat an den Börsen zu Kursverlusten von Atlantia geführt, die laut der Finanzagentur "Bloomberg" bereits zwei Milliarden Dollar ausmachen.

Die Benettons sind eng liiert mit der faschistischen Lega Matteo Salvinis, bekanntermaßen Vertreter der Kapital-Interessen. Ihren Unternehmer Luca Zaia verhalf u. a. der Benetton Thinktank Fabrica 2015 mit Publicity und Finanzen zur Wiederwahl als Regierungschef in Venetien, dessen Regionalhauptstadt Venedig auch gern Benettown genannt wird. Da die Sterne-Partei vom Juni 2018 bis August 2019 den Lega-Kurs in der Regierung mitgetragen hat (Danilo Toninelli war Verkehrs- und Infrastrukturminister), will sie jetzt mit besonders scharfem Vorgehen gegen den "Benetton-Clan" davon ablenken. M5S-Chef Luigi di Maio: "Es ist Zeit, basta zu sagen." Für die Regierung Premier Contes erhält das Thema zusätzlich Brisanz dadurch, dass Atlantia, wie ANSA meldete, sich unter den Bewerbern befindet, die ein Konsortium zur Übernahme der insolventen Fluggesellschaft Alitalia bilden wollen.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. November 2019

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