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ITALIEN/259: Italiens Demokratische Partei scheint aus der Agonie zu erwachen (Gerhard Feldbauer)


Italiens Demokratische Partei scheint aus der Agonie zu erwachen

Neuer Sekretär Nicola Zingaretti will Linke neu formieren

von Gerhard Feldbauer, 17. März 2019


Monatelang verharrte die Partito Democratico (PD) nach der katastrophalen Wahlniederlage im März vergangenen Jahres in regelrechter Agonie. Während die rassistische Lega und die rechte Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zusammen eine Mehrheit erreichten und eine Regierung bildeten, stürzte die PD von 40,8 Prozent bei den EU-Wahlen 2014 auf 18,7 Prozent ab. Genau ein Jahr dauerte es, bis am 2. März bei öffentlichen Vorstandswahlen (Primarie), an denen auch nicht der PD angehörende Bürger teilnehmen konnten, ein neuer Sekretär gewählt wurde. Gegen den amtierenden Übergangs-Sekretär Maurizio Martina und den engen Vertrauten von Matteo Renzi, bis 2017 bzw. 2018 Ministerpräsident und Parteichef, Roberto Giachetti, setzte sich der Regierungschef des Latiums, Nicola Zingaretti, durch, für den 70 Prozent der etwa 1,8 Millionen Teilnehmer stimmten. 2018 war er in der wirtschaftlich zweitstärksten Region im Amt bestätigt worden. Mit 12,5 Prozent für Giachetti erhielt der noch immer starke Flügel der Renzianer eine entschiedene Abfuhr. Im neuen Vorstand ist er nicht mehr vertreten.

Zum Wahlsieg des neuen PD-Chefs habe beigetragen, wie Medien hervorhoben, dass sein älterer Bruder, der Schauspieler Luca Zingaretti, in der beliebten Krimi-Serie von RAI UNO (bisher 34 Folgen, jüngste Einschaltquote elf Millionen) den Commissario Montalbano, den Kämpfer gegen Unrecht und Verbrechen, spielt. Drehbuchautor ist der als entschiedener Gegner von Faschismus und Rassismus ausgewiesene Andrea Camilleri. Der TV-Sender Sky TG 24 gab einen Wähler wieder mit den Worten: "Ich habe Montalbano gewählt." Solche Stimmen kämen dem neuen PD-Chef zugute.

Am Vortage hatte Zingaretti eine einheitliche Massendemonstration von 250.000 Antifaschisten in Mailand gegen den neofaschistischen Kurs der Lega und ihres links getarnten Kompagnons M5S mit angeführt und angekündigt, damit beginne "der Wiederaufbau der Linken", die dieser "gefährlichen Regierung" den Kampf ansage. Danach habe er, so RAI UNO, als erstes die "sensationelle Entscheidung" bekanntgegeben, das bei der Parteigründung vor 12 Jahren bezogene Hauptquartier in der Via Nazareno zu verlassen und eine neue Zentrale zu beziehen. Der Sender verdeutlichte, damit verurteile der neue PD-Chef den von Renzi mit Berlusconi am 18. Januar 2014 dort geschlossenen "Pakt von Nazareno", nachdem der damalige PD- und Regierungschef mit dem 2011 zum Rücktritt als Premier gezwungenen Chef der faschistischen Forza Italia (FI), der anschließend wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe verurteilt und aus dem Senat ausgeschlossen wurde, kollaborierte.

Renzi machte ihm Hoffnung auf eine Begnadigung, wofür dieser ihn im Senat bei fehlender eigener Mehrheit wiederholt mit den Stimmen seiner FI vor dem Sturz bewahrte. Die Kollaboration ging so weit, dass Renzi beabsichtigte, nach den Wahlen im März 2018 mit Berlusconi eine Regierung zu bilden. Aus Protest gegen diesen Kurs verließen etwa 100.000 Mitglieder die Partei, die daran zu zerbrechen drohte. Millionen Wähler entzogen ihr am 2. März ihr Vertrauen. Sie gelte es "zurückzugewinnen", so der neue PD-Chef.

Mit der Absage an den rechten autoritären Kurs Renzis, laut der römischen La Repubblica ein "Karrierist ohne Skrupel", will Zingaretti "jetzt ein neues Kapitel" aufschlagen, "Türen und Fenster öffnen, um eine völlig andere Partei aufzubauen". Es müssten "klare Signale gegeben werden, wenn wir zu den Menschen zurückfinden wollen", denn "alles hänge von der Breite der Basis ab". Auf diesem Weg wolle er "nicht der Chef sein", sondern "nur der Leader einer Gemeinschaft". Zu den am 2. Mai anstehenden Europawahlen will er mit allen progressiven Kräften ein über die PD hinausgehendes Mitte-Links-Bündnis erreichen. Seine Erklärung, er sei zur Bildung "einer neuen Mitte-Links-Regierung bereit", wird als Korrektur der von Renzi nach den Wahlen durchgesetzten Ablehnung, mit M5S eine Regierung zu bilden, und als deutliches Signal an deren Kräfte, die mit Salvini brechen wollen, gewertet.

Zingaretti gehört noch zur aus der IKP hervorgegangenen alten linken Garde, die Renzi "verschrotten" wollte. 2007 beteiligte er sich an der Gründung der PD, diesem Zwitter von Linksdemokraten und der katholischen Zentrumspartei Margherita, die sich in ihrer Geburtsurkunde, wie La Repubblica am 10. Februar 2008 schrieb, zum "demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie" bekannte.

Über eine Abkehr von diesem Pakt wurde von Zingaretti bisher nichts bekannt. So sehr seine Absage an die bisherige arbeiterfeindliche Politik unter Renzi begrüßt wird, weisen linke Stimmen darauf hin, dass er ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung für die heutige Misere trägt, und fragen, wie die "völlig andere Partei", die er aufbauen will, aussehen soll. Die aus dem Untergang der IKP 1990 hervorgegangene Linkspartei habe in den letzten 30 Jahren "ihre soziale Seele verloren", schreibt das linke Manifesto und fragt, wie der neue PD-Chef "dieses Erbe überwinden und die Natur dieser Partei grundlegend verändern" wolle.

Renzi verharrt inzwischen in Schweigen. Dass er sich mit seiner Niederlage abfindet, wird nicht erwartet. Wie La Repubblica kürzlich enthüllte, hat sich seine Vertraute, die frühere Ministerin in seiner Regierung Maria Elena Boschi, mit Salvini zu einem Arbeitsessen getroffen. Es wird befürchtet, dass er mit seiner Gefolgschaft von Berlusconi zur Kollaboration mit dem Rassistenchef wechseln könnte, wenn M5S die Regierung verlassen sollte. Salvini hat inzwischen, wie La Repubblica am Freitag schreibt, angekündigt, sein Ziel sei, bei den EU-Wahlen mit einem Ergebnis von über 30 Prozent M5S zu überbieten und erste italienische Partei zu werden. So wird viel vom Ausgang dieser Wahl abhängen und spätestens dann werden die Weichen neu gestellt.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2019

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