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ITALIEN/156: Nach Niederlage im Referendum bleibt Premier Renzi vorerst im Amt (Gerhard Feldbauer)


Nach Niederlage im Referendum bleibt Premier Renzi vorerst im Amt

59 Prozent lehnten Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer ab

von Gerhard Feldbauer, 6. Dezember 2016


Premierminister Matteo Renzi ist am Sonntag beim Verfassungsreferendum über die Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer mit 59,11 Prozent "No" (Nein)-Stimmen gescheitert. Nach Schließung der 61.551 Wahllokale in 7.998 Städten und Gemeinden um 23 Uhr hatte er seinen Rücktritt angekündigt und, wie ihn La Repubblica am Montag zitierte, dafür "persönlich die volle Verantwortung übernommen". Entgegen einem prophezeiten Chaos reagierten die Aktienmärkte relativ gelassen. An der Mailänder Börse sanken die Kurse um 1,8 Punkte, und der Wert des Euro fiel um rund ein Prozent. Von einem "Italexit", einem drohenden Austritt aus der Euro-Zone, ist in den Medien keine Rede.

Renzi hatte noch am Montag in Absprache mit Staatschef Mattarella ein geschicktes Manöver gestartet und ist nun überraschend für Neuwahlen, die er aber verzögern will. Erst soll der Haushalt 2017, bei dem er mit einigen sozialen Zugeständnissen punkten kann, verabschiedet werden, was frühesten Ende Dezember sein wird, eventuell auch später. Bis dahin bleibt er im Amt und behält die Fäden in der Hand. Danach sollen laut Repubblica vom Freitag Neuwahlen spätesten Juni 2017 stattfinden.

An die Urnen waren etwas über 46,7 Millionen Wahlberechtigte gerufen, von denen 68,48 Prozent ihre Stimme abgaben. Am Montagvormittag hatte sich Renzi in den Quirinalspalast begeben und Staatspräsident Sergio Mattarella seine Entscheidung offiziell mitgeteilt, der ihn bat, bis zur Klärung der Weiterführung der Regierung die Amtsgeschäfte auszuüben.

Ein Teil der Stimmen für das "Nein" kam aus dem rechtsextremen Lager - so etwa von der Partei Forza Italia (FI) des Expremiers Silvio Berlusconi, von der rassistischen Lega Nord und den faschistischen Fratelli d'Italia (Brüder Italiens). Bis auf Berlusconis Partei fordern diese vorgezogene Parlamentswahlen vor dem Ende der Legislaturperiode im Frühjahr 2018. Berlusconi, der Renzi bei einem Verbleiben im Amt mit seiner FI Unterstützung angeboten hatte, spekuliert jetzt, der Staatspräsident werde eine Übergangsregierung einsetzen, in die seine FI eintreten will. Sein Hausblatt Il Giornale schrieb, er feiere "eine siegreiche Rückkehr" auf die politische Bühne. In die Front des "No" reihte sich aber auch die Protestpartei Movimento 5 Stelle (Fünf-Sterne-Bewegung, M5S) ein, die ebenfalls sofortige Neuwahlen verlangt. Entgegen seiner bisherigen Forderung will M5S-Chef Grillo jetzt das umstrittene Wahlgesetz Italicum mit dem Siegerbonus (der in der Abgeordnetenkammer 340 der 630 Sitze beträgt) anerkennen und es auch auf die Wahl des Senats anwenden.

Auch ein Großteil der Linken in und außerhalb von Renzis sozialdemokratischem Partito Democratico (PD) hatte im Referendum für ein Nein plädiert. Sie wollten damit dem arbeiterfeindlichen und auf die Entmachtung der Linken gerichteten Kurs des Premiers eine Abfuhr erteilen. Noch am Ende der Wahlkampagne hatten führende Vertreter von Mitte Links wie der mehrmalige Ministerpräsident Romano Prodi und der parteilose Linke Guliano Pisapia, von 2011 bis 2016 Bürgermeister von Mailand, vor einem "No" gewarnt, das der extremen Rechten den "Weg frei machen" werde.

Staatspräsident Mattarella, mit dessen Wahl im Februar 2015 Berlusconis FI und der Lega Nord eine schwere Niederlage bereitet wurde, erklärte nach dem Gespräch mit Renzi: "Italien ist ein großes Land mit so viel positiver Energie. Auch deshalb ist es nötig, daß das politische Klima, selbst in der nötigen Dialektik, von Ruhe und gegenseitigem Respekt geprägt ist", Mattarella werde nun, wie La Repubblica am Dienstag schreibt, entscheiden, wie es weiter geht. Dazu führt er in den nächsten Tagen Konsultationen mit den Führern der Parteien.

Sollte zwischenzeitlich ein Übergangspremier eingesetzt werden, so sei klar, wie La Repubblica schrieb, dass es keine Regierung gegen Renzi (der Parteichef bleibt) und die PD geben werde. Zur Sprache brachte das regierungsnahe Blatt gleich vier Kandidaten, von denen drei dem jetzigen Team von Renzi angehören: Finanzminister Pier Carlo Padoan, den Senatspräsidenten Pietro Grasso und den Minister für Infrastruktur Graziano Delrio. Als vierter komme Romano Prodi in Betracht. Was anstehende Parlamentswahlen, ganz gleich ob vorgezogen oder regulär im Frühjahr 2018, angeht, so stellte die linke Unità bereits am Montag in ihrer online-Ausgabe die Prognose auf, dass das jetzige "Adio Renzis kein Adio ist".

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2016

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