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ITALIEN/153: Kopf- an Kopf-Rennen im Referendum am 4. Dezember erwartet (Gerhard Feldbauer)


Kopf-an Kopf-Rennen im Referendum am 4. Dezember in Italien erwartet

Neben den Linken könnten Auslandsitaliener den Ausgang entscheiden

Von Gerhard Feldbauer, 24. November 2016


Der Wahlkampf zu dem von Premier Matteo Renzi angesetzten Referendum am 4. Dezember über die Entmachtung des Senats als zweiter Parlamentskammer läuft auf Hochtouren. Alle Register werden gezogen. Stimmen aus dem Industriellenverband Confindustria und aus Brüssel warnen, ein "No" (Nein), also eine Niederlage Renzis, der für diesen Fall seinen Rücktritt angekündigt hat, könnte den Austritt Italiens aus der Euro-Zone bedeuten und die Krise der EU verschärfen. Auch um die starke Friedensbewegung wird geworben, deren Stimmen 2014 zu Renzis EU-Wahlsieg mit 40 Prozent beitrugen. Die Veröffentlichung von den in den vergangenen Jahren auf 23 Milliarden Euro angestiegenen Militärausgaben, das sind derzeit täglich 64 Millionen Euro allein für Kampfjets, Raketen und Flugzeugträger, durch La Repubblica am Mittwoch dürfte der "No"-Front neue Wähler zuführen.

Am Donnerstag zitierte das linke Fatto quotidiano den faschistoiden Ex-Premier Berlusconi, der Renzi aufforderte, bei einem "No" im Amt zu bleiben und ihm anbot, für eine Senatsreform sofort mit ihm Verhandlungen zu führen. Berlusconis Forza Italia (FI) tritt für ein "No" ein. Der politisch abgewirtschaftete Berlusconi wittert eine Chance mit seiner FI an die Regierung zurückzukehren. Renzi hat bisher seine PD-Minderheit immer gewarnt, ein "No" werde der extremen Rechten dienen. Im Gegenzug erklärte auch Kulturminister Dario Franceschini, nach einer Niederlage solle Renzi im Amt bleiben und die PD müsse sich hinter ihn stellen, um den Bestand der Regierung zu sichern. Der Schriftsteller gehörte 2007 als Christdemokrat zu den Mitbegründern des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und wirbt sich unter seinen Kollegen für ein "Si" (Ja).

In der Endphase wird um eine weitere Schichten der Wähler gerungen: Die Italiener im Ausland. Ende 2015 lebten 4.811.163 Italiener, einer von Zwölf Einwohnern, im Ausland. Mit Briefen an sie soll Renzi um ihr "Si" geworben haben. Obwohl das auf scharfe Kritik im "No"-Lager stieß, buhlen inzwischen alle Seiten um diese Wählerschichten. Neben den USA und der Schweiz ist Deutschland mit 616.000 hier lebenden Italienern wichtiges Wahlkampfterrain. Allein in München, wo 25.000 Italiener ansässig sind, fanden bisher fünf Veranstaltungen statt, auf denen Befürworter und Gegner der Senatsreform sich oft scharf auseinandersetzten. Zu ihnen gehörte der frühere PD-Sekretär Pierluigi Bersani, ein Befürworter des "No". Am vergangenen Wochenende hatte die Leiterin der "Akademie der Nationen" der Caritas München, Norma Mattarei, vom linken Verein "Rinascita" zu einem Meeting eingeladen, an dem unter anderem die PD-Politikern Laura Garavini, Mitglied des Abgeordnetenhauses, teilnahm, die für die Zustimmung zu der Senatsreform eintrat. Sie teilte mit, dass sie auf Veranstaltungen in Berlin, Stuttgart und weiteren deutschen Städten sowie in Bern und London für ein "Si" geworben und viel Zustimmung gefunden habe. Die Parlamentarierin argumentierte auf der bekannten Linie des Premiers, dass mit der Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer Milliarden Euro eingespart, die Arbeit der Regierung nicht mehr blockiert und diese dadurch effektiver gestaltet und Italien ein stabiles Land werden würde.

Norma Mattarei, die das Meeting moderierte, hielt dagegen, dass die Reform alles andere als demokratisch sei. Sie diene der besseren Durchsetzung der neoliberalen Interessen der Wirtschaft und lenke von den eigentlichen Problemen des Landes ab: der Arbeitslosigkeit, der Wirtschaftskrise, der öffentliche Verschuldung, der Kriminalität, Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung und der Justiz. Die bekannte Publizistin der in München erscheinenden italienischen Zeitschrift Rinascita flash appellierte, gegen die rechte und gewerkschaftsfeindliche Politik des Premiers beim Referendum mit "Nein" zu stimmen.

Die jüngste Veranstaltung in München wie auch an anderen Orten spiegelte die Unzufriedenheit der Immigranten mit der Politik der seit 2013 regierenden sozialdemokratischen PD Renzis wider. Viele werfen ihr vor, dass auch sie den Auswanderungen kein Ende gesetzt hat und wollen deshalb mit "No" stimmen. Wie die Fondazione Migrantes im Oktober meldete, mussten allein 2015 wieder 107.529 Italiener auswandern, 10.000 mehr als im Vorjahr. Darunter waren 40.000 Jugendliche.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. November 2016

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