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ITALIEN/150: Der Wahlsieg Donald Trumps wird reaktionären und rechtsextremen Kräften weltweit Auftrieb geben (Gerhard Feldbauer)


Der Wahlsieg Donald Trumps wird reaktionären und rechtsextremen Kräften weltweit Auftrieb geben

Die Anbiederung von Sozialdemokraten Italiens an Faschisten leistet dem Vorschub

Das hat lange Traditionen


Von Gerhard Feldbauer, 9. November 2016


In Mailand hat sich am 1. November zum Tag der Allerheiligen, der in Italien landesweit ein Feiertag ist, ein skandalöser Vorgang ohnegleichen ereignet. Von der Stadtverwaltung, einer Mitte Links-Koalition mit dem Bürgermeister der regierenden sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Stefano Parisi an der Spitze, wurde auf dem Zentralfriedhof für 921 dort bestattete Gefallene der Streitkräfte der sogenannten Repubblica Sociale Italiano (RSI) ein Kranz niedergelegt. Bei der RSI handelte es sich um das nach dem Sturz Mussolinis im Juli 1943 im Herbst unter der Besatzung Hitlerdeutschlands mit dem "Duce" an der Spitze installierte Marionettenregime mit Regierungssitz in Salo am Gardasee.(1)

Gegen den unerhörten Vorgang erhob sich eine Protestwelle, die vom Verband der Partisanen (ANPI), Bürgern der Stadt, darunter aus der PD, Kommunisten und Gewerkschaftern bis zur "Forschungseinrichtung zur Untersuchung der neuen Rechten" reicht. Zahlreiche Proteste wurden über Twitter und in Leserzuschriften an die regierungsnahe römische La Repubblica verbreitet. Seit die Industriemetropole ab 2011 wieder von einer Koalition der Linken Mitte regiert wird habe es, wie das Blatt schreibt, einen "solch unfassbaren Akt" nicht gegeben. Wer da geehrt wird, fragte der Präsident des Partisanenverbandes ANPI von Mailand, Roberto Cenati und verwies auf die Verbrechen, an denen die Mussolini-Faschisten als Vasallen Hitlerdeutschlands beteiligt waren. Dazu gehörten in Mailand unter dem Kommando von Hauptsturmbannführer Theodor Saevecke(2), zu dessen Stab Schwarzhemden gehörten, 2.000 ermordete Juden und Widerstandskämpfer. Statistisch erfasst wurden in der RSI allein über 60.000 Kinder, Frauen und Männer jeden Alters, umgebracht, nicht inbegriffen die gefallenen Partisanen und regulären Soldaten. Cenati erwähnt die 600.000 nach Deutschland verschleppten Militärinternierten (ehemalige Soldaten der Mussolini-Armee), von denen 30.000, als sie sich weigerten, in der RSI weiterzukämpfen umgebracht und über 60.000 in Konzentrationslager verschleppt wurden. Unser Gedenken gilt den Partisanen, der Armee der Befreiung, der Opfer der Vernichtungslager und der Militärinternierten in Hitlerdeutschland, erklärte der ANPI-Präsident, der die Stadtverwaltung aufforderte, sich zu diesem skandalösen Vorfall zu äußern.

La Repubblica informierte, dass sich unter den 921 so geehrten Gefallenen 150 Angehörige der Schwarzen Brigaden - der italienischen SS - befanden und über 40 der berüchtigten 10. Torpedobootsflotille (Dexima MAS), deren Kommodore Valerio Borghese, in wenigstens 800 Fällen die Ermordung von Partisanen und Antifaschisten befohlen hatte und dafür 1946 als Kriegsverbrecher verurteilt worden war. Er wurde schon 1948 begnadigt und versuchte im Dezember 1970 an der Spitze neofaschistischer Banden einer Fronte Nazionale die verfassungsmäßige Ordnung zu stürzen und ein faschistisches Regime zu errichten. Das Gedenken galt auch drei Schwarzhemden, die an der bestialischen Ermordung von 15 italienischen Geiseln am 12 August 1944 beteiligt waren, deren Leichname auf der Piazzale Loreto in Mailand mit den Köpfen nach unten aufgehängt zur Schau gestellt wurden.


Lorbeerkranz für SS-Verbrecher

Viele der RSI-Toten gehörten zum letzten Aufgebot des "Duce" mit dem dieser Mailand, auf das Ende April 1945 die Partisanenarmee, unterstützt durch den allgemeinen bewaffneten Aufstand zum Angriff ansetzte, in "ein Stalingrad Italiens" verwandeln wollte. Während die Partisanen am 25. April den letzten verzweifelten Widerstand der Mussolini-Faschisten brachen, war dieser, begleitet von einer deutschen SS-Einheit, bereits in Richtung Schweizer Grenze geflüchtet. Am 27. April wurde er bei Dongo von einer Einheit der Garibaldi-Brigaden der IKP gefangen genommen. Am nächsten Tag wurde das vom Nationalen Befreiungskomitee unter dem Sozialisten, Sandro Pertini gegen ihn und weitere faschistische Größen verhängte Todesurteil vollstreckt.

Der Lorbeer-Kranz mit einer Schleife in den rot-weißen Farben des Mailänder Stadtwappens wurde direkt neben dem Altar "Zum Gedenken der Gefallenen der Repubblica Sociale Italiano" aufgestellt. Auf einer Marmorplatte mit schwarzem Kreuz und Adler steht "wir werden Euch nie verraten". Der Kranz der Stadtverwaltung liegt Seite an Seite mit einem des revanchistischen Verbandes der RSI-Anhänger.


Von der Democrazia Cristiana begründet

Dieser Geschichtsrevisionismus hat lange Traditionen. Zunächst wurde er durch die von der Democrazia Cristiana (DC) nach 1945 geführten Regierungen begründet und aktiv vom Vatikan unterstützt. Die DC unternahm nicht nur nichts, um das bereits im Dezember 1946 gegründete Movimento Sociale Italiano (MSI)(3), das sich zum direkten Nachfolger der Mussolini-Partei erklärte und zu deren Programmatik und Traditionen bekannte, zu verbieten, sondern ließ zu, dass dieses sich im Parlament etablieren konnte und förderte aktiv diesen Prozess. Damit gingen die Faschistisierungsprozesse im parlamentarischen Rahmen vor sich, wurden von rechten Kräften in bürgerlichen Parteien, vor allem der Democrazia Cristiana mitgetragen, was ihnen ein demokratisches Aushängeschild verschaffte.

So wurde die These von der Wahl des MSI ins Parlament als Argument ihrer "demokratischen Legitimität" kreiert.

Das ist durchaus ein Prozess, der mit der heutigen Entwicklung des Front National Marie Le Pens in Frankreich, der AfD in der Bundesrepublik und eben der Wahl eines Donald Trump in den USA vergleichbar ist. Lassen wir dazu einige Fakten aus Italien sprechen: 1950 empfingen Staatspräsident Giulio Einaudi und Ministerpräsident Alcide De Gasperi eine MSI-Delegation mit ihrem Sekretär Arturo Michelini an der Spitze. 1953 stützte sich die Regierung Pella, eines zur DC gewechselten ehemaligen Mussolini-Faschisten, auf die Stimmen des MSI, um die erforderliche Mehrheit bei der Vertrauensabstimmung zu erhalten. 1957 bediente sich die Regierung Adone Zoli und danach die von Antonio Segni der Stimmen der Faschisten. 1960 versicherte sich Fernando Tambroni, ein früherer Hauptmann der Miliz der RSI, seit 1926 Mitglied der faschistischen Partei und nunmehriger Ministerpräsident der DC, der Unterstützung seiner faschistischen Kumpane. 1962 wurde der DC-Bewerber Segni und 1972 Giovanni Leone mit den MSI-Stimmen zum Staatspräsidenten gewählt. Der einflussreiche Don Luigi Sturzo, 1919 Gründer der katholischen Volkspartei, rief 1952 die DC und die anderen bürgerlichen Parteien auf, zusammen mit dem MSI und den Monarchisten einen Einheitsblock gegen die "rote Machtübernahme" zu bilden. Als sich mit Beginn der 50er Jahre die Forderungen verstärkten, das MSI als Nachfolger der Mussolinipartei zu verbieten, wandten sich Vatikankreise dagegen. Die Zeitschrift der Jesuiten "La Civiltà Cattolica" verurteilte es, "die 20 Jahre Faschismus als völlig negativ zu bewerten" und nannte das "eine Verleumdung des Vaterlandes". Ministerpräsident Zoli genehmigte dem MSI, den Leichnam Mussolinis in den Heimatort des "Duce" nach Predapio zu überführen und dort in einem Ehrenhain beizusetzen. Die Feiern des MSI gestalteten sich zu einer Verherrlichung Mussolinis und der unter seinem Regime begangenen Verbrechen. Noch heute ist Predapio ein Wallfahrtsort der Faschisten. Die Witwe des Diktators erhielt eine Rente bewilligt, während sie Antifaschisten und Verfolgten des Mussoliniregimes in unzähligen Fällen verweigert wurde. Das MSI-Blatt Sècolo d'Italia bekam offizielle Staatszuschüsse.


Von den Linksdemokraten fortgesetzt

Nachdem die Revisionisten in der IKP, diese Partei 1991 liquidiert und danach die sozialdemokratische Partito Democratico della Sinistra (PDS) gebildet hatten, schlossen sie sich schon bald diesem unheilvollen Geschichtsrevisionismus an. Als das 1994 in die Regierung aufgenommene MSI sich im Januar 1995 zur Vertuschung seines faschistischen Charakters in Alleanza Nazionale (AN) umtaufte, nahm an dem Parteitag eine PDS-Delegation teil, unter der sich mit Ugo Pecchioli, einst Kommandant der berühmten 77. Garibaldi-Brigade, einer der angesehensten Resistenza-Kämpfer befand. Danach kam es immer öfters zu Kontakten, die den Charakter von Parteibeziehungen zwischen PDS und AN annahmen.

Nach dem Wahlsieg von Mitte Links 1996 wurde Luciano Violante von der PDS Parlamentspräsident. In seiner Antrittsrede stellte er den nationalen Charakter der Resistenza in Frage und rief dazu auf, über das Schicksal der "Besiegten von gestern" nachzudenken, was hieß der Salòfaschisten. Das nunmehrige AN-Blatt Secolo d'Italia sprach von "historischen Ausführungen". 1997 nahm Violante an einem Pressefest der AN teil und bezeugte in seiner Rede denjenigen, die in der Salò-Republik an der Seite der Hitlerwehrmacht kämpften, "seinen Respekt". Violante sprach sich, wiederholt von stürmischem Beifall unterbrochen, dafür aus, das "Kapitel des Faschismus abzuschließen" und ein "einheitliches Geschichtsbild" zu gestalten. Der Rechtswissenschaftler Mario Losano, belehrte Violante, dass Fini und seine Gefolgsleute in der AN Faschisten geblieben seien. "Die Orientierung an der faschistischen Ideologie ist, wenn auch mit verbalen Abschwächungen, de facto eine Konstante dieser Partei geblieben". Antonio Tabucchi(4) wies Violante zurecht und erklärte, die Salò-Faschisten "waren Kollaborateure der Nazis. Sie töteten und sie folterten. (...) Wer behauptet, die 'Jungs' von Salò hätten immerhin für die Ehre des Vaterlandes gekämpft, der lügt. Dem muss man widersprechen."


Eine "Partei der Nation" für alle?

Die jetzigen Ereignisse können durchaus den Intentionen Premier Matteo Renzis, der gleichzeitig PD-Chef ist, entsprechen, die aus ehemaligen Linksdemokraten und Katholiken fusionierte Partito Democratico in eine "Partei der Nation" und "Partei für alle" zu machen, der auch sogenannte moderate extreme Rechten beitreten könnten, wenn sie ihre jetzigen Parteien (das träfe vor allem auf die Forza Italia (FI) Berlusconis, aber auch auf die rassistische Lega Nord zu), verlassen würden. Vorgemacht hat das schon Berlusconis Ex-Vize Angelino Alfano, der mit abtrünnigen Parlamentariern und Senatoren der FI eine sogenannte "moderate" Partei "Neues Rechtes Zentrum" (NCD) gegründet hat, die Renzi in seine Regierung aufnahm.


ANMERKUNGEN

(1) Schattenblick berichtete darüber im Artikel:
www.schattenblick.de → Infopool → Europool → Politik
ITALIEN/149: Antifaschisten Mailands protestieren gegen Ehrung von Mussolinis SS-Leuten (Gerhard Feldbauer).
Das noch einmal zu wiederholen, scheint durchaus angebracht.

(2) Saevaecke konnte trotz seiner bekannten verbrecherischen Vergangenheit nach 1945 in der Bundesrepublik im BKA eine neue Karriere starten. Von 1952 bis 1963 brachte er es zum stellvertretenden Leiter der Bonner Sicherheitsgruppe, 1971 ging er mit allen Ehren in Pension.

(3) Der Parteiname, in dem Repubblica durch Movimento (Bewegung) ausgetauscht wurde, bezog sich direkt auf die RSI.

(4) Tabucchi schrieb u. a. die Erzählung "Im Reich des Heliogabal - Ein Aufruf gegen die Diktatur des Wortes". In: Susanne Schüssler (Hg.) "Berlusconis Italien. Italien gegen Berlusconi" Berlin, 2003. Heliogabal war Oberpriester des Kultes des gleichnamigen Sonnengottes, der von 218 bis 222 römischer Kaiser war. Er galt als der verrufenste römische Herrscher und wurde von seinen eigenen Soldaten erschlagen. Tabucchi vergleicht in seiner Erzählung den mehrmaligen faschistoiden Premier Silvio Berlusconi, Mitglied des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2), und dessen Mediendiktatur als "eine orientalische Form der Despotie, wie sie Heliogabal über Rom errichtet hatte".

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2016

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