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ITALIEN/116: Renzi bei Merkel - Italienische Medien sehen die Ergebnisse etwas anders (Gerhard Feldbauer)


Renzi bei Merkel

Italienische Medien sehen die Ergebnisse etwas anders

Von Gerhard Feldbauer, 1. Februar 2016


In der Öffentlichkeit in Rom zählen nicht die Loblieder in den deutschen Zeitungen wie der FAZ oder Die Welt auf die Ergebnisse des Besuchs Premier Renzis bei der deutschen Kanzlerin Merkel, von der "versöhnlichen Atmosphäre" oder der "Demonstration der Einigkeit", sondern was die eigenen Medien schreiben. In den Wochen vorher hatte der Italiener der EU-Kommission vorgeworfen, Italien wie eine Provinz zu behandeln und kleinliches und kurzsichtiges "Nullkomma"-Denken zu praktizieren. Tatsächlich richtete sich das gegen den Budget-Rigorismus Wolfgang Schäubles. Auch wenn die Kritik an der deutschen EU-Vorherrschaft jetzt ausgeklammert wurde, wird vieles weiterhin in Rom anders gesehen. Das Nachrichtenmagazin Espresso schrieb, bezüglich der "Migranten, der Flexibilität (zu den EU-Vorgaben) und der Sanktionen gegen Russland" bestünden weiter "distanzierte Positionen". Offen sei auch, ob Italien geforderte 300 Millionen Euro in den Flüchtlingsfond einzahlen werde. Renzi habe seinen Standpunkt behauptet, "die Union zu reformieren". Der Mailänder Corriere della Sera zitierte den Premier, "wir sind mit Berlin nicht mit allem einverstanden". Die regierungsnahe Repubblica schrieb in Anspielung auf die in Berlin verfolgte Aushöhlung von Schengen, Renzi werde seine "Zerstörung nicht zulassen". In Europa bestehe weiter die "Gefahr des Zusammenbruchs". Der italienische Premier blieb auch dabei, weder in Libyen noch in Syrien an Militäreinsätzen teilzunehmen, womit er gleichzeitig eine Forderung Obamas ablehnt. Das einige Zugeständnis ist, sich an der geplanten Ausbildung libyscher Sicherheitskräfte in Tunesien zu beteiligen. Wenn der italienische Regierungschef dann noch von sich gibt, "sein Land wolle künftig wieder mehr Verantwortung in der EU übernehmen" meldet er gegen deutsche Vorherrschaft Italiens Mitspracherechte an.

Der Besuch war für Renzi eine willkommene Gelegenheit, die Erfolge seiner Reformpolitik herauszustellen, gleichzeitig von den vielen Problemen, die er unvermindert hat, abzulenken. Tatsächlich scheint Rom im Vergleich mit Londons "Brexit" und der Unregierbarkeit in Madrid unter Renzi derzeit über eine verhältnismäßig stabile Regierung zu verfügen. Die Abschaffung der Provinzen und des Zweikammersystems ermöglichen eine effektivere Regierungsarbeit und spart Milliarden Euro ein. Nach bescheidenem Wachstum 2015 soll die Wirtschaft auch dieses Jahr über ein Prozent steigen. Mit ein paar sozialen Zugeständnissen hält Renzi die Proteste der Gewerkschaften im Zaum. Im Haushalt für 2016 (Volumen 35 Mrd. Euro) sind 290 Millionen Euro vorgesehen, um jeden Jugendlichen von 18 Jahren eine Kreditkarte mit einem Guthaben von 500 Euro zur Verwendung für den Kauf von Büchern, für Theater- oder Museumsbesuche zu gewähren. Einer Million der Ärmsten soll ein Mindesteinkommen von 320 Euro gesichert werden. Die Immobiliensteuer auf die erste Wohnung mit Ausnahme von Luxuswohnungen wird abgeschafft. Das betrifft dreiviertel der Bevölkerung, die Wohneigentum hat und nicht zur Miete wohnt. Verzichtet wurde auf eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von derzeit 22 Prozent. Natürlich sind die Unternehmen nicht vergessen worden, die Steuererleichterungen bei Investitionen und der Schaffung von Arbeitsplätzen erhalten.

Da treten die Schattenseiten erstmal in den Hintergrund. Dass das Haushaltsdefizit steigt, die Schulden wachsen, auch wenn sie Netto im Haushalt 2016 mit 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) angegeben werden, damit unter den von Brüssel vorgegebenen drei Prozent liegen, sind das immer noch 17,6 Milliarden Euro.

Renzi nimmt für sich in Anspruch, den 2011 zum Rücktritt gezwungenen faschistoiden Berlusconi in die Bedeutungslosigkeit geschickt zu haben. In Wahlprognosen sinkt der Medientycoon von 2013 noch 30 unter die zehn Prozent. Sein Partito Democratico (PD), dessen sozialdemokratisches Outfit Renzi gern herausstellt, wird dagegen mit 35 bis 40 Punkten bewertet. Die Gründung einer neuen Linkspartei Sinistra Italiana stagniert. Ein Lichtblick auch im Kampf gegen die Mafia und die Korruption, gegen die Renzi ein Antikorruptionsgesetz verabschiedet hat. Gerade ist ein Prozess gegen leitende Mitarbeiter der römischen Stadtverwaltung eröffnet worden, die der Komplizenschaft mit der "Mafia Capitale" angeklagt werden. Unter ihnen der frühere faschistische Bürgermeister Giovanni Alemanno (2008 bis 2013), ein enger Freund Berlusconis, in dessen Regierungen er zweimal Ministerposten inne hatte.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2016

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