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ITALIEN/005: Bis jetzt lautete Grillos Schlachtruf 'Vaffanculo' (Gerhard Feldbauer)


Bis jetzt lautete Grillos Schlachtruf Vaffanculo

Wie geht es nach dem Wahlsieg weiter?

von Gerhard Feldbauer, 13. März 2013



Bisher agierte das Movimento fünf Sterne (M5S) des italienischen Starkomikers Beppe Grillo unter dem Slogan Vaffanculo, was man ins Deutsche am Treffendsten mit dem Götz von Berlichingen-Zitat übersetzt. Auch die Parlamentswahl wurde knallhart "Leck mich am Arsch-Tag" (kurz V-Day) genannt. Nun hat die Protestbewegung einen selbst kaum erwarteten Wahlerfolg von 25,5 Prozent erreicht und hinter Luigi Bersanis Mitte Links-Bündnis und der rechtsextremen Koalition des Ex-Premiers Silvio Berlusconi den dritten Platz belegt. Seitdem dreht sich in Rom fast alles um die Frage, ob Grillo, der das gesamte politische Establishment bisher ablehnte, Bersani unterstützen wird, um eine Regierung mit der Volksfreiheitspartei (PdL) des faschistoiden Mediendiktators zu verhindern.

Der 1948 geborene Beppe Grillo, dessen Vorname eigentlich Giuseppe Piero lautet, wandte sich nach seiner Buchhalterlehre den Brettern zu, die die Welt bedeuten sollen. Für den Giovanni in "Keine Zeit für Wunder" (Cercasi Gesu) erhielt er 1982 als bester Nachwuchsschauspieler den "David Donatello" und den "Nastro d'Argento" des Verbandes der Journalisten und Filmschaffenden. Schon bald wandte er sich der Satire zu und stieg zum brillantesten politischen Komiker auf. Eine Zeitlang moderierte er die extra für ihn eingerichtete TV-Show "Grillometro".


Dario Fo zollte Respekt

Der Sozialistenchef und Ex-Premier Bettino Craxi galt 1987 noch als ein ehrenwerter Mann als ihn Grillo als den korruptesten Parteipolitiker Italiens entlarvte. Er nutzte dessen Besuch in Peking und bemerkte unter nicht enden wollenden Lachsalven: "Wenn die Chinesen alle Sozialisten sind, wen bestehlen sie dann?". Als Craxi Anfang der 1990er Jahre wegen Korruption in Höhe Hunderter Millionen Dollar zu 26 Jahren Gefängnis verurteilt wurde und ins Ausland (Tunesien) floh, förderte das Grillos Aufstieg und der Korruptionsermittler der Mani pulite (Saubere Hände) Antonio di Pietro sprach ihm öffentlich seine Anerkennung aus. Nobelpreisträger Dario Fo gratulierte ihm zu seinem couragierten Engagement. Ob seiner immer schärfer werdenden Attacken auf Politiker aller Parteien wurde Grillo aus den Shows der öffentlich-rechtlichen Radiotelevisione Italiana (RAI) verbannt. In einem seiner letzten Auftritte erreichte er 16 Millionen Zuschauer.


Den Kapitalismus nie abgelehnt

Danach trat er mit großem Erfolg an Theatern und in Arenen in Italien und im Ausland auf. Seine Sternen-Themen wurden Wasserversorgung, Energiepolitik, Korruption, die Misere im Bildungswesen, Meinungsfreiheit und die Globalisierung mit ihren Resultaten wie soziales Elend, verschärfte Ausbeutung, wachsende Arbeitslosigkeit, die immer schlimmer werdenden Zustände im Gesundheitswesen und ein "sauberes Parlament" mit Diätenkürzungen und ohne Wahlkampfkostenerstattung. Vieles beschränkte sich auf reinen Protest. Erst im Wahlkampf wurden konkrete Forderungen formuliert und dabei auch die Militärausgaben kritisiert und der Truppenabzug aus Afghanistan gefordert. Grillo hat jedoch das kapitalistische System grundsätzlich nie abgelehnt. Mit der 2009 begonnenen V-Day-Kampagne stieg er zum erfolgreichsten Blogger Italiens und auf dieser Basis zum Gründer einer völlig neuen Partei auf, die über 50.000 Mitglieder erreichte. Sein täglich aktualisierter Blog auf Italienisch, Englisch und Japanisch lag laut "Technorati" zweitweise weltweit unter den Top Ten. Das "Time-Magazin" wählte ihn 2005 wegen seines beständigen Kampfes gegen Korruption und Wirtschaftsskandale zu einem der "Europäischen Helden 2005". In der "International Herald Tribune" veröffentlichte er eine ganzseitige Anzeige in der er forderte, ins italienische Parlament dürfe niemand gewählt werden, der jemals als Krimineller verurteilt wurde. Eine gezielte Attacke gegen den in über einem Dutzend Prozessen verurteilten Berlusconi.

Nach Erfolgen 2012 bei den Regional(Landtags)- und Kommunalwahlen besetzte M5S viele Sitze in den Gemeindevertretungen, stellte u. a. in Parma den Bürgermeister und zog ins Regionalparlament von Sizilien ein, wo es mit Mitte Links kooperiert ohne in die Regierung einzutreten. Seine Abgeordneten kürzten drastisch ihre Diäten, die in einen Fond flossen, der u. a. an kleine und mittlere Unternehmensgründer Mikro-Kredite vergab.


Die von den Linken Enttäuschten wählten Grillo

Der Erfolg von M5S beruht auf der mit einer Radikalität vorgebrachten Kritik an Auswüchsen des herrschenden Systems, die den Linken, eingeschlossen die Kommunisten, längst abhandengekommen ist. Der korrupte Berlusconi wurde als der reichste Kapitalist in seiner Rolle als schamloser Ausbeuter von ihnen derart offensiv attackiert wie von Linken allenfalls auf der Straße. Die sozialen Themen, darunter die Jugendarbeitslosigkeit, brachte Grillo nahezu pausenlos in seinem Blog zur Sprache. Das Ergebnis war, dass über acht Millionen vor allem von den Linken, mit der es seit der Liquidierung der IKP 1989/90 nur noch bergab ging, enttäuschte Wähler für M5S votierten.


Drohen jetzt piratenähnliche Zustände?

Nun ist das Movimento zum Zünglein an der Waage geworden, das gebraucht wird, um eine Regierung mit Berlusconi zu verhindern. Grillo lehnt bisher einen von Bersani angebotenen Dialog über eine wie in Sizilien praktizierte selbst punktuelle Zusammenarbeit mit Mitte Links ab. Er setzt typisch anarchistisch auf ein Chaos und einen neuen Urnengang, der jedoch erst nach der Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Mai anberaumt werden könnte. Sollte es zu einer von seiner Basis zunehmend geforderten Unterstützung einer Mitte Links-Regierung kommen, hat er aber seinen Rücktritt angekündigt. Neben der Frage, ob bei M5S piratenähnliche Zustände eintreten, ist völlig offen, wie die meistens in der Parlamentsarbeit unerfahrenen Leute der Protestbewegung mit ihren Aufgaben zurechtkommen werden.

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Quelle:
© 2013 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2013