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FRAGEN/014: Namibia geht Wirtschaftspartnerschaft mit der EU ein (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 1, Januar/Februar 2015

Dem Druck gebeugt

Namibia hat den Vertrag zur Wirtschaftspartnerschaft mit der EU unterzeichnet. Rolf-Henning Hintze sprach darüber mit dem namibischen Wirtschaftsminister Calle Schlettwein.


Rolf-Hennig Hintze: Die namibische Regierung hat nun nach jahrelangem Zögern einem Abkommen über eine Wirtschaftspartnerschaft (EPA) zugestimmt. Was waren die Gründe für das Zögern?

Calle Schlettwein: Das EPA, das Economic Partnership Agreement, hat eine Vorgeschichte. Die Regionalgemeinschaft SADC wurde aufgrund von Vorgaben der EU als ein politischer Block aufgeteilt. Wir hatten keine Wahl und haben uns schließlich der EU gebeugt. So gibt es heute vier EPA-Gruppen in der SADC. Das beeinflusst natürlich unsere eigene Ambition, die SADC zu einer eigenen Freihandelszone zu machen, denn wir haben jetzt verschiedene Verträge mit Europa, und das macht es schwierig, einen einzigen Wirtschaftsraum zu schaffen.

Die SADC als Freihandelszone, als Zollunion und als eine ökonomische Union ist unser langfristiges Ziel. Das SADC Free Trade Protocol sieht vor, 90 Prozent aller Zölle innerhalb der SADC auf null und quotenfrei zu reduzieren.

Als SADC und Namibia im Besonderen wissen wir, dass wir Teil des globalen Handels sein müssen. Wir können uns nicht isolieren, wir müssen unseren Markt erweitern, weil wir eben nur zwei Millionen Menschen sind. Unser Markt ist viel zu klein, als dass wir wachsen könnten. Wir brauchen Exportmöglichkeiten und dazu Abkommen wie mit der EU, damit wir unsere Produkte frei und ohne Quoten auf den Markt bringen können.

Diese Überlegungen haben uns bewogen, das EPA-Abkommen anzupacken. Als es dann verhandelt wurde, waren da bestimmte Aspekte, die für uns prinzipiell wichtig waren, ohne die wir so ein Abkommen nicht unterschreiben konnten. Das erste Prinzip war, dass eine differenzierte Entwicklungspolitik in den Vertrag reingeschrieben werden muss. Denn als sich entwickelnde kleine Ökonomie können wir nicht einer Ökonomie wie Deutschland gleichgestellt werden. Wir brauchen einen politischen Spielraum, um einen Entwicklungsstandard zu erreichen, der uns dann wirklich Vorteile aus dem Handelsabkommen bringt.

Einfach gesagt, wir brauchen Produktionskapazitäten, um verarbeitete Güter und nicht nur Rohstoffe zu exportieren. Also müssen wir uns industrialisieren. Und dazu brauchen wir Möglichkeiten, die Europa und andere entwickelte Länder schon hatten und genutzt haben, um sich zu entwickeln.

Die EU sperrte sich. Wir wollten eine "infant industry protection" haben, einen Schutz für neu entstandene Industrien, ob Tarifschutz oder Quotenschutzmaßnahmen, und wir wollten Herkunftslandregeln haben.

Das war für uns wichtig. Wir wollten auch gerade im Agrarbereich und im Bereich Nahrungs- und Genussmittel Garantien haben, die uns gegen subventionierte Produkte aus der EU schützen. Das war ein zähes Stück Arbeit. Wir haben nicht alles erreicht, aber wir haben doch schon maßgebliche Zugeständnisse bekommen.

Zudem wollten wir, dass, wenn unsere Rohstoffe ohne eine Wertschöpfung unsere Ökonomie verlassen, wir wenigstens die Möglichkeit haben, den Wert (value share), den unsere Wirtschaft aus diesen Rohstoffen zieht, zu erhöhen, indem wir Exportaufschläge oder was auch immer bekommen, eine direkte bessere finanzielle Ausschöpfung. Auch das wurde ursprünglich abgelehnt.

Rolf-Hennig Hintze: Wie sieht es mit den Herkunftslandregeln aus?

Calle Schlettwein: Wir wollten einen Rahmen für die Herkunftslandregeln haben, der uns erlaubt, innerhalb der SADC Kumulation zulassen zu können. Das heißt, wenn ein Produkt eine bestimmte Verarbeitung in einem SADC-Land erfährt und eine weitere in einem zweiten Land, dass es dann als ein Produkt des letzten Landes angenommen wird, von dem es exportiert wird. Das wurde dann auch zugestanden. Es waren im Ganzen fünf Schwerpunkte, die wir maßgeblich erreicht haben, die ursprünglich nicht im EPA enthalten waren. Das war der Grund, dass Namibia das Interim-EPA, das andere SADC-Länder unterschrieben haben, zusammen mit Angola und Südafrika nicht unterschrieben hatte.

Es hat dann noch sieben Jahre gedauert, bis wir soweit waren, dass wir paraphieren konnten. Jetzt haben wir ein Abkommen, das uns vielleicht nicht furchtbar große Vorteile bringt. Es ist immer noch nicht das, was wir ursprünglich wollten. Aber es ist ein Abkommen, mit dem wir leben können, und wo es wirklich auch Möglichkeiten gibt, zu wachsen und es zu nutzen.

Rolf-Hennig Hintze: Vor ein paar Jahren hat der damalige Handelsminister Hage Geingob, der im März neuer Staatspräsident wird, in einer Grundsatzrede im Parlament begründet, warum Namibia ein EPA-Abkommen nicht unterschreiben könne. Was wurde seither verbessert?

Calle Schlettwein: Im Agrarbereich haben wir erreicht, dass die EU für eine Liste von Produkten über einen bestimmten Zeitraum Safeguards zugelassen hat. Wir können uns also gegen subventionierte Produkte schützen. Das war ein wichtiger Aspekt für uns. Und wir haben jetzt die Möglichkeit, Exportzuschläge auf Rohstoffe zu erheben, das hat man uns zugestanden.

Bei den Herkunftslandregeln können wir nun in gewissem Umfang kumulieren. Das betrifft vor allem unsere Fischerei. Fisch, der von Schiffen gefangen wird, die nicht unter namibischer Flagge fahren, kann als namibischer Fisch in die EU exportiert werden. Dann gab es den Streit um die Meistbegünstigungsklausel. Die besagt, dass wir einen Handelsvorteil, den wir einer dritten Partei gewähren, automatisch auch der EU gewähren müssten. Dagegen haben wir uns gewehrt, weil wir eben die Süd-Süd-Kooperation vorantreiben wollen. Das war uns sehr wichtig. Wir haben uns durchgesetzt.

Eine Reihe von Einwänden, die Minister Geingob ursprünglich formuliert hat, sind zu unseren Gunsten geregelt worden. Also haben wir gesagt, jetzt ist das Risiko kleiner als die Möglichkeiten, die das Abkommen schafft.

Rolf-Hennig Hintze: Hat das Abkommen eine festgelegte Laufzeit?

Calle Schlettwein: Es ist offen, aber es hat eine Klausel, mit der man es kündigen kann.

Rolf-Hennig Hintze: Wann wurde es unterschrieben?

Calle Schlettwein: Wir haben das Abkommen im Juli 2014 paraphiert, es ist aber noch nicht unterschrieben. Es ist noch nicht durchs Parlament, jetzt wird es erst einmal rechtlich geprüft, legal scrubbing nennt man das. Das dauert eine ganze Zeit. Da gab es natürlich wieder Versuche der EU, bestimmte Aspekte zu öffnen und etwas zu ändern, aber das haben wir abgelehnt. Der Text ist jetzt eingefroren.

Rolf-Hennig Hintze: Es war zu hören, dass die EU starken Druck auf Namibia ausgeübt hat, das Abkommen zu akzeptieren. Auf welche Weise geschah das?

Calle Schlettwein: Die EU drohte uns, andernfalls Vorteile, die wir nach alten Verträgen genossen, etwa die Importquoten für Rindfleisch- und Tafeltrauben, sofort zu streichen. Dann hätten wir volle Zölle zahlen müssen. Das würde heißen, dass unser Landwirtschaftssektor, der sehr abhängig ist von der Rinder- und der Traubenproduktion, damit vernichtet würde, das war der Hauptansatz des Druckes.

Rolf-Hennig Hintze: Das ist ja sehr massiv ...

Calle Schlettwein: Es war nicht nur schwerer Druck, es war auch unfair. Wir hatten durch das TDCA (Trade, Development Cooperation Agreement), das Europa mit Südafrika hatte, den Europäern de facto schon freien Zugang in unser Gebiet erlaubt. Dass die EU zunächst Südafrika nicht als Verhandlungspartner dabei haben wollte, fanden wir falsch. Das zweite ist, dass die Europäer uns einseitig Fristen setzten und gesagt haben, wenn ihr das bis dann nicht macht, dann passiert das. Und sie haben gleichzeitig neue Themen in das Abkommen gebracht, die wir abgelehnt haben.

Rolf-Hennig Hintze: Zum Beispiel?

Calle Schlettwein: Zum Beispiel der Investitionsschutz, das öffentliche Beschaffungswesen (public procurement), Arbeitsrechte, Menschenrechte. Das alles halten wir durchaus für wichtig. Nur störte uns die Automatik. Wenn die EU eine Verletzung der Menschenrechte konstatiert, war keine Möglichkeit vorgesehen, das Problem gemeinsam zu diskutieren, sondern das Handelsabkommen sollte ausgesetzt werden. Das ist eine Verknüpfung mit anderen Konventionen, die schon bestehen, die wir unterschrieben haben. Aber eben nicht alle, z. B. The Law of the Sea hat Europa nicht unterschrieben. Wir haben - und da gibt es dann halt Reibereien, die nicht kompatibel sind - wir haben gesagt, das sind Aspekte, in denen wir sehr wohl kooperieren und unsere Kooperation verstärken wollen, aber nicht mit einem Handelsabkommen.

Rolf-Hennig Hintze: Waren Angola und Südafrika bei dem nun paraphierten Abkommen mit der EU beteiligt?

Calle Schlettwein: Das ist ein SADC-EPA, wir sind ein Teil der SADC. Verhandlungspartner war die SACU (Southern African Customs Union, d. Red.), also Namibia, Südafrika, Botswana, Lesotho und Swasiland plus Angola und Mosambik. Botswana war der Verhandlungsführer, aber wir hatten innerhalb der SACU und innerhalb der SADC jedesmal Vorbereitungsgespräche, die dann dem Verhandlungsführer die Position der Gruppe übertragen haben. Wir haben immer als die Gruppe gehandelt.

Rolf-Hennig Hintze: Enthält das Abkommen Teile, die Sie weiterhin für problematisch halten, die in einem Folgeabkommen verändert werden sollten?

Calle Schlettwein: Ja natürlich gibt es viele Aspekte, die man verbessern könnte, wo man einen Vorteil für uns besser strukturieren könnte. Da ist z.B. der Entwicklungsbereich, bei dem das Abkommen sehr schwach ist. Die meisten kontroversen Aspekte wurden einfach ausgeklammert. Das ist traurig, denn es war für uns wichtig, dass man uns diese differenzierte Möglichkeit gibt, uns auch zu entwickeln und unsere Produktionsfähigkeit zu erhöhen. Das ist jetzt schwieriger, aber damit muss man fertigwerden. Die Balance, auf die wir uns geeinigt haben, ist ein wichtiger Schritt nach vorn. Wir müssen aber daran arbeiten, die anderen Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung voranzutreiben.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
44. Jahrgang, Nr. 1, Januar/Februar 2015, S. 11 - 12
Herausgeber: informationsstelle südliches afrika e.V. (issa)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2015

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