Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → POLITIK

FRAGEN/002: Michael Cramer, Bündnis 90/Die Grünen - zukunftstaugliche Mobilität (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
EU-Koordination

EU-News -Donnerstag, 24. April 2014 / Politik & Recht

Michael Cramer (Bündnis 90/Die Grünen): "Weiter im Kreisverkehr oder Abfahrt in Richtung zukunftstaugliche Mobilität?"



Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im EU-Parlament Michael Cramer blickt im Interview auf wichtige Entscheidungen zurück, die den Weg zu einer nachhaltigen Mobilität bereiten könnten. Dennoch sieht er beispielsweise beim Lückenschluss im europäischen Schienenverkehr noch Nachholbedarf.

Was waren die wichtigsten Themen, für die der Verkehrsausschuss in den letzten fünf Jahren federführend zuständig war? Was konnten Sie und der jeweilige Ausschuss dabei verbessern und verändern?

Unter den insgesamt mehr als einhundert Gesetzgebungsverfahren, die der Verkehrsausschuss in der abgelaufenen Legislaturperiode bearbeitet hat, ragt für mich der Bericht zum "Weißbuch Verkehr" heraus. Denn dieses 2011 von der Europäischen Kommission vorgelegte Strategiepapier weist den Pfad für einen Umbau des gesamten Verkehrs in Richtung Nachhaltigkeit. Der Verkehrsausschuss hat diese Vision nicht nur mit überwältigender Mehrheit gestützt, sondern die langfristigen Klimaziele - bis 2050 soll der CO2-Ausstoß um 60 bis 80 Prozent gegenüber 1990 sinken - um das Zwischenziel einer CO2-Reduktion von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 ergänzt. Das ist für mich ganz entscheidend, denn ohne den ersten können wir den zweiten Schritt nicht gehen! Auch das gewählte Instrument stimmt: Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen die Preise im Verkehrsbereich die wahren Kosten widerspiegeln. Das wäre der Durchbruch für nachhaltige Mobilität!

Daneben waren für mich besonders die Arbeiten an den EU-Passagierechten von großer Bedeutung. Denn wir müssen die Menschen in Europa überzeugen, dass die EU einen echten Mehrwert hat. Die Passagierrechte sind ein greifbares Beispiel dafür. Dank des hartnäckigen Einsatzes unseres Ausschusses können sich Reisende im Fernverkehr heute auf zahlreiche Rechte berufen, von der Erstattung bei Verspätungen über die Informationspflicht bis hin zur Assistenz bei eingeschränkter Mobilität. Und das, egal ob sie mit dem Bus, der Bahn, dem Schiff oder dem Flugzeug unterwegs sind.

Wo sehen Sie die Herausforderungen für das kommende Europäische Parlament?

Die größte Herausforderung wird es in meinen Augen sein, mit konkreten Erfolgen das verloren gegangene Vertrauen in Europa wiederherzustellen. Die letzten Jahre waren dramatisch: Die Finanz- und Wirtschaftskrise dominierte, die Klimakrise schritt zugleich ungebremst fort. Und bei allen Schwächen, die die EU hat: Sie wurde dabei zu Unrecht zum Sündenbock gemacht. Dass die Bankenaufsicht versagt hat, lag vor allem daran, dass die nationalen Regierungen auf ihre alleinige Zuständigkeit bestanden haben. Die Berge von Staatsschulden wurden auch nicht von der EU angehäuft - denn die ist vertraglich verpflichtet, einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen! Nicht zuletzt waren es zumeist die Minister und Ministerinnen, die im Rat sinnvolle Initiativen für Klimaschutz, Verbraucherrechte oder eine europäische Energiewende gestoppt haben. Jeder Fortschritt ist deshalb sehr mühsam - und das soll dann die Schuld "der EU" sein?

Die Mitgliedstaaten sind maßgeblich an jeder Entscheidung beteiligt - sie schieben den schwarzen Peter aber der EU zu! Kein Wunder, dass so europafeindliche Parteien stark werden. Sollten diese Parteien bei den Wahlen im Mai tatsächlich große gute Ergebnisse erzielen, wird sich das Gesicht des Europäischen Parlaments verändern - aber auch das Gesicht der EU-Länder. Ein Austritt Großbritanniens aus der EU wäre ökonomischer Selbstmord. Dieses Gegenargument hört man - nicht nur dort - viel zu selten. Wir müssen uns gegen platte Parolen stellen, die beim zweiten Blick in sich zusammenfallen. Eine ambitionierte Umwelt- und Klimapolitik wird dabei natürlich schwerer. Insofern wartet auf das nächste Parlament viel harte Arbeit. Meine Hoffnung ist: Die Konfrontation mit europafeindlichen Populisten könnte die europäisch gesinnten Kräfte zusammenschweißen.

Was wird im kommenden EU-Parlament auf der Agenda des Verkehrsausschusses stehen, das Sie für besonders relevant halten?

Es geht in meinen Augen vor allem um die Frage: Wollen wir uns weiter im Kreisverkehr schwindlig fahren oder die Abfahrt in Richtung zukunftstaugliche Mobilität nehmen? In der auslaufenden Legislaturperiode haben wir die Weichen für ein Umlenken Richtung Nachhaltigkeit gestellt. Doch jetzt müssen konkrete Maßnahmen folgen. Es ist gut, dass das Prinzip der Kostenwahrheit mittlerweile von allen anerkannt ist. Doch wenn es an die Umsetzung geht, hakt es. Dabei können wir faire Preise nicht über Nacht erreichen, sondern brauchen eine schrittweise Anrechnung der gesamten Kosten. So können sich die VerbraucherInnen, ArbeitnehmerInnen und die UnternehmerInnen anpassen und dafür sorgen, dass die Verkehrswende am Ende auch ein Gewinn für Wirtschaft und Beschäftigung ist. Der Verkehrsausschuss wird die Aufgabe haben, die EU-Kommission dabei anzutreiben.

Zudem wird es meiner Ansicht nach darauf ankommen, die knappen Gelder der EU verantwortungsvoll und zielgerichtet auszugeben. Das heißt nicht nur, dass wir zum Beispiel bei der Verkehrsinfrastruktur einen konsequenten Nachhaltigkeitscheck machen müssen. Sondern auch, dass wird dort investieren, wo es einen wirklichen europäischen Mehrwert gibt. Besonders der umweltfreundliche Schienenverkehr hat dabei einen großen Nachholbedarf. Das EU-Bahnnetz ist aber - trotz aller verbalen Beteuerungen - noch immer ein Flickenteppich, bei dem die Lücken ausgerechnet an den Grenzen sind. Wir Grüne haben mit dem Projekt "Die Lücke muss weg!" aufgezeigt, wie durch gezielte Investitionen wichtige grenzüberschreitende Verbindungen im Bahnverkehr wiederhegestellt werden können. Das Motto heißt: Schnelle und kostengünstige Verbesserung für alle statt sinnlose Großprojekte. Nur so kann auch in der EU zusammenwachsen, was zusammen gehört!

Was möchten Sie den deutschen Umweltverbänden für die kommende Legislaturperiode mit auf den Weg geben?

Zunächst möchte ich mich für die hervorragende Zusammenarbeit bedanken. Sei es bei der Reform der Kohäsionspolitik oder der Transeuropäischen Netze, bei der Begrenzung der klimaschädlichen Emissionen oder auch beim Kampf gegen Verkehrslärm: Die Expertise und breite Verwurzelung in der europäischen Bevölkerung waren oftmals entscheidend dafür, dass wir auf EU-Ebene eine fortschrittlichere Politik als auf nationaler Ebene erreicht haben.

In der nächsten Legislaturperiode wird es angesichts der drohenden Erfolge von europafeindlichen und ökologisch blinden Parteien noch wichtiger sein, dass der Umweltschutz kompetente Fürsprecher hat. Es würde mich freuen, die bisherige Zusammenarbeit fortsetzen zu können - zum Beispiel im Rahmen der regelmäßigen Besuche in Brüssel, die wir gemeinsam organisiert haben. Auch deshalb trete ich am 25. Mai erneut für die Europawahl an und hoffe, dass ich mit dem Deutschen Naturschutzring und anderen Umweltverbänden dann weiter für ein geeintes und nachhaltiges Europa arbeiten kann.

www.michael-cramer.eu

*

Quelle:
EU-News, 24.04.2014
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2014