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LAIRE/068: Nicht-Wähler erringen absolute Mehrheit (SB)


Wahldebakel für die Europäische Union insgesamt


Das Desinteresse der Wähler aus Deutschland und den anderen EU-Staaten an den Wahlen zum Europäischen Parlament kommt den EU-Apologeten durchaus entgegen. Zwar wird ein Großteil der Gesetze, die in der Bundesrepublik gelten, inzwischen von der EU gemacht, aber die Bürger kümmert das nicht. Es soll sie auch gar nicht kümmern, wie die Reaktion deutscher Politiker, die das Wahlergebnis heute kommentierten, zweifelsfrei belegt. Fast alle reflektieren bereits auf die kommenden Bundestagswahlen, wohingegen sachbezogene Themen, die der Europapolitik irgendeine Kontur verleihen könnten, ausgespart werden.

Rund 43,3 Prozent der Wahlberechtigten in Deutschland haben ihre Stimme abgeben, das ist der historisch nahezu niedrigste Wert. Mögen die Parteien über die Politikverdrossenheit bezüglich der EU auch lamentieren, sie kommt ihnen sehr zupaß. Ansonsten würden die Menschen womöglich Interessen Gehör schenken, die nicht wollen, daß Deutschland sich zur permanenten Aufrüstung verpflichtet, vermehrt militärische Ressourcensicherung betreiben (Drang nach Osten) und die Fähigkeit ausbauen will, binnen weniger Tage Kampfgruppen an jeden Punkt der Erde zu projektieren. Oder die nicht wollen, daß qua Verfassung faktisch keine andere Wirtschaftsform denn die neoliberale in der Europäischen Union zulässig sein soll. Das alles sieht nämlich der EU-Reformvertrag vor, der von der französischen und niederländischen Bevölkerung abgelehnt wurde und nun mit geringfügigen Modifikationen unter einem anderen Titel (Vertrag von Lissabon) gegen den Willen der EU-Bürger durchboxt werden soll. Lediglich die Iren, die den Vertrag von Lissabon bereits abgelehnt haben und nun gezwungen werden, noch einmal abzustimmen, haben die Chance, das von Fallstricken strotzende Konvolut zum Scheitern zu bringen.

Wenn die Nicht-Wähler die absolute Mehrheit haben, dann sollte das nicht ohne Folgen bleiben. Und zwar ernsthafte Folgen. Mit Versprechungen, die Politik künftig besser "rüberbringen" zu wollen, ist es nicht getan. Wenn mehr als 50 Prozent der Wahlberechtigten die Option, zur Wahl zu gehen, nicht annehmen, dann hat die EU ein schwerwiegendes Legitimationsproblem. Die Mindestkonsequenz daraus müßte sein, daß die EU ihren Einfluß auf die Politik der Nationalstaaten beträchtlich zurückfährt. Nicht einmal die Einhaltung des in der EU geltenden und regelmäßig verletzten Subsidiaritätsprinzips würde genügen, um den notwendigen Folgen angemessen Rechnung zu tragen. Weil beispielsweise die Verteidigungspolitik kein Thema wäre, das auf unteren Verwaltungsebenen behandelt werden würde.

Gefordert ist ein schrittweiser Rückbau der EU-Administration. Damit einhergehend wäre auch der Einfluß von Globalinstitutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) einzuschränken, denn ein Teil der EU-Maßnahmen wird mit Anpassungszwängen an die WTO begründet. Dabei wird unterschlagen, daß EU und die 1996 geschaffene WTO Projekte des gleichen Establishments sind. Die Not, auf WTO-Bestimmungen reagieren zu müssen, wurde also von den EU-Apologeten selbst in die Welt gesetzt.

Wenn die EU-Wahlen als demokratisch bezeichnet werden, dann sollte man auch so konsequent sein und die Nicht-Wahl als Ausdruck der "Herrschaft des Volkes" werten. Die EU-Politiker hätten dann das Problem, die Nicht-Wähler davon zu überzeugen, daß ihre Stimme zählt.

8. Juni 2009