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LAIRE/060: Italien läßt Soldaten in Großstädten aufmarschieren (SB)


Berlusconi-Regierung treibt Militarisierung der Gesellschaft voran


Unter den vielen Gründen, weswegen die Iren den EU-Reformvertrag abgelehnt haben, gehörte sicherlich an prominenter Stelle die darin enthaltene Verpflichtung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur permanenten Weiterentwicklung ihres Militärapparats. Darüber hinaus hätte sich Irland in militärischen Fragen Entscheidungen beugen müssen, die wesentlich von den bevölkerungsreicheren Staaten der EU bestimmt worden wären, da das bisherige Vetorecht der Mehrheitsregelung gewichen wäre.

Nun wird jedoch in mehreren europäischen Staaten ein Repressionsapparat aufgebaut, an den sich ein auf seine nationale Souveränität bedachte Bevölkerung wie die irische nicht so ohne weiteres anpassen will. Wenn zum Beispiel der deutsche Innenminister Wolfgang Schäuble die grundgesetzlich eindeutig definierte Trennung der Kompetenzen von Polizei und Bundeswehr aufweichen und Soldaten vermehrt im Innern einsetzen will, dann wird das durchaus bei den EU-Partnern zur Kenntnis genommen. Ebenso wie der jüngste Vorstoß der italienischen Regierung, die im Parlament über ihren Vorschlag diskutieren läßt, für zunächst sechs Monate 2500 schwerbewaffnete Soldaten in italienischen Städten patrouillieren zu lassen.

Es läßt sich leicht ausmalen, daß diese Maßnahme, die man zunächst mit einer Militärregierung assoziieren würde, gerade bei den Iren mit einiger Skepsis bedacht wird. Immerhin liegt der blutige Bürgerkieg in dem von der britischen Armee besetzten Norden der Insel noch nicht so lange zurück, als daß die Bilder von schwerbewaffneten Soldaten auf den Straßen verblaßt wären.

Zwar handelt es sich bei den Plänen der italienischen Regierung um eine rein nationale Maßnahme, aber alles, was innerhalb der Europäischen Union an innovativen Repressionsmitteln in Stellung gebracht wird, geht alle anderen ebenfalls an. Es könnte ja sein, daß sie eines Tages auf EU-Ebene als Vorbild dienen.

Der italienische Verteidigungsminister Ignazio la Russa von der postfaschistischen Nationalen Allianz begründete den geplanten Einsatz des Militärs im Innern damit, daß es für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen solle. Damit dürfte er sicherlich nicht gemeint haben, daß die Soldaten Neapel vom Müll befreien, um die aufgeheizte Stimmung in der süditalienischen Metropole ob dieses Mißstands zu besänftigen. 2500 Soldaten, verteilt auf eine Reihe von Städten, hätten wahrscheinlich auch nicht genügt, um die Übergriffe eines wütenden Mobs auf rumänische Staatsangehörige vor einigen Monaten zu verhindern.

Aber es geht ja zunächst nur ums Prinzip, um den Anblick von patrouillierenden Soldaten, um die ständige Präsenz des Militärischen in der Öffentlichkeit. Das möglicherweise langfristige Ziel der Bildung eines faschistischen Staats nicht aus den Augen verlierend, kann es sich la Russa leisten, einen zunächst auf sechs Monate befristeten Einsatz des Militärs ins Auge zu fassen. Sollte sich dieser bewähren, will man ihn um weitere sechs Monate verlängern.

Was danach kommt, steht nicht fest, doch erfahrungsgemäß gibt der Sicherheitsstaat das einmal eingenommene Terrain nicht so leicht wieder her. Dieser Mechanismus hat in abgewandelter Form eine Entsprechung auf EU-Ebene: Wenn die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ihre Bestimmungen und Gesetze vereinheitlichen, gleichen sie sich tendenziell den schärferen administrativen Maßgaben an. Zudem dienen andere EU-Staaten nicht selten einer Regierung als Rechtfertigungsversuch für nationale Entscheidungen zum Ausbau ihrer Sicherheitsstrukturen. Sollten beispielsweise 26 EU-Mitglieder jeweils für sich beschließen, daß sie den Ausnahmezustand zur Permanenz entwickeln wollen, indem sie das Militär im Innern aufmarschieren lassen, dann wird es das 27. Mitglied schwer haben, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen und auf das für Demokratien eigentlich selbstverständliche Trennungsgebot von Polizei und Militär zu beharren.

Wenn in Italien Soldaten in den Großstädten patrouillieren und für Ruhe und Ordnung sorgen, dann geht das selbstverständlich nicht nur die Italiener oder die Iren etwas an, sondern unter anderem auch die Deutschen. Zumal es eine wohl schon ältere deutsch-italienische Achse in Sachen Sicherheitsstaat gibt. Erinnert sei an die Zusammenarbeit zwischen dem italienischen Innenminister Franco Frattini und seinem deutschen Amtskollegen Otto Schily hinsichtlich der Flüchtlingsabwehr an der Südgrenze der EU und dem Vorschlag, in Nordafrika Auffanglager für Flüchtlinge einzurichten, die europäischen Unternehmern als permanenter Arbeitskräftepool auf Abfrage zur Verfügung stehen sollten.

In der Presse fiel bereits das Wort Konzentrationslager für diese Einrichtungen. Auch wenn durch solche gezielten Anspielungen auf die KZs im nationalsozialistischen Deutschland Zweck und Ausmaß jener Vernichtungslager aufs gröbste verharmlost werden, blieb angesichts jenes italienisch-deutschen Vorstoßes doch ein unangenehmer Nachgeschmack, daß sich ausgerechnet die Achsenmächte wieder mit utilitaristischen Vorschlägen derart exponieren. Die geplanten Armeepatrouillen in Italien sind strikt abzulehnen.

18. Juni 2008