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DILJA/024: Mit Che Guevara im Munde zu neuen Ufern? Neuer Premierminister in Rumänien (SB)


Das Polit-Karussel dreht sich immer schneller - Rumänische Bevölkerung ohne Vertrauen



Ministerpräsidenten und politische Mandatsträger geben sich in Bukarest die Türklinke in die Hand. Ihre Verweildauern verkürzen sich von Regierungswechsel zu Regierungswechsel, wobei das Kernproblem, ein unkittbarer Vertrauensverlust in der Bevölkerung angesichts einer von der sogenannten Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) erzwungenen "Spar"- Politik, die diesem Land wie im Grunde allen EU-Mitgliedstaaten und Mitgliedern wie Nicht-Mitgliedern der Euro-Zone gleichermaßen aufgezwungen wird, vollkommen unberührt bleibt. Nicht nur Griechenland, auch osteuropäische Jung-Mitglieder wie Rumänien gelten als so hoch verschuldet, daß der ihnen drohende Staatsbankrott ihre Regierungen zur Annahme jedweder ihnen im Gegenzug zu den vermeintlich rettenden Kreditzusagen gestellten Bedingungen zu zwingen scheint.

Um die Akzeptanz einer solchen Regierungspolitik, die das Diktat aus Brüssel, zu "sparen", zu "sparen" und noch einmal zu "sparen" beherzigt, obwohl niemand plausibel erklären kann, wie nach den Maßgaben allgemein anerkannter Wirtschaftstheorien und Konjunkturkonzepte eine Volkswirtschaft (wieder) in Schwung kommen soll, deren Akteure immer größere finanzielle Verluste und Einschränkungen hinnehmen müssen, ist es auch in Rumänien denkbar schlecht bestellt. Der Euphorie, die vor gar nicht langer Zeit an den Beitritt zur Europäischen Union geknüpft worden war, ist längst einer Ernüchterung gewichen, die ihrerseits bei vielen Menschen einem von purer Verzweiflung und Existenzangst genährten Zorn Platz machen mußte, wobei sich vor allem die in Armut lebenden Rumänen und Rumäninnen geradezu betrogen fühlen dürften. Ist ihnen zu verdenken, daß sie mit der Zugehörigkeit zu der aus ihrer Sicht als Wohlstandsenklave erscheinenden Europäischen Union, der ihr Land zusammen mit Bulgarien als 26. und 27. EU-Staat 2007 beigetreten ist, die Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lage verbunden haben?

Die fünf Jahre, die seitdem verstrichen sind, haben ein buchstäblich "böses Erwachen" mit sich gebracht, stellt sich doch die materielle Lage vieler Menschen als noch katastrophaler dar als vor dem Schritt in das gelobte Land eines weltdominierenden Kapitalismus. Als Staatspräsident Traian Basescu Ende 2004 die Stichwahl um das höchste Amt knapp gegen den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Adrian Nastase gewonnen hatte, hatte er dem Land und seinen Menschen - noch vor dem Beitritt zur Europäischen Union - einen Kampf gegen Korruption und Armut versprochen. Seitdem lenkt der ehemalige Oberbürgermeister von Bukarest und Chef einer damals oppositionellen liberal- demokratischen Allianz die Geschicke oder vielmehr Mißgeschicke des Landes unter stetig wechselnden Regierungen und Ministerpräsidenten.

Im Januar dieses Jahres hatten massive Proteste zu Rücktrittsforderungen auch an Basescu geführt, die dieser jedoch von sich zu wenden verstanden hatte [1]. Im Jahr zuvor hatte sich mit der Sozial-Liberalen Union (USL) ein sozialliberales Oppositionsbündnis, bestehend aus der sozialdemokratischen PSD mit ihrem Vorsitzenden Victor Ponta und der liberalen PNL, konstituiert zu dem erklärten Zweck, Präsident Basescu zu Fall zu bringen. Die Massenproteste im Januar hatten zum Rücktritt des damaligen Ministerpräsidenten Emil Boc von der Liberal-Demokratischen Partei (PDL) geführt, der aus den Reihen seiner eigenen Partei zunehmend in die Kritik geraten war wegen des von ihm in Befolgung des Diktats aus Brüssel verfolgten Sparkurses. Eine solche Kritik dürfte eher dem Zweck geschuldet sein, den zunehmenden Unmut, den diese die Verarmung des Landes noch befördernde Politik hervorrufen muß, von sich zu weisen.

Boc hatte den Rücktritt der von ihm geführten Mitte-Rechts-Koalition mit dem fehlenden Vertrauen der Bevölkerung begründet, was fraglos zutreffend gewesen sein dürfte, mit diesem Schritt jedoch keineswegs zu kurieren war. Da die Oppositionsforderung nach vorgezogenen Neuwahlen - die nächsten regulären Parlamentswahlen stehen im November dieses Jahres bevor - wurde jedoch nicht erfüllt. Das Parlament, nicht die Bevölkerung, hatte vier Tage nach Bocs Rücktritt den früheren Leiter des rumänischen Auslandsgeheimdienstes, Mihai Razvan Ungureanu, in das Amt des Ministerpräsidenten einer nach wie vor der rechten Mitte zuzuordnenden Regierung gewählt und ihn beauftragt, das Land mit einem umgebildeten Kabinett bis zu den Novemberwahlen zu regieren.

Unrealistische Versprechungen werde er nicht machen, hatte Ungureanu gleich bei seinem Amtsantritt erklärt und damit Hoffnung auf eine Kurskorrektur in der Sparpolitik gedämpft, wenn nicht zunichte gemacht. Da eine Zäsur, wie es auch nicht anders zu erwarten war, unter seiner politischen Führung ebenfalls ausblieb, konnte durch diesen Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten nur ein kleiner Zeitgewinn herausgewirtschaftet werden. Dieser ist inzwischen aufgebraucht. Am vergangenen Freitag wurde die Mitte-Rechts-Regierung unter Ungureanu nach nur 78 Tagen im Amt durch ein Mißtrauensvotum, das von den oppositionellen Sozialdemokraten der PSD und den Liberalen der PNL eingebracht worden war, zu Fall gebracht. Dem war ein politischer Akzeptanzverlust des Regierungslagers vorangegangen, der laut Umfragen so massiv war, daß mehr und mehr Abgeordnete der Regierungspartei PDL zur Opposition überliefen.

Die PDL, die es nicht (länger) verhindern konnte, von der Bevölkerung mit den drastischen Lohn- und Rentenkürzungen sowie den massiven Steuererhöhungen identifiziert zu werden, hatte jeglichen Kredit verspielt und ihre Popularität eingebüßt. In dieser Situation ernannte Präsident Basescu, wie von diesem gefordert, den 39jährigen Oppositionsführer und Vorsitzenden der sozialistischen Partei PSD Victor Ponta zum neuen Ministerpräsidenten und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung. Innerhalb von zehn Tagen solle Ponta ein neues Kabinett bilden und bis zu den Parlamentswahlen im November regieren. Der gestürzte Regierungschef Ungureanu hatte vor dem Mißtrauensvotum davor gewarnt, daß ein solcher Schritt zur "Destabilisierung" des Landes führen und dessen Ansehen als verläßlicher Partner der EU gefährden könne.

Vertreter des IWF und der EU befanden sich ohnehin gerade in Rumänien, um, wie es hieß, die "Fortschritte" im Reformprozeß zu begutachten. Im Klartext bedeutet dies, daß die Knebelung rumänischer Regierungsverantwortlicher, die die ihnen überlebensnotwendig erscheinenden Kredite der Troika nur ausgezahlt bekommen, wenn sie die ihnen gestellten Bedingungen nach Einschätzung von deren Experten in ausreichendem Maße erfüllen, überprüft und gefestigt wird. Diese Prüfung ist nun, durch das vom Parlament angenommene Mißtrauensvotum, erst einmal negativ ausgefallen. Die vom IWF angeführten Beratungen wurden umgehend abgebrochen. Am heutigen Montag will der neue Premier Ponta bereits die neuen Minister des von ihm angeführten Opppositions- und nun Regierungsbündnisses, bestehend aus Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen, vorstellen und vom Parlament bestätigen lassen.

Das klingt nach einer abermaligen Neuauflage der immergleichen Mixtur. Victor Ponta, Repräsentant einer neuen Politikergeneration, der bis 1999‍ ‍als Staatsanwalt tätig war und erst danach "in die Politik" einstieg, wird noch weniger Zeit haben als sein Amtsvorgänger, um seinen ausgesprochenen wie unausgesprochenden Absichtserklärungen Taten folgen zu lassen. Er gilt als Anhänger Che Guevaras, was für sich genommen noch keinerlei Aussagen oder auch nur begründete Spekulationen über den künftigen Regierungskurs Rumäniens zuläßt. Die Frage ist alles andere als kompliziert, gibt es doch im Grunde nur zwei Alternativen: Entweder setzt auch Ponta den Unterwerfungskurs seiner Vorgängerregierungen sowie des Präsidenten fort mit dem einzigen Unterschied, das er das "linke Image" seiner Person und Partei zur Täuschung des Wahlvolkes einzusetzen versucht, oder er wagt tatsächlich den Aufstand der Zwerge gegen die sich übermächtig wähnende Europäische Union und entzieht sich und das Land dem Zugriff einer Troika, die nichts anderes zu bieten hat als eine Armuts- und Mangelverwaltung, bei der die zunehmende materielle Verelendung des Landes im Gleichschritt mit dem Verlust seiner faktischen nationalen Souveränität voranschreitet.

Anmerkung:

[1]‍ ‍Siehe auch Schattenblick -> INFOPOOL > EUROPOOL -> MEINUNGEN:

DILJA/020: Armutsproteste auch in Rumänien gegen den "Sparkurs" von EU und IWF (SB)
http://schattenblick.de/infopool/europool/meinung/eudi0020.html

DILJA/023: Westliche Polit-Strategen in Sorge über die wachsende Protestkultur Rumäniens (SB)
http://schattenblick.de/infopool/europool/meinung/eudi0023.html

30.‍ ‍April 2012