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DILJA/023: Westliche Polit-Strategen in Sorge über die wachsende Protestkultur Rumäniens (SB)


Wechsel im Regierungsamt kann anwachsenden Unmut nicht besänftigen



Die wohl elementarste Aufgabe sozialdemokratischer Partei- und Öffentlichkeitsarbeit besteht in der Eindämmung und Befriedung ansonsten womöglich in Hinsicht auf die herrschenden Verhältnisse unkontrollierbar werdender Proteste und Gegenbewegungen. Gleichermaßen gehört es zum ganz kleinen Einmaleins in Fragen der Sicherung und Qualifizierung der Herrschaft des Menschen über den Menschen, der Peitsche ein Zuckerbrot hinzuzufügen. Jeder Staat, der das von ihm beanspruchte Gewaltmonopol so exzessiv ausübt, daß in der ihm unterworfenen Bevölkerung außer Angst und Schrecken nicht die geringste Identifikation, Akzeptanz und Zustimmung mit der gesellschaftlichen Ordnung anzutreffen ist, läuft Gefahr, einen Widerstand zu provozieren und hervorzurufen von Menschen, die durch schmerzhafte Erfahrungen zu der Auffassung gelangt sind, nichts mehr zu verlieren zu haben und deshalb ihr noch dazu solidarisches Glück in organisierten Protesten welcher Form auch immer zu suchen.

In den Staaten der Europäischen Union, den notleidenden an der süd- und südöstlichen Peripherie wie auch den vergleichsweise jungen Neumitgliedern aus dem Einflußbereich der früheren Sowjetunion gleichermaßen, wird es für die herrschenden Kräfte immer schwieriger, das zur Befriedung sozialer Unruhen erforderliche Mindestmaß an "Zuckerbroten" bereitzustellen. Sie alle sind einem Finanzdiktat unterworfen, das stets ein- und dieselbe Handschrift trägt und von denselben Akteuren durchexerziert wird. So ähnelt die makroökonomische und damit auch sozialpolitische Lage Rumäniens fast bis auf I-Tüpfelchen denen vieler anderer, vom Staatsbankrott bedrohter EU-Staaten. Um die staatlichen Aufgaben überhaupt weiter wahrnehmen zu können, eher recht als schlecht, ist auch die rumänische Regierung auf Kredite der sattsam bekannten Troika aus Europäischer Union, Internationalem Währungsfond und Europäischer Zentralbank angewiesen.

Auch in Rumänien wird die Zusicherung und Vergabe der Gelder an Bedingungen geknüpft, die zu verweigern sich die rumänische Regierung ebensowenig leisten kann wie die der übrigen, in einer solchen Schuldknechtschaft stehenden europäischen Staaten. Auch in Rumänien hat die Umsetzung des aufgezwungenen "Spar"-Kurses zu massiven Protesten der Bevölkerung geführt. Die rumänische Bevölkerung, bereits seit drei Jahren faktisch unter diese Fremdherrschaft gestellt, hat seit 2009 soziale Härten hinnehmen müssen, die alle Hoffnungen, die einst mit dem Beitritt zur EU verbunden und von den Menschen ernst genommen waren, ersatzlos zerschlagen haben. Am 1. Januar dieses Jahres belief sich der Mindestlohn auf 700 Leu, was in etwa 162 Euro entspricht. Die rumänische Wirtschaft, und auch in diesem Punkt stimmt die Entwicklung vollkommen mit der in vielen anderen Schuldnerstaaten überein, schrumpft, so daß sich absehbar die vielen sozialen Probleme nur noch weiter verschärfen werden.

Im Januar war es zu ersten massiven Protesten gekommen, die durch eine weitere Maßnahme, die "das Faß zum Überlaufen" brachte, ausgelöst worden war. Dabei hatte es sich um die Ankündigung des damals noch amtierenden, als rechtspopulistisch geltenden Staatspräsidenten Traian Basescu, nun auch noch den nationalen Rettungsdienst zu privatisieren, gehandelt. Basescu, der es bis dato verstanden hatte, ungeachtet steigender Preise und Lebenshaltungskosten und sinkender Löhne und öffentlichen Ausgaben einen großen Teil der Bevölkerung auf seine Seite zu ziehen, war nicht in der Lage, in den darauffolgenden Wochen den anwachsenden Unmut seiner Landsleute abermals zu neutralisieren, und so mußten andere Optionen ergriffen werden.

Er selbst kam der Forderung der Protestierenden nach seinem Rücktritt zwar nicht nach, doch die von Ministerpräsident Emil Boc geführte Regierung trat am 7. Februar zurück. Er wolle, so hatte Boc seinerzeit erklärt, mit diesem Schritt die soziale Lage des Landes entschärfen und für Stabilität sorgen. Selbstverständlich stellte dieser Rücktritt nur eine weitere Maßnahme dar, um die aus Sicht der Regierung möglicherweise bedrohlich anwachsende Protestbewegung wieder einzudämmen durch ein vermeintliches Zugeständnis, das in der Sache selbst jedoch nicht das geringste Entgegenkommen enthielt. Zum Übergangsregierungschef wurde zunächst der parteilose Justizminister Catalin Prediou ernannt. Zwei Tage später, am 9. Februar, wurde im rumänischen Parlament, in dem die Regierungsparteien nach wie vor über eine Mehrheit verfügen, mit 237 zu 2 Stimmen ein neuer Ministerpräsident bestätigt. Bei ihm handelt es sich um Mihai Razvan Ungureanu, den ehemaligen Chef des rumänischen Auslandsgeheimdienstes. Die Opposition hatte die Abstimmung boykottiert. Zu vorgezogenen Neuwahlen, wie von der Opposition gefordert, wird es aller Voraussicht nach nicht kommen, im November stehen ohnehin Parlamentswahlen bevor.

Die landesweiten Proteste allerdings konnten, was niemanden verwundern dürfte, durch dieses Wechselspiel in den politischen Ämtern nicht befriedet werden. Bergarbeiter streiken, um die ihnen gemachten Zusagen einer zehnprozentigen Lohnerhöhung durchzusetzen. Eine Demonstrations- und Protestwelle geht durch das ganze Land, die so stark ist wie nicht zuvor in den über zwanzig Jahren, die seit dem Systemwechsel vergangen sind. Es gibt Aktionstage gegen das Anti-Produktpiraterie-Abkommen ACTA, aber auch Proteste gegen den Landwirtschaftsminister, dem nachgesagt wird, auf der Gehaltsliste des US-Giganten Monsanto zu stehen, wegen genmanipulierter Lebensmittel. Weitere westliche Großkonzerne, inzwischen Eigentümer der weitgehend privatisierten rumänischen Unternehmen, sind zu Zielen mannigfaltiger Proteste geworden. Der der rumänischen Bevölkerung lange Zeit seitens westlicher Experten zugeschriebene Langmut, um nicht zu sagen ihre vermeintliche politische Gleichgültigkeit, scheint sich nicht etwa aufgelöst, sondern als interessengestütztes Wunschdenken entlarvt zu haben.

Eine solche Entwicklung konnte bei den Sachwaltern, wissenschaftlichen Begleitern und damit Steigbügelhaltern einer solchen Strangulationspolitik selbstverständlich nicht unbemerkt bleiben. Anfang März veröffentlichte das Referat Mittel- und Osteuropa der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung eine aktuelle Länderanalyse zur aktuellen politischen Lage in Rumänien. In erfrischender Deutlichkeit wurde darin zum Ausdruck gebracht, daß der Regierungswechsel keinen Politikwechsel darstellt. Zusammengefaßt hieß es dort [1]:

Die Politik wurde von der Protestwelle unvorbereitet getroffen. Die Machthaber in Bukarest versuchten zunächst, die Proteste zu ignorieren, zeigten sich dann aber zu einer Vielzahl von Zugeständnissen bereit. Schließlich trat Anfang Februar die Regierung um Premierminister Emil Boc zurück. Das neue Kabinett unter Führung von Razvan Ungureanu steht allerdings nicht für einen politischen Kurswechsel. Der Austausch des Spitzenpersonals ist eher als Versuch der Schadensbegrenzung der Regierungsparteien mit Blick auf die bevorstehenden Lokal- und Parlamentswahlen zu verstehen. Auch die Reaktionen der Opposition zeugen von Nervosität und einer gewissen Überforderung. Ihre Bemühungen, sich an die Seite der Demonstranten zu stellen, waren nur von geringem Erfolg gesegnet.

Unterschwellig ist die große Sorge, die Statthalter der EU-Politik könnten die Kontrolle verlieren, hier herauszulesen. So deutlich wird das allerdings nicht gesagt, heißt es doch im weiteren, daß die Demonstranten ein wichtiges Zeichen gesetzt hätten "gegen die Gleichgültigkeit der politischen Führung und die politische Apathie der Bevölkerung" [1]. Mit einer echten Unterstützung oder Solidarisierung wird das in Rumänien wohl niemand verwechseln, steht doch außer Frage, daß die Länderexperten der Friedrich-Ebert-Stiftung zwar Analysen schreiben, aber nicht mit einem Jota kritisch Stellung beziehen gegenüber dem "Spar"-Diktat der Troika, das entgegen der aufgestellten Versprechungen die Misere nur noch weiter verschärft und in eine unentrinnbar anmutende Verschuldungsfalle manövriert hat.

[1] http://www.fes-online-akademie.de/newsdetail.php?md=5&news_id=73471


28. März 2012