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DILJA/018: Konzertierte Aktion - Griechenlands Demokratiekultur wird entsorgt (SB)


Statt eines Referendums droht dem griechischen Volk ein Technokraten-Regime


In Griechenland überschlagen sich derzeit, will man den Nachrichtenmeldungen Glauben schenken, die Ereignisse. Nachdem der griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou am Montag - angeblich überraschend für die gesamte EU-Führung inklusive der deutschen Kanzlerin - ankündigte, das griechische Volk per Referendum über die Frage, ob es den sogenannten Rettungsplan der EU, der die weitere Kreditvergabe an ein noch massiveres Sparprogramm bindet, abstimmen zu lassen und das Ergebnis eines solchen Votums in jedem Fall als für die Regierung bindend zu akzeptieren, sorgte derselbe Papandreou am gestrigen Donnerstag abermals für eine Überraschung, weil er eben diese Ankündigung sang- und klanglos wieder fallenließ.

Ob sich vor und hinter den Kulissen in Athen, Berlin, Paris, Brüssel und Cannes die Vorgänge, Verhandlungen, Absprachen und Drohungen tatsächlich so abgespielt haben, wie mehrheitlich in der Presse berichtet und dargestellt, mag dahingestellt bleiben. Fakt ist, daß nun in Griechenland ein Schulterschluß der bislang regierenden sozialistischen PASOK Papandreous mit der konservativen Nea Dimokratia bevorsteht und damit eine Art "Übergangsregierung", nach deren demokratischer Legitimierung in einer so angespannten Situation wie der jetzigen niemand mehr zu fragen scheint. Zu dem Spektakel der sich scheinbar überschlagenden Ereignisse gehörte der mögliche Rücktritt des bisherigen Regierungschefs, den dieser nach seiner Kehrtwende um 180 Grad kategorisch ablehnt, obwohl er Anfang der Woche noch angekündigt hatte, sich am heutigen Freitagabend einer Vertrauensfrage im Parlament stellen zu wollen.

Ob er diese überstanden hätte, so er sie mit seinem ursprünglichen Vorhaben, in bester demokratischer Kultur den eigentlichen Souverän, also das Volk selbst, über die Schicksalsfrage abstimmen und entscheiden zu lassen, verknüpft hätte, ist eine gegenstandslos gewordene Frage. Der Termin der ursprünglich für Anfang des kommenden Jahres geplanten Volksbefragung war auf den 4. oder 5. Dezember vorverlegt worden, doch dieses Entgegenkommen genügte nicht annäherungsweise, um die wutschnaubenden Europäer zu besänftigen. Nachdem allein die Möglichkeit, daß das griechische Volk sich gegen das als Rettung ausgewiesene Zwangsdiktat aus Brüssel hätte entscheiden können, die Kurse an den internationalen Börsen kurzfristig hatten einbrechen lassen, reagierten die EU-Oberen unverzögert und stoppten die soeben erst beschlossene "Rettung", sprich die Auszahlung der nächsten Kredittranche in Höhe von acht Milliarden Euro aus dem ersten Nothilfepaket, durch die die Zahlungsfähigkeit Griechenlands hätte sichergestellt werden sollen.

Die gestrige Ankündigung Papandreous, seiner vorherigen Planung entgegen kein Referendum abzuhalten, führte keineswegs dazu, die gestoppte Kreditauszahlung aufzuheben. Allem Anschein nach wollen die EU-Oberen dieses Druckmittel noch länger wirken lassen, bis nicht nur dem Premier seine demokratischen Flausen ausgetrieben, sondern weitere Bedingungen erfüllt werden. Papandreou kündigte nun die Bildung einer "Übergangsregierung" an, für die seine Einigung mit dem Parteivorsitzenden der konservativen Nea Dimokratia, Antonis Samaras, die Voraussetzungen geschaffen hatte. Nicht von ungefähr erinnert dieses faktische Zusammenwirken der beiden griechischen Großparteien, die sich in der Ausübung des Regierungsamtes in der bisherigen Geschichte des Landes abgelöst hatten, an den berüchtigten Schulterschluß der "Demokraten", so diese die Bestandssicherung ihres Herrschaftssystem ernsthaft gefährdet sehen und deshalb in letzter Konsequenz auch vor dem Einsatz militärischer Gewalt nicht zurückschrecken würden.

Daß von einer solchen Putschgefahr in einem EU-Staat mit brutaler Diktaturerfahrung derzeit nicht die Rede ist, mag womöglich einer Haltung der Militärführung geschuldet sein, die sich durchaus autorisiert sehen könnte, zum "Schutze" des Landes zu intervenieren. Doch gegen wen würden die Militärs, gesetzt den Fall, ein solches Szenario träte ein, die Gewehre in Stellung bringen? Im Auftrag der Regierung gegen ein rebellierendes Volk, das nicht länger gewillt und in der Lage ist, die anwachsende soziale Not hinzunehmen? Oder der eigenen Regierung gegenüber, so diese gewillt ist, den sozialfeindlichen "Spar"-Kurs, der ihr von Brüssel aufgezwungen wird, allen Protesten zum Trotz umzusetzen? Diese Frage ist derzeit schwer zu beantworten, dabei könnte gerade sie sich als sehr wesentlich zur Einschätzung der tatsächlichen Lage in Griechenland erweisen. In dem allgemeinen Medienspektakel um Referendum und Vertrauensfrage, den Rückzug des Referendums und einer bis zum Tage X, an dem angeblich Neuwahlen abgehalten werden sollen, eingesetzten "Übergangsregierung" ging die Meldung, daß Papandreou ebenfalls überraschend die Führung der griechischen Armee entlassen hat, nahezu unbemerkt unter.

So scheinen die Bestandteile einer De-facto-Diktatur in Griechenland, ohne daß ein solch häßliches Wort Einlaß in Medienberichte und -kommentare gefunden hätte, womöglich schon zusammengekommen sein, als da wären eine faktische große Koalition aus PASOK und Nea Dimokratia, die ihre parteipolitischen Querelen begraben haben, um in der Kernfrage der politischen Herrschaft zusammenzuwirken, was in erster und letzter Linie bedeutet, einen tatsächlichen und womöglich infolge der langanhaltenden und landesweiten massiven Proteste bevorstehenden Linksruck mit allen Mitteln zu verhindern. Und da diese Mittel den Einsatz militärischer Gewalt zur Niederschlagung von Armuts- und Hungerrevolten selbstverständlich einschließen, könnte die Entlassung der bisherigen Armeeführung damit zusammenhängen, hier im Stillen die Voraussetzungen zu schaffen, indem eine in dieser Hinsicht womöglich mißliebige, weil unzuverlässige Militärführung durch Offiziere ersetzt wird, die willfährig genug erscheinen, die Panzer gegen das eigene Volk rollen zu lassen.

An der Entschlossenheit der EU-Granden, das Spardiktat in Griechenland kompromißlos durchzusetzen, gibt es unterdessen nicht die geringsten Zweifel. So und nicht anders ist wohl der gemeinsame Entschluß von Papandreou und Samaras zu deuten, eine "Übergangsregierung" einzusetzen, die nicht aus Politikern, sondern aus "Experten" bestehen soll, deren vorrangigste Aufgabe darin besteht, "Vertrauen" zu schaffen. Und zwar das Vertrauen der Kreditgeber und Schuldherrn, wie anzufügen sich fast erübrigt, da nach dem Vertrauen der griechischen Bevölkerung in den Plan zu seiner Rettung bzw. der des Landes definitiv nicht gefragt werden wird.


4. November 2011