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DILJA/013: Griechenlandkrise - Aufstandsbekämpfung durch paramilitärische EU-Kräfte? (SB)


Einmarsch bewaffneter EU-Kräfte in Griechenland nicht auszuschließen


Wen oder was auch immer der sogenannte europäische "Rettungsschirm" gerettet haben mag, unter den das notleidende Griechenland im April 2010 geschlüpft ist - Griechenland ist es nicht. Die verheerende wirtschaftliche und damit soziale Situation des Landes hat sich seitdem nur noch weiter verschärft, mußten doch im Gegenzug zu den Finanzspritzen für den hochverschuldeten und vor der Zahlungsunfähigkeit stehenden EU- und NATO-Staat von dessen Regierung Bedingungen akzeptiert werden, die durch ihre Annahme und Umsetzung die wirtschaftliche Krise voraussagbar noch verschärft haben. Inzwischen liegen diese Resultate nachweisbar auf dem Tisch. Die Athener Regierung des amtierenden Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou von der Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) hat sich, um die durch den "Rettungsschirm" in mehreren Tranchen in Aussicht gestellten 110 Milliarden Euro zu erhalten und dadurch den drohenden Staatsbankrott abwenden zu können, dem ihr damit aufgezwungenen Sparkurs verschrieben.

"Sparen" bedeutet in diesem Fall, eine nicht anders als sozialfeindlich zu bezeichnende Politik zu verfolgen durch den konsequenten Abbau staatlicher Leistungen bei gleichzeitigen Privatisierungen staatlicher oder halbstaatlicher Unternehmen, sinkenden Löhnen und Renten sowie ansteigenden Verbrauchssteuern. Da auf diese Weise in Griechenland immer mehr Menschen immer ärmer wurden und es kaum noch eine Berufssparte oder gesellschaftliche Gruppe gibt, die vom wirtschaftlichen Niedergang nicht betroffen ist, sind die landesweiten Proteste, Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks "politikgemacht". Es ist allerdings eine Politik, für die die griechische Regierung im Verhältnis zur griechischen Bevölkerung zwar allein und im vollen Umfang verantwortlich zeichnet. Unter Berücksichtigung der faktischen Zwangslage, in die Athen seitens europäischer und internationaler Institutionen, die mittlerweile als "Troika" aus Europäischer Union (EU), Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) unverhohlen mit der Attitüde gnädiger oder vielmehr ungnädiger Schuldherren in das Land einreisen, manövriert wurde, ist dies jedoch nur die halbe Wahrheit.

Faktisch hat die Athener Regierung die Souveränität Griechenlands längst mitverkauft oder mitverkaufen müssen und sich in die Rolle von Erfüllungsgehilfen drängen lassen, die umsetzen müssen, was in den Zentralen der genannten Troika beschlossen wird. Ihre bisherige Bereitschaft, die von ihr geforderten Sparbeschlüsse umzusetzen durch Gesetzesverschärfungen sowie die zu ihrer Durchsetzung erforderliche repressive Politik wurde ihr jedoch nicht in gleicher Münze entlohnt, da das Ungleichgewicht zwischen den möglichen Kreditgebern und dem griechischen Schuldnerstaat sich immer weiter zuungunsten des letzteren verschiebt, und so stellt sich die Situation für die regierende PASOK und ihren Ministerpräsidenten so dar, daß sie längst mit dem Rücken an der Wand stehen und im Grunde nicht einmal mehr innerhalb der eigenen politischen Basis sowie der Beamtenschaft und den übrigen Staatsbediensteten auf Unterstützung hoffen können.

Statistisch gesehen konnte zwar auf diese Weise das Haushaltsdefizit von 15,6 Ende 2009 auf 10,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im darauffolgenden Jahr 2010 gesenkt werden, doch bewirkten die erzwungenen Einsparungen und Kürzungen in der Folge eine weitere drastische Zuspitzung der wirtschaftlichen Misere. Die am Bruttoinlandsprodukt meßbare allgemeine Wirtschaftsleistung des Landes fiel in 2010 um 4,5 Prozent und im ersten Halbjahr des laufenden Jahres um weitere 7,5 Prozent, während die Arbeitslosigkeit von 9,6 Prozent Ende 2009 auf gegenwärtig 16,3 Prozent stieg. Gleichwohl wurde der griechischen Regierung ins Stammbuch geschrieben, sie habe das vereinbarte Sparprogramm nur unzureichend umgesetzt, weshalb Ende September eine aus Experten der Troika zusammengesetzte Kommission, von deren Einschätzung die Auszahlung der dringender denn je benötigten nächsten Tranche aus dem Rettungsschirm in Höhe von acht Milliarden Euro abhängt, ihre Arbeit unterbrach.

Da sich den landesweiten und berufsgruppenübergreifenden Streiks auch die Beamten des Finanzministeriums und des Statistikamtes Elstat angeschlossen hatten, gestaltete sich die Überprüfung der Regierungsmaßnahmen als schwierig bis unmöglich. Die Beamten wiederum reagieren mit ihrem Ausstand auf die jüngsten Beschlüsse der Regierung, nicht nur den Rotstift bei den Gehältern der Angehörigen des öffentlichen Dienstes (weiter) anzusetzen, sondern zusätzlich zu den bisherigen Entlassungen bis Ende des Jahres weiteren 30.000 Staatsbediensteten zu kündigen oder sie in Rente zu schicken. Es bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung, daß dieser Kürzungsbeschluß infolge von Forderungen der europäischen Schuldherrn sowie des IWF gefällt wurde bzw. gefällt werden mußte. Die griechische Regierung erhoffe sich davon, so die offizielle Begründung, Einsparungen im kommenden Jahr in Höhe von 300 Millionen Euro, und mußte in ihrem am 2. Oktober vom Kabinett gebilligten Haushaltsentwurf für 2012 doch einräumen, daß die Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr nach geschätzten 5,5 Prozent für 2011 um weitere 2,5 Prozent noch weiter zurückgehen wird. Die sogenannten "Defizit"-Ziele wird Griechenland demnach weder im laufenden noch im kommenden Jahr erreichen.

Das war und ist nicht anders zu erwarten, zumindest so lange nicht, wie das Land und seine Regierung in der Knebelung der Troika verbleiben. Die Entscheidung darüber, ob der Kotau Athens weit genug geht, um mit der Auszahlung der nächsten Tranche belohnt zu werden, wurde vom ursprünglich anvisierten 13. Oktober auf Mitte November verschoben, wie Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe, wissen ließ. Zur Begründung fügte er an, daß die Kommission der Troika mehr Zeit benötige, um ihren Bericht zu verfassen. Allein diese Entscheidung trug zur weiteren Verschärfung der ohnehin extrem angespannten Situation bei. An der Athener Börse fielen die Kurse auf die tiefsten Werte seit 18 Jahren, da die Börsianer damit rechnen, daß die Schulden Griechenlands in Höhe von rund 330 Milliarden Euro vollständig ausfallen könnten.

Die Situation in Griechenland ist so prekär und zugespitzt, daß viel über die erforderlichen Hilfen gesprochen wird, die seitens der Troika gewährt werden oder eben auch nicht in Verbindung mit der Frage, ob ein Ausstieg Griechenlands aus der Euro-Zone sinnvoll und wünschenswert oder überhaupt möglich wäre. Die Frage allerdings, welche Interessen und Absichten Europäische Union und Zentralbank sowie der IWF mit ihrer konzertierten Griechenlandpolitik verfolgen, bleibt weitgehend ausgeklammert ganz so, als widerspräche ihr Vorgehen nicht elementarsten volkswirtschaftlichen Axiomen wie beispielsweise der Grundannahme des Nationalökonomen John Maynard Keynes, daß mit steigender Nachfrage auch die Beschäftigung anwachse, während eine abnehmende Nachfrage zu sinkender Beschäftigung mit der Gefahr einer krisenhaften Entwicklung führe.

Wenn dies bereits zum Kleinen Einmaleins des Keynesianismus gehört, muß die Frage erlaubt sein und gestellt werden, ob die EU-Altvorderen nicht allen Verlautbarungen zum Trotz in ihrer Griechenlandpolitik darauf abstellen, die wirtschaftliche Krise nach Kräften anzuheizen und in einen Status zu manövrieren, der es ihnen erlaubt, das ganze Land in eine Art Schuldknechtschaft überzuführen unter vollständiger Preisgabe seiner Souveränität. Wenn das Mantra vom faulen Griechen(land) gebetsmühlenartig wiederholt wird, ohne je den Fokus des medialen wie politischen Interesses auf die Frage zu richten, wie es denn um die Lebensverhältnisse und Überlebenskämpfe der griechischen Bevölkerung infolge der Krise sowie der vorgeblichen Krisenbewältigungsmaßnahmen bestellt ist, spricht dies nicht unbedingt für die Glaubwürdigkeit und Belastbarkeit des einst mit der sogenannten "europäischen Einigung", sprich der Transformation einer eher lose verknüpften europäischen Union zu einem europäischen Superstaat namens EU gekoppelten Versprechens, daß kleine und mittlere Mitgliedstaaten in Zeiten der Not zum Wohle ihrer Bevölkerungen tatkräftig unterstützt werden würden.

In Griechenland vergeht kaum ein Tag, an dem nicht durch neue Verordnungen und Gesetze "der Gürtel noch enger geschnallt wird". So droht den Griechen beispielsweise eine Strafsteuer, wenn sie nicht in einem Haushaltsbuch sämtliche Einkünfte und Ausgaben notieren und mindestens die Hälfte ihrer Ausgaben mit Bons und Kassenzetteln belegen können. Diese vorgeblich der Bekämpfung der Steuerhinterziehung gewidmete Regelung sollte ursprünglich sogar rückwirkend für das gesamte Jahr 2011 gelten, nach verzweifelten Protesten der Bevölkerung tritt sie nun jedoch erst am 1. Januar 2012 in Kraft. Was Menschen machen sollen, denen keine 50 Prozent ihrer Brutto-Einkünfte infolge gestiegener Steuern, Telefon-, Strom- und Mietkosten für weitere Ausgaben bleiben, ist eine noch ungeklärte Frage [1]. Mit einer neu erhobenen Immobiliensonderabgabe wird die Bevölkerung weiter zur Ader gelassen. Die Eigentümer bebauter Grundflächen müssen pro Quadratmeter fünf bis 16 Euro zahlen, für Geschäftsräume sollen 200 Euro pro Quadratmeter entrichtet werden. Wer annimmt, daß diese Abgabe primär Reiche und Vermögende treffen wird, läßt außer acht, daß Grundstücks- bzw. Immobilienbesitzer ihren finanziellen Mehraufwand durch abermals erhöhte Mieten etc. umzulasten in der Lage sind.

Die Spezialisten der Troika, die wie Racheengel nach Athen einfliegen, um immer neue und immer weitergehende Bedingungen zu stellen für die Erfüllung lange zuvor gegebener Versprechen, setzen den Hebel jedoch nicht nur an den finanziellen Daumenschrauben an, sondern erheben Forderungen, die direkt gegen die politischen wie wirtschaftlichen Rechte der griechischen Bevölkerung gerichtet sind. So wurde am 5. Oktober bekannt, daß der IWF den "Wunsch" äußerte, sämtliche Tarifverträge in Griechenland aufzukündigen. Lohnverhandlungen sollten künftig ohne Beteiligung von Gewerkschaften, aber auch dem Arbeitgeberverband geführt werden, wobei offenblieb, wer da überhaupt noch was mit wem verhandeln "darf". Es versteht sich von selbst, daß für einen Mindestlohn, der derzeit in der Privatwirtschaft bei Vollzeitjobs für über 30jährige Arbeitnehmer bei 540 Euro netto liegt, in der Vorstellungswelt der Troika kein Platz mehr sein wird. Diese Einschnitte in das Sozial- bzw. Wirtschaftssystem Griechenlands sind so gravierend, daß sich der Arbeitgeberverband (!) vehement gegen eine weitere Senkung des Lohnniveaus ausgesprochen hat.

Der klassische Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit, Unternehmen und Gewerkschaften wird an dieser Schwelle zu einer Transformation bisheriger Verfügungsverhältnisse so weitgehend nivelliert, daß der bisherige kleinste gemeinsame Nenner, der darin auszumachen ist, daß die Profiteure der von den abhängig Beschäftigten geleisteten Arbeit ein Interesse an deren Reproduktion sowie einem gewissen Niveau inländischer Kaufkraft haben, aufgebrochen wird. Griechische Unternehmen, so sie nicht das Land fluchtartig verlassen haben, werden nicht davon profitieren können, wenn die Preise für Verbrauchsgüter, die jetzt schon die höchsten in Europa sind, immer weiter steigen, während Löhne, Gehälter und sonstige Einkommen in einem Land, das keine staatlichen Stützsysteme wie Sozialhilfe oder Hartz IV kennt, immer weiter gesenkt werden. Dies gilt in besonders extremem Maße im öffentlichen Dienst, weshalb auch Berufsgruppen wie Lehrer, Ärzte, Ministerialbeamte und sogar Militärangehörige wegen ihrer unerträglich geringen Einkünfte protestieren und streiken. Steuersündern drohen nicht etwa nur Nachzahlungsforderungen oder Bußgelder, sie können verhaftet und von einem Schnellgericht abgeurteilt werden.

Hunderttausende Beamte sind nicht nur wegen geringer oder gar nicht mehr ausgezahlter Gehälter in großer Not. Zehntausenden droht, obwohl es auch in Griechenland eigentlich eine vor 110 Jahren erkämpfte Unkündbarkeit der Staatsangestellten gibt, die Kündigung. Doch genau dazu wurde die griechische Regierung von den europäischen Kreditgebern und dem Internationalen Währungsfonds gezwungen. Der Vorschlag des deutschen Bundeswirtschaftsministers Philipp Röslers, der bei seinem Besuch in Athen in der vergangenen Woche Verwaltungshilfe zum Aufbau marktgerechter Strukturen in der Energiewirtschaft anbot in Gestalt von deutschen Verwaltungsexperten, die den Griechen zeigen, wo's langgeht, ist nicht einfach nur zynisch, sondern folgerichtig in Hinsicht auf die bei der deutschen Regierung wie auch den übrigen Troika-Gefährten zu vermutende Absicht, Griechenland dauerhaft in einen Status von Zwangsadministration, wirtschaftlicher Gängelung und offener Repression überzuführen, für den es im Rahmen der Europäischen Union noch kein Beispiel gibt.

Griechenland könnte ein solches, weitere EU-Staaten, die sich wie Spanien, Portugal und Italien in einer ähnlich angespannten Lage befinden, disziplinierendes Beispiel werden. Der nächste Generalstreik - es ist bereits der zwölfte seit Beginn der rigiden Sparpolitik der Regierung - wurde für den 19. Oktober angesetzt. Tägliche Proteste und Demonstrationen belegen, daß die Ablehnung dieser Maßnahmen in der griechischen Bevölkerung kaum weiter verbreitet und tiefer verankert sein könnte. Es ist eine Armutsrevolte, die von einem regelrechten Hungeraufstand nicht mehr weit entfernt sein kann. Doch das einzige, was aus Brüssel und den übrigen Hauptstädten der Geldgeber oder vielmehr -nehmer zu hören ist, zielt auf eine weitere wirtschaftliche Strangulation und politische Entmündigung Griechenlands und seiner Bevölkerung ab.

Am 1. Oktober haben sich Soldaten der Reserve und Pensionäre der Kommandoeinheiten der griechischen Armee zu einer Demonstration sozusagen im Stechschritt in den Straßen Athens zusammengefunden, die unwillkürlich Erinnerungen an die Zeit der griechischen Junta zwischen 1967 und 1974 wachrief. Die ehemaligen Militärs betonten bei ihrer Parade, jederzeit die Verfassung des Landes zu schützen, stellten jedoch die Legitimität der Regierung des PASOK-Ministerpräsidenten Papandreou in Frage. Den militärischen Kräften gegenüber verhielt sich die bei sonstigen Demonstrationen einsatzfreudige Polizei äußerst zurückhaltend. Papandreou selbst gibt sich von diesen wie von allen übrigen Protesten unbeeindruckt. Gegenüber seiner eigenen Fraktion erklärte er in der vergangenen Woche: "Ich ziehe mein Ding durch, bis es knallt." [1]

Könnte dem Land ein Militärputsch drohen, eine Machtübernahme durch die Militärs wie 1967 mit vergleichbar schrecklichen Folgen für das Land und die gesamte Bevölkerung wie zur Zeit der verhaßten und gefürchteten Junta? Der EU-Observer berichtete am 7. Oktober über einen Protest von rund 2000 griechischen Offizieren, von denen einige hundert in das Verteidigungsministerium gestürmt seien, während die umstehende Menge "Nieder mit der PASOK-Junta" skandiert hätte. Panos Beglitis, der griechische Verteidigungsminister, erhob schwere Vorwürfe gegen die Militärs und beanstandete ihre "Rüpeleien" und "anti-demokratische Verhaltensweisen", die sich gegen die demokratische Regierung des Landes richteten und die eine Beleidigung seien, der sofort Einhalt zu gebieten sei. Der Berufsverband vollzeitlich tätiger Militärangehöriger hatte in einem Brief gewarnt: "Das Militär verfügt über jede moralische und rechtliche Grundlage, sich zu verteidigen, und es wird dies mit allen legalen Mitteln tun" [2], woraus sich herauslesen ließe, daß eine gewaltsame Machtübernahme durch das griechische Militär nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann.

Dies gilt jedoch nicht minder, so absurd dies klingen mag, für die Regierung Papandreou. So waren die Proteste aus den Reihen und Organisationen des Militärs eine Reaktion auf eine Erklärung von Verteidigungsminister Beglitis, in der dieser folgendes hatte verlautbaren lassen: "Die vergangenen Tage definieren das Ende einer Epoche für Europa und für Griechenland. Wenn wir uns nicht sofort geordnet auf Opfer einstellen, ist die Straße frei für innere Konflikte." [2] Wer droht wem mit militärischer Gewalt oder gar einem Putsch? Wer nun einwenden möchte, es sei doch gar nicht möglich, daß eine zivile Regierung oder eines ihrer Mitglieder, wie hier Verteidigungsminister Beglitis, dem eigenen Land oder sogar dem eigenen Militär mit militärischer Gewalt drohe, offenbart seine Unkenntnis der bestehenden EU-Verträge.

Bis zum 1. Dezember 2009, dem Tag des Inkrafttretens des Vertrags von Lissabon, gab es keine rechtliche Legitimation für den Einsatz militärischer Mittel innerhalb der EU-Staaten. Doch mit den neuen, heftig umstrittenen Verträgen ist auch dies nun anders. In Art. 222 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) heißt es unter dem sinnigen Begriff "Solidaritätsklausel" in Abs. 1, Satz 2 AEUV: "Die Union mobilisiert alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, um (...) b) im Falle einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe einen Mitgliedstaat auf Ersuchen seiner politischen Organe innerhalb seines Hoheitsgebiets zu unterstützen" (...)." [3]

Unter eine "vom Menschen verursachten Katastrophe" läßt sich problemlos jede wirtschaftliche und soziale Konfliktlage, so sie zu Protesten, Aufständen oder einem allgemeinen Aufruhr führt, der mit polizeilichen Mitteln (allein) nicht befriedet werden kann, subsummieren, und so kann keineswegs ausgeschlossen werden, daß die Regierung Papandreou ihren harten "Sparkurs" ungeachtet massivster Proteste des ganzen Landes gerade deshalb so unbeeindruckt fortzusetzen gewillt und imstande ist, weil sie damit rechnen kann oder sogar schon heute darauf baut, daß ihr morgen oder übermorgen bewaffnete Einheiten der EU beistehen. Schließlich ist sie das "politische Organ" Griechenlands, das in einem solchen, durchaus denkbaren Fall gemäß Art. 22 AEUV nur bei der Europäischen Union und damit einer jener an der sozialen Demontage Griechenlands maßgeblich beteiligten Institutionen um militärische Unterstützung nachzusuchen bräuchte.

Anmerkungen

[1] In der Falle der Zahlenkönige, von Wassilis Aswestopoulos, telepolis, 06.10.2011,
http://www.heise.de/tp/artikel/35/35630/1.html

[2] Zehntausende streiken in Griechenland. Von Robert Stevens, World Socialist Web Site, 07.10.2011,
http://www.wsws.org/de/2011/okt2011/grie-o07.shtml

[3] Globalisierung, Armut und Krieg. Von Jürgen Wagner, IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V., IMI-Studie 2010/10, 30.06.2010,
http://imi-online.de/download/IMI-Studie2010-10.pdf


11. Oktober 2011