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DILJA/010: Vertrauenslüge - Griechenland im administrativen Würgegriff der Europäischen Union (SB)


Die Strangulierung der griechischen Bevölkerung wird fortgesetzt

Giorgos Papandreou, Sachwalter EU-hegemonialer Interessen im Amte des griechischen Ministerpräsidenten, gewinnt "Vertrauensabstimmung"


Weder die sozialdemokratische Pasok-Partei des amtierenden griechischen Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou noch die zweite Traditionspartei, die konservative Nea Dimokratia, kann derzeit von sich behaupten, die Interessen der griechischen Bevölkerung zu repräsentieren. Jüngsten Umfragen zufolge würde die griechische Bevölkerung diese beiden Parteien nur zu 20,1 bzw. 19,1 Prozent wählen. Mehrheitlich wird demnach das von diesen beiden Parteien im stetigen Wechsel ausgeübte politische System Griechenlands abgelehnt. Wenn einer Abstimmung, die Papandreou in der vergangenen Nacht im Parlament durchführen ließ, das Wort "Vertrauen" vorangestellt wird, stellt dies bereits eine Maßnahme bewußter Irreführung und Fehlinformation dar, weil die politische Rückendeckung, die der griechische Premier sich auf diese Weise für die weiteren administrativen Maßnahmen seiner Regierung verschaffen will, von Abgeordneten erbracht wird, die ihrerseits kaum (noch) von sich behaupten können, das Vertrauen ihrer Wähler zu genießen.

Ein weiterer Euphemismus ist der Begriff "Sparpolitik", mit dem ein Maßnahmenkatalog benannt wird, der Griechenland aufgezwungen wurde in Verbindung mit der Behauptung, auf diesem Wege eine wirtschaftliche Gesundung des angeblich unmittelbar vor dem Staatsbankrott stehenden EU- und NATO-Staates herbeiführen zu können. Bislang konnte dieses Versprechen nicht eingelöst werden, die bisherigen "Sparmaßnahmen" haben nicht zu einer Besserung der Lage geführt, sondern diese sogar noch verschärft. Da selbst konservative Ökonomen auf der Basis ihrer marktwirtschaftlichen Modellvorstellungen und Annahmen einwenden, daß sich eine Wirtschaft kaum positiv entwickeln könne, wenn ihrer Bevölkerung die Kaufkraft entzogen und die Löhne im öffentlichen Dienst weiter gesenkt werden, hätte längst die Frage gestellt werden müssen, ob mit dieser Finanzpolitik nicht gänzlich andere Ziele als die behaupteten erreicht werden sollen.

Daß die griechische Regierung ihren faktischen Handlungsspielraum weitestgehend eingebüßt hat, ist allerdings eine gleichermaßen zutreffende wie unzutreffende Feststellung. Zutreffend ist sie unter der Voraussetzung, daß die politischen Grundparameter - sprich die Zugehörigkeit zur Europäischen Union und in ihr zur Euro-Zone sowie zum westlichen Militärbündnis, der NATO - von den führenden gesellschaftlichen Kräften Griechenlands unter keinen Umständen in Frage gestellt werden. Aus dieser Grundsatzentscheidung, die Pasok und Nea Dimokratia nahezu verinnerlicht haben dürften, läßt sich ableiten, daß die Zustimmung Athens zur westlichen Staatenwelt die Akzeptanz der Finanzinstitutionen der sogenannten internationalen Gemeinschaft, sprich des Internationalen Währungsfonds (IWF), mit einschließt.

Bereits im vergangenen Jahr hat die griechische Regierung die Souveränität ihres Landes de facto an eine Troika, bestehend aus der Europäischen Union, der Europäischen Zentralbank und dem IWF, übertragen, indem sie eine Kreditknebelung akzeptierte, die ihren politischen Gestaltungsspielraum auf nahezu null reduzierte. Im Gegenzug zu einem Kreditpaket von 110 Milliarden Euro akzeptierte Athen die an diese Kreditvergabe geknüpften Bedingungen, genannt "Sparmaßnahmen", die die Krise in Griechenland noch weiter verschärften. Die Lebensverhältnisse weiter Teile der griechischen Bevölkerung spitzten sich in der Folge dessen noch weiter zu, die Arbeitslosigkeit wurde zwangsläufig in die Höhe getrieben.

Schuldknechtschaft wäre ein Wort, das das Innenverhältnis Griechenlands zu seinen Geld- und Kreditgebern nur unzureichend zu umschreiben in der Lage ist, weil dabei außer acht gelassen werden würde, daß die griechische Regierung - wie die aller übrigen Peripherie-Staaten der Europäischen Union - ihres klassischen Mittels, die eigene Wirtschaft gegen starke, und das heißt räuberische Volkswirtschaften wie die Deutschlands zu schützen, nämlich die Abwertung der eigenen Währung, durch den Beitritt zur Eurozone verlustig ging.

Nun geistert das Wort vom drohenden Staatsbankrott durch Griechenlands Medien und Straßen, um die Stillhaltebereitschaft der durch die bisherige "Spar"-Politik bereits schwer getroffenen Bevölkerung noch länger aufrechtzuerhalten. So erklärte Papandreou am Dienstagabend im griechischen Parlament, bevor er die Abgeordneten aufrief, ihrer "patriotischen Pflicht nachzukommen und ihm und seiner Regierung das Vertrauen auszusprechen, damit in der kommenden Woche das nächste "Spar"-Paket beschlossen werden kann, daß Griechenland andernfalls bankrottgehen und seine Unabhängigkeit verlieren würde. Doch welche Unabhängigkeit kann er meinen? Athen befindet sich längst in einer Zwangssituation, aus der heraus es - zumindest unter Aufrechterhaltung der genannten Grundparameter - kein Entkommen geben kann. Wenn die führenden EU-Staaten davon sprechen, Griechenland "helfen" zu wollen, ist damit die Absicherung ihrer eigenen Geldinstitute und Versicherungen gemeint, die in Griechenland investiert bzw. von der dortigen Finanznot profitiert haben.

Kennzeichnend für die gesamte Misere ist ein Bezichtigungsgefüge gegen Griechenland im allgemeinen wie auch im besonderen, das kein noch so abgegriffenes Klischee ausläßt und dessen Adressaten keineswegs die Bevölkerung Griechenlands, sondern die der übrigen EU-Staaten sind. Deren Interessen bzw. das, was von den in diesen Ländern lebenden Menschen mehrheitlich für ihre Interessen gehalten wird, müssen gegeneinander gestellt, genauer gesagt gegeneinander ausgespielt werden. Für die Durchführung der Gesamtmaßnahmen, die die administrativen Vordenker und Planer in Brüssel, Berlin und Paris ansteuern, ist eine völlige Ent-Solidarisierung der Bevölkerungen der armen und reichen EU-Staaten unverzichtbare Voraussetzung. Dies erscheint widersprüchlich, zumal die Kreditgewährungen, die stets mit Zwangsmaßnahmen verknüpft werden, die die Misere der betroffenen Bevölkerung noch verschärfen, als "Hilfen" bezeichnet und die in den reicheren EU-Staaten lebenden Menschen glauben machen sollen, ihre Regierungen bzw. die Troika aus EU, EZB und IWF täten alles nur denkbar Mögliche, um Griechenland (wie auch Portugal, Irland und alle weiteren, in Finanznöten steckenden EU-Staaten) zu unterstützen.

Statt dieser faktischen Entsolidarisierung den Zuschlag zu geben, wären die Menschen in den EU-Staaten gut beraten, die behaupteten Zusammenhänge zu hinterfragen und in Betracht zu ziehen, ob sie nicht im ureigensten Interesse gegen das den Griechen auferlegte Zwangsdiktat protestieren sollten. Anstatt zu glauben, wie von Medien und Politik in an Dreistigkeit kaum zu überbietender Deutlichkeit transportiert wird, daß "die faulen Griechen", die noch an Tote Renten zahlen, viel Ferien machen und dann auch noch früh in Rente gehen, "uns" auf der Haut lägen, wäre zu fragen, ob nicht in Griechenland ein Soziallabor zwangsdikatorischer Verhältnisse errichtet werde, das Zug um Zug auf alle EU-Staaten zur Anwendung gebracht werden könnte.

In Deutschland, Frankreich und den übrigen größeren EU-Staaten läßt sich der verhaltene Unmut über die dort ebenfalls im Aufbau befindlichen Systeme administrativer Armuts- und Elendsverwaltung bestens kanalisieren, indem die Bewohner südeuropäischer Länder mit den ihnen angeblich anhaftenden schlechten Charaktereigenschaften oder Gewohnheiten zur alleinigen Ursache einer Mangelentwicklung gemacht werden, die mit dem Wort Wirtschaftskrise noch schöngeredet und bagatellisiert werden würde, weil dieser Begriff eine große inhaltliche Nähe zu marktwirtschaftlichen Modellen mit zyklischen Konjunkturverläufen aufweist.

Die Vertrauenslüge, mit der der griechische Ministerpräsident Papandreou, der längst zum Erfüllungsgehilfen der genannten Troika geworden ist, den parlamentarischen Boden bereitet hat, um den Krieg gegen die eigene Bevölkerung vorzubereiten, sollte allen Menschen in der EU zu denken und zu Fragen Anlaß geben, um was für einen Moloch es sich bei dieser "Union" eigentlich handelt, der offensichtlich und entgegen ihrer vollmundigen Behauptungen weder in der Lage noch willens ist, ihre schwächsten Mitglieder solidarisch zu unterstützen. Das Wort Krieg wirkt in diesem Zusammenhang vielleicht überzogen, wurde jedoch vom neuen Finanzminister Griechenlands, dem innerparteilichen Rivalen Papandreous, Evangelos Venizelos, bereits benutzt. Der vorherige Verteidigungsminister ließ nach der jüngsten Kabinettsumbildung wissen, daß er sich mit ganzer Kraft der Umsetzung der Sparprogramme gegen die eigene Bevölkerung widmen werde; er ziehe, so Venizelos, "in den wahren Krieg".

Die EU unterdessen beschwört die griechische Regierung, den Protesten gegen ihren Sparkurs nicht nachzugeben. Am Montag machten die Finanzminister der Euro-Staaten die Auszahlung der nächsten Tranche in Höhe von 12 Milliarden Euro des angeblich bereits gewährten 110-Milliarden-Kreditpakets davon abhängig, daß das Parlament ein neues Sparpaket bis Ende Juni beschließt, andernfalls drohe dem Land der Staatsbankrott. Dem ersten Gesamtpaket solle dann ein weiteres im Rahmen von über 120 Milliarden Euro folgen. Konkret wird von Griechenland verlangt, und zwar zusätzlich zu den bereits vollzogen massiven "Spar"-Maßnahmen, die Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst in diesem Jahr um 800 Millionen Euro zu kürzen, 2012 um weitere 660 Millionen und in den Folgejahren um weitere Millionenbeträge. Weitere Arbeitsplätze sollen vernichtet werden, so soll nicht wie bisher für fünf scheidende Beschäftigte, sondern nur noch für zehn ein neuer eingestellt werden.

Nach den sehr konkreten Vorstellungen der Troika, die de facto die Oberhoheit über den griechischen Staat übernommen hat, sollen dessen Subventionen, Transfer- und Sozialleistungen ebenfalls noch weiter gesenkt werden. Wer angesichts eigener Probleme und einer keineswegs schleichend zu nennenden Verarmung hierzulande glaubt, auf die Griechen, Portugiesen, Spanier oder Iren mit einprügeln zu wollen, was angesichts der vorhersehbaren Zuspitzung, die die gewaltsame Durchsetzung des erzwungenen Spardiktats absehbar macht, keineswegs nur im übertragenen Sinne zu verstehen ist, bekundet auf diese Weise, daß die altbewährte Strategie der Herrschaft des Menschen über den Menschen, nämlich zu teilen und zu spalten, bei ihm gefruchtet hat.


22. Juni 2011