Schattenblick →INFOPOOL →EUROPOOL → MEINUNGEN

DILJA/007: Das hohle Versprechen "Freizügigkeit" - EU deckt Deportationen Frankreichs (SB)


Frankreich schiebt EU-Bürger - Roma - kollektiv und zu Tausenden ab

Klammheimliche Rückendeckung der EU und wirkungslose Proteste des europäischen Parlamentes angesichts rechtswidriger Deportationen


Am vergangenen Wochenende gab es in Frankreich Proteste gegen die von der französischen Regierung schon seit langem gegen die Minderheit der Roma rigoros betriebene Abschiebungspolitik. Zehntausende Menschen beteiligten sich allein in der französischen Hauptstadt an den Protestmärschen, die freilich vom Umfang her wenig später von den Demonstrationen gegen die am Dienstag beschlossene sogenannte Rentenreform, mit der das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre heraufgesetzt werden soll, noch deutlich übertroffen wurden. Neben umfangreichen und das ganze Land erfassenden Streiks gingen Millionen Franzosen auf die Straße, allein in Paris sollen es nach Angaben aus dem Innenministerium fast eine halbe Million Protestierende gewesen sein.

Fraglos ist die Kultur des zivilen Aufbegehrens und der Inanspruchnahme der politischen Teilhaberrechte wie eben Demonstrationen und (auch politische) Streiks im französischen Nachbarland weitaus weiter verbreitet als in Deutschland. So harrt in der Bundesrepublik die bange Frage, ob die Kommunistenverfolgung der Nachkriegszeit und eine allgemeine, durch den Niedergang der DDR noch befeuerte Linken-Hatz tatsächlich zu einer so starken Immunreaktion breiter Bevölkerungsschichten geführt haben könnte, daß selbst ein massivster Sozialabbau hierzulande nahezu komplikationsfrei durchgesetzt werden kann, noch der Beantwortung bzw. konstruktiven Debatte. Die Proteste gegen die Massenabschiebung der Volksgruppe der Roma haben in Frankreich jedoch neben den durchaus beeindruckenden Teilnehmerzahlen von rund 77.000 Demonstranten (nach Regierungsangaben) bzw. 100.000 (nach Angaben der Veranstalter) noch eine besondere Qualität.

Am vergangenen Samstag haben Zehntausende Menschen in Paris und 130 weiteren Städten Frankreichs gegen die Abschiebung der Roma demonstriert und damit an Protestkundgebungen teilgenommen, zu denen rund 50 Organisationen - Vereine, Gewerkschaften und linke Parteien - aufgerufen haben. Wenngleich die französische Regierung bereits zu Jahresbeginn die Deportationspolitik des Vorjahres fortgesetzt hatte und Angehörige der Roma in ihre Heimatländer Rumänien und Bulgarien abschob - wobei die Zahl der Deportierten in diesem Jahr bereits auf über 8000 angestiegen ist -, entzündeten sich die landesweiten Proteste erst an einer abermaligen Verschärfung dieser Ausweisungspolitik gegen diese nach Ansicht der herrschenden Elite des Landes offensichtlich unerwünschte Menschengruppe.

Im Juli hatte Staatspräsident Nicolas Sarkozy die Räumung von mehreren hundert als "illegal" bezeichneten Roma- und Landfahrer-Siedlungen angeordnet, was von den französischen Behörden binnen zweier Wochen generalstabsmäßig umgesetzt wurde. So teilte Innenminister Brice Hortefeux am 17. August mit, daß in den zurückliegenden beiden Wochen über 50 Roma-Siedlungen im ganzen Land aufgelöst wurden und weitere Räumungen, so beispielsweise in Marseille, noch bevorstünden. Anlaß oder vielmehr Vorwandslage für diese Maßnahmen, die alsbald in massenhafte Ausweisungen der betroffenen Roma nach Rumänien übergeführt wurden, waren gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und empörten Landfahrern in der Bretagne gewesen, zu denen es gekommen war, nachdem in Saint-Aignan ein fliehender junger Mann bei einer Verkehrskontrolle von der Polizei erschossen worden war.

In Rumänien, wo mit rund zwei Millionen die meisten der insgesamt zehn Millionen Roma Europas leben, wurden und werden die Vorgänge in Frankreich mit großer Aufmerksamkeit und nur zu begründeter Empörung verfolgt. So erklärte David Mark, Leiter der Bürgerallianz der Roma in Rumänien, einem Zusammenschluß von mehr als 20 Nichtregierungsorganisationen: "Weil vielleicht ein Prozent der Roma Verbrechen begehen und die Behörden außerstande sind, dem Einhalt zu gebieten, werden jetzt alle Roma kriminalisiert." [1] Es ist den rumänischen Roma beileibe nicht zu verdenken, daß sie sich durch diese Maßnahmen ad hoc an die Verfolgungen ihrer Volksgruppe in der NS-Zeit nicht nur erinnert fühlen, sondern wie Mark eine direkte Verbindung zwischen gestern und heute ziehen [1]:

Wir Roma werden immer verfolgt sein. Die ersten Schritte hat das deutsche NS-Regime unternommen und damit die weitere Richtung vorgegeben. Bis heute mißbrauchen Politiker Vorurteile gegen Roma zu ihren eigenen Zwecken. Darin liegt eine große Gefahr.

Diese Gefahr wird in Frankreich ganz offensichtlich von weitaus mehr Menschen als den unmittelbar Bedrohten und Betroffenen so empfunden, was die besondere Qualität der gegen die Roma-Deportationen der französischen Regierung gerichteten Massenproteste ausmacht. Viele Bürger Frankreichs haben sich ein Gefühl oder Bewußtsein - ganz gleich, wie man es nennen will - davon erhalten, daß derartige Maßnahmen gegen eine anhand welcher Kriterien auch immer marginalisierte und diskreditierte Menschengruppe die politischen Verhältnisse für alle Menschen in Frankreich fundamental verändern.

Wenn französische wie auch EU-weit geltende Rechte und Verfassungsgrundsätze so massenhaft und unverblümt mit Füßen getreten werden, wovon in erster Linie Menschen betroffen sind, von denen die französische Regierung glaubt, schadlos auf diese Weise mit ihnen umspringen zu können, geht damit ein massiver Verlust demokratischer Kultur und politischer Glaubwürdigkeit einher, der sich noch als Boomerang für Sarkozy erweisen könnte. Es wäre allerdings völlig verfehlt und mißgedeutet anzunehmen, daß es sich bei den Deportationen zulasten der einst auch als "fahrendes Volk" europaweit schlecht gelittenen Roma um einen französischen Sonderfall handeln würde.

Auch in anderen EU-Staaten wird derzeit massiv gegen Roma vorgegangen, so in Dänemark, Deutschland, Belgien, Großbritannien, Italien und Schweden. Frankreich nimmt einen traurigen Spitzenwert ein, steht jedoch keineswegs allein da in Hinsicht auf eine um sich greifende spezifische Diskriminierung, Kriminalisierung, Ausgrenzung und Abschiebung der Roma, die, so sie tatsächlich aus Rumänien oder Bulgarien stammen, mit ihrer Ansiedelung in einem der "alten" EU-Staaten nichts anderes getan haben, als das ihnen nach dem EU-Beitritt Rumäniens zustehende Recht der Freizügigkeit im gesamten Hoheitsgebiet der Union in Anspruch zu nehmen. In Italien beispielsweise war 2008, angeblich wegen der hohen Roma-Zuwanderung, bereits der Notstand ausgerufen worden.

Am Beispiel einer schon unter den schlimmsten Bedingungen des NS-Terrors stigmatisierten, verfolgten und in seiner Existenz vernichteten Volksgruppe wird im EU-Raum ein Exempel statuiert, das es nach den Buchstaben sowie jeglichem Sinngehalt der als demokratisches Vermächtnis Europas so hochgelobten "Reformverträge" gar nicht geben dürfte. Die Verletzungen vermeintlich verbriefter Rechte, kurzum das von vielen Menschen als großes Unrecht erlebte und bewertete Vorgehen, sind so extrem, daß sie die Akzeptanz der Europäischen Union und damit eines überstaatlichen Gebildes, das von sehr vielen Menschen in Europa ohnehin eher als ein bedrohlicher Moloch denn als eine schützende Übermacht angesehen wird, noch weiter zu beeinträchtigen drohen. Die EU-Oberen wären deshalb gut beraten, die an sie wie auch an die französische Regierung gerichteten Appelle und Proteste ernstzunehmen, doch danach sieht es weder in dem einen noch dem anderen Fall aus.

So brachte beispielsweise Rob Kushen, Exekutivdirektor des Europäischen Zentrums für die Rechte der Roma, die Kritik an der Ausweisungspolitik Frankreichs mit der Einschätzung auf den Punkt, daß dies ein Verstoß gegen das Recht auf freie Bewegung innerhalb der EU sei, wogegen sich Matthew Newman, Sprecher der EU-Kommission, mit den Worten verwahrte, es sei "nicht Aufgabe der Kommission, über Einzelfälle zu urteilen", dies sei Aufgabe der zuständigen Regierungen und Behörden [1]. Als Kommissionssprecher müßte Newmann Artikel 20 der EU-Verträge (genauer gesagt der Konsolidierten Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, [2]) kennen, in dem es heißt:

(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsangehörigkeit hinzu, ersetzt sie aber nicht.

(2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem
a) das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;
(...)

Die gegen die Roma kollektiv und ohne Einzelfallprüfung durchgeführte Ausweisungspolitik Frankreichs stellt eben nicht eine Häufung von Einzelfällen dar, für die die EU-Kommission für sich in Anspruch nehmen könnte, in keiner Weise zuständig zu sein. Die Proteste gegen diese Politik Frankreichs haben sich über die Landesgrenzen hinweg nach London, Brüssel, Madrid, Barcelona und Lissabon ausgedehnt, wo Demonstranten ihren Protest vor die französischen Botschaften brachten. Diese Frage ist, ob das offizielle Brüssel sich nun heraushalten zu können glaubt oder nicht, längst eine europäische geworden, um nicht zu sagen eine internationale. Bei den Vereinten Nationen hat der zuständige Ausschuß für die Beseitigung von Diskriminierung bereits am 27. August die französische Regierung offiziell aufgefordert, keine weiteren Gruppen von Roma mehr abzuschieben und kritisierte, daß Frankreich, anstatt die Umstände jedes einzelnen Betroffenen zu prüfen, die Roma "auf Gemeinschaftsbasis" in ihre Heimatländer zurückschicke.

Appelle und Proteste dieser Art verpufften bislang vollkommen wirkungslos. Die französische Regierung arbeitet stattdessen an einer Neufassung des Einwanderungsgesetzes, um eine abermalige Rückkehr der Deportierten - von den im Jahre 2009 insgesamt 10.000 abgeschobenen Roma sollen zwei Drittel bereits wieder nach Frankreich zurückgekehrt sein - zu verhindern. Die wenn auch handzahme Aufforderung der EU-Kommission, die Rechte und Freiheiten der EU-Bürger zu respektieren, beantwortete Einwanderungsminister Eric Besson mit der Bemerkung, daß Frankreich in Sachen Abschiebungen keine Belehrung anzunehmen bräuchte. Den nur zu gut begründeten Standpunkt, daß diese Politik kollektiver Abschiebungen französisches wie europäisches Recht verletzten, vertritt auch der Flüchtlingsbeauftragte des Vatikan, Kurienerzbischof Agostino Marchetto, doch selbstverständlich ficht auch dies die Pariser Regierung nicht an. Der französische Innenminister Hortefeux erklärte am 26. August, dem Kurienerzbischof darlegen zu wollen, daß seine Regierung nur geltendes Recht umsetze, und zwar europäisches. Dies sieht die Justizkommissarin der EU, Viviane Reding, anders, erklärte sie doch am 2. September nach Angaben der ARD, daß Massenausweisungen ohne Einzelfallprüfungen gegen geltendes EU-Recht verstießen.

Von verbalen Protestnoten und mahnenden Worten abgesehen hat die EU bislang keinerlei Maßnahmen ergriffen, um dieser Rechtsverletzung entgegenzuwirken. Ab dem 3. September wollte die EU-Kommission mit der französischen Regierung über die Ausweisungspolitik gegen die Roma sprechen, doch dabei steht zu befürchten, daß die Kommission, wie Paris von ihr verlangt, sich in die Deportationspolitik sogar noch einbinden läßt, anstatt ihr aktiv entgegenzutreten. Der französische Innenminister Hortefeux hatte die Ausweisungen mit der angeblich hohen Straffälligkeit von Rumänen begründet, um der Kritik, daß es sich bei den Kollektivausweisungen gegen Roma um massivste Diskrimierungen handelt, entgegenzutreten. Es gehe nicht darum, Roma auszuweisen, weil sie Roma sind, so Hortefeux, dessen Regierung die EU-Kommission noch im August aufforderte, die Auswanderung der Roma in andere EU-Staaten zu verhindern und dafür zu sorgen, daß die vier Milliarden EU-Hilfe, die Rumänien aus Brüssel erhielte, für die Eingliederung der Roma in die dortige Gesellschaft eingesetzt werden würden.

Mit der versprochenen und in den Unionsverträgen niedergelegten Freizügigkeit ist all dies selbstverständlich nicht zu vereinbaren. Die Europäische Union ist, will man ihren Reformverträgen Glauben schenken, dazu gehalten, wie es in Artikel 3 Abs. 3 der Konsolidierten Fassung des Vertrags über die Europäische Union heißt, "soziale Ausgrenzung und Diskrimininierungen" zu bekämpfen, den "wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten" zu fördern und "für den Schutz und die Entwicklung des kulturellen Erbes Europas" zu sorgen [3]. In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind desweiteren Bestimmungen niedergelegt, aus denen sich eine Verpflichtung der Union ableiten ließe, die in Europa lebenden Roma, so sie noch immer in der Tradition des "fahrenden Volkes" stehen, als gefährdete Kultur einem besonderen Schutz zu unterstellen und nicht eigens auf sie zugespitzter repressiver Maßnahmen zu unterwerfen.

In der EU-Grundrechtecharta stehen desweiteren Artikel, die den Kollektivausweisungen diametral entgegenstehen. In Art. 6 ist festgeschrieben, daß jeder Mensch "ein Recht auf Freiheit und Sicherheit" habe. In Art. 19 heißt es klipp und klar: "Kollektivausweisungen sind nicht zulässig", während in Art. 21 Abs. 1 der Grundsatz der "Nichtdiskriminierung" noch einmal explizit aufgeführt wurde mit den Worten [4]:

Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.

In dieser Auflistung einschlägiger Artikel der EU-Grundrechtecharta darf schlußletztendlich die in Art. 45 niedergeschriebene "Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit" nicht fehlen, in der es in Abs. 1 unmißverständlich heißt:

Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.

Die Verfasser bzw. Autoren dieser, wenn man so will, europäischen Grundrechte hätte Sätze dieser Art wohl kaum in die Grundrechtecharta geschrieben, ohne Vorsorge zu treffen für den Fall, daß die Inanspruchnahme der angeblich gewährten Rechte den Interessen der nationalen Exekutiven bzw. der EU selbst entgegensteht. Und so darf unter Art. 52 zu "Tragweite und Auslegung der Rechte und Grundsätze" das berühmt-berüchtigte Hintertürchen verstanden werden, heißt es doch dort in Abs. 1:

Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

Da sich die französische Regierung mit ihren Spießgesellen in der EU ungeachtet der mahnenden Worte aus Brüssel im Kern darüber einig sein dürfte, daß die Roma aus Rumänien und Bulgarien dort bleiben bzw. dorthin zurückkehren sollen, wo sie nach dem EU-Beitritt ihres Landes hergekommen sind, wird im Zweifelsfall behauptet werden, daß es sich bei den als Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung ausgewiesenen Deportationen um "erforderliche" Einschränkungen der in der Charta verbrieften Rechte handeln würde, die zudem "den von der Union anerkannten und dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen" entsprächen. Doch diese Annahme ist der gegenwärtigen Entwicklung vorweggegriffen. Der derzeitige Stand in der Europäischen Union sieht so aus, daß das EU-Parlament in einer am 9. September beschlossenen Entschließung die kollektiven Abschiebungen der Roma als Verletzung der Grundrechtecharta der EU verurteilt hat.

Das Strasbourger Parlament erhob an Frankreich und "andere Mitgliedstaaten" die Forderung, alle Ausweisungen von Roma "unverzüglich auszusetzen" und bekundete seine tiefe Besorgnis über die "hetzerische und offen diskriminierende Rhetorik" [5] im Zuge der Diskussion über diese Abschiebungspolitik. Diese Entschließung beruht auf einer breiten parlamentarischen Mehrheit, da der Resolutionsentwurf von 337 Abgeordneten aus den Reihen der Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken angenommen wurde, während 245 Abgeordnete aus dem konservativen Lager dagegen stimmten. In den kommenden Tagen, Wochen und Monaten wird sich anhand dieses Beispieles herausstellen, wie die Kräfteverhältnisse zwischen dem Parlament und damit der direktesten Vertretung der EU-Bürger und den eigentlich entscheidungsbefugten Gremien wie der EU-Kommission tatsächlich verteilt sind.

Da das Parlament bestenfalls die Vorschläge der Kommission "prüft" und mit dem Rat am Gesetzgebungsverfahren teilnimmt, ist unschwer vorherzusagen, daß das jüngste Votum des Strasbourger Parlaments gegen die Massenabschiebung der Roma ohne nennenswerte Folgen bleiben wird. Die französische Regierung wird mit ihrer Politik fortfahren (können), zumal sie sich des Konsenses mit den übrigen maßgeblichen EU-Staaten ebenso sicher sein kann wie der Tatsache, daß die verbalen Appelle und Proteste aus Brüssel angesichts der massenhaften Proteste in Frankreich wie auch international allein der Brüsseler Imagepflege dienen sollen.

Anmerkungen

[1] Abgeschoben und kriminalisiert, EU-Staaten machen Jagd auf Roma, von Claudia Ciobanu, Bukarest (IPS), junge Welt, 17.08.2010, S. 7

[2] Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (2008/115/01), Amtsblatt der Europäischen Union, 9.5.2008, DE; hier der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Zweiter Teil (Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft)

[3] Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäische Union (2008/115/01), Amtsblatt der Europäischen Union, 9.5.2008, DE; hier der Vertrag über die Europäische Union, Erster Teil (Gemeinsame Bestimmungen)

[4] Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Gesetzgebungsakte und andere Rechtsinstrumente. Rat der Europäischen Union. Brüssel, den 26. November 2007, 15535/07, INST 147, DE

[5] EU-Parlament geißelt Roma-Ausweisungen, junge Welt, 10.09.2010, S. 1

10. September 2010