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DILJA/002: Merkel macht mobil - Souveränität verarmter EU-Staaten angegriffen (SB)


Deutsche Kanzlerin möchte die EU in ein Zwangsverwaltungssystem wandeln

Verarmten EU-Staaten droht die völlige Preisgabe ihrer Souveränität


In den zurückliegenden Wochen und Monaten konnte im Zuge der Krise um das hochverschuldete und vor dem Staatsbankrott stehende Griechenland in der gesamten EU die Auffassung durchgesetzt werden, daß die finanziellen Probleme des kleinen Mitgliedslandes die wirtschaftliche und damit auch politische Stabilität der gesamten EU bzw. des Euroraumes gefährden würden. Längst hat sich insbesondere in den führenden Kern-EU-Staaten und innerhalb dieser am eklatantesten in der Bundesrepublik Deutschland eine Haltung gegenüber Griechenland, aber auch der meisten übrigen südeuropäischen EU-"Partner" durchgesetzt, die zwischen arrogant und offen aggressiv bewertet werden muß. Diese von Politik und Konzernmedien strikt befolgte Linie stellt einen Akt der Vorwärtsverteidigung dar, damit angesichts einer massiven Dauerbezichtigung der griechischen Regierung oder/und gleichermaßen auch der griechischen Bevölkerung, die ja wohl offenkundig "über ihre Verhältnisse gelebt" habe, niemand mehr auf die Idee käme, nach dem Zusammenhang zwischen der griechischen Misere und dem (wenn auch 2009 an China abgetretenen) Exportweltmeistertitel Deutschlands zu fragen.

Gegenwärtig wird an Griechenland durchexerziert, was aller Voraussicht nach auch allen übrigen EU-Staaten an der Peripherie zu drohen scheint, nämlich eine Schuldknechtschaft, bei der die ausgehandelten Bedingungen für gewährte Kredite sich nicht auf dessen Laufzeit und Rückzahlungsmodalitäten beziehen, sondern weit darüber hinausgreifen. Wer sich wie derzeit die griechische Regierung in der alternativlosen Zwangslage sieht, auf Kreditgewährung seitens der EU in Verbindung mit dem IWF staatsexistentiell angewiesen zu sein, wird glauben, nahezu jeder Knebelbedingung zustimmen zu müssen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel machte solchen Befürchtungen alle Ehre und kündigte am Wochenende schon einmal an, daß EU-Staaten, die sich verschulden, künftig mit drastischeren Maßnahmen rechnen müßten [1]. Bekanntlich sieht der Stabilitäts- und Währungspakt, durch den die Stabilität des Euro mit oberster Priorität durchgesetzt werden soll, wodurch diesem marktwirtschaftlichen Theoriekonstrukt absoluter Vorrang vor der Gewährleistung eines ausreichenden Lohnniveaus sowie der Garantie eines seine Ansprüche tatsächlich erfüllenden Systems sozialer Sicherungen eingeräumt wird, als Strafmaßnahmen im Defizitverfahren die Verhängung von Geldbußen vor, wodurch sich der Schuldenberg verarmter Mitgliedsländer weiter erhöhen würde.

Dies böte den reicheren EU-Kernstaaten keinen unmittelbaren Vorteil, solange sie die finanzielle (Kredit-) Abhängigkeit ihrer verarmten "Partner" nicht in direkte Verfügungsgewalt diesen gegenüber umsetzen können. Dies allerdings schwebt der Bundeskanzlerin nun vor. Bei Regelverstößen, worunter ja wohl "Verstöße" gegen den Stabilitäts- und Währungspakt, der allen Mitgliedsstaaten eine Neuverschuldungsobergrenze von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorschreibt, was auch Deutschland nicht einhält, zu verstehen sind, soll den Regierungen der betroffenen Staaten künftig das Stimmrecht in den EU-Gremien entzogen werden können.

Sollte sich die deutsche Bundesregierung mit ihren Vorschlägen durchsetzen können, wird darüberhinaus der Grenzwert, der nicht weniger als die völlige Preisgabe der demokratischen Teilhabe des betreffenden Staates und seiner Bevölkerung in der EU zur Folge hätte, noch weiter abgesenkt werden. Merkel sprach in ihrer wirtschaftspolitischen und zwangsadministrativen Mobilmachung davon, daß die künftig in der EU tolerierte Staatsverschuldung bei nur noch 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen sollte [1]. Für Mai kündigte die Bundeskanzlerin die Einberufung einer Arbeitsgruppe, bestehend aus den Finanzministern, an, deren Aufgabe darin bestehen soll, die entsprechenden Gesetzesvorlagen vorzubereiten.

Allem Anschein nach wähnt sich die deutsche Regierung bereits in einer Position, die es ihr gestattet, ihre diesbezüglichen und keineswegs innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten konsensfähigen Vorstellungen gegen etwaige Widerstände durchzusetzen. Dabei propagiert sie die Aufkündigung eines Demokratieversprechens, das im Rahmen der EU und der von ihr just durchgebrachten verfassungsähnlichen Grundlagen ohnehin nur unzulänglich durchgesetzt wurde, krankt doch die EU-Administration seit dem Inkrafttreten der Lissabon-Verträge an einem institutionalisierten Übergewicht speziell Deutschlands, dessen Stimmanteil im Europäischen Rat verdoppelt werden konnte, ohne daß die Bundesrepublik sich im gleichen Umfang stärker zur Kasse bitten lassen wollen würde.

Sollten Merkels Vorschläge tatsächlich Gestalt annehmen, würde sich die Mitgliedschaft in der EU und in der Eurozone für Griechenland und viele weitere Peripherie-Staaten als ein Alptraum erweisen, der die schlimmsten Befürchtungen der Beitritts- und EU-Verfassungsgegner noch übertreffen könnte, da schon bei einer recht geringfügigen Neuverschuldung die starken Kräfte in Brüssel das Land in eine Art Zwangsadministration überführen und dessen eigene Regierung zum bloßen Erfüllungsgehilfen degradieren würden, dem seinerseits jegliche Teilhabe am Brüsseler Geschehen verwehrt wird, so daß mit ihm erst recht ganz so umgesprungen werden kann, wie es dem Interesse der reicheren Kern-EU-Staaten bzw. der diese dominierenden imperialistischen Kräfte zweckdienlich wäre.

[1] Die deutsche Frage, german foreign policy, 03.05.2010

4. Mai 2010