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GENFRUCHT/001: Nein wird schnell zum Ja - Kontroverse über EU-Gen-Food-Papier (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2010

Ernährung: Nein wird schnell zum Ja - Kontroverse über EU-Gen-Food-Papier

Von David Cronin


Brüssel, 15. Juli (IPS) - Einem Vorschlag der Europäischen Kommission zufolge sollen die EU-Mitgliedstaaten künftig selbst über den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen entscheiden. Demnach dürften sie sich sogar gegen Gen-Nahrungsmittel entscheiden, die in der EU zugelassen sind. Doch aus EU-Kreisen ist zu hören, dass das Papier, sollte es von den EU-Staaten gebilligt werden, den Zustimmungsprozess für genmanipulierte (GM) Nahrungsmittel eher beschleunigen als abbremsen wird.

Dem EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz John Dalli zufolge erlaubt der Vorschlag den EU-Ländern zwar nicht, GM-Nahrungsmittel aus Gesundheits- oder Umweltgründen zu verbieten, da die Risikobewertung Sache einzelner EU-Institutionen ist. Wohl aber könnten sie aus moralischen und ethischen Gründen unilaterale Verbote aussprechen.

Doch nach Ansicht von Rechtsberatern der Umweltorganisation 'Friends of the Earth' ließe sich das ethisch-moralische Argument von den Biotechnologieunternehmen vor Gericht leicht anfechten. Zu dieser Einschätzung wollte Dalli keine Stellung beziehen, wies aber darauf hin, dass sie von der Meinung EU-interner Juristen abweiche. "Das sollen die Anwälte ausfechten", sagte er gegenüber IPS. "Ich bin kein Anwalt."

Grüngruppen zufolge hat der neue Vorschlag wenig mit dem Appell der EU-Umweltminister von 2008 an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zu tun, die langfristigen Auswirkungen von GM-Pflanzen auf die vielen unterschiedlichen europäischen Ökosysteme zu untersuchen und die Risiken von Gen-Food durch ein von Biotechnologieunternehmen unabhängiges Gremium prüfen zu lassen.


Gen-Food durch die Hintertür

Greenpeace wies darauf hin, dass der EU-Kommissionschef José Manuel Barroso seit seiner Ernennung 2004 bereits vier Mal Anlauf genommen hat, um die EU-Regierungen zu einer Zulassung neuer GM-Nahrungsmittel zu überreden. Seine Niederlage habe er nun durch die Präsentation eines Kompromisses eingestanden.

Als Versuch, sich mit seiner Pro-GM-Agenda durchzuwurschteln, stelle er einzelnen Ländern nationale Verbote in Aussicht, wenn sie sich im Verlauf des EU-Genehmigungsprozesses gegenüber Gesundheits- und Sicherheitswarnungen taub stellten, so Greenpeace. "Doch individuelle Verbote können ein wissenschaftlich solides EU-Sicherheitsverfahren keinesfalls ersetzen."

Der neue Vorschlag folgt nach dem in diesem Jahr gescheiterten Versuch der Europäischen Kommission, den Zustimmungsprozess wiederzubeleben. Im März hatte die Kommission die BASF-Gen-Kartoffel 'Amflora' als erstes neues Gen-Nahrungsmittel in mehr als einem Jahrzehnt zugelassen.

In den EU-Staaten Luxemburg, Österreich und Ungarn ist der Anbau der Knolle verboten. Deutschland, Frankreich und Griechenland haben sich inzwischen Österreich und Luxemburg angeschlossen und verbieten den Anbau des von der US- Biotechnologiefirma patentierten Mon-810-Mais.

Die EU-Kommission hofft dennoch, dass in nächster Zeit zehn neue GM-Pflanzen auf europäischen Feldern ausgebracht werden. Vier dieser Produkte -allesamt Maisvarietäten - wurden bereits von der EFSA zugelassen. In einigen Fällen liegt die Zulassung bereits mehr als fünf Jahre zurück.

Biotechnologiefirmen haben mit Unmut auf den neuen EU-Vorschlag reagiert. Carel de Marchie Sarvaas von der Handelsvereinigung 'EuropaBio' zufolge wird den einzelnen Regierungen damit eine Blankokarte in die Hand gegeben, sichere und zugelassene GM-Pflanzen unabhängig von den Wünschen der lokalen Bauern zu verbieten.

EuropaBio führt derzeit eine Reihe von Gesprächen mit der Kommission über die Frage, wie sich der Stillstand im Zustimmungsprozess beheben lässt. Den Treffen, an denen auch Beamte der EFSA im italienischen Parma teilnehmen, war ein Schreiben von EuropaBio an Barroso 2006 vorausgegangen. Darin hieß es, die ablehnende Haltung einiger EU-Regierungen gegenüber GM-Nahrungsmittel nehme der Industrie die Chance, den sozialen Nutzen von Gen-Food unter Beweis zu stellen.


Gefahr der Verunreinigung nicht gebannt

Friends of the Earth hat derweil die EU-Mitgliedstaaten aufgefordert, den neuen Vorschlag abzulehnen. Er werde nicht verhindern, dass organische und andere nicht genetisch manipulierte Agrarpflanzen genetisch verunreinigt werden. So bestehe die Gefahr, dass der Wind Spuren von GM-Pflanzen auf Felder wehe, die bisher gen-frei seien.

Während die Europäische Kommission mit ihrem Vorschlag den Eindruck erwecke, dass EU-Staaten den Anbau von Gen-Food verbieten könnten, gehe es eigentlich darum, die Felder für GM-Pflanzen zu öffnen, warnte Mute Schimpf von Friends of the Earth. Sie wirft der Kommission Versagen vor, "Europas Nahrungsmittel und Viehfutter von der Verunreinigung mit GM-Pflanzen zu schützen". (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010