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FISCHEREI/006: Die Erholung übernutzter Fischbestände (FR)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2009
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Die Erholung übernutzter Fischbestände
Erste Ergebnisse eines europäischen Verbundprojektes

Von Cornelius Hammer und Andreas Dänhardt (Rostock)


Gute Fischereipolitik sollte vier Hauptziele erreichen: Nachhaltigkeit in der Bewirtschaftung von Fischbeständen, Schutz der Meeresumwelt, Sicherung des wirtschaftlichen Fortbestandes der Fangflotten und nachgeschalteter Industriezweige sowie die langfristige Verfügbarkeit hochwertiger Produkte für den Verbraucher. Mit dem EU-Projekt UNCOVER wird ein neuer Ansatz verfolgt, diesen Zielen näher zu kommen.


Das Problem

Heute wird den Meeren zu viel Fisch entnommen. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind 28% der Fischbestände überfischt, 51% werden an ihrer Kapazitätsgrenze bewirtschaftet. Lediglich 21% der Bestände würden einen größeren Nutzungsdruck verkraften. Frühere Versuche, die Fischerei durch Fangquoten und technische Regularien zu kontrollieren, sind oft fehlgeschlagen. Zu dem Schaden an den Fischbeständen selbst kommen Verdiensteinbußen der Fischer, die Störung ökologischer Gleichgewichte und die Gefahr, dass die Nachfrage nach Fischprodukten nicht mehr hinreichend befriedigt werden kann.

Aus europäischen Gewässern werden pro Jahr mehr als 10 Millionen Tonnen Meeresorganismen angelandet im Wert von ca. 10 Millarden Euro (durchschnittlicher Bruttoertrag 1999-2002). Das Zusammenwirken von Überfischung und Missmanagement mit ungeeigneten Wiederaufbaustrategien bedroht diese Einkommensquelle und verringert potenzielle Gewinne.

Die nachhaltige Nutzung mariner Ökosysteme und ihrer Ressourcen in Europa ist Gegenstand zahlreicher Abkommen und Gesetzeswerke, darunter die Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt im Nordostatlantik (OSPAR) und in der Ostsee (HELCOM), die EU-Wasser-Rahmenrichtlinie, die EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie und das Grünbuch zur Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU-Kommission. Die GFP fordert explizit die Anwendung von Wiederaufbauplänen für Fischbestände, die außerhalb sicherer biologischer Grenzen bewirtschaftet werden.

Darüber hinaus ist die EU auch den Zielen des Weltgipfels für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg verpflichtet. Die dort gefassten Beschlüsse sehen den Wiederaufbau übernutzter Fischbestände bis zum Jahr 2015 vor.


Der Projektansatz

Manche Bestände erholen sich gemäß den Vorhersagen, andere nicht. Die Gründe dafür herauszufinden, ist das Ziel des Forschungsprojektes "Understanding the Mechanisms of Stock Recovery", UNCOVER. Seit seinem Beginn im Jahr 2006 hat UNCOVER - eines der größten Fischereiforschungsprojekte des 6. EU-Forschungsrahmenprogrammes mit einem Fördervolumen von über 3,5 Millionen Euro - mehr als 100 Wissenschaftler aus 17 Forschungseinrichtungen in neun Ländern damit beschäftigt, Empfehlungen für den Wiederaufbau übernutzter Fischbestände in Europa und darüber hinaus zu erarbeiten. Das Projekt wird am Institut für Ostseefischerei des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) in Rostock koordiniert.

UNCOVER wurde nicht für die Sammlung neuer Daten konzipiert. Ein zentraler Ansatz ist vielmehr, bereits verfügbare Daten und Informationen sowohl aus abgeschlossenen als auch aus laufenden EU-Projekten zu nutzen und zusammenzuführen. Auf diesem Wege sollen klare Handlungsempfehlungen entwickelt werden, wie mit überfischten Beständen in europäischen Gewässern weiter verfahren werden soll. Anhand von vier Fallstudien werden Fischbestände von gleichermaßen kommerzieller wie ökologischer Bedeutung untersucht:

• arktischer Kabeljau, norwegischer Hering (Frühjahrslaicher) und Lodde in der Barentssee;
• Kabeljau, Hering und Scholle in der Nordsee;
• östlicher Dorsch und Sprotte in der Ostsee sowie
• Seehecht und Sardelle in der Biskaya.

Die Bestandsstruktur und der Reproduktionserfolg von Fischen, ihre physikalische Umwelt und Räuber-Beute-Beziehungen sind in ihrem Zusammenwirken seit langem als treibende Kräfte der Populationsdynamik bekannt. Sie sind letztlich auch der Schlüssel zur Erholung der Bestände. Diese biologische Realität findet sich im konzeptionellen Aufbau von UNCOVER wieder.

Es werden Modelle eingesetzt, um in jedem der vier Seegebiete den Einfluss des Bestandszusammenbruchs auf die Migrationsmuster und die Verteilung der Zielarten in Zeit und Raum zu beschreiben. So kann eingeschätzt werden, welches Potenzial die betrachteten Bestände haben, sich erfolgreich fortzupflanzen und sich schließlich von der Übernutzung zu erholen.

Die vorhandenen biologischen Informationen werden genutzt, um Prozessmodelle zu entwickeln, mit deren Hilfe verglichen, getestet und bewertet werden soll, welche Management-Maßnahmen sich am besten eignen, Fischbestände nachhaltig zu bewirtschaften. Diese Modellszenarien sollen zeigen, wie robust Strategien zur Bestandserholung gegenüber veränderten Annahmen über biologische und ökologische Zusammenhänge oder bestimmten Fischereipraktiken und Management-Maßnahmen sind.

Ein Managementplan ist immer nur so gut wie seine Umsetzung, die letztlich davon abhängt, ob und wie weit die Fischer Regeln befolgen. Wie beeinflussen Vorschriften die kurzfristigen und langfristigen Entscheidungen der Fischer und damit letztlich die fischereiliche Sterblichkeit? Auch sozioökonomische Fragen stehen im Raum: Wie wirken sich Management-Maßnahmen auf die Lebensqualität von Personen in Küstenregionen aus? Ein Teilbereich von UNCOVER, der sich mit den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen von Wiederaufbauplänen für Fischbestände befasst, soll hier Antworten finden.

Ein Projekt von der Größe von UNCOVER bietet den Vorteil, dass alle relevanten Themenbereiche abgedeckt werden und dadurch an ganzheitlichen Lösungen gearbeitet werden kann. Modelle werden interaktiv entwickelt und können auf reale Ökosysteme und reale Gesellschaftssysteme angewendet werden.


Ausgewählte Ergebnisse

Sechs Monate vor Projektabschluss gibt es aus jedem der vier untersuchten Seegebiete bereits interessante und bedeutsame Ergebnisse. So ist es zum Beispiel möglich, Veränderungen in der räumlichen Verteilung von Fischpopulationen zu erklären. Beim Nordseekabeljau zeigte sich ein starker, positiver Zusammenhang zwischen der Größe und dem Verbreitungsgebiet des Bestandes, woraus folgt, dass diese Art bei hoher Bestandsgröße ein größeres Gebiet nutzt als bei geringer Bestandsgröße. Die Bestandsgröße wiederum unterliegt vielfältigen Einflüssen, unter anderem der Fischerei.

Auch die Demografie wirkt sich auf die Struktur von Fischpopulationen aus. Seit langem ist bekannt, dass sich Überwinterungsgebiete großräumig verlagern können. Analysen in der Barentssee, die im Rahmen von UNCOVER durchgeführt wurden, haben gezeigt, dass beim Hering räumliche Verschiebungen der Überwinterungsgebiete immer dann auftreten, wenn starke Nachwuchsjahrgänge in den Adultbestand "hineinwachsen". Es zeigte sich, dass der Quotient aus vier- bis fünfjährigen und älteren Heringen ein gutes Maß für die Wahrscheinlichkeit von Änderungen der räumlichen Verteilung ist, die allein auf Grundlage des Verhältnisses zwischen Jungheringen und ihrer älteren Artgenossen berechnet werden kann.

Die räumliche Verteilung hat weitere Facetten. Markierungsversuche haben gezeigt, dass es beim Nordsee-Kabeljau offenbar zwei verschiedene räumliche Verhaltensmuster gibt: eine begrenzte Ausbreitung während der Wandersaison und eine gerichtete und signifikante Fortbewegung vom Punkt der Freisetzung, gefolgt von einer Rückkehr zum Ort der Freisetzung zur nächsten Laichsaison.

Im Ökosystem hat die Verteilung einer Art auch Folgen für andere Arten. Sie bestimmt zum Beispiel den Grad der Überlappung zwischen Räuber und Beute. Durch Berücksichtigung dieser raum-zeitlichen Überlagerung als Voraussetzung für Räuber/Beute-Interaktionen ist es möglich geworden, mit Mehrartenmodellen die Realität besser abbilden zu können. Ein Beispiel: In älteren Lehrbüchern über Fischverhalten steht, dass Fische sich zu Schwärmen zusammenschließen, weil sich dadurch das Risiko verringert, gefressen zu werden. Wo die Räuber selbst sich in der Nähe solcher Beuteaggregationen konzentrieren, kann sich ein Schwarm schnell als Katastrophe für die Fische erweisen, die eigentlich Schutz gesucht haben. Untersuchungen im Rahmen der EU-Projekte BECAUSE und UNCOVER konnten dies demonstrieren: Eine Ansammlung von mehr als 50 Millionen junger Kabeljau wurde innerhalb von nur fünf Tagen von Wittlingen weggefressen, die sich auf einer Fläche von 18 km² um die jungen Kabeljau versammelt hatten. Rein rechnerisch würden lediglich 32 Ereignisse dieser Größenordnung genügen, um einen durchschnittlichen Jahrgang des Nordsee-Kabeljaus zu eliminieren. Das lässt erahnen, welche ökosystemare Tragweite hochintensive, jedoch kleinskalige Prädationsereignisse haben können. Erkenntnisse aus dieser Studie fanden Eingang in Modelle zur Nahrungsselektion und führten zu deutlich verbesserten Resultaten.

Neben der Biologie und der Ökologie ist die sozioökonomische und politische Dimension der Bestandserholung ein weiterer wichtiger Aspekt von UNCOVER. Die Analyse von Managementplänen aus verschiedenen Regionen der Welt zeigte, dass die schnelle und beherzte Verringerung der Fangmengen zu Beginn des Erholungsprozesses eine Schlüsselrolle spielt bei der Fähigkeit von Populationen, sich zu erholen. Der Wiederaufbau ist effektiver, wenn der Plan dazu in einen Verwaltungsakt integriert ist und automatisch in Kraft tritt, sobald zuvor definierte Referenzpunkte erreicht werden. Ein erfolgreicher Wiederaufbau ist auch wahrscheinlicher, wenn eine Reduktion des Fangaufwandes durch Fangzeitbeschränkungen oder die, Stilllegung von Fischereifahrzeugen erzielt werden anstatt durch Quoten und wenn die Periode reduzierten Fangaufwandes mit überdurchschnittlich guter Rekrutierung zusammenfällt.

Wie eine Wiederaufbaumaßnahme auch scheitern kann, wurde in der östlichen Ostsee durch die Rückverfolgung der Driftwege von Dorschlarven mittels hydrodynamischer Modellierung deutlich. Es zeigte sich, dass ein bestehendes Meeresschutzgebiet sich nicht mit dem Herkunftsgebiet von Dorschbrut mit hohen Überlebensraten deckte. Die erwachsenen Tiere, die Larven mit guten Überlebenschancen hervorbrachten, wurden durch das Meeresschutzgebiet nicht effektiv vor Befischung geschützt. Tatsächlich ist das bestehende Meeresschutzgebiet nicht nur ineffektiv, es könnte sich sogar als kontraproduktiv erweisen durch die Verlagerung der Fischerei an die Grenzen des Meeresschutzgebietes genau in die Laichgebiete adulter Dorsche, die "erfolgreichen" Nachwuchs erzeugen.


Die Werkzeuge

Die Modelle, die in UNCOVER entwickelt und eingesetzt wurden, können die Zukunft natürlich nicht vorhersagen. Sie können jedoch Szenarien liefern, die eine hohe Wahrscheinlichkeit haben, tatsächlich einzutreten. Hydrodynamische Modelle können potenzielle Aufwuchsgebiete vorhersagen, zum Beispiel durch die Rückverfolgung überlebender Jungfische. Diese Informationen können sich dann bei der Einrichtung von Meeresschutzgebieten und ihrer Qualitätskontrolle als nützlich erweisen. Individuenbasierte Modelle stehen zur Verfügung, um die Herkunft einzelner Larven, zum Beispiel aus Forschungsfängen, zu identifizieren, um dann für die Laichgebiete spezifische Überlebensraten der Larven angeben zu können. Räumliche Modelle können die Veränderlichkeit von Wanderbewegungen unter variierenden Bestandsgrößen (z. B. bei Zusammenbruch und Regeneration) und klimatischen Bedingungen beschreiben. Operationale Modelle geben Hinweise auf das Reproduktionspotenzial, die Genetik, die Verteilung und Wanderungen eines Bestandes unter verschiedenen Bestandsgrößen und Umweltbedingungen. UNCOVER ist ein integratives Projekt - durch die Kopplung verschiedener Modelle oder den parallelen Einsatz unabhängiger Modelle mit derselben Zielsetzung wird es möglich, die Qualität und Realitätsnähe der Aussagen zu erhöhen. Die Ergebnisse müssen allerdings fortlaufend durch reale Daten überprüft werden.

Anfang 2011 läuft das Projekt aus. Die gewonnen Einsichten und die Empfehlungen für zukünftige Regenerationsmaßnahmen sind im November 2009 auf einem internationalen Symposium in Rostock/Warnemünde vorgestellt worden. Präsentationen und darauf folgende Diskussionen haben dazu beigetragen, die wahrscheinlich schwierigste aber nichtsdestotrotz wichtigste Aufgabe zu bewältigen: Die Synthese aller Projektergebnisse und ihre Übersetzung in klare Handlungsempfehlungen. Diese Empfehlungen müssen dann von der EU und schließlich von den Fischern umgesetzt werden, um die Situation schnell und nachhaltig zu verbessern, die ein Projekt wie UNCOVER erst erforderlich n gemacht hat.


Info: Mehr Informationen unter www.uncover.eu


vTI
PD Dr. Cornelius Hammer,
Dipl.-Biol. Andreas Dänhardt,
Johann Heinrich von Thünen-Institut,
Institut für Ostseefischerei,
Alter Hafen Süd 2, 18069 Rostock.
E-Mail: cornelius.hammer@vti.bund.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Untersuchte Seegebiete, Zielarten und Projektpartner
- Junge Heringe
- Scholle
- Junger Kabeljau
- Sprottenlarven
- Markierter Seehecht
- UNCOVER-Wissenschaftler auf einem Workshop in Barcelona


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2009, Seite 18 - 21
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2010