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POLITIK/030: Ingenieure nehmen Stellung zum London-Kommuniqué (idw)


4ING - Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik an Universitäten e.V. - 21.05.2007

4ING nimmt Stellung zum London-Kommunikee


Dem London-Kommunikee fehlt nach Meinung von 4ING der "richtige Geist": Weniger Organisation und mehr Inhalte sind nötig. Der Bologna-Prozess, dessen Notwendigkeit nicht bestritten wird, bedarf einer neuen Richtung. Insbesondere sollte mehr Rücksicht genommen werden auf erhaltenswerte nationale Kulturen und Fächerkulturen.


A. Allgemeine Kritikpunkte

1. Fakultäten und Fächer: Die Bologna-Papiere, insbesondere aber das London-Kommunikee, gehen aus von einer Gestaltung bzw. künftigen Umgestaltung der Universitäten "von oben nach unten". Sie vernachlässigen dabei die Bedeutung von Fakultäten, Fächern und entsprechenden Kulturen. Wegen der Vielzahl der Fakultäten und Fächer sind diese im Bologna-Prozess nicht explizit eingebunden. Ihre speziellen Sichtweisen müssen sich aber in den Stellungnahmen widerspiegeln, damit die Diversität der Fachkulturen und die Leistungskraft der einzelnen Wissenschaften erhalten bleiben. Fachkulturen orientieren sich in der Regel weltweit und stehen einander länderübergreifend meist näher als unterschiedliche Fachkulturen in einem Land.

2. Inhaltliche Betrachtung: Es besteht die Gefahr, dass vorgeschlagene Maßnahmen, wie z.B. zur Qualitätssicherung von Studium, Forschung, Verbesserung von Mobilität usw. ausschließlich auf einer organisatorischen Ebene betrachtet werden (z.B. folgende Schritte für Verbesserungen werden durchgeführt) und nicht auf einer inhaltlichen Ebene (z.B. bedeutet Qualität für einen Master, dass er insbesondere eine entsprechend niveauvolle Masterarbeit schreiben kann). Es muss vermieden werden, dass die unterschiedlichen nationalen Kulturen und die bereits angesprochenen diversen Fachkulturen unterbewertet und beschädigt werden.


B. Konkrete Kritikpunkte

3. Unterschiedliche HEIs: Die Hochschularten werden nicht unterschieden, es wird nur von Higher Education Institution (abgekürzt HEI) gesprochen. Diese HEIs haben aber u.U. eine sehr unterschiedliche Gestalt (in Deutschland z.B.: Universitäten, Fachhochschulen, Berufsakademien, private Managementschulen). Es besteht somit die Gefahr, dass Aussagen, die vorwiegend für eine dieser Arten gedacht sind, flächendeckend auf alle HEI-Arten angewendet werden und deren ureigensten Profile verzerren.

4. Spezieller Charakter der Promotion: Die Promotion wird im Bologna-System als 3. Zyklus bezeichnet. Gleichwohl ist diese Promotion etwas anderes als ein Studium, da die wissenschaftliche Arbeit im Zentrum steht. Eine Ingenieur-Promotion ist zugleich Berufstätigkeit. Promotionen setzen ein kreatives Forschungsumfeld und eine entsprechend aufwändige Infrastruktur voraus, die in den Ingenieurwissenschaften keineswegs an allen HEIs gegeben sind.

5. Qualität, inhaltlich: Ein zentraler Begriff des Bologna-Prozesses ist die Qualität, z.B. für eine HEI. Bei Universitäten muss sich diese in erster Linie an der Qualität der Forschung orientieren. Forschungsqualität wird festgelegt durch ein gemeinsames, weltweites, fachspezifisches Wissenschaftsverständnis mit entsprechenden Begutachtungsprozessen der Forschenden und einem Stand der Kenntnis, festgelegt durch die veröffentlichte Literatur. Qualität der Lehre macht sich weniger daran fest, welche Inhalte in welchen Modulen in welcher Reihenfolge vermittelt werden. Wesentlicher ist, welchen Grad von Selbstständigkeit, Urteilsfähigkeit und Problemlösungsfähigkeit die Personen haben, die als Absolventen eine Institution verlassen.

6. Employability, langfristig: In dem Kommunikee ist an mehreren Stellen von Beschäftigungsbefähigung (Employability) die Rede. Dies klingt wie eine Aufforderung, wissenschaftliche Grundlagen durch Fertigkeiten zu ersetzen, die für den Einstieg in den Beruf benötigt werden. Die Berufsvorbereitung muss aber langlebig sein. Absolventen müssen in der Lage sein, mehr als 40 Jahre im Beruf den Stand der Technik zu beherrschen. Berufliche Fertigkeiten sind oft nur einige Jahre gültig und müssen ständig nachgebessert werden, wofür eine wissenschaftlich fundierte, grundlegende Ausbildung die beste Voraussetzung ist.

7. Recognition, handhabbar: Die gegenseitige Anerkennung von Studienleistungen und die Anerkennung von im Beruf erworbenen Kenntnissen muss jeweils die Inhalte und das Niveau berücksichtigen. Beide müssen aber auch praktisch handhabbar sein. Die Verantwortung für die Anerkennungen muss stets bei der aufnehmenden HEI liegen.

8. Nivellierung: Im Abschnitt über Employability findet sich ein Halbsatz, dass öffentliche Arbeitgeber ihre Besoldungs- und Beförderungsstrukturen auf das neue dreistufige System anzupassen haben. Hierbei spielen inhaltliche Tiefe der Ausbildung und Niveau der Ausbildungsinstitution offensichtlich keine Rolle. Wir halten dies in einer Zeit, in der Differenzierung und Leistungsanreizen größeres Gewicht geschenkt wird, nicht für sinnvoll: Was sagen die Briten dazu, wenn alles mit Cambridge gleichgesetzt wird, die Franzosen, wenn jede Institution den Anspruch einer Grande Ecole erhebt?

Weitere Informationen unter:
http://www.4ing.net

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution1123


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
4ING - Fakultätentage der Ingenieurwissenschaften und der Informatik
an Universitäten e.V., Prof. Dr.-Ing. Manfred Nagl,
4ING-Vorsitzender, 21.05.2007
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Mai 2007