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INTERVIEW/112: Messe links - ökosozialistische Vision ...    Bruno Kern im Gespräch (SB)


Interview am 4. November 2018 in Nürnberg


Dr. Bruno Kern ist Mitbegründer der Initiative Ökosozialismus, die 2017 im Netzwerk Ökosozialismus aufgegangen ist. Mehrere Organisationen und Initiativen versuchen in diesem Zusammenschluß, die Strategien des grünen Kapitalismus gegen den Klimawandel kritisch zu begleiten und ihnen ein sozialistisches Konzept der Bewältigung ökologischer wie sozialer Menschheitsprobleme entgegenzustellen. In der Ökosozialistischen Erklärung [1] vom Juni 2017 haben die AktivistInnen des Netzwerkes ihre Lösungsansätze zusammengefaßt. Der Schattenblick hatte Gelegenheit, Bruno Kern auf der Linken Literaturmesse einige Fragen zum Ökosozialismus zu stellen.

Schattenblick (SB): Bruno, welche Motive haben dich zum Ökosozialismus gebracht?

Bruno Kern (BK): Um diese Frage zu beantworten, müßte ich jetzt biographisch ein wenig ausholen. Ich bin ja gelernter Österreicher, und meine Politisierung begann mit einer Erfolgsgeschichte. Wir haben nämlich ein AKW und nicht nur ein AKW, sondern damit insgesamt die Kernkraftnutzung in Österreich erfolgreich verhindert. Seinerzeit war ich ein junger Student im ersten Semester, und diese Sache fiel für mich mit meiner Politisierung zusammen. Damals war ich das erste Mal wahl- und abstimmungsberechtigt, und habe mir gedacht, du hast immerhin dein Abitur gemacht, also informiere dich einmal gründlich, um hier verantwortungsvoll deine Stimme abzugeben.

Im Laufe der Auseinandersetzung mit diesem Einzelthema habe ich begriffen, daß es um viel mehr geht, nicht nur um die Frage der Nutzung von Atomenergie im Sinne von Ja oder Nein, sondern grundsätzlicher um die Frage, warum unsere Gesellschaft auf so hohem Niveau Energie verbraucht. Grundsätzlich ging es um die Frage, warum unsere Ökonomie so organisiert ist, daß sie wachsen muß, um im Gleichgewicht zu bleiben. In diesem Zusammenhang habe ich damit begonnen, mich mit Karl Marx zu beschäftigen, das heißt, für mich war Sozialismus ein Gesellschaftsmodell jenseits dieses Kapitalismus und daher von vornherein untrennbar mit Ökologie verbunden.

SB: Inwiefern greifst du auf Aussagen von Karl Marx zurück zum Beispiel in bezug auf den Mensch-Natur-Stoffwechsel und zur Nutzung von Natur als Produktivkraft?

BK: Zu Karl Marx habe ich inzwischen ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits ist er immer noch ein sehr wichtiger Bezugspunkt, weil er als einer der ersten den Wachstumszwang, der im Kapitalismus eingeschrieben ist, präzise beschrieben und analysiert hat. Wirkungsgeschichtlich ist allerdings ein anderer Marx erfolgreich geworden, nämlich der Marx vor allem des Kommunistischen Manifests, der gesagt hat, Sozialismus ist erst möglich auf dem Boden einer Produktivkraftentwicklung auf ihrem höchsten Stand. Karl Marx hatte natürlich zu seiner Zeit kein kritisches Verhältnis zum Industrialismus, das hat er erst in seinen späten Jahren bekommen. Es ist zu vermuten, wenn er noch ein paar Jahre länger gelebt und den zweiten und dritten Band des Kapitals noch selbst redigiert hätte, daß diese ökologischen Akzente viel ausgeprägter gewesen wären. Dann hätte er stärker reflektiert, daß die Kontrolle des Stoffwechsels zwischen Mensch und Natur vor allem deswegen wichtig ist, weil so die Grenzen der Natur beachtet würden. Das ist eine sehr späte Entwicklung bei Marx. Man kann sie heute in der vierten Abteilung der MEGA (Marx-Engels-Gesamtausgabe) nachvollziehen, wo sehr genau nachgeforscht wurde, was Marx gelesen und was er exzerpiert hat. Dadurch kann man einen ökologischen Schwenk bei Marx beobachten, der leider wirkungsgeschichtlich keine Folgen gezeitigt hat, weil er nur noch sporadisch in sein Werk eingeflossen ist.

SB: Wo findest du frühe Spuren einer Hinwendung zu Ökologiefragen innerhalb der marxistischen oder sozialistischen Linken, deren Einflüsse für dich eine Art Vorläufer oder erste Zeichen einer ökosozialistischen Idee sein könnten? Mir fällt etwa Wolfgang Harich ein, der in den 1970er Jahren Überlegungen in diese Richtung angestellt hat.

KK: Diese Vorläufer und auch Wolfgang Harich sind natürlich immer eher Randerscheinungen geblieben. Erfreulich finde ich allerdings die Entwicklung innerhalb der Vierten Internationale, wenn man sie international betrachtet. Dort gibt es mittlerweile ein ökosozialistisches Grundverständnis, das sich auf die Erklärung vom Weltsozialforum in Belém [2] bezieht. Eine wichtige Figur dabei ist zum Beispiel Michael Löwy gewesen. Ich würde sogar sagen, daß damit tatsächlich ein Quantensprung vonstatten gegangen ist und daß sich die Vierte Internationale heute fast durchweg als ökosozialistisch versteht. Deswegen sind sie für uns auch ganz starke Bündnispartner und machen teilweise in unserem Netzwerk mit.

SB: Wir haben es mit einem grünen Kapitalismus zu tun, der die Idee verfolgt, Klimawandel und Naturzerstörung ließen sich durch eine technologische Effizienzsteigerung bei relativ gleichbleibenden Wachstumsraten aufhalten. Inwieweit ist Ökosozialismus für dich auch eine Theorie des Postwachstums oder der Wachstumsreduzierung?

KB: Wir Ökosozialistinnen und Ökosozialisten gehen davon aus, daß unsere Wirtschaft im Sinne des Bruttoinlandsproduktes nicht nur nicht mehr wachsen darf, sondern schrumpfen muß. Anders ist Nachhaltigkeit nicht zu erreichen, das heißt, wir haben sozusagen einen geordneten Rückzug anzutreten und einen Prozeß der industriellen Abrüstung so zu organisieren, daß wir dabei eine solidarische Gesellschaft erhalten bzw. erst einmal herstellen. Das ist für uns ganz, ganz wichtig. Im Gegensatz zum Mainstream der Postwachstumsbewegung sagen wir, daß das nur geht, wenn wir dieses System transzendieren.

Die Postwachstumsbewegung ist ja europaweit sehr erfolgreich. So gab es 2014 einen großen Kongreß in Leipzig mit 3000 Teilnehmenden [3]. Dort konnte man aber sehr genau beobachten, daß man sich dabei hauptsächlich auf diese bescheidenen Bottom-up-Ansätze bezogen hat, während die makroökonomische Reflexion weitgehend ausgefallen ist. Darin sehen wir ein großes Defizit in der Postwachstumsbewegung. Wir Ökosozialistinnen und Ökosozialisten haben die Aufgabe, unsere Vorstellung der Neuorganisation unserer Wirtschaft in diese Bewegung hineinzutragen, weil diese vielen Bottom-up-Ansätze, so wichtig und sympathisch sie auch sein mögen, nicht ausreichen werden, um die notwendige Transformation hinzukriegen.

SB: Wie kann man sich das im einzelnen vorstellen? Ich würde einmal mutmaßen, daß es sich dabei im wesentlichen um eine planwirtschaftliche Idee handelt im Unterschied zum Prinzip der Kapitalverwertung in einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung.

BK: Ja, die Marktwirtschaft, wenn sie denn je überhaupt funktioniert hat im Sinne der neoliberalen Ideologie, kann unter den Knappheitsbedingungen, die wir zu gewärtigen haben, auf keinen Fall mehr funktionieren. Wenn ganz wichtige Ressourcen wie Energie oder bestimmte natürliche Rohstoffe knapp werden und man deren Verteilung dem Spiel von Angebot und Nachfrage überläßt, dann hat man es mit dem zu tun, was Schulökonomen Fehlallokationen nennen würden. Das heißt, die immer knapper werdenden Ressourcen fließen dann dahin, wo es noch Kaufkraft gibt, und sie fehlen natürlich dort, wo wir als Gesellschaft sagen würden, daß wir sie dringend brauchen.

Deswegen erfordert diese Situation auf jeden Fall eine wirtschaftliche Gesamtrahmenplanung. Wir setzen uns auch explizit ab von Herman Daly und anderen Wirtschaftstheoretikern, die sagen, man braucht nur ein staatliches Rohstoffregime, das sozusagen festsetzt, was von bestimmten Rohstoffen insgesamt zur Verfügung steht, und der Rest wird dann dem Markt überlassen. Wir Ökosozialisten sagen, das funktioniert so nicht, wir müssen auch wirklich steuern, wo diese knappen Ressourcen hinfließen. Wir werden also eine wirtschaftliche Gesamtrahmenplanung brauchen, die letztlich politisch ausgehandelt wird und es nicht mehr dem Markt überläßt, was, wie und wieviel produziert wird.

SB: Beinhaltet dies auch die Vergesellschaftung von Industrien?

KB: Ja, auf jeden Fall. Das bedeutet für uns die Vergesellschaftung von Produktionsmitteln. Allerdings heißt Vergesellschaftung nicht Verstaatlichung, das heißt, in einer ökosozialistischen Gesellschaft wird die lokale Ebene natürlich eine ganz starke Rolle spielen. Wir gehen davon aus, daß die lokale Ebene ein ganz hohes Maß an Autarkie haben und sich ein guter Teil des Lebens und Arbeitens der Menschen in diesem überschaubaren lokalen Raum abspielen wird. Aber das allein reicht natürlich nicht. Wir brauchen auch eine übergreifende Infrastruktur usw. Das heißt, wir brauchen dann auch verstaatlichte Betriebe. Ich denke, daß zum Beispiel die Energieinfrastruktur, die wir benötigen werden, einfach in staatlicher Hand sein muß.

SB: Die grünkapitalistische Ideologie ist sehr wirkmächtig. Was tut ihr als Netzwerk, um diese Art von Ideologie in Frage zu stellen und ein Bewußtsein dafür zu schaffen, daß es auf kapitalistische Weise nicht funktionieren wird?

KB: Der Schwerpunkt unserer Arbeit ist tatsächlich, daß wir versuchen, genau diese Ideologie, die heute vom Mainstream geteilt wird, zu entlarven, weil wir glauben, daß wir die nötigen gesellschaftlichen Veränderungen erst schaffen werden, wenn wir den Leuten klarmachen, daß andere Technologien nicht reichen, sondern wir ein anderes Gesellschaftsverhältnis benötigen. Deswegen ist für uns Aufklärungsarbeit angesagt. Und natürlich versuchen wir, Bündnispartner zu finden, um genau in die Kräfte hineinzuwirken, die gesellschaftlich relevant sind. Das sind politische Parteien, und das ist vor allem Die Linke und die Ökologische Plattform der Linken. Dort sehen wir auch Andockmöglichkeiten und hoffen, die Programmatik mitgestalten zu können. Das sind ferner Umweltverbände und Bewegungen wie eben die Postwachstumsbewegung.

Darin sehen wir derzeit tatsächlich unsere Hauptaufgabe. Unserer Ansicht nach haben diese Technikphantasien letztlich nur den erkennbaren Sinn, uns abzulenken von der eigentlich politischen Frage, um die es geht, und diese politische Frage lautet: Wie kriegen wir eine solidarische Gesellschaft hin auf einer wesentlich schmaleren Ressourcenbasis? Solange ich den Leuten einrede, es funktioniert alles so wie bisher nur mit einem anderen Saft in der Leitung, weicht man dieser politischen Frage aus. Je länger man sie hinauszögert, um so gefährlicher und schwerer wird es dann tatsächlich.

SB: Heißt das auch, daß der Eigentumsfrage, die früher im linken Bewußtsein im Mittelpunkt stand, wieder eine größere Bedeutung zukommen wird?

KB: Ja, selbstverständlich wird die Eigentumsfrage im Zentrum stehen. Aber im Gegensatz zu orthodoxen politischen Ansätzen sagen wir, eine andere Eigentumsordnung, also die Vergesellschaftung der Produktionsmittel, ist die notwendige Voraussetzung für Nachhaltigkeit. Sie ist aber an sich noch keine Garantie dafür. Wir haben ja erlebt, daß es andersrum laufen kann. Die realsozialistischen Systeme, die es gab, waren ja alles andere als nachhaltig, weil sie im Grunde demselben Industrialismus verfallen waren. Uns unterscheidet von der orthodoxen Linken, daß wir sagen, selbstverständlich steht der Kapitalismus zur Disposition, aber über den Kapitalismus hinaus steht auch der Industrialismus zur Disposition.

SB: Bruno, vielen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] http://oekosozialismus.net/oekosozialistische-erklaerung/

[2] http://www.oekologische-plattform.de/2008/12/die-oekosozialistische-erklaerung-von-belem/

[3] https://www.degrowth.info/de/mediathek/?dq[keyword]=2014+Zeitung+Schattenblick&dq[title]=&dq[author]=&dq[topics]=&dq[release_date_min]=&dq[release_date_max]=#catalogue-result

2. Dezember 2018


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