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INTERVIEW/095: Linke Buchtage Berlin - der rassistisch nationale Geist ...    Claus Kristen im Gespräch (SB)


Gespräch am 3. Juni 2018 in Berlin-Kreuzberg


In diesem Jahr jährt sich die Novemberrevolution 1918 zum einhundertsten Mal. Damals hatte das deutsche Heer kapituliert und die Monarchie abgedankt, die Republik wurde ausgerufen. Revolutionäre Bewegungen forderten in zahlreichen Städten eine Entmilitarisierung und Sozialisierung der Gesellschaft, deren grundlegende Umgestaltung greifbar nahe schien. Doch die Konterrevolution siegte. Im Dienst des Kapitals und gerufen von den bürgerlichen Parteien, allen voran der Sozialdemokratie unter Friedrich Ebert und Gustav Noske, traten in den Berliner Januarkämpfen erstmals militärische Freiwilligenverbände öffentlich in Erscheinung, darunter das "Freiwillige Landesjägerkorps" des Generalmajors Georg Maercker. Dieser hatte in der deutschen Kolonialgeschichte Erfahrungen in der blutigen Aufstandsbekämpfung gesammelt, als er in "Ost"- und "Südwestafrika" an den Kämpfen gegen Herero und Nama teilnahm. Im Auftrag der Reichsregierung zog Maercker kreuz und quer durch Mitteldeutschland, um revolutionäre Erhebungen niederzuschlagen.

Claus Kristen hat eine umfassende Biografie des Freikorpsführers und "Städtebezwingers" Georg Maercker vorgelegt, der als eine zentrale Figur der Konterrevolution gilt. Der Autor stellt die Verbindung zwischen der deutschen Kolonialgeschichte und der Novemberrevolution her, geht auf die Entstehungsbedingungen des Nationalsozialismus ein und schlägt eine Brücke zu den aufbrechenden nationalistischen Tendenzen der Gegenwart. Am Beispiel Georg Maerckers befaßt er sich mit der preußischen Militärtradition, der deutschen Kolonialherrschaft und der Niederschlagung der Novemberrevolution bis zum Kapp-Lüttwitz-Putsch. Weitere Themen des Buches sind die Rolle der sozialdemokratischen Führung während der Entstehungsphase der Weimarer Republik, deren Rezeption innerhalb der heutigen Sozialdemokratie wie auch der aktuelle Diskurs über das Verhältnis von Kolonialismus und Nationalsozialismus. [1]

Claus Kristen hat ein Lehramtsstudium abgeschlossen und ist seit 1979 Buchhändler im "Guten Morgen Buchladen" in Braunschweig. Er hat Beiträge insbesondere zu den Themen Kolonialgeschichte und Militarismus unter anderem bei Informationszentrum 3. Welt, analyse + kritik, junge Welt und Ossietzky veröffentlicht.

Im Rahmen der Linken Buchtage Berlin, die vom 1. bis 3. Juni im Mehringhof stattfanden, stellte er sein Buch "Ein Leben in Manneszucht. Von Kolonien u. Novemberrevolution. 'Städtebezwinger' Georg Maercker" [2] vor. Im Anschluß daran beantwortete er dem Schattenblick einige Fragen.


Vor einem laubumrankten Kellereingang - Foto: © 2018 by Schattenblick

Claus Kristen
Foto: © 2018 by Schattenblick


Schattenblick (SB): Du hast heute in einem Workshop, den ich leider versäumt habe, dein Buch über die Freikorps vorgestellt. Warum ist diese Geschichte aus heutiger Sicht immer noch wichtig?

Claus Kristen (CK): Diese Geschichte ist meines Erachtens immer noch wichtig, weil darin Aspekte wie Rassismus und Nationalismus eine wichtige Rolle spielen, deren Wiedererstarken man auch in der Gegenwart beobachten kann. Es wird also aufgezeigt, welche Entwicklung diese Form von Militarismus genommen hat und welche Kontinuitäten dabei zum Tragen kamen.

SB: Was kann man aus deiner Sicht heute wiedererkennen?

CK: Es ging dabei insbesondere um Generalmajor Georg Maercker und seine extrem nationalistische Haltung. Da gibt es meiner Meinung nach Anknüpfungspunkte was beispielsweise die Wiedererrichtung von feudalen Gebäuden wie der Potsdamer Garnisionskirche oder des Berliner Stadtschlosses betrifft, aber auch die im Augenblick fast inflationär daherkommenden Heimatministerien, was meines Erachtens der Wiederherstellung eines nationalen Identitätsgefühls dient.

SB: Es gab eine lange Phase in der Geschichte der Bundesrepublik, in der die Rolle der Reichswehr und das Treiben der Freikorps überhaupt nicht diskutiert wurde. Auch wurden viele Militärs, die schon im NS-Staat eine hochrangige Funktion hatten, in die Bundeswehr übernommen. Inwieweit ist die Bearbeitung dieser unbewältigten deutschen Vergangenheit auch von aktueller Bedeutung?

CK: Zum einen halte ich es generell für wichtig, sich einen historischen Überblick zu verschaffen, zum anderen gilt es aber auch Veränderungen im Verlauf wahrzunehmen. Beispielsweise wurden viele Freikorpsführer so wie auch General Mercker, der in den Kolonialgebieten im Einsatz gewesen war, im Nationalsozialismus zwar als Gallionsfiguren aufgebaut, aber im Grunde nicht akzeptiert, weil sie aus Sicht der Nationalsozialisten einen rückwärtsgewandten Charakter hatten. Sie waren in der Regel Monarchisten und damit Vertreter feudaler Verhältnisse, was mit der Ideologie der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft nicht unbedingt zu vereinbaren war. Das alles sollte im Gedächtnis bleiben, damit man auf entsprechende Tendenzen in der Gegenwart besser reagieren kann.

SB: Wir haben eine neue Bundeswehr, die nach eigenem Verständnis mit der alten Reichswehr überhaupt nichts mehr zu tun hat. Kann man diese These so aufrechterhalten?

CK: Das kann man nicht, weil die Bundeswehr von einer sogenannten Verteidigungsarmee inzwischen zu einer weltweiten Interventionsarmee geworden ist. Viel davon spielt sich in den ehemals kolonialen Gebieten ab, die sich auf der Grundlage damaliger kolonialer Verwüstungen fortentwickeln mußten und heute immer noch keine friedlichen Regionen sind. Das ist eindeutig eine kontinuierliche Entwicklung, die ich darin erkennen kann.

SB: Die Freikorps haben in den damaligen revolutionären Zeiten unter der Linken gewütet. Siehst du Tendenzen, daß auch die Bundeswehr eine vergleichbare Rolle im Inneren spielen könnte, gegen Revolten und soziale Erhebungen eingesetzt zu werden?

CK: Diese Tendenz sehe ich in der Tat. Natürlich gab es auch historische Brüche, und man kann nicht sagen, das sich alles in einer geschlossenen Linie weiterentwickelt hat. Aber vieles taucht auch wieder neu auf wie der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, der in jüngerer Zeit immer häufiger diskutiert und schubweise legalisiert wird. Er richtet sich mit Sicherheit gegen soziale Aufstandsbewegungen.

SB: Du hast bei der heutigen Veranstaltung dein Buch vorgestellt. Wie war die Resonanz unter den Zuhörerinnen und Zuhörern?

CK: Die Resonanz fand ich sehr gut, denn es gab eine lebhafte Diskussion. Ich hatte in meinem Vortrag bewußt viele Aspekte ausgespart, weil sich die Leute das Buch ja schließlich auch besorgen sollen. Es wurde jedoch zielgerichtet nach diesen Aspekten gefragt, die auf diese Weise ebenfalls zur Sprache kamen.

SB: Claus, vielen Dank für dieses Gespräch.


Fußnoten:


[1] http://www.schmetterling-verlag.de/page-5_isbn-3-89657-160-5.html

[2] Claus Kristen: Ein Leben in Manneszucht. Von Kolonien u. Novemberrevolution. 'Städtebezwinger' Georg Maercker, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2018, 306 Seiten, 19,80 Euro, ISBN 3-89657-160-5


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