Schattenblick →INFOPOOL →DIE BRILLE → REPORT

INTERVIEW/019: Linksliteraten - Und ausgerechnet Nürnberg ...    Robert von der Linken Literaturmesse im Gespräch (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Robert vom Orga-Team der Linken Literaturmesse über Kontinuitäten und Brüche in den 19 Jahren ihrer Existenz und über ihr Verhältnis zu einer Stadt, in der der Antikommunismus nicht nur zur Zeit der Reichsparteitage florierte


Ausstellungssaal mit Büchertischen - Foto: © 2014 by Schattenblick

19. Linke Literaturmesse vom 31. Oktober bis 2. November 2014
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Robert, du bist einer der Organisatoren der Linken Literaturmesse. Könntest du etwas dazu sagen, welcher Kreis von Leuten aus welchem politischen Spektrum die Messe organisiert?

Robert: Das sind im Grunde zwei Vereine: einmal das Metroproletan Archiv und Bibliothek, das der Nürnberger Autonomen-Szene entstammt und im KOMM, als es noch ein selbstverwaltetes Zentrum war, entstanden ist. Es hat sich dann nach dem Rauswurf in Gostenhof, einem Nürnberger Arbeiterstadtteil, niedergelassen. Der andere Verein ist ursprünglich die Libresso-Buchhandlung gewesen, die der DKP nahestand und jetzt ein Literatur- und Kulturverein ist.

SB: Wie seid ihr damals überhaupt auf die Idee gekommen, eine Linke Literaturmesse zu machen?

R: Ausschlaggebend war, daß immer mehr linke Buchläden verschwunden sind. Unter den großen Buchläden, die mittlerweile in den Innenstädten residieren, kommen linke Verlage in der Regel nicht vor. Nicht unbedingt, weil sie politisch ausgegrenzt werden, sondern aufgrund dessen, daß ihr Angebot nur marginale Käuferschichten anlockt und es sich für sie wegen der hohen Mieten einfach nicht rentiert. Die Idee mit der Linken Literaturmesse hatte natürlich auch politische Gründe, denn die etablierten Buchhäuser sind in der Regel nicht fortschrittlich. Daher war es für uns schon wichtig, mit einer linken Buchmesse ein Gegengewicht im süddeutschen Raum zu schaffen, um Kunden und Verlage bzw. Autoren zusammenzubringen und eine Art Forum für Diskussionen bereitzustellen. So ist die Linke Literaturmesse einerseits eine Verkaufsmesse mit Ständen und andererseits beinhaltet sie ein Begleitprogramm mit Veranstaltungen.

Sänger mit Gitarre - Foto: © 2014 by Schattenblick

Bernd Köhler stellt sein Liederbuch "Keine Wahl" vor
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: Das Begleitprogramm ist sehr reichhaltig und macht den Eindruck eines politischen Treffens.

R: Als ich das erste Mal auf der Messe war, enthielt das Begleitprogramm ungefähr zehn Veranstaltungen, das ist auf heute 60 Veranstaltungen angewachsen. Auch die Anzahl der Besucher hat sich deutlich vermehrt, was übrigens auch für die Anzahl der beteiligten Verlage gilt. Natürlich gab es in den 19 Jahren der Linken Literaturmesse hin und wieder Schwankungen.

Simone Barrientos und drei Vortragende auf der Bühne - Foto: © 2014 by Schattenblick

Szenische Lesung des Kulturmaschinen Verlages "Et Manifeß - Jetzt auch auf Kölsch? Ist das nötig?"
Foto: © 2014 by Schattenblick

SB: In der Geschichte der Linken Literaturmesse tauchen auch kleinere Skandale auf wie der Eklat um den ça ira Verlag vor einigen Jahren. Gab es in der Vergangenheit Auseinandersetzungen zwischen antideutschen und antiimperialistischen Gruppen?

R: Nein, denn unsere Zielsetzung mit dem Veranstaltungsprogramm bestand von Anfang an darin, eine Art linke Volkshochschule zu schaffen, wo verschiedene linke Strömungen miteinander diskutieren können. Der ça ira Verlag ist seinerzeit aus dem Konsens, der ohnehin nur ganz wenige Punkte umfaßt, nämlich daß man sich gegen Krieg, Sexismus, Rassismus und Faschismus wendet und im weitesten Sinne emanzipatorische Politik betreibt, ausgeschert. Diesen Minimalkonsens hat der ça ira Verlag verletzt, indem er ein Buch vertrieben hat, in dem Kriegspolitik befürwortet wurde. Auch wenn er das im nachhinein so dargestellt hat, wurde der ça ira Verlag nicht willkürlich ausgeschlossen. So war es nicht. Vielmehr ist er von allen beteiligten Verlagen auf ein Treffen eingeladen worden, wo die Veranstalter wie auch die Verlage jeweils eine Stimme besitzen. Dort wollte man mit dem ça ira Verlag diskutieren und nachfragen, wie er zu diesem Buch steht. Allerdings hat er sich eigentlich verweigert, seinen Standpunkt zu vertreten. Statt dessen gab es jede Menge Ausreden.

Transparent 'Gemeinsam, solidarisch und entschlossen - Gegen Kapitalismus und Patriarchat!' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Strömungsübergreifend diskutieren, gemeinsam kämpfen ...
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zunächst wurde behauptet, das Buch gar nicht mehr zu verkaufen. Es wurde aber auf seinem Büchertisch gesehen. Dann hieß es, der Verlag hätte sich von dem Autor getrennt, was aber nicht stimmte, denn zwei Tage danach hat der Verlag eine Veranstaltung mit ihm gemacht. Letztlich hat dies den Ausschlag für den Ausschluß gegeben. Wir waren einfach nicht mehr bereit, uns weiterhin an der Nase herumführen zu lassen. Hätte der ça ira Verlag seinen Standpunkt begründet, hätte man darüber diskutieren können, und vielleicht wäre dann eine andere Lösung möglich gewesen. So aber gab es keine Annäherung mit der Folge des Ausschlußes.

In den 19 Jahren der Linken Literaturmesse gab es zwei Ausschlüsse. Neben dem ça ira Verlag betraf es einen Verlag, der sich mehr und mehr in eine nationalrevolutionäre Ecke hineinbegeben hat. Dazu haben wir Nein gesagt, Rassismus ist mit uns nicht zu machen. Ein anderer Verlag wurde einmal aufgefordert, seine esoterische Bücherabteilung doch bitte zu Hause zu lassen, weil dies mit emanzipatorischer Politik im weitesten Sinn nichts zu tun hat. Ansonsten sind hier vom linken Gewerkschaftsspektrum, Attac, Linkspartei, DKP, MLPD, verschiedenen K-Gruppen, Autonomen, Anarchisten und FAU alle Flügel der Linken vertreten. Das heißt nicht, daß wir alle einer Meinung sind. Im Anschluß an die Veranstaltungen streiten und diskutieren wir über Inhalte, Strategien, Taktiken und Vorgehensweisen, aber jenseits der Notwendigkeit, eine Praxis über die andere zu stellen. Davon losgelöst finden sich Leute zusammen, die normalerweise nie ein Wort miteinander reden würden. Das Ganze hier ist eine Schule für Linke unterschiedlichster Strömungen.

Dagyeli Verlag, Johannes Agnoli beim Schmetterling-Verlag, Franz Josef Degenhardt beim Kulturmaschinen Verlag - Fotos: © 2014 by Schattenblick Dagyeli Verlag, Johannes Agnoli beim Schmetterling-Verlag, Franz Josef Degenhardt beim Kulturmaschinen Verlag - Fotos: © 2014 by Schattenblick Dagyeli Verlag, Johannes Agnoli beim Schmetterling-Verlag, Franz Josef Degenhardt beim Kulturmaschinen Verlag - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Bücher im Mittelpunkt
Fotos: © 2014 by Schattenblick

SB: Dies ist um so wichtiger, als es heutzutage sehr schwierig geworden ist, Menschen für den politischen Diskurs zusammenzubringen, gerade wenn sie inhaltlich große Differenzen aufweisen.

R: Ja, und deswegen bin ich auch so begeistert über den solidarischen Umgang, der natürlich über die Jahre gewachsen ist. Leute haben sich kennengelernt und irgendwann erkannt, daß der andere nicht derjenige ist, der an der Ecke lauert, um einem ein Bein zu stellen, sondern daß es ein gemeinsames Interesse an einer politischen Auseinandersetzung gibt, die man suchen kann, ohne befürchten zu müssen, die eigenen Standpunkte aufzugeben oder sich opportunistisch unterzuordnen. Es geht nicht darum, gleichzumachen, was nicht gleich ist. Es gibt natürlich Gründe, warum sich Einzelpersonen, Verlage oder Zeitungsredaktionen dem einen oder anderen politischen Lager zugehörig fühlen, aber das muß ja nicht bedeuten, daß eine Zusammenarbeit oder Diskussion zu Sachfragen nicht möglich ist, auch wenn die gesellschaftspolitischen Ziele in bestimmten Bereichen voneinander abweichen.

Fotografische Exponate im Glasbau - Fotos: © 2014 by Schattenblick Fotografische Exponate im Glasbau - Fotos: © 2014 by Schattenblick Fotografische Exponate im Glasbau - Fotos: © 2014 by Schattenblick

"FRY - gezielt kollateral" - Ausstellung der Arbeiterfotografie zum Jugoslawienkrieg
Fotos: © 2014 by Schattenblick

SB: Das macht den Unterschied zwischen Kultur- und reiner politischer Arbeit aus, was in Zukunft noch bedeutsam werden könnte, weil heute viele Leute eher auf einer kulturellen als auf einer politisch kontroversen Ebene zu erreichen sind.

R: Ja, und ebendarum haben wir im Programm immer auch Ausstellungen angeboten. In bestimmten Jahren lief nebenbei auch ein Filmprogramm hier im Kino. Auch Kulturveranstaltungen, wo es um Punk, HipHop, Street-Art, verschiedenste Kunst- und Ausdrucksformen und so weiter ging, waren ein Thema gewesen. Das ist wichtig und gut.

SB: Dennoch scheint in diesem Jahr weniger Publikum als sonst hier gewesen zu sein. Auffallend war zudem, daß ihr draußen kein Schild mit dem Hinweis "Linke Literaturmesse" aufgestellt habt. Hätte man auf diese Weise nicht noch Laufpublikum anziehen können?

R: Dazu muß man wissen, daß das hier früher einmal das selbstverwaltete Zentrum KOMM war, an dem auch das Archiv und die Bibliothek beteiligt waren. Aber dann hat die CSU zusammen mit der SPD und anderen bürgerlichen Parteien die Selbstverwaltung hier am Königstor zwangsweise beendet. Dadurch ist die Bibliothek rausgeflogen. Noch in der Nacht zur Wahl des Oberbürgermeisters Scholz von der CSU gab es von ihm die Aussage: Das Dreckloch wird jetzt geschlossen. Auf die Frage eines Journalisten, was das für die Linke Literaturmesse bedeutet, antwortete er: So eine Messe wird es am Königstor nie mehr geben. Da haben wir uns gesagt: Sie können uns zwar rauswerfen, denn dazu haben sie die Macht und die rechtlichen Möglichkeiten, aber sie können nicht im vorauseilendem Gehorsam erwarten, daß wir die Messe nicht mehr organisieren, nur weil es ein CSU-Politiker so gefordert hat. Also haben wir die Messe weiterhin angemeldet und auch Redner aus dem SPD-Spektrum eingeladen, die sich gegen den Jugoslawien- und Irakkrieg positioniert hatten. Der damals der SPD angehörende Uwe Hiksch ist später in die Linkspartei übergetreten. Nachdem er zusammen mit anderen in der Eröffnungsveranstaltung eine Rede hielt, hat der Stadtrat Abstand davon genommen, die Messe verbieten zu lassen.

Veranstaltungsort der Linken Literaturmesse - Foto: © 2014 by Schattenblick

Das frühere KOMM und heutige Kulturzentrum K4 am Königstor
Foto: © 2014 by Schattenblick

Heute ist die Messe in Nürnberg ein Faktor. Wir haben das geschafft, ohne inhaltliche Abstriche zu machen oder Leute auszugrenzen. Auch die Propagandaschlacht seitens der Bildzeitung, die mit Schlagzeilen an den Zeitungskästen wie "Inge Viett liest in der Linken Literaturmesse" haben wir überstanden, weil wir uns gesagt haben, wir lassen uns davon nicht beeindrucken. Sie hat ihr Buch in einem legalen Verlag herausgebracht, und es gibt keinerlei rechtliche Handhabe dagegen. Warum sollte das Buch hier also nicht vorgestellt werden? Hier treten Leute unterschiedlichster politischer Ausrichtung auf und stehen gleichberechtigt nebeneinander. Und überhaupt ist eine Veranstaltung mit zehn Besuchern nicht weniger wert als eine mit 80. Richtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, daß unsere Möglichkeiten für eine Außenwerbung, also das Anbringen von Transparenten am Haus, ein Stück weit eingeschränkt wurden.

SB: Von den Hausherren?

R: In einem städtischen Zentrum wird es nicht gern gesehen, wenn draußen Schilder angehängt werden, und deswegen machen wir das nicht. Mittlerweile haben wir wieder einen relativ guten Kontakt zu den Leuten aus dem Kulturamt, die das Haus hier betreiben, aber sie setzen halt die Regeln, unter denen die Messe stattfindet.

Zeitungsauslage auf Treppenstufen - Fotos: © 2014 by Schattenblick Zeitungsauslage auf Treppenstufen - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Blickfang Treppenaufgang
Fotos: © 2014 by Schattenblick

SB: Seid ihr mit dem diesjährigen Ergebnis der Messe und Veranstaltungen zufrieden und habt ihr positive Resonanz von den Verlagen bekommen?

R: Wir haben positive Resonanz von den Verlagen bekommen, aber zufrieden sollten wir als Linke ohnehin nie sein, das schwächt nur den Antrieb, die Sache auszubauen. In den 19 Jahren seit ihrem Bestehen ist die Messe immer ausbaufähig geblieben, sowohl in bezug auf Veranstaltungsprogramm, beteiligte Verlage und Zeitungsredaktionen als auch hinsichtlich der Besucherzahlen. Bezüglich der Werbung läßt sich sicher vieles verbessern, doch die Resonanz von den Verlagen ist in jedem Jahr grundsätzlich positiv. Natürlich üben wir uns selbst gegenüber Sachkritik und versuchen gemeinsam, alles voranzubringen und besser zu machen.

SB: Ihr habt vorhin im großen Kreis zusammengesessen und diskutiert.

R: Genau. Es gibt bei jeder Messe ein Treffen der beteiligten Verlage, wo versucht wird, über Veränderungen abzustimmen. Jeder kann Vorschläge einbringen, was er gerne anders haben möchte und so weiter. Dann schaut man, wie man das gemeinsam organisieren kann. Werbung ist immer ein Punkt. Aber es wird auch über die Teilnehmerzahl gesprochen, ob sie gestiegen, gesunken oder gleichgeblieben ist. Die Teilnehmerzahl schwankt immer ein bißchen hin und her. Natürlich wünschen sich viele mehr Teilnehmer und daß Leute mehr kaufen, weil einige Verlage ziemlich herumknapsen und schauen müssen, daß sie das Spritgeld zusammenkriegen, um hierher kommen und die Standgebühren entrichten zu können. Aber es gibt eine gesellschaftliche Entwicklung, die dazu führt, daß immer mehr Leute weniger Geld haben und dadurch weniger ausgeben können.

SB: Robert, vielen Dank für das Gespräch.

Flur in Richtung Messesaal - Foto: © 2014 by Schattenblick

Foto: © 2014 by Schattenblick


Zur "19. Linken Literaturmesse in Nürnberg" sind bisher im Pool
INFOPOOL → DIE BRILLE → REPORT
unter dem kategorischen Titel "Linksliteraten" erschienen:

BERICHT/017: Linksliteraten - Aufgefächert, diskutiert und präsentiert ... (SB)
BERICHT/018: Linksliteraten - Sunnitische Ränke ... (SB)
BERICHT/019: Linksliteraten - Arbeit, Umwelt, Klassenkampf ... (SB)
BERICHT/020: Linksliteraten - Marktferne Presse, engagiertes Buch ... (SB)
BERICHT/021: Linksliteraten - Widerspruchssymptom EU ... (1) (SB)
BERICHT/021: Linksliteraten - Widerspruchssymptom EU ... (2) (SB)
BERICHT/023: Linksliteraten - Widerspruchssymptom EU ... (3) (SB)

INTERVIEW/009: Linksliteraten - Ukraine und das unfreie Spiel der Kräfte ...    Reinhard Lauterbach im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Linksliteraten - Schienenband in Bürgerhand ...    Dr. Winfried Wolf im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Linksliteraten - Spuren des Befreiungskampfes ...    Prof. Dr. Herbert Meißner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Linksliteraten - kapital- und umweltschadenfrei ...    Emil Bauer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Linksliteraten - Der aufrechte Gang ...    Victor Grossman im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Linksliteraten - Übersetzung, Brückenbau, linke Kulturen ...    Mario Pschera vom Dagyeli-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Linksliteraten - Vermächtnisse und Perspektiven ...    Simone Barrientos vom Kulturmaschinen-Verlag im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Linksliteraten - Die linke Optik ...    Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann vom Verband Arbeiterfotografie im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Linksliteraten - Der rote Faden ...    Wiljo Heinen vom Verlag Wiljo Heinen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Linksliteraten - Mit den Augen der Verlierer ...    Annette Ohme-Reinicke im Gespräch (SB)

3. Januar 2015


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang