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INTERVIEW/015: Linksliteraten - Vermächtnisse und Perspektiven ...    Simone Barrientos vom Kulturmaschinen-Verlag im Gespräch (SB)


19. Linke Literaturmesse Nürnberg

Simone Barrientos über die Geschichte des Kulturmaschinen-Verlags, über die Herausgabe des Gesamtwerks Franz Josef Degenhardts und warum sie ihr Programm auf Buchmessen präsentiert - oder auch nicht



Simone Barrientos leitet den Kulturmaschinen-Verlag, in dem vor allem deutschsprachige Belletristik, aber auch Sachbücher herausgegeben werden. Nach 30 Jahren in Berlin lebt sie nun im fränkischen Ochsenfurt, dem neuen Standort des Verlages. Auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg ergab sich die Gelegenheit für ein Gespräch mit der Verlegerin.

Portrait der Verlegerin - Foto: © 2014 by Thomas Puschmann

Simone Barrientos
Foto: © 2014 by Thomas Puschmann

Schattenblick: Frau Barrientos, könnten Sie etwas zur Geschichte Ihres Verlages erzählen, wie er entstanden ist und welche Motivation sie hatten, ihn überhaupt aufzubauen?

Simone Barrientos: Gegründet wurde er 2008 und der Hintergrund war, daß ich ein literatur-affiner Mensch bin. Ich kenne viele Schriftsteller und litt daran, daß gute Literatur nicht veröffentlicht und vor allem die DDR-Literatur so ins Vergessen gestoßen wurde. Also habe ich mir irgendwann gesagt, es gibt Bücher, die gedruckt werden müssen, und wenn es kein anderer tut, muß ich das wohl machen. Einer der Auslöser dazu war der große Kinderbuchautor Peter Abraham aus der DDR. Eines Tages kam er ins Terzo Mondo, wo die Schriftsteller aus dem VS sich einmal im Monat treffen. Er hatte einige Exemplare dieses großartigen Jugendromans, der kurz vor dem Mauerfall frisch gedruckt worden war, aber dann direkt aus der Druckerei auf die Müllhalde befördert wurde, gerettet und uns die ganze Geschichte erzählt. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, und habe "Kuckucksbrut" selbst verlegt. Ich bin links eingestellt, insofern ist das, womit ich mich beschäftige, auch links orientiert, auf keinen Fall jedoch rechts, chauvinistisch oder religiös. Leider haben die meisten linken Verlage nur Sachbuchprogramme, was sehr schade ist, denn Literatur ist ein sehr gutes Transportmittel für Inhalte.

SB: Die DDR war ein Land mit einer regen Lesekultur. Ist diese Leselust, aber auch das Interesse an subversiver Literatur Ihrer Meinung nach in der Bevölkerung verlorengegangen?

Simone Barrientos: Ja, ich glaube, sie ist ein Stück weit verlorengegangen, aber auch deshalb, weil Bücher in der DDR unglaublich günstig waren. Ich bin einmal im Monat in eine Buchhandlung gegangen und mit einem großen Sack voller Bücher wieder herausgekommen. Man hat auch Bücher gejagt, wenn man sie nicht sofort bekommen hat. So gesehen waren es dann auch Schätze. Außerdem hat man untereinander viel getauscht. Heute ist es so beliebig geworden. Ein anderer Grund für den Verlust an Lesefreudigkeit ist vermutlich, daß viele Menschen immer mehr in den Überlebenskampf abdriften, und dann so etwas über die Kante fällt. Aber ich denke, diese Lust am Buch ist in weiten Kreisen immer noch vorhanden, aber nicht mehr so flächendeckend wie früher. Das beweist ja die Leipziger Buchmesse "Leipzig liest", wenn dann tatsächlich in der ganzen Stadt gelesen wird. Ich weiß nicht, ob das in Frankfurt so funktionieren würde.

SB: Beim Betrieb in Frankfurt hat man ein wenig den Eindruck, daß es sehr um Celebrities geht.

Simone Barrientos: Genau, es ist elitärer, während die Leipziger Messe tatsächlich eine Lesermesse ist. Und die Leipziger sind auch stolz auf ihre Messe. Das sind wahrscheinlich noch die Ausklänge aus DDR-Zeiten.

SB: Sind Sie der Ansicht, daß Literatur einen emanzipatorischen Anspruch hat und in diesem Sinne auch der Volksbildung dient?

Simone Barrientos: Ich habe schon den Anspruch, daß die Bücher, die ich mache, Spuren bei den Lesern hinterlassen, daß sie Denkanstöße liefern, in Bewegung setzen und ganz allgemein die Neugier fördern, vielleicht auch das Denken einmal in eine andere Richtung lenken. Aber ich mache keinen Agitprop. Mir geht es erst einmal darum, daß es qualitativ gute Literatur ist, und von daher schließe ich bestimmte Sachen auch aus. Was bleibt, sind Bücher, die eben nicht beliebig sind, nicht im Mainstream versinken und auch keine Genre-Literatur im klassischen Sinne darstellen. Wenn ich einen Krimi herausgebe, ist es kein Genre-Krimi, sondern ein Buch mit einem literarischen oder politischen Anspruch.

SB: Als Franz Josef Degenhardt vor drei Jahren gestorben ist, gab es zwar in den großen Medien Nachrufe, die aber sehr verhalten ausfielen und ihn in seinem literarischen Wert völlig unzureichend würdigten. Wie ist es dazu gekommen, daß Sie das Gesamtwerk von Franz Josef Degenhardt herausbringen?

Simone Barrientos: Kurz nach seinem Tod und kurz vor seinem 80. Geburtstag erhielt ich einen Brief mit dem Absender Degenhardt. Darin stand, ob ich mir vorstellen könnte, mit der Veröffentlichung seines belletristischen Gesamtwerks zu seinem 80. Geburtstag zu beginnen. Ich mußte mich erst einmal hinsetzen. Der Verlag war noch relativ jung. Ich habe dann dort angerufen und gefragt, wie viele Verlage außerdem noch angeschrieben wurden. Aber es hieß, nur der Kulturmaschinen-Verlag. Da mußte ich mich nochmal hinsetzen und fragte nach dem Grund dafür.

Die Antwort war, daß Franz Josef Degenhardt sich eine neue Heimat für seine Bücher wünschte, in der er vorne steht und nicht irgendwo hinten abgehandelt wird, einen Verlag, in dem sein Werk lieferbar bleibt und nicht nach einem halben Jahr makuliert wird, und wo er in guter Gesellschaft ist. Und weil wir in seiner Wahrnehmung der linke Belletristik-Verlag überhaupt waren, wurde eben ich gefragt. Das war eine ganz große Ehre und so ein bißchen der Ritterschlag für den Verlag.

SB: Werden Sie auch seine Liedtexte veröffentlichen?

Simone Barrientos: Seine beiden Liederbücher kommen noch. Darüber hinaus wird es Bücher geben, in denen sich Autoren wiederum mit seinem Werk beschäftigen. Aber das braucht Zeit. Geplant ist auch die Herausgabe des Buches "Väterchen Franz und ich", in dem Weggefährten über ihn schreiben. Wir hängen in der Planung ein bißchen in der Luft, weil wir uns damals etwas zu viel vorgenommen haben. Das macht aber nichts, die Bücher kommen, acht sind es jetzt, und dann erscheinen noch die beiden Liederbücher und Väterchen Franz. Der Kulturmaschinen-Verlag soll eine große Heimat von Franz Josef Degenhardt sein und bleiben.

SB: Was gibt es noch, das Sie mit persönlichem Interesse verlegen oder gerne herausgeben würden?

Simone Barrientos: Ganz aktuell ist es natürlich "Kreuzende Kurse" von Walter Mülich, ein Sachbuch über die Geschichte von Folterschiffen im Nationalsozialismus. Eines dieser Schiffe lag zum Beispiel in Bremerhaven vor Anker. Aber es gab auch Folterschiffe bei der Junta in Chile. Und die Kurse kreuzten sich. Das chilenische Schiff lag irgendwann genau dort, wo das deutsche gelegen hatte. Auch die Wege der Menschen kreuzten sich, denn einer der SA-Folterer unter den Nazis war später Folterlehrer in Chile. Walter Mülich hat diese Geschichte aufgedröselt und ein sehr spannendes Buch darüber geschrieben. Es füllt eine Wissenslücke, denn ich muß zugeben, daß ich davon nichts gewußt habe, und es auch den meisten anderen Leuten unbekannt ist.

Es freut mich auch, daß der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt seine Anthologie jetzt bei mir herausgegeben hat. Sie ist gerade erschienen und hat schon einen Preis bekommen. Wir haben ein großartiges Buch über George Tabori von Jutta Schubert im Programm und eines über Alexander Schmorell, der zusammen mit Hans Scholl Mitbegründer der Weißen Rose war. Und natürlich ist Leander Sukov unbedingt zu erwähnen, für mich einer der größten Schriftsteller Deutschlands im Moment, vor allem jedoch einer der besten Lyriker, der politische Gedichte schreibt, die nicht nur aktuell sind, sondern von einer lyrischen Sprachkraft, die ihresgleichen sucht.

Leo Seidl hat sein erstes Buch bei mir gemacht und sich gerade noch einmal dafür bedankt, daß es ein ordentliches Lektorat gab, was gar nicht mehr selbstverständlich ist. In meinem Verlag wird wirklich lektoriert und am Text gearbeitet, um aus einem guten Manuskript ein großartiges Buch zu machen. Das schätzen die Autoren natürlich sehr. Leo Seidl veröffentlicht inzwischen auch woanders, aber das heißt nicht, daß wir uns getrennt haben, sondern nur, daß die Bücher aus thematischen Gründen in einem anderen Verlag besser aufgehoben sind. Ihm habe ich sicherlich auf den Weg geholfen. Oder Peter Gogolin, ein großer Romancier, der früher bei einem anderen Verlag war, bis er krank wurde und man sich dort nicht mehr für ihn interessierte. Da gäbe es noch viele andere zu nennen.

SB: Das Buchgeschäft unterliegt einem Konzentrationsprozeß, in dem große Verlagskonzerne kleine Verlage aufkaufen und unter ihrem Dach versammeln. Der Kulturmaschinen-Verlag ist noch unabhängig. Wären Sie daran interessiert, sich gegebenenfalls unter die Fittiche eines finanziell besser ausgestatteten Verlages zu begeben?

Simone Barrientos: Das käme darauf an. Meine Seele und die meiner Autoren würde ich jedoch nicht verkaufen. Die Grundvoraussetzung, daß ich programmatisch weiterhin maßgeblich die Person bin, die die Entscheidungen trifft, müßte schon gewährleistet sein. Wichtig ist mir auch, daß das Profil erhalten bleibt und er nicht zu einem Mainstream-Verlag wird. Aber wir gehen da ohnehin einen anderen Weg, indem wir die Möglichkeit der stillen Teilhaberschaft eröffnen, um die Arbeit zu unterstützen. Das ist auch nötig, da muß man sich gar nichts vormachen. Wir haben das große Glück, gute stille Teilhaber zu haben, unter anderem den Anwalt Kajo Frings aus Berlin und, was mich besonders freut, Reinhard Mey.

SB: Wir sind hier auf der Linken Literaturmesse, die mit ihren Buchpräsentationen auch den Charakter eines politischen Treffens hat. Wie erleben Sie diese Messe im Verhältnis zu anderen Buchmessen?

Simone Barrientos: Die Linke Literaturmesse macht immer viel Spaß. Erstens muß es sie geben, und zweitens hat man alle Kollegen auf einem Haufen. So entstehen gute Kontakte, man tauscht sich aus und verkauft tatsächlich Bücher. Ich gehe immer mit einem sehr guten Gefühl von der Linken Literaturmesse wieder weg, auch wenn der Zwölf-Stunden-Tag am Samstag ziemlich anstrengend ist. Aber am Ende ist das Fazit immer positiv. In Frankfurt bin ich nicht mehr, weil es vollkommen sinnlos ist. Frankfurt ist mir zu teuer, um den Kollegen einen guten Tag zu wünschen. Ich weiß, daß sich niemand von der Presse oder dem Buchhandel für meine Arbeit interessiert.

SB: Weil der Verlag zu klein ist?

Simone Barrientos: In Frankfurt hat man nicht nur das Problem, daß sich die Aufmerksamkeit auf die großen Verlage konzentriert, sondern sie konzentriert sich noch mehr auf die internationalen Akteure, die dort stark vertreten sind. Erst der internationale Teil, dann die großen Verlage, und dann ist Schluß.

Es gibt in Frankfurt die Gegenbuchmesse, da machen wir Veranstaltungen, das macht auch Spaß. Wir sind kein kleiner, wir sind ein überschaubarer und auch großer Verlag, weil das, was drinsteckt, etwas Großes ist. Und in Frankfurt kommt hinzu, daß man nicht das Gefühl hat, als überschaubarer Verlag geschätzt zu werden. Das ist in Leipzig ein bißchen anders. Leipzig bemüht sich auch um die nicht so großen Verlage, und Leipzig ist natürlich eine Lesermesse, so daß man viel Publikum hat und interessanten Menschen begegnet. Ich war im letzten Jahr auch nicht in Leipzig, ich weiß nicht, ob ich im nächsten Jahr einen Stand mache, werde aber trotzdem auf die eine oder andere Art mit Veranstaltungen, etwa einem Verlagsabend, präsent sein. Inzwischen mache ich manchmal lieber ein Buch statt einen Stand.

SB: In elektronischen Medien fällt mitunter auf, daß die korrekte Verwendung bestimmter Wortkombinationen oder Metaphern nicht mehr funktioniert, so daß man den Eindruck erhalten könnte, daß die These vom Niedergang des Deutschen zutrifft. Geht da etwas verloren, oder könnte es vielleicht sogar zu einer Renaissance bei der Begeisterung für die Sprache kommen?

Simone Barrientos: Ich glaube, es war immer so und es wird immer so sein, daß es Menschen gibt, die sich für Sprache begeistern und sie bereichern. Ich habe ja sehr sprachgewaltige Autoren, die Bücher kann das also nicht betreffen. Ich glaube, daß es eigentlich immer so war, daß es Menschen gibt, die das pflegen und andere, denen es gleichgültig ist. Ich glaube nicht, daß an der Sprache etwas verlorengeht. Es werden Wörter verlorengehen, aber dafür tauchen andere in die Sprache ein. Die Duden-Redaktion sichtet regelmäßig Romanmanuskripte und läßt diesen Wortschatz in das Wörterbuch einfließen, so daß der Duden-Wortschatz wächst und sich ändert. Ich war ganz stolz darauf, daß meine Bücher vor drei Jahren dabei waren. Der Duden kam auf mich zu und wir haben unsere Roman-Manuskripte eingeschickt. Auf diesem Weg können wir auch zum Reichtum der Sprache beitragen. Ich glaube nicht an diese Untergangsstimmung, sondern denke, daß das immer so war. Wenn man Schriftsteller aus der römischen Antike liest, dann wurde auch damals schon alles immer schlechter. Ich glaube, Sprache ändert sich, aber sie wird nicht ärmer.

SB: Frau Barrientos, vielen Dank für das Gespräch.


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6. Dezember 2014


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