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INTERVIEW/005: Zwischen Passion und Profession - Frank Schulz im Gespräch (SB)


Interview mit dem Hamburger Schriftsteller zu "Onno Viets und der Irre vom Kiez"



Zur ersten "Schwarzen Hafennacht" in der Kaffeerösterei Speicherstadt las Frank Schulz aus seinem neuesten Roman "Onno Viets und der Irre vom Kiez" am Abend des 5. Februar 2013 in Hamburg. Vor der Lesung sprach der Schattenblick mit dem Autor über Gewalt, die Schriftstellerei als Traumberuf, die Lust und die Last beim Schreiben, das Leiden am Sprachverfall und den Stellenwert von Anerkennung.

Schattenblick: Kennen Sie Onno Viets?

Frank Schulz: Persönlich, meinen Sie, oder was?

SB: Jemanden, der ihm ähnelt, oder hat er vielleicht sogar autobiographische Züge?

FS: Nein, Onno ist die Hauptfigur aus meinen Romanen, die mir biographisch am weitesten entfernt ist. Ich kenne drei oder vier Menschen, deren Mix, um das mal so respektlos zu sagen, vielleicht einen Onno-Viets-Zuschnitt ergibt, mit anderen Worten, bei ein paar bestimmten Charaktereigenschaften hatte ich Vorbilder, ja.

SB: Sie sind über Umwege zum professionellen Schreiben gekommen, haben beruflich ursprünglich etwas anderes gemacht. Was ist Ihre größte Lust, was Ihre größte Last am Schreiben?

FS: Zunächst einmal zu Ihrer Prämisse: Ich mußte zwar Umwege gehen, aber es war immer mein größter Wunsch, seit ich 11, 12 Jahre alt bin, Schriftsteller zu werden.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Frank Schulz
Foto: © 2013 by Schattenblick

Die größte Lust beim Schreiben sind vielleicht die sogenannten Flow-Momente, wo alles läuft, wo der schwarze Tee gut die Kehle herunterrinnt, genau die richtige Temperatur hat, genauso lau ist, wie man 's braucht, wenn die Schreibmaschinen- bzw. die PC-Tastatur klappert, wenn Einfälle da sind, die bestimmte Probleme lösen, oder wenn ich Wörter finde, die mir gefallen, kurzum, wenn drei Stunden vergangen sind wie im Fluge und ich das Gefühl habe, einfach dem Glück anheim gefallen zu sein, hemmungslos vor mich hin phantasieren und mit der Sprache umgehen zu können. Das ist die größte Lust. Die größte Last beim Schreiben, abgesehen von finanziellen Engpässen und dem ganzen Krempel, der unter Berufsrisiko fällt, ist vielleicht der Moment, wo bestimmte Seiten, bestimmte Passagen so oft von mir selber gelesen wurden, daß sie wie in Stein gemeißelt dastehen, ich praktisch dazu überhaupt keine Fühlung mehr kriege, was den Inhalt betrifft. Das ist eine grauenhafte Last, mit der ich immer wieder zu kämpfen habe. Ich versuche das jedesmal zu umgehen, indem ich das bisher Geschriebene nicht so häufig lese, sondern alles ablagere, um dann nach einer gewissen Zeit wieder mit frischem Blick daran zu gehen. Aber bisher ist mir das nie geglückt. Ich habe das Gefühl, ich muß immer wieder lesen, um drin zu bleiben. Über Christoph Ransmayr habe ich mal gehört, daß er bestimmte Seiten hundertmal schreibt oder häufiger. Das würde mich wahnsinnig machen. Aber er sagt, ihm helfe das, um hineinzukommen oder drin zu bleiben - für mich wäre das der reine Horror.

SB: Sie gelten als ein sehr präziser Benutzer der Sprache. Was bedeutet Ihnen angesichts eines zunehmenden Sprachverfalls und einer wachsenden Sprachbeliebigkeit die Genauigkeit von Sprache?

FS: Das mündet schon in eine gewisse Form der Melancholie. Ja, der Sprachverfall macht mich bange, obwohl natürlich auch Chancen darin stecken. Ein Beispiel ist die sogenannte Kanak Sprak, eine Erfindung von meinem geschätzten Kollegen Feridun Zaimoğlu aus Kiel, die sich in zwanzig, dreißig Jahren der Immigration geradezu zu einer Form von Dialekt entwickelt hat. Das empfinde ich durchaus als Bereicherung. Auf der anderen Seite aber gibt es natürlich schon einen Sprachverfall, was poetische Sprache, was Zwischentöne angeht, das ist schon mal klar.

Die Genauigkeit beim Umgang mit der Sprache hat fast etwas von einem nostalgischen Hobby, wenn man das pessimistisch betrachten will. Ich scheue mich geradezu, den Gedanken daran in letzter Konsequenz fortzuführen, weil mir dann ganz schwindelig wird. Im Grunde fühlt es sich schon fast wie Eskapismus an, wenn man sich mit einer genauen Sprache beschäftigt.

SB: In Ihrem Buch geht es auch um das Thema Gewalt. Haben Sie eigene Erfahrungen damit?

FS: Wenige, aber eindrückliche. Mit dem Thema beschäftige ich mich im Grunde erst seit dieser Onno-Reihe. Eigene Erfahrungen sind eher peripherer Art, so, wie es viele Jungs betrifft, wenn sie in der Pubertät mit rivalisierenden Banden zu tun haben oder Hauereien in der Schule. Nichts Schlimmes habe ich da erlebt, aber es gab ein paar Momente, in denen ich die Erniedrigung, die damit zu tun hat, sehr tief gespürt habe. Das waren Momente, die sich bis heute erhalten haben. Gewalt fasziniert mich einerseits, andererseits stößt sie mich vollkommen ab, ...

SB: ... was ja kein Widerspruch ist.

FS: Nein, überhaupt nicht. Und nachdem ich mit der Hagener Trilogie durch war, was immer mein Herzensanliegen gewesen ist, war ich frei für weitere Dinge, die mich beschäftigen.

Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Autor im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Wie entgeht man als Schriftsteller bei Themen, wie sie in Onno Viets vorkommen, Gewalt, Sex, Kiez, prekäre Lebensverhältnisse, abgestürzte Existenzen, der Gefahr, zu Lasten der Betroffenen lediglich einen Voyeurismus zu bedienen, der sich aus der sicheren Entfernung einer Sofaecke an den Niederlagen anderer goutiert?

FS: Ich habe versucht, dem zu entgehen, indem ich mich sehr stark mit den Loserfiguren identifiziert habe. Hier sind es ja zwei an der Zahl, einerseits Onno - eher die gutartige Ausführung - und andererseits der Gegenspieler Händchen - eher der Bösartige. Mir ist es häufig zu glatt oder wohlfeil, bestimmte Dinge einfach vorauszusetzen und klischeehaft zu beschreiben. Deswegen habe ich mich bemüht, in die Tiefe zu gehen, was die Figuren angeht, und das auch möglichst radikal zuzuspitzen. An einer Stelle habe ich beispielsweise einen Freund über Onno sagen lassen: "In einer Gesellschaft, in der nach Leistung bezahlt wird, wäre Onno ein Fall für die Organbank."

SB: Entspricht das Ihrer Sicht auf die Gesellschaft?

FS: Was die Arbeitswelt angeht, kann man das durchaus so sagen. Wer zum Teufel kommt überhaupt noch auf die Idee, daß ein Mensch einfach so geboren wird und nicht als Element des Arbeitsmarktes oder als Spielball der Wirtschaft. Deswegen habe ich versucht, das ein bißchen zuzuspitzen und auf der anderen Seite eine Figur zu schaffen, die mit dem ökonomischen Auskommen überhaupt keine Probleme hat, die aber, weil illegal, eben auf andere Art und Weise mit der Gesellschaft gebrochen hat.

SB: Wollen Sie Ihre Leser in erster Linie unterhalten oder durchaus auch ein Unbehagen erzeugen angesichts der Dinge, über die Sie schreiben?

FS: Beides und noch mehr: den Leser packen, in die Irre führen oder auch schocken. Ich glaube, ein Schriftsteller, der das nicht versucht, hat seinen Beruf verfehlt. Das ist einfach eine Art von Ehrgeiz, die in jedem stecken muß, damit er wirklich alles probiert. Das erwarte ich als Leser, der ich ja auch bin, daß die Autoren mich zu fassen kriegen.

Kaffeesäcke in der Speicherstadt-Kaffeerösterei - Foto: © 2013 by Schattenblick

Zeugnisse traditioneller Kaffeekultur
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: "Literatur ist ein Lebensmittel". Würden Sie diesen Satz unterschreiben?

FS: Klar, natürlich, der gilt für mich zu einhundert Prozent. Ich wüßte nicht, wo ich wäre, wenn ich ohne Literatur hätte leben müssen. Ohne zu lesen erstmal, ob ohne zu schreiben, wäre noch eine zweite Frage.

SB: Sie haben Georg Francks "Ökonomie der Aufmerksamkeit" zur Lektüre empfohlen, der die Bedeutung von Anerkennung in unserer Gesellschaft sogar über die von ökonomischem Reichtum stellt. Wie wichtig ist Ihnen Anerkennung?

FS: Gute Frage. Sagen wir 51 Prozent, in etwa. Ohne Anerkennung würde ich ins Schwimmen geraten. Aber viel mehr Anerkennung zu erwarten oder die Wichtigkeit höher zu dotieren, wäre, glaube ich, auch nicht gut, weil man dann nach dem Applaus schielt.

SB: In dem Sinne würden Sie Georg Franck also nicht folgen, der die Anerkennung ja sehr hoch ansiedelt?

FS: Ich würde das Stufenmodell wählen. Die Grundanerkennung als Autor sollte schon höher liegen. Aber meine persönliche Anerkennung versuche ich herunterzudimmen. Das ist wahrscheinlich ein Trick, um mir nicht in die Tasche zu lügen. Aber grundsätzlich folge ich Georg Franck, was den Wert der Anerkennung in der Gesellschaft an sich angeht, total. Natürlich ist es sehr wichtig, Anerkennung zu finden. Aber ich habe das Gefühl, daß ich schon so viel davon bekommen habe, daß ich vorsichtig mit den Ressourcen umgehen sollte.

SB: Ist Schreiben für Sie ein Mittel, mit den Zweifeln an der Welt fertig zu werden oder zumindest einen Umgang damit zu finden?

FS: Ja. Bei den ersten Romanen war das ein Hinaustasten. Ich war noch sehr unsicher, wie das wohl alles aufgefaßt werden würde, erst nach und nach wurde ich dann ein bißchen sicherer. Insofern und im nachhinein betrachtet, war es das, ja, ein Mittel, mit Zweifeln klarzukommen und dann nach und nach zu sehen, daß der Ruf hinaus und die Antwort hinein in einem gewissen Verhältnis zueinander stehen. Das hat mir gut getan.

SB: Man nennt Sie auch den Hamburger Bukowski. Ärgert Sie das?

FS: Nein, das nicht, das ist ja nett gemeint. Und Bukowski war auch einer meiner Helden, als ich 16, 17 war. Aber ich glaube, es trifft nicht recht zu. Und ich scheue mich so ein bißchen, wenn das Attribut "Hamburger" ins Spiel kommt. Seit mein Kumpel Harry Rowohlt sich darüber aufgeregt hat, daß ich als Hamburger tituliert wurde, bin ich da vorsichtig. Ansonsten mache ich mir kaum Gedanken darüber, ehrlich gesagt, und es ist, glaube ich, auch nicht meine Aufgabe. Ich will noch so viel schreiben, noch so viel erzählen, damit bin ich vollauf befaßt. Mit meiner Außenwirkung bin ich sehr, sehr glücklich, weil ich jetzt schon mehr Anerkennung gefunden habe, als ich mir jemals erhofft hätte. Die Verkaufszahlen dürften gern noch das Zehn- und Zwanzigfache erreichen, aber was die kollegiale und auch die kritische Anerkennung angeht, bin ich zutiefst glücklich. Da wär' ich ein Snob, wenn ich mir jetzt noch selber ein Label ausdenken würde.

SB: Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch.

9. Februar 2013