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INTERVIEW/001: Wissen ist Macht - freie Software, freies Spiel ...    Richard Stallman im Gespräch (SB)


Free Software, Your Freedom, Your Privacy


Vortrag von Richard Stallman am 10. Februar 2017 an der TU Berlin

Wer den US-amerikanischen Programmierer Richard Stallman um ein Interview bittet, muß ihm zuvor versprechen, daß der publizierte Text einige häufig kolportierte Fehler vermeidet: Keine Verwechslung des von ihm entwickelten GNU/Linux-Systems mit dem Namen "Linux" und ebenfalls keine Verwechslung der von ihm propagierten freien Software mit Open Source. Diese Unterscheidung ist Stallman aus gutem Grund sehr wichtig. Eine Verwässerung der deutlich voneinander unterscheidbaren Begriffe würde auch die Philosophie Stallmans und der von ihm gegründeten Free Software Foundation (FSF) [1] verschleiern und damit in die Bedeutungslosigkeit verbannen. Dabei ist es wesentlich, zu begreifen, daß freie Software nicht Gratis-Software bedeutet, sondern daß den Usern vier "Freiheiten" gewährleistet sein müssen, damit eine Software als frei bezeichnet werden kann: Die Nutzer dürfen das Programm ausführen (Freiheit 0), den Quellcode untersuchen und abändern (Freiheit 1), exakte Kopien redistribuieren (Freiheit 2) und modifizierte Varianten distribuieren (Freiheit 3). [2]


Stallman mit ausgebreiteten Armen hinter Rednerpult beim Vortrag - Foto: © 2017 by Schattenblick

Richard Stallman erklärt, daß der 1991 von Linus Torvalds entwickelte Kernel "Linux" nur ein kleiner Teil des 1984 entwickelten GNU-Systems ist.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Laien erkennen womöglich nicht auf den ersten Blick, was es bedeutete, würden diese "Freiheiten" bei der Produktion und Verbreitung von Software im allgemeinen eingehalten. Die gesellschaftlichen Konsequenzen wären weitreichend. Beispielsweise könnten sich in freier Software keine versteckten Programme der Geheimdienste mehr verbergen, und wollten Unternehmen heimlich das Nutzungsverhalten ihrer Kundinnen und Kunden ausspionieren, wäre auch das erkennbar. Selbst wenn es eines Tages vielleicht keinen Whistleblower wie Edward Snowden mehr gibt und kein Mensch ein Problem damit hat, von Staat und Unternehmen ausspioniert zu werden, wäre das für Stallman kein Grund, von der Propagierung freier Software abzulassen. Denn, wie er in einem Gespräch am Rande der Veranstaltung erklärte, das hieße ja ansonsten, von vornherein aufzugeben.

Richard Stallman hat mit der Free Software Movement und seinem GNU-System Geschichte geschrieben. Sein Einfluß auf die Entwicklung und Verwendung von Software hat im Laufe der letzten Jahrzehnte nicht etwa ab-, sondern zugenommen. Der Schattenblick sprach mit dem Programmierer, der inzwischen seine Philosophie der freien Software weltweit unter anderem in Vorträgen verbreitet, am 10. Februar 2017 im Anschluß an seinen Vortrag "Free Software, Your Freedom, Your Privacy" an der TU Berlin bei einem Empfang der Wikimedia Foundation in Berlin.

Schattenblick (SB): Herr Stallman, Sie haben den Gebrauch freier Software in Venezuela und anderen Ländern gefördert. Setzt die venezolanische Gesellschaft um, was Sie sich 1985 bei der Gründung der Free Software Foundation vorgestellt hatten?

Richard Stallman (RS): Eigentlich hatte ich mir damals solche Fragen gar nicht gestellt. 1985 machte ich mir keine Gedanken über irgend etwas, das darüber hinausgegangen wäre, das GNU-System zu verwirklichen. Weder habe ich mich gefragt, wer es benutzen wird, noch, was dem im Wege stehen könnte, noch sonstwas. Ursprünglich hatte Venezuelas Präsident Hugo Chávez ein Dekret erlassen, wonach die Behördeneinrichtungen der Exekutive auf freie Software wechseln sollten, und er hat zu diesem Zweck in einigen Städten bestimmte Organisationen damit beauftragt, daß sie die Umsetzung der freien Software vorantreiben. Damit waren sie jedoch nicht sehr weit gekommen, denn es gab nichts, was die Leute innerhalb des bürokratischen Apparats davon abhielt, sich zu widersetzen. Mir ist sogar zu Ohren gekommen, daß in einer bestimmten Stadt ein Mitarbeiter einer jener Organisationen entlassen worden war, nur weil er seinen Auftrag ausführen wollte.

Später wurde in Venezuela ein Gesetz zur Verbreitung von freier Technologie verabschiedet, dem einige Jahre an Debatten vorausgegangen waren. Ich bin allerdings nicht darüber informiert, ob sich daraus irgend etwas entwickelt hat. Das ist jetzt vier Jahre her, und Chávez wurde durch Nicolás Maduro ersetzt. Der ist nicht besonders kompetent, genießt keine so große Unterstützung und klammert sich mit offenkundig undemokratischen Mitteln an die Macht. Deshalb habe ich zum heutigen Zeitpunkt keine besonders großen Erwartungen, daß sich hinsichtlich der Umsetzung des Gesetzes noch viel tun wird. Die Leute, die sich einst für die Verwendung der freien Software eingesetzt hatten, sind anscheinend sehr verstreut und nicht mehr effektiv. Einen Erfolg aber können sie verzeichnen: Die Nationale Organisation der Erwachsenenbildung, INCES [3], ist komplett auf freie Software umgestiegen.

SB: Gibt es irgendwelche Länder, von denen Sie sagen würden, daß sie hinsichtlich des Einsatzes von freier Software vorbildlich sind?

RS: Nein.

SB: Verfolgen China, Japan und Südkorea mit der GNU/Linux-Distribution Red Flag Linux die Ziele der Free Software Foundation?

RS: Nein, meiner Meinung nach nicht. Ich habe noch nie davon gehört, daß Japan oder Südkorea irgendetwas in diese Richtung unternommen hätten. Vor ungefähr zehn Jahren hatte China davon gesprochen, GNU/Linux als nationales Betriebssystem einführen zu wollen, aber es dann doch nicht getan.

SB: Ist es ausgeschlossen, daß die neue US-Regierung unter Präsident Donald Trump die Verwendung freier Software begrenzen oder verbieten kann, möglicherweise mit Verweis auf die Nationale Sicherheit?

RS: Wir haben nicht die geringste Ahnung, was der Troll vorhat.

SB: Sie haben am Mittwoch auf einer internationalen Konferenz im französischen Rennes über freie Software und freie Hardware gesprochen. Heute sind Sie in Berlin und werden in den nächsten Tagen Vorträge auch in Münster und Köln halten. Steht Ihr Besuch im Zusammenhang mit den aktuellen politischen Entwicklungen in Europa?

RS: Die Frage ist mir zu abstrakt. Ich bin mir nicht sicher, was es bedeuten würde, wenn ich darauf Ja oder Nein antworte. Ich befasse mich durchaus bis zu einem gewissen Ausmaß mit der politischen Entwicklung in Europa, weiß aber nicht, welche Parteien für oder gegen freie Software eingestellt sind. Von Frankreich ist mir bekannt, daß Macron [4] die französische Regierung dazu bewegt hat, Windows zu benutzen. Von daher werden wir sicherlich keine Unterstützer von ihm sein.

SB: Hier in Europa wird gegenwärtig über geheimdienstliche Überwachung und Copyright-Schutz diskutiert.

RS: Ich würde nicht von Copyright-"Schutz" sprechen. Die Copyright-Magnate wollen ständig ihren Einfluß ausdehnen. Was auch immer sie unternehmen, erweist sich als potentiell katastrophal. Copyright-Bestimmungen gehen in Richtung Zensur, und die soll immer mehr durchgesetzt werden.

SB: War die Entwicklung des Internets und die Problematik der Ausspähung von Usern absehbar, als sie 1984 begannen, das freie Betriebssystem GNU zu entwickeln?

RS: Nein, das war es nicht. Es hat mich wirklich überrascht, als sie anfingen, tatsächlich jede einzelne Internetnachricht zu verfolgen. Natürlich wußte ich, daß, wenn es irgend jemand darauf anlegt, mir Schwierigkeiten bereiten zu wollen, er mich ausspionieren kann. Ich war aber nicht davon ausgegangen, daß das jemand vorhat. Deshalb war ich ziemlich baff, als ich erfuhr, daß alles und jedes, das irgend jemand von sich gibt, ausgeschnüffelt wird.

SB: Die Free Software Foundation schreibt, daß unfreie Programme den User kontrollieren. Würden Sie sagen, daß diese Kontrolle über die Verbreitung betrügerischer Software mit versteckten Eigenschaften hinausgeht?

RS: Zunächst einmal möchte ich klarstellen, daß die bloße Tatsache, daß die User nicht das Programm kontrollieren, also nicht verändern können, bedeutet, daß umgekehrt das Programm die User kontrolliert. Dabei spielt es keine Rolle, ob irgendein proprietäres Programm irgendwelche bösartigen Funktionen enthält. Wir wissen natürlich, daß viele proprietäre Programme bösartige Funktionen enthalten, aber von den meisten wissen wir es nicht und können es auch nicht herausfinden.

SB: Wäre es also nicht besser, davon auszugehen?

RS: Ich würde an dieser Stelle nicht so weit gehen, zu verallgemeinern, solange ich nichts über ein proprietäres Programm weiß. Vielleicht hat es keine bösartigen Funktionen. Wichtig ist: Das Programm kontrolliert die User, eben weil es proprietär ist. Das gilt auch dann, wenn diese Kontrolle nicht ausdrücklich dafür verwendet wird, üble Dinge zu tun. Diese Kontrolle an sich sollte es nicht geben, sie ist von vornherein falsch. Wenn nun so ein Programm bösartige Funktionen enthält, ist das eine zweite Ungerechtigkeit. Die Tatsache, daß die User nicht das Programm verändern können, wäre somit die erste Ungerechtigkeit.

SB: Die Nutzung von Technologien wie dem sogenannten Smartphone [5] und vielleicht in naher Zukunft von autonom fahrenden Autos dürfte das Denken und Verhalten der Menschen beeinflussen. Könnte freie Software anstelle von unfreier Software den gleichen Effekt haben?

RS: Das weiß ich nicht. Sie sprechen davon, daß die Funktionsweise solcher Produkte die Leute beeinflussen könnte. Entscheidend ist jedoch, wie eine Software lizenziert ist, entscheidet im Prinzip darüber, wie sie funktioniert. Eher stieße man auf üble Funktionen in proprietären Programmen wie beispielsweise DRM [6], was einer Zensur entspricht. Meiner Meinung nach wird sich dann die Art zu denken der Leute ändern, wenn sie feststellen, daß unfreie Software Hintertürchen enthält, und sie werden daraufhin verstärkt dazu übergehen, freie Software zu benutzen.

SB: Die Linux Foundation hat sich der Förderung von Open-Source-Software, aber nicht der Verbreitung von freier Software verschrieben. Verstehen Sie den Beitritt von Microsoft zur Linux Foundation eher als einen Versuch zur Vereinnahmung der freien Software oder als Rückzug der proprietären Software?

RS: Zunächst einmal will ich klarstellen, daß die Linux Foundation viele Programme unterstützt, die frei sind. Bei nahezu allen Open-Source-Programmen wird freie Software verwendet. In der Praxis gibt es einen Unterschied, aber der tritt selten auf. Es gibt einige wenige Open-Source-Programme, die unfrei sind, da sie durch Lizenzen abgesichert sind, die zu restriktiv sind, als daß sie frei genannt werden könnten. Aber sie sind selten. Die Linux Foundation sagt, sie unterstützt Open Source, aber tatsächlich unterstützt sie freie Programme, die sie lediglich nicht so nennt, da sie nicht unsere Philosophie teilt. Wir haben mit der Linux Foundation nicht viel zu tun.

SB: Und wie schätzen Sie den Schritt von Microsoft ein?

RS: Ich glaube, Microsoft versucht, irgendeinen Einfluß auf die Linux Foundation zu gewinnen. Microsoft pflegt zu behaupten, es sei aufgeschlossen gegenüber Open Source. Dieser Begriff korrespondiert mit einer wachsweichen Philosophie, die die Leute nicht ermutigt, aufs schärfste zu hinterfragen, was Microsoft behauptet. Da Open Source für kein ethisches Prinzip und keinen ethischen Standpunkt steht, bei dem falsch und richtig eindeutig zu unterscheiden sind, ist es einfach, sich freundlich zu geben. Das ist unverbindlich und löst keine Konflikte aus. Deshalb hat Microsoft die Chance, die Community dahingehend zu beeinflussen, daß sie Open Source annimmt.

SB: Es wird zur Zeit an neuen Datenübertragungsstandards G4 und G5 für eine sogenannte "augmented reality" gearbeitet. Hat die freie Software ihren Platz in solch einer "erweiterten Realität"?

RS: Sie ist von vornherein komplett ausgeschlossen! Die Chips, die mit dem Funknetz kommunizieren, gestatten keine freie Software. Man muß sie also grundsätzlich als Feind ansehen, der jemandem Schaden zufügen will.

Allerdings gibt es Leute, die entwickeln Mobiltelefone mit isoliertem Modem-Chip. Das bedeutet, daß er die User nicht belauscht, solange sie ihm das nicht gestatten, daß er nichts übermittelt, was ihm nicht erlaubt ist, und daß er den Hauptspeicher nicht kontrollieren kann. In solche Geräte könnte man freie Software einbringen. Meines Wissens nach treten noch gewisse Probleme mit Peripheriegeräten auf. Die verwenden unfreie Software. Wenn diese Leute mit der Entwicklung ihres Mobiltelefons noch ein bißchen weiterkämen, könnten sie daraus ein Gerät machen, das akzeptabel wäre.

SB: Wäre eine Künstliche Intelligenz in der Lage, einen Quellcode zu verändern?

RS: Meinen Sie das Konzept eines Quellcodes?

SB: Ich meine den Quellcode selbst.

RS: Nein, wie sollte das gehen? Sie haben einen Quellcode für ein bestimmtes Programm. Wieso sollte die bloße Existenz der KI einen Quellcode verändern? Das ergibt keinen Sinn, so etwas passiert nicht. Was die Leute heute an einer KI fasziniert, bezieht sich auf ausgebildete neuronale Netzwerke. Das ausgebildete neuronale Netzwerk ist eine Liste von Gewichtungen. Das sind Zahlen. Die fließen in das neuronale Netzwerk ein und lassen es dieses oder jenes erkennen. Das hat nichts damit zu tun, daß irgendein Quellcode hinzugefügt würde.

Was in der Zukunft möglich ist - wer weiß das schon? Man kann sich immer alles mögliche vorstellen, natürlich auch eine KI, die sich ihre Software schreibt. Anstatt also, daß ich eine Software installiere, die von einem Menschen geschrieben wurde, installiere ich eine Software, die von einer KI geschrieben wurde. Im Prinzip besteht da kein Unterschied.

SB: Und könnte so ein Quellcode dann auch noch "frei" sein?

RS: Natürlich könnte er das. Ob ein Quellcode "frei" ist, hängt allein davon ab, ob für die User die vier Freiheiten erfüllt sind, und es spricht im Prinzip nichts dagegen, eine freie Lizenz auf einen von einer KI geschriebenen Quellcode zu verhängen. Allerdings müßte die Frage des Copyrights für solch einen Code noch geklärt werden. Es könnte sein, daß in einigen Ländern kein Copyright besteht, weil kein Autor genannt wird. Wenn KIs nicht als Person anerkannt werden, können sie auch kein Copyright halten. Das ist eine Rechtsfrage, die entschieden werden müßte. Aber wenn die KI das Copyright besitzt, dann ist sie Copyright-Halterin und könnte sich entscheiden, den Quellcode freizugeben.

SB: Herzlichen Dank für das Gespräch.


Fußnoten:

[1] www.fsf.org

[2] https://www.gnu.org/philosophy/

[3] INCES - Instituto Nacional de Cooperación Educativa Socialista.

[4] Emmanuel Macron war von August 2014 bis August 2016 Wirtschaftsminister im Kabinett von Frankreichs Präsident François Hollande und ist Kandidat bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 2017.

[5] Das englische Wort "smart" bedeutet im Deutschen "klug". Zu der Frage, ob es klug ist, permanent ein Überwachungsgerät mit sich zu tragen, mit dem nicht nur der jeweilige Ort, sondern auch die Kontakte, Interessen, Neigungen und vieles mehr kontrollierbar wird, gibt Stallman eine klare Antwort: Er führt kein Smartphone mit sich.

[6] DRM - Akronym für Digital Rights Management, z. Dt.: Digitale Rechte-Management. Stallman hingegen spricht von Digitales Restriktionen-Management oder auch Digitale Rechte-Minderung.

14. Februar 2017


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