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PROJEKT/170: Deutschland - Kindergarten als Brücke zwischen den Kulturen


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2007

Verschiedene Herkunft - gemeinsame Zukunft
Deutschland: Ein Kindergarten als Brücke zwischen den Kulturen

Von Athanasios Melissis


Es ist noch früh am Morgen. In der Kindertagesstätte (KiTa) in der Wiesbadener Adlerstraße sitzen die Kinder ruhig in einem Stuhlkreis und reichen den "Erzählstein" herum. Jedes Kind, das den kleinen Stein in der Hand hält, muss erzählen, was es heute gerne machen möchte. Jetzt ist Noah an der Reihe. Der Fünfjährige möchte heute am liebsten in den Turnraum. Nachdem sich weitere Kinder dafür gemeldet haben, begleitet sie eine Erzieherin in den Raum, in dem die Kinder turnen und toben können. Eine andere Gruppe geht in den Igel-Raum, um zu basteln und zu malen, während der Bären-Raum für Theater spielen oder Geschichten lesen vorgesehen ist.


Soziale Ungerechtigkeit vor der Haustür

Die KiTa Adlerstraße befindet sich mitten im Bergkirchenviertel. Der Anteil zugewanderter Familien liegt hier bei mehr als 40 Prozent. Derzeit besuchen 52 Kinder aus 13 verschiedenen Herkunftsländern die Kindertagesstätte, damit betreut die Einrichtung zu drei Vierteln Migranten- oder Flüchtlingskinder.

Angebote, die die Integration von Zuwandererfamilien verbessern könnten, gibt es nur wenige - nicht viel mehr als 1973, als terre des hommes-Ehrenamtliche die KiTa gründeten. Sie wollten damals etwas gegen die soziale Ungerechtigkeit direkt vor ihrer Haustür unternehmen. Auch 34 Jahre später hat diese Absicht - angesichts der hohen Integrationshürden für die im Bergkirchenviertel lebenden Migranten - nichts an Aktualität eingebüßt.


Blick auf die Unterschiede

"Das Besondere an der KiTa ist das interkulturelle Konzept", erklärt Aydan Faulhaber, Elternbeirätin und Mutter von Noah. "Unterschiede zwischen den Kindern - sei es Sprache oder Hautfarbe - werden hier nicht ignoriert, sondern ganz bewusst angesprochen." Beispielsweise in der fast täglichen Musikförderung, in der die Kinder singen, Instrumente spielen und sich zur Musik bewegen. Hier lernen die Jungen und Mädchen auch Lieder in den Sprachen aller Kinder, die in der KiTa betreut werden, sei es Griechisch, Arabisch oder Türkisch. In kleinen Gruppen wird aber auch die gemeinsame Sprache Deutsch besonders gefördert.

"Außerdem legt die KiTa besonders viel Wert darauf, dass auch die Eltern, die kein Deutsch sprechen, ihre Ideen zur Arbeit der KiTa einbringen", so Aydan Faulhaber. "Dann wird eben gedolmetscht."


Erziehung zur Eigenveranwortlichkeit

Für Aydan Faulhaber war von vornherein klar, dass sie ihren Sohn Noah in die von terre des hommes geförderte KiTa schicken würde. "Ich finde es gut", erklärt sie, "dass die Kinder von Anfang an lernen, dass sie für die Konsequenzen ihrer Taten selbst verantwortlich sind." So können die Kinder seit einiger Zeit das "Diplom" für den Turnraum machen. Wer diese Bescheinigung hat, darf hier auch ohne Aufsicht spielen. Für das Diplom müssen die Kinder einige Regeln beherrschen, beispielsweise nicht auf die Fensterbänke zu steigen oder sich nicht zu hauen. Wer die Regeln bricht, verliert sein Diplom und darf wieder nur gemeinsam mit einer Erzieherin in den Turnraum. Die Diplome hängen für alle sichtbar an der Tür, und die Kinder sind stolz darauf. Noah hat sein Diplom wieder abgeben müssen wegen einer kleinen Handgreiflichkeit und muss es nun neu erwerben. Es sei doch nur Spaß gewesen, meint er. "Aber das", lacht Aydan Faulhaber, "behaupten die Kinder immer."


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2007, Seite 6
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2007