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LÄNDERBERICHT/071: Alltag in Zeiten der Cholera - Der ganz normale Wahnsinn in Simbabwe


die zeitung - terre des hommes, 1. Quartal 2009

Alltag in Zeiten der Cholera
Der ganz normale Wahnsinn in Simbabwe

Von Urte Tegtmeyer/Birgit Dittrich


John Ncube ist müde. Jeder Tag bedeutet eine Kraftanstrengung für ihn. Allein um sein tägliches Leben zu organisieren. Das ist viel Arbeit in einem Staat, der nur noch Mängel verwaltet. Der Tag beginnt für den 42-Jährigen um vier Uhr. Um überhaupt einigermaßen pünktlich zu seiner Arbeit bei einer Hilfsorganisation in der Hauptstadt Harare zu kommen und vorher noch das Wichtigste organisiert zu haben, muss er so früh aufstehen. Es gilt, Essen und Medikamente für die eigene Familie und die nähere Verwandtschaft zu besorgen. Außerdem muss er einen Sack Maismehl an der Schule seiner Tochter abliefern, damit dort überhaupt noch Unterricht stattfinden kann.


John Ncube ist einer der wenigen "Glücklichen", die in einem Land mit horrender Arbeitslosigkeit eine formale Anstellung haben. Immerhin verdient er noch ein bisschen Geld - und das in Devisen. Damit kann er zumindest das Notwendigste zum Überleben für sich und seine Familie besorgen - auch wenn das mit viel Aufwand verbunden ist. Simbabwer, die zwar eine Anstellung haben, aber in einheimischer Wahrung bezahlt werden, können für ihr Geld nichts kaufen, weil es stündlich an Wert verliert. Außerdem gibt es kaum noch Waren.

Um arbeiten zu können, muss John Ncube Papier und Stifte organisieren, benötigt er einen funktionierenden Computer und eigentlich auch ein Telefon. Damit er seine Familie ernähren kann, ist es manchmal notwendig, für eine Flasche Öl ans andere Ende der Stadt zu fahren - in der Hoffnung, dass die Quellen, die verbreiten, dass es morgen dort Öl gibt, auch wirklich Recht haben. Doch schon da geht das Problem los. Da viele Privatautos nicht mehr funktionieren, sind die städtischen Kleinbusse hoffnungslos überfüllt. Jeden Tag muss sich John einen Platz in diesen Bussen regelrecht erkämpfen. Eigentlich hat John ein Auto, doch das steht in der Werkstatt. Deren Chef hat ihm wenig Hoffnung gemacht. Er würde den Wagen ja gerne reparieren. Doch zurzeit ist kein Herankommen an Ersatzteile. Also bleibt das Auto stehen.


Mangelwirtschaft überall

Es geht fast nichts mehr in der einstigen Kornkammer Afrikas. Seit Jahren wirtschaftet der ehemalige Vorzeige-Befreiungskämpfer Robert Mugabe das Land herunter. Zuerst wurden die weißen Großbauern vertrieben. Die frei werdenden Ländereien bekamen Mugabes Gefolgsleute. Da diese jedoch von Landwirtschaft zu wenig verstanden, brachen die Ernteerträge massiv ein.

Es gibt kein Saatgut, keinen Dünger, keine Maschinen. Benzin und Haushaltsgüter sind exorbitant teuer. Die letzte Regenzeit ist ausgefallen. Die Unterernährung hat sich dramatisch verschärft. Die Mehrzahl der im Land gebliebenen Simbabwer hat nichts mehr zu essen. Für die Versorgung der Hungernden sind laut Welternährungsprogramm allein dieses Jahr 233 Millionen Euro nötig.

Wer kann, flüchtet über die Grenze in die benachbarten Länder Südafrika, Botswana, Sambia und Mosambik. Vier Millionen Simbabwer sind bereits geflohen. Rund zwei Millionen pendeln täglich über die Grenze, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Internationale Hilfsorganisationen versuchen, so gut es geht Hilfe zu leisten. terre des hommes ist seit über 20 Jahren in Simbabwe aktiv. In einem der Projekte wurden in mehreren Schulen Gemüsegärten angelegt und kultiviert. Das kommt den Schülern jetzt zugute. Außerdem unterstützt terre des hommes seit vielen Jahren Projektpartner, die immer wieder Ernährungsprogramme für Kinder durchführen. Doch die Arbeit von terre des hommes und anderen Hilfsorganisationen kann langfristig nicht die Probleme des Landes lösen. Nötig ist ein politischer Wandel. Die aktuelle Krise hat viele fatale Auswirkungen - so auch auf die Bildung. Nur in wenigen Dörfern findet noch Schule statt. Die Lehrer werden zwar bezahlt. Der Lohn der Lehrer reicht allerdings nicht einmal für die Busfahrkarte aus, um zu ihrer Arbeit in die ländlichen Gebiete zu gelangen. Doch immer noch gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die trotz dieser katastrophalen Zustände versuchen, ihre Schulkinder zu unterrichten. Als Lohn dafür bekommen sie von den Eltern, die noch etwas erübrigen können, Nahrungsmittel. Einige Lehrer allerdings haben unter den momentanen Umständen ihren Beruf aufgegeben. Lehrer standen vor allem im Vorfeld der Wahlen im Generalverdacht, Anhänger der Oppositionspartei MDC zu sein. Deswegen wurden sie gezielt von Mugabes Regierungspartei ZANU-PF verfolgt.

Dort wo kein Lehrer ist oder wo Eltern nichts übrig haben, fällt die Schule aus. Für die Simbabwer ist Bildung aber wichtig. Das kann man auch an der hohen Alphabetisierungsrate im Land ablesen: Sie liegt bei rund 70 Prozent - noch.

Eine Generation ohne Bildung hätte für das Land weitreichende Folgen. Fachkräfte in Verwaltung, Wirtschaft, Gesundheit - kurzum in allen Sektoren, die wesentlich für die Entwicklung des Landes sind - würden fehlen.

Trotzdem - einen bewaffneten Aufstand lehnt die Mehrheit der Simbabwer ab. Natürlich ist den meisten auch klar, dass sie gegen die Armee Mugabes nicht die geringste Chance hätten. Außerdem ist die Bevölkerung stolz darauf, mit friedlichen Mitteln gegen das marode System zu protestieren. "Wir sind hier nicht im Kongo", ist ein gerne gebrauchtes Zitat.


Die Krankheit der Krise

Vielleicht ist es nun die Cholera, die dem Mugabe-Regime das Genick bricht. Cholera ist das Sinnbild für die katastrophalen Zustände im Land. Cholera ist die Krankheit der Armen: Schmutziges Trinkwasser und mangelhafte sanitäre Einrichtungen begünstigen eine massenhafte Verbreitung dieser Infektion. Natürlich ist es auch in anderen Jahren vor allem auf dem Land schon zu Cholera-Erkrankungen gekommen. Doch der derzeitige Ausbruch hat eine neue Quantität und Qualität erreicht. Denn jetzt herrscht die Cholera auch in der Hauptstadt. Der dichtbevölkerte Vorort von Harare, Budiriro, ist das Zentrum der Cholera, auch in zwei weiteren bevölkerungsreichen Vororten wütet die Infektionskrankheit.

Ungeklärtes Abwasser ist in das Trinkwassersystem geleitet worden. Das kann nur in die Katastrophe führen: über 3.000 Tote, eine unbekannte Zahl von Infizierten, die nach halbwegs offiziellen Angaben mindestens 60.000 beträgt, das Überschwappen der Seuche in die Grenzländer Botswana, Mosambik, Sambia und Südafrika.

Doch das scheint Robert Mugabe und seine Anhänger wenig zu beeindrucken. Die Fernsehbilder von ihm hinterlassen Ratlosigkeit: Sich hinlümmelnd am Rednerpult, den Kopf in die Hände gestützt, erklärt Mugabe, dass die Cholera in Simbabwe besiegt sei. Ist das Gleichgültigkeit, Sarkasmus oder Realitätsverlust?

Doch wie überall gibt es auch in Simbabwe die andere Seite: Die glitzernde Kosumwelt mit exquisiten Einkaufspassagen. Diejenigen, die das Regime unterstützen, es am Laufen halten, leben komfortabel. Wichtig sind Devisen, um ein gutes Leben zu führen. Mit Dollars und Euros können die Gutsituierten so gut wie alles in Simbabwe bekommen oder in den Nachbarländern beschaffen. Für diejenigen, die kein Geld und keine Kraft haben, um zu fliehen, geht es hingegen ums nackte Überleben.

Dennoch - die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand. Immer wieder bemühen sich alle Minister wortreich zu erklären, dass nicht sie selber schuld seien an der Misere, sondern in erster Linie der Westen und ganz besonders die verhassten Briten. Zum Beispiel wird kolportiert, dass die USA zusammen mit Großbritannien die Cholera-Bakterien absichtlich in Simbabwe verbreitet hätten, um so eine Invasion zu ermöglichen. Überhaupt lässt die simbabwische Regierung keine Gelegenheit aus, dem Westen zu unterstellen, eine erneute Kolonialisierung vorzubereiten. Das betrifft zum Beispiel auch Hilfsangebote. Deswegen werden nichtstaatliche internationale und lokale Hilfsorganisationen misstrauisch beäugt.

Selbst afrikanische Staatschefs, wie zum Beispiel der Präsident des Nachbarlandes Botswana, Ian Khama, werden verbal angegriffen. Angeblich soll Khama Anhängern der Oppositionspartei von Morgan Tsvangirai, dem MDC, militärisches Training in seinem Land ermöglicht haben.

Mugabe und seinen Gefolgsleuten ist jedes Mittel Recht, um an der Macht zu bleiben. Entweder ignorieren sie wider besseren Wissens die katastrophalen Zustände im Land oder sie wissen wirklich nicht, wie es um Simbabwe bestellt ist. "Noch nie, auch in den dunkelsten Stunden des Befreiungskrieges war es so schlimm wie es jetzt ist", sagt John Ncube. Irgendwann wird das Regime von Robert Mugabe zusammenbrechen. Sicherlich wird es sich nicht von innen heraus erneuern. Dafür braucht Simbabwe die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft.


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Quelle:
die zeitung, 1. Quartal 2009, S. 3
Herausgeber: terre des hommes Deutschland e.V.
Hilfe für Kinder in Not
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2009