Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → TERRE DES FEMMES

BERICHT/092: Workplace Policy - ein wirksames Instrument gegen häusliche Gewalt (frauensolidarität)


TERRE DES FEMMES in der frauensolidarität - Nr. 114, 4/10

Workplace Policy
Ein wirksames Instrument gegen häusliche Gewalt

Von Serap Atinisik


Im Oktober 2010 veröffentlichte TERRE DES FEMMES die erste Studie zur Umsetzung der so genannten Workplace Policy in Deutschland, mit der sich Unternehmen gegen häusliche Gewalt positionieren.


Eine Workplace Policy hat zum Ziel, in Unternehmen häusliche Gewalt zu thematisieren, erhöhte Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen sowie die Konsequenzen für den Arbeitsplatz aufzuzeigen. Dies soll zu einer Selbstverpflichtung führen, das heißt, ArbeitgeberInnen positionieren sich sowohl nach außen als auch nach innen gegen häusliche Gewalt. In Unternehmen selbst sollen Strukturen etabliert werden, die Betroffenen Hilfe und Unterstützung bieten. Dazu gehört, dass Informationen und Orientierungshilfen geboten werden, um Häusliche Gewalt zu identifizieren und darauf reagieren zu können. Es können Schulungen für MitarbeiterInnen durchgeführt werden, Plakate oder Faltblätter ausgelegt werden, um über externe Hilfs- und Beratungsangebote zu informieren. Vor allem soll den MitarbeiterInnen vermittelt werden, dass sie von der Geschäftsführung Unterstützung erwarten können. Das können kleinere Maßnahmen sein wie zum Beispiel geänderte Arbeitszeiten, wenn eine Frau vom (Ex-)Partner verfolgt wird.


Hintergrund

Mitte der 1990er Jahre hielt dieses Konzept seinen Einzug in den angelsächsischen Raum und fand rasch seinen Weg in viele Unternehmen und Verwaltungen. Beispielhaft stehen hiefür American Express, Vodafone, British Telecom oder auch diverse britische, australische und amerikanische Unternehmen. ArbeitgeberInnen sahen darin sowohl die Möglichkeit, ihrer Fürsorgepflicht für betroffene MitarbeiterInnen nachzukommen, als auch die Chance, letztendlich wieder die volle Arbeitskraft der Mitarbeiterinnen für ihr Unternehmen zur Verfügung gestellt zu bekommen.

Vor allem US-amerikanische Studien heben hervor, dass 20-25% der Arbeitsausfälle von Frauen auf Häusliche Gewalt zurückzuführen sind und dass 75% der betroffenen Frauen an ihrem Arbeitsplatz gestalkt werden. Die Workplace Policy ist also nicht nur ein Instrument, um betroffenen Frauen wirksam zu helfen, sondern bietet auch volkswirtschaftliche Vorteile. Denn die direkten und indirekten Kosten für die Gesellschaft sind beträchtlich, wenn man zum Beispiel an die Polizeieinsätze und die medizinische Versorgung der Betroffenen denkt. Häusliche Gewalt verringert die Produktivität von Unternehmen und steigert die Kosten des Gesundheitsmanagements.

Das Kosmetikunternehmen THE BODY SHOP war 2007 noch der einzige Betrieb in Deutschland, der eine Workplace Policy umsetzte. Inzwischen konnte TERRE DES FEMMES noch weitere Behörden und Betriebe in Deutschland davon überzeugen, eine Workplace Policy zu implementieren. Viele gesellschaftliche Akteure sind in den letzten Jahren aktiv geworden oder wurden über Aufklärungskampagnen und Fortbildungen sensibilisiert. Die erste repräsentative Studie zu Gewalt an Frauen mit dem Titel "Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland" wurde 2004 herausgebracht. Sie offenbarte das Ausmaß von häuslicher Gewalt, nämlich kurz gesagt, dass rund 25% der Frauen im Alter von 16 bis 85 Jahren körperliche oder sexuelle Gewalt - oder auch beides - durch Beziehungspartner mindestens ein- oder auch mehrmals erlebt haben.

Allein in Berlin wurden im vergangenen Jahr 16.285 Fälle häuslicher Gewalt bei der Polizei registriert. Schätzungen zufolge sind ca. 20 bis 25% der Arbeitsausfälle von Arbeitnehmerinnen auf häusliche Gewalt zurückzuführen.


Untersuchung zur Wirkung der Workplace Policy

Nachdem nun in verschiedenen Unternehmen in Deutschland die Workplace Policy eingeführt wurde, analysierte TERRE DES FEMMES im Auftrag der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen in Berlin die Wirkung dieser Bemühungen empirisch. Dabei ging es vor allem um die praktische Umsetzung durch die verantwortlichen Amtsträger bzw. Führungskräfte und die Frage, wie die Beschäftigten und vor allem die von häuslicher Gewalt betroffenen Personen das Konzept aufnehmen. Insgesamt 2.832 Fragebögen wurden in den Bezirksämtern Charlottenburg-Wilmersdorf und Reinickendorf bei The Body Shop-Berlin und in der Geschäftsstelle der Barmer GEK Berlin verteilt. Der Rücklauf der Fragebögen lag bei 18,2%. Es konnten 513 Fragebögen in die quantitative Auswertung einbezogen werden. 78,6% der Antwortenden waren weiblich. Ein Grund hierfür ist sicherlich auch der hohe Anteil der weiblichen Beschäftigten in den teilnehmenden Verwaltungen und Unternehmen. Die gute Rücklaufquote weist darauf hin, dass ein großes Interesse an der Befragung und somit auch der Workplace Policy besteht.

Ergänzend wurden im Verlauf der Studie qualitative Interviews mit Führungskräften durchgeführt und Mitarbeiterinnen der beteiligten Institutionen und Verwaltungen, die diese Idee in ihr Unternehmen gebracht haben. Die in der Studie erhobenen Daten bestätigen die zuvor zitierten allgemeinen Zahlen. So gaben bei der Frage nach körperlicher Häuslicher Gewalt 30,1% der Frauen und 8,3% der Männer an, dass sie in der Vergangenheit hiervon betroffen waren. Die Frage nach der Betroffenheit von psychischer häuslicher Gewalt bejahten 36,7% der Frauen und 19% der Männer. Das Ausmaß der Betroffenheit lässt sich auch an den folgenden Zahlen ablesen: 18,2% der TeilnehmerInnen an der Studie erklärten, dass sie eine Person unter den Mitarbeitenden kennen, die von häuslicher Gewalt betroffen ist oder war. 4,8% der Befragten vermerkten sogar, dass sie mehrere betroffene Kollegen oder Kolleginnen kennen. Auffällig waren hierbei die Geschlechterunterschiede: Während 20,3% der Frauen angaben, eine von häuslicher Gewalt betroffene Person zu kennen, traf dies nur auf 9,5% der Männer zu.


Positive Wirkung

Es bestätigte sich, dass die Workplace Policy zu einem größeren Wissen über häusliche Gewalt führt. So wurde beispielsweise die Frage, ob häusliche Gewalt eine Privatangelegenheit darstellt, nur von rund 6% der Befragten bejaht. Auch die Frage, ob sich häusliche Gewalt nur auf bestimmte Gruppen beschränkt, wurde von einer klaren Mehrheit verneint. Somit kann man feststellen, dass die Befragten die oftmals vorhandenen Stereotype über häusliche Gewalt nicht teilen. Dies ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auf die Workplace Policy und deren Informationen über das Ausmaß und die soziale Verteilung von häuslicher Gewalt zurückzuführen. Damit wird das Ziel einer Enttabuisierung von häuslicher Gewalt durch die Workplace Policy erreicht.

Die Studie zeigt außerdem, dass betroffene Personen die Workplace Policy positiver bewerten als Angestellte, die in ihrem bisherigen Leben nicht von häuslicher Gewalt betroffen waren. Dies kann als klarer Hinweis gewertet werden, dass die Workplace Policy tatsächlich von den Betroffenen als Hilfestellung empfunden wird.


Webtipp und Information:

TERRE DES FEMMES: Die Wissenschaftliche Studie zur Evaluation der Implementierung des Workplace Policy Konzeptes in Berlin kann auf www.frauenrechte.de/Häusliche Gewalt/Aktuelles downgeloadet werden. Weitere Informationen bekommen Sie beim Referat Häusliche Gewalt unter gewaltschutz@frauenrechte.de.


Zur Autorin:

Serap Altinisik ist Leiterin des Referats "Häusliche Gewalt" bei TERRE DES FEMMES.


TERRE DES FEMMES
Menschenrechte für die Frau e. V.
Postfach 2565, 72015 Tübingen
Telefon: 07071/79 73-0, Telefax: 07071/79 73-22
E-Mail: info@frauenrechte.de
Internet: www.frauenrechte.de


*


Quelle:
Frauensolidarität Nr. 114, 4/2010, S. 22+23
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Sensengasse 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Österreich und Deutschland 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2011