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FLUCHT/059: Kessel Nahost - für den Schwächsten die Zange ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juli 2014

Libanon: Palästinensische Flüchtlinge aus Syrien an Grenze zurückgewiesen - Beirut verschärft Einreiseauflagen

von Mutawalli Abou Nasser


Bild: © Mutawalli Abou Nasser/IPS

Palästinensische Flüchtlinge im Libanon
Bild: © Mutawalli Abou Nasser/IPS

Beirut, 7. Juli (IPS) - Zehntausende Palästinenser in Syrien sind seit Beginn des Bürgerkrieges auf der Flucht. 50.000 konnten sich in den Libanon retten. Doch dieser Fluchtweg entpuppt sich zunehmend als Sackgasse.

Die Familie des 19-jährigen Iyad hatte Palästina bereits nach der Gründung des Staates Israel 1948 verlassen. Sie fand im Flüchtlingslager Yarmuk in der syrischen Hauptstadt Damaskus eine neue Heimat. Dann brach der Bürgerkrieg aus und die Familie floh in den Libanon. Doch der ist auch nicht mehr sicher, wie Iyad berichtet.


Bei Ausreiseversuch festgenommen

Der junge Mann hatte ursprünglich vor, sich vom Libanon aus nach Libyen durchzuschlagen und von dort aus die gefährliche Bootsüberfahrt zur italienischen Insel Lampedusa zu wagen. Im Juni wurde er jedoch zusammen mit 48 anderen Palästinensern von den libanesischen Sicherheitskräften bei dem Versuch festgenommen, vom Beiruter Flughafen Rafiq Hariri aus das Land zu verlassen. Nach knapp zehnstündiger Vernehmung entschieden die libanesischen Behörden, die Palästinenser nach Syrien abzuschieben.

Seit neuestem gilt, dass Palästinenser aus Syrien nur dann in den Libanon einreisen dürfen, wenn sie die Genehmigung der Allgemeinen Sicherheitsbehörde erhalten haben. In der Zwischenzeit dürfen die syrischen Behörden den Palästinensern die Ausreise in den Libanon nicht gestatten, solange keine Genehmigung der libanesischen Botschaft in Damaskus vorliegt.

Die Grenzposten können nach eigenem Ermessen Palästinenser zurückweisen, ohne dies den Behörden in Beirut melden zu müssen. So haben diese keine andere Wahl, als zu versuchen, heimlich über die Grenze zu kommen. Dies bringt sie in die schwierige Situation, im Libanon ohne gültige Papiere leben zu müssen, was sie zu Zielscheiben von Übergriffen macht.

Die Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' beschuldigt die libanesische Regierung, mit ihrer jüngsten Politik gegen den internationalen Grundsatz der Nichtzurückweisung zu verstoßen. Demnach ist es Staaten verboten, Asylsuchende oder Flüchtlinge an Orte zurückzuschicken, an denen ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind.

"Ich kann auf keinen Fall nach Syrien zurück, denn ich würde dort von der Armee eingezogen und müsste töten. Ich werde aber kein Gewehr in einem Kampf einsetzen, der nicht meiner ist", sagt Iyad, der sich inzwischen inkognito im Libanon aufhält.

Würde er ausgewiesen, liefe er Gefahr von den syrischen Sicherheitskräften aufgegriffen zu werden, meint ein weiterer junger Palästinenser, der sich Mahmoud nennt. "Das wäre eine Reise ohne Wiederkehr", meint er. "Ich weiß, dass die Sicherheitskräfte nach mir suchen. Sie übergeben den Familien noch nicht einmal die Leichen und behaupten, man sei an den Folgen einer Krankheit gestorben."

"Wir machen uns Sorgen um die Menschen, die von den syrischen Sicherheitskräften gesucht werden. Wir wissen, dass sie entweder ins Gefängnis gesperrt oder getötet werden", bestätigt der Menschenrechtsaktivist Alaa al Sahli.

Die Regierung des Libanons ist zwar dazu berechtigt, ihre Grenzen zu schützen. Der große Zustrom an Flüchtlingen belastet das Land enorm. Andererseits suchen die Palästinenser verzweifelt einen sicheren Aufenthaltsort.


Familienmitglieder voneinander getrennt

Laut der UN-Behörde, die für palästinensische Flüchtlinge in Nahost zuständig ist, hat die libanesische Regierung zugesichert, dass die derzeitigen Beschränkungen nur vorübergehend gelten. Bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass sich die Lage ändert. Dutzende Palästinenserfamilien sind auseinandergerissen worden und irgendwo gestrandet.

Nour war vor etwa einem Jahr mit ihrer Familie in den Libanon gekommen. Als die Ersparnisse zur Neige gingen und ein Ende der Kämpfe in Syrien nicht absehbar war, wollte die Familie versuchen, als Flüchtlinge nach Europa zu kommen. Nour lieh sich umgerechnet 400 US-Dollar, um mit ihrer kleinen Tochter nach Syrien zurückzukehren und die nötigen Papiere für die Reise der Familie nach Europa aufzutreiben. Ihr Mann und drei weitere Kinder blieben derweil im Libanon, weil die Fahrt für alle zu teuer gewesen wäre. Als Nour alle Formalitäten in Syrien erledigt hatte und zurück in den Libanon wollte, wurde sie nicht durchgelassen.

"Mein Mann und meine Kinder sind im Libanon. Damit wir wieder zusammen sein können, müssten sie nach Syrien zurückkehren", berichtet sie. "Doch was sollen wir hier tun? Auf der Straße leben, hungern und unser Leben riskieren?"

In einer Mitteilung vom 1. Juli informierte 'Amnesty International' über die verzweifelte Lage vieler Familien, die auf dem Weg über die Grenze in den Libanon voneinander getrennt wurden. In anderen Fällen erfuhr die Menschenrechtsorganisation, dass Palästinensern aus Syrien von vornherein die Einreise in den Libanon verwehrt wurde, unabhängig davon, ob sie die neuen Auflagen für die Einreise erfüllten oder nicht.

Amnesty liegt unter anderem ein Dokument vor, das offensichtlich von den Sicherheitsdiensten stammt. Demzufolge sind Fluggesellschaften, die den Hauptflughafen von Beirut nutzen, angewiesen, keine palästinensischen Flüchtlinge aus Syrien in den Libanon zu befördern, auch dann nicht, wenn diese gültige Dokumente besitzen.

Palästinensische Flüchtlinge im Libanon werden seit jeher im Libanon ausgegrenzt, insbesondere seit sie im libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 eine prominente Rolle spielten. Jetzt, wo die Region durch den Syrien-Konflikt gespalten wird, sehen sie sich abermals durch einen Krieg bestraft, den sie nicht verursacht haben. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/07/lebanons-closed-doors-for-palestinian-refugees/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2014