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FLUCHT/023: Wiener Asyl - Friede, Freude, Eierkuchen (SB)


Flüchtlingsproteste in Wien - 4. März 2013

Der Beginn einer neuen Ära - von der Votivkirche ins Servitenkloster


Viele Menschen haben sich am 1. März vor der Votivkirche versammelt - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Zum letzten Mal vor der Votivkirche - Aktion der Wiener Refugees am MigrantInnenstreiktag
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Flüchtlingsproteste vor der Votivkirche, dem zweitgrößten Gotteshaus der Hauptstadt Österreichs - Bilder dieser Art gehören, wie es angesichts der jüngsten Ereignisse ganz den Anschein hat, wohl bis auf weiteres der Vergangenheit an. Noch am vergangenen Freitag, dem 1. März 2013, der zum transnationlen MigrantInnenstreiktag ausgerufen worden war, hatten sich zahlreiche Menschen, neben den Refugees aus der Votivkirche auch viele Freunde und Unterstützer, auf dem Kirchenvorplatz versammelt. Wie an diesem Tag war die altehrwürdige Kirche und ihre unmittelbare Umgebung in den zurückliegenden zwei Monaten oft Schauplatz politischer Proteste und Kundgebungen gewesen, ausgelöst durch den Ende Dezember begonnenen Hungerstreik protestierenden Flüchtlinge, die nach der Räumung ihres Protestcamps in der Kirche Aufnahme gefunden hatten. Noch am Streiktag waren vor der Kirche die Anliegen und Forderungen der Protestierenden unübersehbar gemacht worden.

Zwischen Bäumen aufgespanntes Transparent mit der Aufschrift '1. March Transnational Migrant Strike Day - For equal rights! Against Racism!' - Foto: © 2013 by Daniel Weber

1. März 2013 - MigrantInnenstreiktag für gleiche Rechte und gegen Fremdenfeindlichkeit
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Seitens der Kirchenleitung, die stets betonte, von einer polizeilichen Räumung absehen zu wollen, war den Refugees der Aufenthalt in der Votivkirche gewährt worden. Zugleich ließ sich aus dem frommen Wunsch, diese Aktion möge friedlich beendet werden, allerdings auch herauslesen, daß die Kirchenverantwortlichen an einer Beendigung dieser für sie doch ungewöhnlichen Kirchennutzung interessiert sind.

Dieses Ziel wurde inzwischen erreicht. Am gestrigen Sonntag siedelte die in der Kirche verbliebene Gruppe von rund 60 Flüchtlingen geschlossen in eine ihnen von der Kirche angebotene Ersatzunterkunft über, nämlich das ehemalige Servitenkloster in 1090 Wien, Servitengasse 9.

Vorausgegangen war diesem friedlichen Auszug aus der Kirche eine zwischen allen Beteiligten, also den Refugees, der Erzdiözese, den Hilfsorganisationen sowie weiteren UnterstützerInnen gemeinsam getroffene Vereinbarung, derzufolge die Flüchtlinge im Kloster ihrer Meldepflicht nachkommen würden. Zugleich erklärten alle Refugees ihre Bereitschaft, an ihren Asylverfahren mitzuwirken. Im Gegenzug hatte das Bundesinnenministerium Österreichs den Betroffenen schriftlich zugesichert, daß gegen keinen von ihnen Schubhaft verhängt werden würde. [1] Dies dürfte, da es in jüngster Vergangenheit wiederholt zu Festnahmen einzelner Flüchtlinge aus der Votivkirche gekommen war, ein wesentlicher Grund für den "freiwilligen" Auszug gewesen sein.

Drei Refugees aus der Votivkirche - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Eindringliche Worte am transnationalen MigrantInnenstreiktag
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Drei Migrantinnen - eine spricht ins Mikro - und ein Migrant - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Über Herkunftsgrenzen hinweg - Streiktag der transnationalen Refugee-Bewegung in Wien
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Der Umzug ins ehemalige Servitenkloster wird seitens der Refugees dem Vernehmen nach einhellig positiv bewertet. Ihr neues Heim im Servitenkloster werde kein kleines Traiskirchen - so der Name des Erstaufnahmelagers, aus dem sie im vergangenen Herbst zu Fuß nach Wien gekommen waren, um ihren Protest in der Hauptstadt öffentlich zu machen -, erklärten sie am Tag nach ihrer Ankunft in dem Kloster auf einer ersten, dort durchgeführten Pressekonferenz. Ihr Aufenthalt hier werde nur ein vorübergehender sein und ein weiterer Schritt zur Lösung ihrer Probleme, so ihre Erklärung auf der zum ersten Mal gemeinsam mit der Erzdiözese und der Caritas durchgeführten Pressekonferenz. Die Umsiedlung sei den Refugees zufolge "eine neue Etappe des Flüchtlingsprotests". [1]

Pressekonferenz im Kellergewölbe des ehemaligen Servitenklosters - Foto: © 2013 by Daniel Weber

4. März 2013 - erste Pressekonferenz im neuen Domizil der Refugees aus der Votivkirche
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Dieser Wechsel ist für die Flüchtlinge mit allerlei Hoffnungen verknüpft. Ihr Status scheint weitaus sicherer zu sein als zuvor. Sie sind nun gemeldet, ihnen soll eine Rechtsberatung und -vertretung zur Verfügung gestellt werden, damit ihre individuellen Asylanträge überprüft und bearbeitet werden können.

Allerdings standen ihre persönlichen Schicksale nie im Vordergrund ihrer Proteste, hatten die Aktivistinnen und Aktivisten doch stets deutlich gemacht, daß es ihnen um eine Veränderung des Asylsystems Österreichs für alle Migrantinnen und Migranten bzw. geflohenen Menschen gehe. Der Verdacht, daß seitens ihrer Betreuerinnen und Betreuer sowie der professionellen Helferinnen und Helfer neben dem humanitären Engagement auch das Bestreben verfolgt worden war, auf diese Weise den Protesten die Schärfe zu nehmen, noch bevor sie sich weiter radikalisieren und verbreiten, läßt sich derzeit nicht widerlegen.

Die Refugees ihrerseits haben keinen Moment lang vergessen, was einem der ihren noch vor wenigen Tagen geschehen ist. Shajahan Khan ist einer von ihnen und hatte an früheren Pressekonferenzen teilgenommen. Am vergangenen Freitag jedoch wurde er von der Polizei fest- und in Schubhaft genommen. Auf der heutigen Pressekonferenz der Refugees stand die Frage nach seinem Verbleib mit auf der Agenda.

Ein Refugee hält während der Pressekonferenz ein Papier mit dem Namen 'Shajahan Khan' - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Wo ist Shajahan Khan?
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Durch den Standortwechsel der protestierenden Flüchtlinge, der möglicherweise auch zu einer Neuausrichtung ihrer Aktivitäten führen könnte, ist der am vergangenen Freitag deutlich gemachte Protest gegen die repressive Politik des Innenministeriums in der Öffentlichkeit fast schon wieder in Vergessenheit geraten. Die Grünen Österreichs, genauer gesagt der "Grüne Klub im Parlament", hatte dazu deutlich Stellung genommen:

"Der heutige, dritte MigrantInnenstreiktag in Österreich steht ganz im Zeichen unserer Solidarität mit den Flüchtlingen in der Votivkirche. Erst gestern wurde von der Polizei wieder einer von ihnen festgenommen: wieder einmal setzt die Innenministerin auf Repression und Schubhaft, anstatt sich ihre Sorgen und Probleme zumindest anzuhören", meint Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen, zum heute vor der Votivkirche stattfindenden dritten MigrantInnenstreiktag. Mit dem MigrantInnenstreik machen MigrantInnen und AsylwerberInnen auf Ausgrenzung, die ihnen täglich widerfährt, aufmerksam. Die Regierung diskutiert meist über ihre Köpfe hinweg. Die Folge sind Gesetze, die an den täglichen Realitäten und Herausforderungen im Leben der Betroffenen vorbeigehen oder auch direkt der Ausgrenzung dienen. [2]
Namensschild 'Shajahan Khan' auf dem Tisch, dahinter sitzt niemand - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Der Platz, den Shajahan Khan bislang eingenommen hatte, blieb bei dieser Pressekonferenz leer
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Die Refugees aus der Votivkirche scheinen inzwischen nicht nur guten Mutes und voller Hoffnung zu sein angesichts des Beginns einer neuen Ära ihres Protestes. Sie brachten auch ihre Dankbarkeit zum Ausdruck gegenüber all jenen, die sie bislang so tatkräftig unterstützt hatten:

Adalat Khan, ein Sprecher der Flüchtlinge, dankte laut der Aussendung der Pfarre und dem Pfarrer der Votivkirche für ihre Geduld: "Nach dem Camp im Park war die Kirche ein wichtiger Ort für unseren Protest. Wir sind nun froh, unser Bemühen um bessere Bedingungen für die Flüchtlinge und um eine sichere Zukunft für alle an einem neuen, offenen Ort und in einer regulären Wohnsituation fortsetzen zu können." Die Flüchtlinge bedankten sich auch bei der Caritas und den Johannitern für deren Unterstützung. [3]

Danksagungen gab es angesichts der jüngsten Entwicklung in Hülle und Fülle. Der Ball liege nun, so die einhellige Meinung namhafter gesellschaftlicher Kräfte, bei der Regierung, haben doch die Flüchtlinge alle an sie gestellten Forderungen - den Hungerstreik zu beenden, in ein Ersatzquartier überzuwechseln und an ihren individuellen Asylverfahren mitzuarbeiten - erfüllt. Nun scheint das Prinzip Hoffnung das Feld zu bestimmen, während die Regierungsverantwortlichen aufgefordert werden, nun ihrerseits die nächsten Schritte zu tun. Die Menschenrechtssprecherin der Grünen erklärte:

Die Verbesserung der Asylwerberunterbringung, qualitätsvolle Verfahren und die Möglichkeit, während des Asylverfahrens, sich selbst zu versorgen, sind weiterhin Baustellen, auf die die Flüchtlinge zu recht aufmerksam gemacht haben. "Diese Baustellen warten auf Lösung, auch in einem Wahljahr", erinnert Korun an die notwendigen Systemverbesserungen über Einzelfällle hinaus. "Die Flüchtlingsbewegung ist wegen System-Problemen entstanden. Die Politik sollte diese System-Probleme lösen. Die Bundesregierung ist am Zug", schließt Korun. [4]
Seitenansicht der Pressekonferenz, viele Mikrophone auf die Refugees gerichtet - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Von der Kirche ins Kloster - eine neue Etappe der Wiener Flüchtlingsproteste
Foto: © 2013 by Daniel Weber

Kardinal Christoph Schönborn, der sich via Telefon aus Rom, wo er sich anläßlich der Konklave zur Papstwahl aufhält, in diese Angelegenheit eingeschaltet hatte, sicherte den Refugees in ihrem neuen Domizil das Gastrecht der katholischen Kirche zu und zeigte sich "dankbar, daß die Vernunft gesiegt hat". [5] Um welche bzw. wessen Vernunft es sich dabei handelt, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten erst noch herausstellen müssen. Derweil zeigte sich auch der Geschäftsführer der Wiener Caritas, Klaus Schwertner, erleichtert über die so problemlos über die Bühne gegangene Umsiedlung der Refugees:

"Gemeinsam mit den Flüchtlingen, der Kirche und vielen Unterstützerinnen und Unterstützern haben wir als Caritas immer an eine friedliche und gute Lösung geglaubt. Mit der heutigen Übersiedlung ist ein wichtiger Schritt getan, und gemeinsam werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, dass es zu grundsätzlichen Verbesserungen im österreichischen Asylwesen kommt. Hier geht es zuallererst um mehr Menschlichkeit und Menschenrechte für schutzsuchende Menschen." [6]

Für Bemühungen und Bestrebungen insbesondere seitens der politisch Verantwortlichen, am Asylsystem der Alpenrepublik im Interesse der Menschen, die von ihm betroffen sind, substantiell etwas zu verbessern, hätte es allerdings dieser Umsiedlung nicht bedurft, und so steht zu befürchten, daß mit diesem Schritt in erster Linie die Proteste eingedämmt und entschärft werden sollten.

Großer Topf mit heißem Essen, von Menschen umringt, vor der Kirche - Foto: © 2013 by Daniel Weber

Gemeinsames Essen verbindet - praktische Solidarität am Streiktag
Foto: © 2013 by Daniel Weber


Fußnoten:

[1] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/03/04/audio-o-ton-protestierende-refugees-nun-im-servitenkloster-pressekonferenz-von-refugee-kirche-und-caritas-am-4-marz-2013/

[2] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130301_OTS0124/korun-zum-migrantinnenstreiktag-oesterreich-braucht-menschenwuerdige-gesetze

[3] http://refugeecampvienna.noblogs.org/post/2013/03/03/refugees-ziehen-von-votivkirche-ins-servitenkloster/

[4] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130303_OTS0011/korun-fluechtlinge-haben-konstruktiven-schritt-gesetzt-ball-nun-beim-innenministerium

[5] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130304_OTS0095/schoenborn-kirche-unterstuetzt-dialog-von-fluechtlingen-mit-behoerde

[6] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130303_OTS0010/votivkirche-besetzung-nach-elf-wochen-friedlich-beendet

4. März 2013