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BERICHT/092: Klimacamp im Rheinland - bis vors Gericht und weiter ... (SB)


Energieanwendung vergewaltigt die Gesellschaft, bevor sie die Natur zerstört. (...) Nur wenn eine Gesellschaft den Energieverbrauch selbst ihres mächtigsten Bürgers begrenzt, kann sie soziale Beziehungen ermöglichen, die sich durch ein hohes Maß an Gerechtigkeit auszeichnen. Karg bemessene Technik ist Bedingung, wenn auch keine Garantie für soziale Gerechtigkeit.
Ivan Illich - Energie und Gerechtigkeit [1]



Mobilisierungsplakat Ende Gelände im Rheinischen Braunkohlerevier 2017 - Grafik: 2017 by Ende Gelände

Grafik: 2017 by Ende Gelände

"Wir schaffen ein Klima der Gerechtigkeit" - das Motto von Ende Gelände öffnet den Kampf gegen die Kohleverstromung der Frage, wie sich eine solidarische Gesellschaft mit angemessener Bedürfnisbefriedigung für alle überhaupt schaffen läßt, ohne die Zerstörung von Mensch und Natur weiter zu steigern. In vielen Diskussionsrunden und Arbeitsgruppen auf dem Klimacamp im Rheinland kamen die Beteiligten immer wieder zu dem Schluß, daß die kapitalistische Produktionsweise und Gesellschaftsordnung dafür denkbar ungeeignet ist. Auch wenn die antikapitalistische Stoßrichtung der vielfältigen, von verschiedenen Akteuren getragenen Proteste nicht unbedingt von allen Aktivistinnen und Aktivisten getragen sein muß, um dem erklärten Ziel, die Förderung und Verstromung des klimaschädlichsten Energieträgers Kohle zu stoppen, näher zu kommen, so ist die Forderung "Systemwandel statt Klimawandel" doch integraler Bestandteil der Positionsbestimmung, mit der das Aktionsbündnis antritt:

"Ohne die Überwindung des Kapitalismus, seinem Wachstumszwang und Ausbeutungsmechanismen, ist weder eine ernstzunehmende Bekämpfung der Klimakrise noch globale soziale Gerechtigkeit möglich. (...) Wir brauchen eine basisdemokratische und dezentrale Energiewende, in der Menschen über Verbrauch und Produktion selbst entscheiden. Ein tiefgreifender sozial-ökologischer Wandel ist nötig, um ein gutes Leben für alle zu erreichen!" [2]


Transparent 'Make Capitalism History' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Auftakt roter Finger
Foto: © 2017 by Schattenblick

Zu Fuß vom Klimacamp nach Erkelenz

Rund 200 Menschen versammeln sich am 25. August gegen Mittag auf dem Gelände des Klimacamps am Lahey Park, um, wie Außenstehende nur vermuten können, entweder einen Teil der äußeren Infrastruktur der Kohleverstromung durch eine Blockade lahmzulegen oder sogar in den nahegelegenen Tagebau Garzweiler einzudringen, wie vor zwei Jahren erfolgreich gelungen [3]. Da am Vortag und an diesem Freitag bereits mehrere Finger losgezogen waren, zeugt schon die Tatsache, daß sich immer noch genügend Menschen finden, um weitere Protestaktionen zu starten, von der Stärke der Anti-Kohle-Bewegung. Die Strategie, sich in verschiedenen Gruppen aufzumachen und diverse Aktionsformen zu nutzen, anstatt alle Kräfte auf eine einzige Großdemonstration zu konzentrieren, läßt ahnen, welch umfangreiche Planung und Logistik derartigen Aktionen vorausgeht.


Polizist will Versammlungsleiter sprechen - Foto: © 2017 by Schattenblick

Erste Konfrontation
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schon auf dem kurzen Weg zur Landesstraße 19, die rechts nach Erkelenz und links nach Jackerath führt, kommt ein hochgewachsener Polizeibeamter auf den Zug zu und will den Versammlungsleiter sprechen. Keine Reaktion bei den Angesprochenen, sie gehen weiter und einen Moment lang sieht es so aus, als werde der Polizist in das Fronttransparent eingewickelt. Offensichtlich legt es die Polizei nicht auf eine Eskalation an, der Finger kann in Richtung Erkelenz weiterlaufen, vorne und hinten von einem Polizeikordon begleitet. Einige Beamte müssen sich eine gute Strecke lang rückwärts bewegen, um das nichtvorhandenen Einverständnis der Polizei, den Zug laufen zu lassen, zumindest symbolisch zu unterstreichen.


Zug formiert sich und Transparent 'Kohleausstieg Kommunismus' - Fotos: © 2017 by Schattenblick Zug formiert sich und Transparent 'Kohleausstieg Kommunismus' - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Los geht's in Richtung Erkelenz
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Ob nun die Farbe des roten Fingers von sinngebender Bedeutung ist oder nicht, in dieser Gruppe befinden sich nicht wenige Aktivistinnen und Aktivisten, die ihre internationalistische und antikapitalistische Gesinnung lautstark kundtun. Vorbei am zweiten Zeltlager des Klimacamps, das zusätzlich errichtet wurde, um den vielen angereisten Aktivistinnen und Aktivisten eine Übernachtungsmöglichkeit zu bieten, geht es die für den normalen Verkehr inzwischen vollständig gesperrte L19 weiter. Werden die mit weißen Overalls bekleideten und mit Rucksäcken, die Wasser, Essen und Bekleidung für unvorhersehbare Situationen enthalten, ausgestatteten Aktivistinnen und Aktivisten plötzlich nach rechts ausbrechen, um über die Felder in Richtung des Tagebaus zu laufen?


Blockade durch Polizei, Beamte gehen rückwärts - Fotos: © 2017 by Schattenblick Blockade durch Polizei, Beamte gehen rückwärts - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Stop and Go
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Was naheliegend erscheint, tritt nicht ein, unbeirrt und in Sprechchören offensiven Mut signalisierend zieht die Gruppe weiter, hin und wieder unterbrochen von Haltepausen, in denen sich die Polizei neu formiert und die Kolonne mit ihren Mannschaftswagen überholt. Durch Kückhoven, das wie diverse umliegende Ortschaften in Erkelenz eingemeindet wurde, hindurch wird das eigentliche Stadtgebiet erreicht. Auch dieses Dorf sollte ursprünglich dem Tagebau weichen, doch wurde dieser Plan aufgrund des Widerstandes seiner Bevölkerung aufgeben. Eine Anfang der 1970er Jahre erfolgte Gebietsreform hat Erkelenz einen erheblichen Zuwachs an Bevölkerung und eine Vervierfachung der Stadtfläche beschert, nur um 1995 mit der Genehmigung des Tagebaus Garzweiler damit konfrontiert zu werden, daß ein Gutteil dieses Gebietes in der Grube verschwinden soll. Die bis zu einer Verfassungsbeschwerde reichenden Versuche der Stadt, dies zu verhindern, wurden abgewiesen. Während auf anderen Flächen nun Ausweichorte wie Borschemich (neu) und Immerath (neu) entstehen, sind viele nicht von RWE abhängige Menschen in Erkelenz nicht eben gut auf das Unternehmen zu sprechen.


Mannschaftstransporter, Demonstration, Absperrung einer Seitenstraße - Fotos: © 2017 by Schattenblick Mannschaftstransporter, Demonstration, Absperrung einer Seitenstraße - Fotos: © 2017 by Schattenblick Mannschaftstransporter, Demonstration, Absperrung einer Seitenstraße - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Die Polizei regelt den Verkehr
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Dies zeigt sich auch anhand der Zustimmung, die den Aktivistinnen und Aktivisten von Balkons und aus Fenstern bei ihrem Weg durch die Stadt signalisiert wird. Wiewohl in regionalen Medien, die sich RWE auf mancherlei Weise verpflichtet fühlen dürften, Stimmung gegen das Klimacamp gemacht wird, wissen doch viele Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier aus leidvoller Erfahrung, wie dominant der nationale Interessen repräsentierende Energiekonzern im Verhältnis zur lokalen Bevölkerung ist. Der regionale Widerstand ist nach vielen Jahren vergeblicher Proteste geschwächt, häufig trifft man auf die Haltung, daß es sowieso keinen Sinn mehr hat, sich der weiteren Ausdehnung der Tagebaue in den Weg zu stellen.

Wenn nun eine junge Generation antritt, die Klimakatastrophe so weit wie noch möglich zu verhindern, dann deckt sich ihr Motiv nur bedingt mit dem der Einwohner und Einwohnerinnen, nicht aus ihren Dörfern vertrieben und nicht den gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Tagebaue ausgesetzt zu werden. Wie auf einer Führung für Anwohnerinnen und Anwohner im Klimacamp zu erleben, wächst allerdings auch unter der lokalen Bevölkerung das Bewußtsein für die verheerenden Folgen des Klimawandels, so daß daraus noch eine wirkungsvolle Verstärkung des Anliegens der Klimagerechtigkeitsbewegung erwachsen könnte.


Roter Finger auf der Kölner Straße in Erkelenz - Fotos: © 2017 by Schattenblick Roter Finger auf der Kölner Straße in Erkelenz - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Willkommen in Erkelenz ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick



Rote Antifafahne und rote Pyrotechnik - Fotos: © 2017 by Schattenblick Rote Antifafahne und rote Pyrotechnik - Fotos: © 2017 by Schattenblick

... auch mit roter Signatur
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Die Bahn macht's möglich - Endstation Tagebau Garzweiler

Noch eine ganze Weile, nachdem die L19 in die Kölner Straße übergegangen ist, bewegt sich der rote Finger durch Erkelenz, bis er kurz vor einer Bahnüberführung zum Stehen kommt. Die Polizei ist nicht bereit, die Aktivistinnen und Aktivisten zum nahegelegenen Bahnhof ziehen zu lassen, doch nach einer halben Stunde, in der der Einsatzleiter Rücksprache mit seinen Vorgesetzten hält, wird der Weg freigegeben. Die Aktivistinnen und Aktivisten drängen zur Überraschung der dort wartenden Reisenden auf den Bahnsteig, eng flankiert von der Polizei, und besteigen nach kurzer Wartezeit einen Regionalzug.


Blockade, Verhandlung mit Einsatzleiter, vor dem Bahnhof Erkelenz - Fotos: © 2017 by Schattenblick Blockade, Verhandlung mit Einsatzleiter, vor dem Bahnhof Erkelenz - Fotos: © 2017 by Schattenblick Blockade, Verhandlung mit Einsatzleiter, vor dem Bahnhof Erkelenz - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Nach einigem Hin und Her zum Verkehrsmittel der Wahl
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Was hier, wie man sagen könnte, auf unbürokratische Weise möglich wurde, widerspricht denn auch der bekannten, das Scheitern revolutionärer Erhebungen in Deutschland aufs Korn nehmenden Anekdote, laut der deutsche Revolutionäre, die einen Bahnhof stürmen wollten, zuerst eine Bahnsteigkarte lösten. Angesichts des zweifellos höheren Umständen geschuldeten Anlasses wird nach Fahrkarten nicht gefragt, und auch die Polizistinnen und Polizisten scheinen sich keine Gedanken über die Beförderungsbedingungen der Bundesbahn zu machen. Selbstverständlich gebietet die drangvolle Enge in den Waggons des Personenzuges, auch die Erste Klasse zu nutzen, so daß die Klassengesellschaft zumindest kurzzeitig und ohne Proteste der betroffenen Passagiere aufgehoben wird.


Aufgang zum Bahnsteig, beim Besteigen des Zuges - Fotos: © 2017 by Schattenblick Aufgang zum Bahnsteig, beim Besteigen des Zuges - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Drangvolle Enge nicht nur im Zug
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Nach einmaligem Umsteigen in Rheydt fährt der Zug in den Bahnhof Hochneukirch ein, und die über die Waggons verteilten Aktivistinnen und Aktivisten wollen aussteigen. Ob die Polizei darauf nicht vorbereitet ist, weil sie vielleicht von einem anderen Reiseziel des roten Fingers ausgeht, oder andere Gründe hat, die Beamtinnen und Beamten wollen die Türen, in die sie sich gestellt haben, nachdem sie als letzte einstiegen, nicht freigeben. "Wir wollen aussteigen!" - nachdem die lauten Rufe ungehört verhallen, wird dem Wunsch, den Zug zu verlassen, mit körperlicher Bewegung Nachdruck verliehen. Schließlich weichen die Beamtinnen und Beamten, und die Menschen strömen aus dem Zug auf den Bahnsteig.


Durchgang durch Zaun, Polizei stellt sich dazwischen - Fotos: © 2017 by Schattenblick Durchgang durch Zaun, Polizei stellt sich dazwischen - Fotos: © 2017 by Schattenblick Durchgang durch Zaun, Polizei stellt sich dazwischen - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Der kurze Weg zur Grube wird dichtgemacht
Fotos: © 2017 by Schattenblick


In den folgenden Minuten versucht die Polizei, den Zweck der Zugreise, die nahegelegene Grube Garzweiler zu erreichen, unter vollem Einsatz ihrer Mittel zu verhindern. Die gut vorbereiteten Aktivistinnen und Aktivisten wissen jedoch, was sie wollen. Bis es den Beamtinnen und Beamten gelingt, mit Reizgas und physischer Gewalt die Lücke zu schließen, gelingt es etwa der Hälfte des Fingers, der Polizeibegleitung über die Gleise durch einen Zaunspalt zu entkommen. Die Aktivistinnen und Aktivisten, die auf dem Bahnhof verbleiben, werden eingekesselt und anschließend unter dem Vorwurf, der Anweisung, den Gleiskörper nicht zu betreten, nicht Folge geleistet zu haben, auf dem Vorplatz des Bahnhofsgebäudes in Gewahrsam genommen. Zwar trifft dort nach einiger Zeit ein Gefangenentransporter ein, doch allem Anschein nach wird das Gros der Aktivistinnen und Aktivisten nach mehreren Stunden auch ohne erkennungsdienstliche Behandlung wieder freigelassen.


Festgehaltene Aktivistinnen und Aktivisten warten auf Freilassung - Fotos: © 2017 by Schattenblick Festgehaltene Aktivistinnen und Aktivisten warten auf Freilassung - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Kessel auf dem Bahnsteig auf den Bahnhofsvorplatz verlegt
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Diejenigen, die sich nicht aufhalten lassen, erreichen nach einer mehr laufend als gehend zurückgelegten Wegstrecke von über einem Kilometer den Rand der Grube Garzweiler. Die dazu parallel verlaufende Autobahn A 46 kann nur an dieser Stelle über einen noch nicht fertiggestellten Zubringer überquert werden. Nach einem steilen Abstieg werden die Aktivistinnen und Aktivisten am Boden der Grube ebenfalls eingekesselt und schließlich weggetragen, wobei, wie eine Aktivistin berichtet, zum Teil heftig zugelangt wird. So packen die Polizeibeamten die Menschen beim Wegtragen häufig am Hals und üben dabei schmerzhaften Druck auf das Genick aus, anstatt sie lediglich an den Armen zu tragen. 96 Aktivistinnen und Aktivisten waren am Ende in den Tagebau eingedrungen, ohne daß die Polizei oder der RWE-Werkschutz sie im Vorwege daran hätte hindern können. Sechs von ihnen wurden zur Gefangenensammelstelle transportiert. Der Rest wurde nur fotografiert, nachdem sich eine erkennungsdienstliche Behandlung vor Ort aufgrund verklebter Fingerkuppen als unmöglich erwiesen hatte.


Blick auf A 46 und Bagger mit Laufband - Fotos: © 2017 by Schattenblick Blick auf A 46 und Bagger mit Laufband - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Über die Autobahn in den Tagebau Garzweiler
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Wie der SB erleben konnte, gab es in diesem Ortsteil von Jüchen durchaus Zuspruch zu der Aktion. Eine ältere Dame beschwerte sich bitter über den Staub, der vom Tagebau in den Ort weht, und berichtete über zahlreiche Atemwegserkrankungen in ihrem Umfeld. Andere Menschen wiesen bereitwillig den Weg zur Grube oder äußerten ihre Zustimmung durch Winken und Zurufe. Eine Aktivistin und ein Aktivist berichteten, in dem Tennisclub am Wegesrand, wo sie lediglich die Toilette benutzen wollten, sehr zuvorkommend aufgenommen worden zu sein. Man wollte dort alles über die Aktion wissen, die auch dort auf viel positive Resonanz stieß.

Mehrere Journalisten, die vom Rand der Grube aus Aufnahmen von den eingekesselten Aktivistinnen und Aktivisten machen wollten, wurden vom RWE-Werkschutz und der von ihm gerufenen Polizei daran gehindert. Als sie dort eintrafen, standen viele Menschen völlig unbehelligt auf einer Böschung und blickten in die Grube. Nachdem der Werkschutz die Kameras der Journalisten gesehen hatte, drängte er die Menschen unter dem Vorwand, es handle sich um Werksgelände, von der Anhöhe hinunter. Auch das ist eine Form von Öffentlichkeitsarbeit, allerdings eher im Sinne der Retuschierung des ohnehin angeschlagenen Rufes des Energiekonzerns.


Aktivistinnen und Aktivisten von Polizeibeamten und Werkschützern umstellt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Roter Finger in der Grube
Foto: © 2017 by Schattenblick

Kollektive Aktion für politische Handlungsfähigkeit

Der Schritt von einer stark auf Konsumkritik abhebenden Bewegung zur Beschränkung des Klimawandels hin zu praktischen Eingriffen in das Getriebe des fossilistischen Produktivismus trägt der Erfordernis, einen politischeren Umgang mit dem Thema zu entwickeln, allemal Rechnung. Die Auseinandersetzung mit Staat und Kapital auf das Feld der Energiekämpfe zu tragen bringt verschiedenste Konfliktfelder miteinander in Kontakt. Ansonsten läuft die Bearbeitung ökologischer Probleme ohne die soziale Frage, was insbesondere für den zentralen Widerspruch von Arbeit und Kapital gilt, Gefahr, in eine Form autoritärer Mangelverwaltung umzuschlagen. Auch wenn der Begriff der Gerechtigkeit in einer kapitalistischen Gesellschaft nicht minder diskussionswürdig ist als der des Rechts, das in seiner nationalstaatlichen Verankerung Ausgrenzung und Bringschuld produziert, steht er zuersteinmal dafür, den unsichtbar gemachten Produzentinnen des globalen Reichtums Stimme und Gesicht zu geben. Kollektive Praktiken, wie von verschiedenen Gruppen im Klimacamp weiterentwickelt, sind Voraussetzungen für internationale Solidarität. Wie sonst als durch die Überwindung systematisch erzeugter, weil herrschaftskonformer Isolation und Atomisierung sollte ein Zusammenschluß gegen die weltweite privatwirtschaftliche Aneignung von natürlichen Ressourcen, fruchtbarem Land und menschlicher Arbeit gelingen?


Transparent 'No Border No Nation No Coal Power Station' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Verknüpfung der Kämpfe
Foto: © 2017 by Schattenblick

Den Mut aufzubringen, sich nicht nur physischen Gefahren auszusetzen, die durch den Aktionskonsens [4] zwar eingeschränkt, aber niemals ausgeschlossen werden können, sondern auch mögliche strafrechtliche Folgen [5] in Kauf zu nehmen, ist eine wesentliche Voraussetzung für Aktionen zivilen Ungehorsams. So, wie sie nicht damit beginnen, einfach loszumarschieren, sondern eine mehrtägige Vorbereitung inklusive einer gutfunktionierenden Bezuggruppenstruktur voraussetzen, so sind sie nicht damit beendet, daß das Ziel einer Blockade oder einer Intervention erreicht wurde. Repression durch staatliche Strafverfolgungsbehörden und betroffene Unternehmen ist immer möglich und wird, je mehr zu Aktionsformen an der Schwelle der Strafbarkeit in Arbeits-, Sozial- und Energiekämpfen gegriffen wird, wahrscheinlicher. Die Hoffnung darauf, Anpassung und Unterwerfung garantierten ein von Ausbeutung und Unterdrückung freies Dasein, hat allerdings schon immer getrogen.


Transparent 'Earth Liberation Now' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Befreiung weltweit
Foto: © 2017 by Schattenblick

Wie die irrational erscheinende Passivität bei der Bekämpfung des längst manifesten Klimawandels belegt, lassen die herrschenden Gewaltverhältnisse nicht zu, sich bei existenzbedrohenden Problemen auf die zugelassene Form symbolischer Meinungsbekundungen zu beschränken. Basisdemokratischer und selbstorganisierter sozialer Widerstand erfüllt alle Kriterien dessen, was Freiheit und Demokratie predigende Politiker zu meinen behaupten, tatsächlich jedoch nach Kräften zu unterbinden versuchen. Das Getriebe kapitalistischer Wertproduktion zu stören, auch wenn das Ergebnis der Verwertung um ihrer selbst willen destruktiver nicht sein könnte, soll wie jeder Verstoß gegen die privatwirtschaftliche Eigentumsordnung so hart geahndet werden, daß daraus niemals eine wirksame Massenpraxis werden kann. Ohne eine solche aber wird eine katastrophale Entwicklung für die große Mehrheit der Menschen nicht aufzuhalten sein.


Transparent 'System Change, Not Climate Change' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Mit Blick aufs Ganze
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] Ivan Illich: Fortschrittsmythen. Reinbek bei Hamburg, 1978, S. 74 f.

[2] https://www.ende-gelaende.org/de/aufruf/

[3] BERICHT/054: Klimacamp trifft Degrowth - Keine Umweltkehr ohne Aufbegehr ... (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/buerger/report/brrb0054.html

[4] https://www.ende-gelaende.org/de/aktion/aktionskonsens/

[5] https://www.ende-gelaende.org/de/aktion/rechtliches/


12. September 2017


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