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BERICHT/090: Klimacamp im Rheinland - Nachwuchs in Aktion ... (SB)


"KOHLE erSETZEN!"

Im Rahmen des diesjährigen Klimacamps im Rheinland fand zum ersten Mal die Aktion "Kohle erSetzen!" [1] statt. Initiiert vom Jugendnetzwerk JunepA, das mit dem Aachener Friedenspreis 2017 ausgezeichnet worden ist, bot es konzeptionell einen geschützten Handlungsraum vor allem für junge, aber auch ältere Menschen, die zuvor noch wenig Erfahrungen mit Zivilem Ungehorsam gesammelt hatten, jedoch ein deutliches Zeichen für den Kohleausstieg setzen wollten, das über die Teilnahme an einer Demonstration hinausging. Die geplante Aktion sollte also höherschwellig als die Menschenkette "Rote Linie" [2] angesiedelt sein, es aber etwas ruhiger als bei "Ende Gelände" [3] angehen lassen.


Transparent 'KOHLE erSETZEN!' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Leitmotiv und Handlungsmaxime
Foto: © 2017 by Schattenblick

Seinem Selbstverständnis zufolge knüpfte "Kohle erSetzen!" an die Tradition des Zivilen Ungehorsams und der direkten Aktion an, mit denen soziale Bewegungen bedeutsame Fortschritte wie das Frauenwahlrecht, die formale Gleichberechtigung von People of Colour oder den Atomausstieg errungen hätten. Ziviler Ungehorsam sei ein symbolischer, aus Gewissensgründen vollzogener und damit bewußter Verstoß gegen rechtliche Normen. Er ziele einerseits auf die direkte Verhinderung einer Unrechtssituation ab und wirke andererseits mit seiner Symbolik stark auf die öffentliche Meinungsbildung. Der damit eng verwandte Begriff der direkten Aktion beschreibe ein unmittelbares Eingreifen der Betroffenen in ökonomische und politische Zusammenhänge, statt Macht an Interessenvertretungen wie Parlamente zu delegieren.


Polizeikräfte formieren sich auf der Kraftwerkszufahrt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Polizeischutz für Deutschlands klimaschädlichstes Kraftwerk
Foto: © 2017 by Schattenblick

Ziviler Ungehorsam sei der wohl effektivste und damit legitime Weg, das Ruder noch rechtzeitig herumzureißen - weg von einem katastrophalen Klimawandel, hin zu einer (klima)gerechten Welt. Angesichts der Dringlichkeit des Problemkomplexes hielten es immer mehr Menschen in der Klimabewegung für geboten, sich einem zerstörerischen Prozeß direkt in den Weg zu stellen. Sie setzten zugleich ein mediales Zeichen, das ansonsten völlig unrepräsentierten Menschen eine Stimme gebe, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind und sein werden: die nach uns kommenden Generationen und die Menschen im Globalen Süden.

Da die weitere Braunkohlenutzung verantwortungslos sei, weil sie die Lebensgrundlage von Millionen Menschen heutiger und künftiger Generationen zerstöre, könne sie nicht länger hingenommen werden. Gewaltfrei und solidarisch werde "Kohle erSetzen!" mit einer auf Konsensentscheidungen aufbauenden Sitzblockade die Zufahrten eines Kohlekraftwerks dichtmachen und den Betriebsablauf des größten deutschen Kohlekonzerns RWE stören.

Eingebettet in ihre Bezugsgruppen und nach ausgiebigen Gesprächen, Planungen und Vorbereitungen gingen die zumeist jungen Aktivistinnen und Aktivisten daran, ihr anspruchsvollen Vorhaben am Samstag in die Tat umzusetzen. Wenngleich aus naheliegenden Gründen natürlich vorab nicht bekanntgegeben wurde, welches der Großkraftwerke von der Straßenseite her blockiert werden sollte, machte die generelle Ankündigung des Ziels dessen letztendliches Erreichen doch nicht eben einfach. Zwar würden die starken Polizeikräfte durch die zahlreichen Aktionen, die an diesem Tag vielerorts im Braunkohlerevier stattfanden, verteilt und gebunden sein. Dennoch stand dringend zu vermuten, daß der Anmarsch zum ausgewählten Kraftwerk lückenlos beobachtet und dann der Zugang zum Zielort versperrt würde.


Straße von zwei Dutzend Aktivistinnen besetzt - Foto: © 2017 by Schattenblick

Sitzblockade vor dem Kohlekraftwerk Neurath
Foto: © 2017 by Schattenblick

Los ging es in geschlossenem Zug vom Camp zum auf der nahegelegenen Landstraße bereitstehenden Bus. Der setzte sich alsbald in Bewegung und nahm auf einer verschlungenen und des öfteren neu beratenen Route seinen Weg auf, stets gefolgt von einem Polizeifahrzeug, daß sich dicht an ihn geheftet hatte, um sein Ziel ausfindig zu machen. Wenig später war eine erste Polizeisperre erreicht, an der eine Durchsuchung auf "gefährliche Gegenstände" drohte. Der Bus wurde an den Straßenrand gewinkt und angehalten, durfte dann aber gleich seine Fahrt fortsetzen. In Erwägung möglicher weiterer Kontrollen und nicht zuletzt mit Blick auf die zeitliche Abstimmung mit weiteren Gruppen desselben Vorhabens, die teils auf Fahrrädern unterwegs waren, führte der weitere Weg in einem größeren Bogen auf die Autobahn und dort auf eine Raststätte, an der alle aussteigen konnten, sich aber nicht weit vom Fahrzeug entfernten. Die direkt daneben haltenden polizeilichen Verfolger scheiterten beim Versuch, gesprächsweise herauszufinden, wohin die Reise denn gehen sollte. Nach einer Aktionsberatung im Bus setzte dieser schließlich die Fahrt fort, schlug bei einer Ausfahrt die entgegengesetzte Richtung ein und steuerte dann mit weiteren Schlenkern den Zielort an, ohne ihn definitiv zu signalisieren.

Da mit einer endgültigen Sperre zu rechnen war, an der die Busfahrt enden müßte, bereiteten sich alle Insassen auf einen geschwinden Ausstieg vor, um den Rest des Weges im Laufschritt, ihren jeweiligen Farben folgend, zu Fuß zu bewältigen. Die Spannung stieg, als das ausgewählte Kraftwerk in Sicht kam und noch einmal letzte Anweisungen durchgegeben wurden. Dann im Kreisverkehr plötzlich die Wende nach links und die Straße geradewegs auf die Hauptzufahrt zu, auf der wider Erwarten kein Hindernis zu erkennen war. Der Bus stellte sich schräg und hielt an, wodurch die ganze Straße blockiert war, und die Trupps stürmten davon. Einer ließ sich sofort quer über die Zufahrt zum Haupttor nieder, ein zweiter rannte nach rechts, um ein anderes Tor zu erreichen. Die nachfolgende Polizei, vom Geschehen überfordert, setzte zu Fuß dem entschwindenden Trupp nach, der ihm jedoch enteilte. Wenig später dann die Meldung, daß sämtliche Tore des Großkraftwerks Neurath erfolgreich blockiert worden seien.


Rettungssanitäter und Polizeikonvoi passieren die geöffnete Straßenblockade - Fotos: © 2017 by Schattenblick Rettungssanitäter und Polizeikonvoi passieren die geöffnete Straßenblockade - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Gasse für den Rettungseinsatz - Einfallstor für die Hundertschaft
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Nachdem zunächst an der Hauptzufahrt nicht viel passiert war und sich die Aktivistinnen bei ihrer Sitzblockade auf eine lange Wartezeit eingestellt hatten, rückten nach und nach weitere Polizeikräfte an und postierten sich in der Nähe. Da sie offensichtlich von einer eher niedrigschwelligen Aktion ausgingen, gingen sie vorerst relevant entspannt zu Werke und trugen auch keine Helme. Es folgten die üblichen Aufforderungen, die Straße freizugeben und an deren Rand zu demonstrieren, denen natürlich nicht Folge geleistet wurde. Inzwischen verfolgten etliche Fotojournalisten ungehindert das Geschehen, aus dem Camp traf ein Versorgungswagen mit Wasser und anderen Hilfsmitteln für eine ausgiebige Aktion ein. Plötzlich die Aufforderung, den Weg für Rettungswagen freizugeben, da sich nicht weit entfernt ein Unfall ereignet habe. Sofort bildete sich eine Gasse, durch die die beiden Fahrzeuge ungehindert passieren konnten, worauf die Blockade sofort wieder geschlossen wurde.

Bald darauf ein zweiter Aufruf ähnlichen Inhalts, daß ein weiterer polizeilicher Notfall die Durchfahrt erfordere. Als die Straße abermals freigegeben wurde, raste jedoch eine ganze Hundertschaft mit ihren Fahrzeugen durch die Lücke, die offenbar weiter entfernt dringend gebraucht wurde. Finger von "Ende Gelände", so die kursierende Nachricht, näherten sich zu diesem Zeitpunkt der Kohlebahn oder hätten sie bereits erreicht. Als die Kolonne durchgefahren war, schloß sich Straßenblockade sofort wieder, doch rollten noch drei kleinere blau-weiße Nachzügler heran, die anhalten mußten. Jetzt ging alles ganz schnell: Als der Aufforderung, es werde eine polizeiliche Maßnahme behindert, weshalb der Weg sofort freizugeben sei, nicht Folge geleistet wurde, ging die Polizei zur Räumung über und trug oder schleifte die Sitzenden an den Straßenrand, wo sie eingekesselt wurden.


Polizei trägt oder schleift die Sitzenden weg - Fotos: © 2017 by Schattenblick Polizei trägt oder schleift die Sitzenden weg - Fotos: © 2017 by Schattenblick Polizei trägt oder schleift die Sitzenden weg - Fotos: © 2017 by Schattenblick

Zug um Zug brachial geräumt ...
Fotos: © 2017 by Schattenblick


Alle Aktivistinnen werden geräumt und am Straßenrand bewacht - Fotos: © 2017 by Schattenblick Alle Aktivistinnen werden geräumt und am Straßenrand bewacht - Fotos: © 2017 by Schattenblick Alle Aktivistinnen werden geräumt und am Straßenrand bewacht - Fotos: © 2017 by Schattenblick

... und eingekesselt
Fotos: © 2017 by Schattenblick

Diese Situation blieb über weitere Stunden mehr oder minder unverändert. Aus dem Camp war Rechtshilfe eingetroffen, die Verhandlungen mit der Polizei über die weitere Verfahrensweise zogen sich hin. Die Kontroverse kreiste unter anderem um die Frage, ob überhaupt ein relevanter Tatbestand wie etwa Nötigung zur Debatte stehe, was zweifelhaft schien. Schließlich traf ein Sammeltransporter ein, und zeitweise stand die polizeiliche Version im Raum, alle Einkesselten würden mitgenommen, damit andernorts ihre Identität festgestellt werden könne. Wie in anderen Fällen war auch hier zu beobachten, daß die Einsatzleitung vor Ort offenbar einer weniger drastischen Lösung nicht abgeneigt gewesen wäre, aber vermutlich dem widersprechende Anweisungen von höherer Stelle bekam.

Überraschend traf Anton Hofreiter aus der Parteispitze der Grünen am Orte des Geschehens ein und informierte sich über die Lage. Er war im Gespräch mit der Pressesprecherin von "Kohle erSetzen", als der Reporter eines Kölner Printmediums hinzutrat und ihn um eine Stellungnahme bat. Das ließ sich die Sprecherin nicht bieten und erklärte dem Journalisten schlagfertig , er könne auch ihr gerne einige Fragen stellen. Auf die nach irritiertem Zögern abgerungene Frage, wie sie denn die Anwesenheit Herrn Hofreiters finde, erwiderte sie wiederum bemerkenswert vornean, hier sei jeder Mensch willkommen, der die Aktion unterstütze. Dann sei er wohl kein Mensch, versuchte sich Hofreiter peinlich witzelnd aus der Affäre zu ziehen. Wenig später verabschiedete er sich mit den Worten, hier sei ja alles ruhig. Auf den Hinweis, daß an diesem Ort Menschen im Kessel säßen und der Ausgang keineswegs geklärt sei, erklärte der Grünenpolitiker, er werde an anderen Schauplätzen, wo mehr passiere, dringender gebraucht.


Sprecherin Clara Tempel und Anton Hofreiter - Foto: © 2017 by Schattenblick

Grüner Überraschungsbesuch von kurzer Halbwertzeit
Foto: © 2017 by Schattenblick

Letztendlich nahm die Polizei eine Aufnahme der Personalien an Ort und Stelle vor, tastete die Menschen ab und durchsuchte ihr Gepäck, worauf sie freigelassen waren. Einige wenige Aktivisten, die sich nicht ausweisen konnten oder wollten, wurden jedoch im Sammeltransporter mitgenommen. Ob es zu Strafbefehlen und/oder Platzverweisen kommen würde, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar. Die freigelassenen Aktivistinnen durften allerdings nicht ihrer Wege gehen, sondern wurden von einem Polizeifahrzeug zur nächstgelegenen Mahnwache nach Neurath eskortiert und damit gewissermaßen der Beobachtung durch die dort postierten Beamten übergeben. Wenngleich noch die Rückfahrt ins viele Kilometer entfernte Klimacamp zu organisieren war, hatten die zumeist jungen Akteure von "Kohle erSetzen" damit ihre Aktion mit Bravour bewältigt.

So bleibt im Kontext der vielfältigen Aktionen, die vom diesjährigen Klimacamp ausgegangen waren, festzuhalten, daß am Samstag rund 150 Menschen gelungen war, alle Straßenzufahrten des Kraftwerks Neurath zu blockieren. Die Aktivistinnen hatten sich vor die Werkseinfahrten gesetzt und auf diese Weise sechs Stunden lang dafür gesorgt, daß der Mitarbeiterparkplatz von Deutschlands klimaschädlichstem Kraftwerk leer blieb. Dies war um so erstaunlicher, als etwa Zweidrittel von ihnen nie zuvor an einer solchen Aktion teilgenommen hatten.

Nicht minder bemerkenswert und für den weiteren Kampf gegen die Braunkohleförderung und -verstromung wie auch darüber hinausführende Fragestellungen bedeutsam ist der ausdrücklich hervorgehobene Bezug auf die Tradition des Zivilen Ungehorsams und der direkten Aktion. Geschichte von unten, so scheint es, wird in solchen Zusammenhängen theoretisch wie praktisch neu entdeckt, erschlossen und womöglich sogar in ihren Widersprüchen und Brüchen durchdrungen, ohne daß dabei die Absage auf das nicht Hinzunehmende in seiner Gänze auf der Strecke bleibt.


Transparent 'Kohleausstieg ist Handarbeit' - Foto: © 2017 by Schattenblick

Programmatische Botschaft auf der Mahnwache in Neurath
Foto: © 2017 by Schattenblick


Fußnoten:


[1] https://www.kohle-ersetzen.de

[2] http://www.zukunft-statt-braunkohle.de/rote-linie

[3] https://www.ende-gelaende.org


Berichte und Interviews zum Klimacamp 2017 im Rheinland im Schattenblick unter:
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BERICHT/088: Klimacamp im Rheinland - öko- und sozialkritisch ... (SB)
BERICHT/089: Klimacamp im Rheinland - abgelenkt und eingeschenkt ... (SB)


1. September 2017


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