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BERICHT/052: Aufbruchtage - indigene Subversion ... (SB)


Von der Überwindung der kapitalistischen Beziehungen

Lucia Gallardo über das Potential von buen vivir und den Umgang mit nicht-kapitalistisch orientierten Gesellschaften in Lateinamerika am 4. September 2014 im Rahmen der Degrowth-Konferenz an der Universität Leipzig


Die Feststellung, daß mit der kolonialen Eroberung und Unterdrückung die Zerstörung menschlicher Denk- und Lebensweisen einherging, die nicht mit den Interessen der Konquistadoren übereinstimmten, ist so alt wie die Tatsache selbst. Immer wieder neu stellt sich allerdings die Frage, wie mit dem Erbe der gewaltsamen Kolonisierung des "amerikanischen" Kontinents umgegangen werden sollte. Kann man die erklärte Unabhängigkeit eines nach langen Auseinandersetzungen in dieser Region entstandenen Staatsgebildes, das das Erbe der Konquista trägt, mit deren Überwindung gleichsetzen? Generationen sind vergangen, es gibt keine Eroberer mehr, die aus dem Land vertrieben werden könnten. Ihre Abkömmlinge sind längst Verbindungen zur ursprünglich ansässigen Bevölkerung eingegangen, integrierte Bürger des Landes und haben dort ihre Heimat. Die einst dieser Region fremde Sprache und Kultur ist nun die vorherrschende und die Nachfahren der Ursprungsbevölkerung sind in die dominante Kultur eingebunden oder wurden an den Rand gedrängt. Die Frage nach der Eigenständigkeit dieser Länder birgt heute also eine doppelte Problematik: die neokoloniale Anbindung an die kapitalistische Weltwirtschaft und die durch ihre besondere Geschichte geprägten, ungelösten Widersprüche im Inneren. Nachdem sich die neoliberalen Konzepte in vielen Teilen Lateinamerikas als zunehmend fatal erwiesen haben, rücken aus Sicht einer wachsenden Zahl von Menschen fast vergessene, einst als rückwärtsgewandt stigmatisierte Lebenskonzepte in den Fokus. Ihrer Meinung nach könnten diese Wege zur endgültigen Überwindung ihrer kolonialen Geschichte, mit dieser verbundener gesellschaftlicher Mißstände sowie nationalökonomischer Krisen eröffnen.


Eine Wand mit Fotos verschiedener Personen und Interviewauszügen, dahinter ein Raum mit Videoinstallationen und der Möglichkeit, die Interviews anzusehen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Interaktive Ausstellung "Challenge YASUNI-ITT: Die Zukunft der Demokratie", Universität Leipzig [1]
Foto: © 2014 by Schattenblick

Daß die ursprünglichen Gesellschaften ihres Landes hier einen wertvollen Beitrag leisten können, davon ist auch Lucia Gallardo, Aktivistin aus Ecuador, überzeugt. Sie ist seit vielen Jahren im Bereich Umwelt tätig, Mitglied der 1986 gegründeten Acción Ecológica und setzt sich für die Interessen der durch Umweltzerstörung und -verschmutzung betroffenen ecuadorianischen Ur- und ländlichen Bevölkerung ein. Ab 2007 war sie zeitweilig als Beraterin für Umweltfragen im ecuadorianischen Außenministerium der Regierung Correa tätig und als solche an den Planungen zur Yasuni ITT-Initiative beteiligt. Mit diesem Vorstoß verband sie ausdrücklich mehr, als das Öl im Boden zu lassen:

Ecuador will nicht das auf fossilen Brennstoffen basierende Entwicklungsmodell kopieren, [...] Wir wollen demonstrieren, daß ein kleines Land, dessen Beitrag zum Problem des Klimawandels geringfügig ist, den Ausstoß von Treibhausgasen vermeiden und gleichzeitig die Grundlagen für eine angemessenere und gerechtere Wirtschaft legen kann. (Multinational Monitor, Sept./Okt. 2007, Vol. 29, Nr. 4) [2]

Lucia Gallardo gehört zu dem Kreis der Aktiven, die trotz des Scheiterns dieses Vorschlages aufgrund mangelnden internationalen Engagements und des dementsprechenden Rückzugs ihrer Regierung für eine Fortsetzung der Yasuni-ITT-Initiative kämpfen. Verbunden mit ihrem Umweltengagement hat sie sich zudem mit den unterschiedlichen Lebensweisen und Kosmologien der Menschen ihres Heimatlandes, der Kolonisierungsgeschichte sowie der Vereinnahmung durch die kapitalistische Moderne mit ihrer Ideologie der Warenbeziehungen und des Welthandelssystems auseinandergesetzt. Gallardos Interesse gilt erklärtermaßen der Überwindung der kapitalistischen Beziehungen zugunsten einer Verbindung mit den "anderen".[3]


Foto: © 2014 by Schattenblick

Lucia Gallardo
Foto: © 2014 by Schattenblick

Am 4. September 2014 stellte sie auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig im Rahmen der Veranstaltung "Buen vivir und radikal-ökologische Demokratie" das gemeinsam mit Irina Velicu in Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit an der Autonomen Universität in Barcelona erstellte vorläufige Papier "Sumak Kawsay: Indigenous women living non-capitalist values in a capitalist world" (Sumak Kawsay: Indigene Frauen leben nicht-kapitalistische Werte in einer kapitalistischen Welt) vor. [4] Sie führte Sumak Kawsay (ein gutes, erfülltes Leben) als ein von indigenen Denkweisen inspiriertes Konzept ein, das aus einer Skepsis gesellschaftlicher Gruppen in den Anden gegenüber der kapitalistischen Ideologie entstanden sei und Hinweise für eine Überwindung derselben geben könnte.

Etwas genauer zur Frage der Entstehung dieses Konzeptes äußert sich der bolivianische Soziologe und Philosoph Raúl Prada in seinem 2013 verfaßten Beitrag "Buen vivir als Modell für Staat und Ökonomie" [5]: Seit Beginn der 1990er Jahre hätten sich indigene Gruppen mit den Begriffen "Entwicklung" und "Fortschritt", ihrer Bedeutung und Etymologie beschäftigt, um diese in die eigene Sprache übersetzen zu können. Sie verstanden nicht, warum die vom Staat und von internationalen Hilfsorganisationen als vorteilhaft propagierten Konzepte so negative Folgen für sie hatten und fanden schließlich heraus, daß es in keinem der indigenen Idiome eine Entsprechung dafür gab. Die westliche Vorstellung eines wachsenden Wohlstands durch den Besitz materieller Güter widersprach fundamental ihren eigenen Lebensentwürfen und ihrer Vision von einem Zusammenleben mit der Natur. In dem Versuch, sich einem eigenen Entwicklungsbegriff anzunähern, wurden schließlich verschiedene Begriffe vorgeschlagen, darunter auch das aus dem indigenen Idiom Ketschua stammende "Sumak Kawsay". Trotz grundlegender Unterschiede, so Prada, beinhalteten alle Begriffe das Konzept eines "idealen Lebens" im Sinne einer Lebensweise, die den Menschen nicht von der Natur trennt.

Sumak Kawsay als widerständiges Element in einer kapitalisierten Welt

Lucia Gallardo spricht hier nicht von Natur, sondern von den "anderen", was in einem umfassenderen Sinne alles, was nicht menschlich ist und den anderen Menschen mit einschließt. Die hinter Sumak Kawsay stehende Ratio sei nicht neu, die Lebensweise trotz der Verdrängung durch kapitalistische Prinzipien weiter tradiert worden. Für Gallardo ist das (Wieder)auftauchen dieses Konzeptes ein Hinweis darauf, daß nicht-kapitalistische Werte in einer kapitalistischen Welt existieren können und mehr noch: mit der Geschichtsauffassung Walter Benjamins beschrieben, bedeute Sumak Kawsay ein Aufsprengen des Kontinuums oder einen erkenntnistheoretischen Bruch in einer Welt des kapitalistisch-hegemonialen Zugriffs. Die kapitalistische Existenz werde mit anderen Wegen des Seins konfrontiert. Das wiederum eröffne Möglichkeiten einer Koexistenz, führe aber auch zu Konflikten. Die Referentin bezieht sich hier nicht auf die von Historikern verfaßte Chronik der Herrschenden und Sieger, sondern - nach Benjamin - auf die verdrängte Geschichte der Unterlegenen und Unterdrückten, die in einem Durchbruch an die Oberfläche in der Gegenwart das Wort ergreifen, in "einer revolutionären Chance im Kampfe für die unterdrückte Vergangenheit." [6]


Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND - https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Zeichnung 5. Der Einsiedler und Priester Martin de Ayala unterrichtet Guaman Poma und dessen Eltern im christlichen Glauben. [7]
Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Als historisches Beispiel für einen solchen Bruch in der Geschichte des kolonisierten Kontinents nannte sie den Inka-Adligen Guaman Poma. Dieser habe im 17. Jahrhundert dem spanischen König Felipe III. die Idee von der Konvivialität, einem Zusammenleben der alten und der neuen Welt, vorgestellt. Mit dem Argument, daß die kastilianische Geschichtsschreibung zu eng gefaßt sei, hatte er - auf spanisch - eine neue Chronik, die die biblische Geschichte und die Geschichte der indigenen Völker mit einschloß, verfaßt. Sein Vorstoß sei der Versuch gewesen, den kolonialen Charakter der Konquista zu einem breiteren politisch-kulturellen Projekt umzukehren, in dem die indigenen Völker ihre Werte und sozialen Systeme in Koexistenz mit den Vorstellungen und Werten der Eroberer leben konnten. Er plädierte für eine "bessere Regierung" der fremden Herrscher.


Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND - https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Zeichnung 147. Der Inka fragt, was der Spanier ißt. Der Spanier erwidert: "Gold."
Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

An dieser Stelle mag man vieles einwenden, stammt dieser Vorschlag doch von einem mehr oder weniger assimilierten Inka-Adligen, der bereits als Kind im christlichen Glauben unterwiesen wurde und des Spanischen mächtig war. Ist dieses Dokument nicht viel eher Zeugnis eines schmerzlichen Scheiterns und Identitätsverlustes und insofern ein schlecht gewähltes Beispiel für einen Bruch in der Herrschaftsgeschichte? Hier lohnt es sich möglicherweise, etwas genauer nachzufassen.

Auch ältere Gesellschaften wie das Reich der Inka, der Maya oder der Azteken schrieben eine Geschichte der Herrschaft und Unterdrückung. Zur Zeit des spanischen Überfalls im Jahr 1532 herrschten die Inka über unzählige ihrerseits unterworfene Völker. Guaman Poma mag das Leiden seines Volkes bewegt und die Sehnsucht nach einem früheren, privilegierten Leben angetrieben haben, doch zieht er nicht den Schluß, die Eroberer ganz aus dem Land zu werfen, weil ihm der Wille und die Möglichkeiten dazu fehlen. Es ist anzunehmen, daß sein Vorschlag der Koexistenz für die Spanier so klar ersichtlich aus einer schwächeren Position stammte, daß sie - wie ihre Verfahrensweise im unterworfenen Land unmißverständlich deutlich machte - wenig Anlaß hatten, einen Vorteil für sich darin zu vermuten und darauf einzugehen. Ähnlich zu verstehen ist die Tatsache, daß besagte Chronik, die das Anliegen Pomas wirkungsvoll unterlegen sollte, den spanischen König wohl nie erreicht hat. Möglicherweise wurde sie von den Spaniern, an die er sich gewandt hatte, nie weitergeleitet. Heute ist das einzigartige 1190seitige, illustrierte Schriftstück, das in den Jahren 1600-1611 entstand, in der Dänischen Nationalbibliothek einsehbar. [8]


Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND - https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Zeichnung 150. Don Martin Guaman Malqui de Ayala, der erste Gesandte des Inka-Herrschers Huascar und Vater von Guaman Poma, begrüßt Don Francisco Pizarro und Don Diego de Almagro, Gesandte des spanischen Königs.
Quelle: Die Königliche Bibliothek, Dänemark - Creative Commons Lizenz BY-NC-ND
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/de/

Vierhundert Jahre später, meint Gallardo, dringe für alle sichtbar erneut ein solches politisch-kulturelles Projekt an die Oberfläche. Sumak Kawsay werde in der neuen Verfassung Ecuadors als Entwicklungsziel anerkannt, rund 50 Artikel - Nr. 275-339 - seien diesem Ziel gewidmet. Dennoch kritisiert sie den Umgang mit diesem Konzept und stellt die Frage: "Auf welche Weise prägt hier noch immer der koloniale Blick das Verständnis von Intellektuellen und Regierungen?"

Zum einen wirft das vielleicht für uns ein Licht auf den Hype, den das Konzept des Sumak Kawsay unter dem spanischen Namen "buen vivir" in der westlichen umwelt- und entwicklungsbewegten Szene erlebt. Drehen wir uns damit nicht einfach nur in unseren eigenen Kreisen? Leuchtet uns damit nicht lediglich das ein, was wir schon immer dachten oder gar an Vorurteilen unhinterfragt mit uns herumtragen? Bei allem Bemühen um einen anderen Umgang, sollten wir uns fragen, ob wir nicht so der ursprünglichen Kolonisierung eine weitere hinzufügen.

Zum anderen stehen damit auch Intellektuelle und Regierungen in Lateinamerika selbst, die diese Begriffe propagieren, auf dem Prüfstand und unter dem Verdacht einer quasi postkolonialen Vereinnahmung. Lucia Gallardos Kritik richtet sich im besonderen natürlich an die eigene, die ecuadorianische Regierung. Während Intellektuelle, meint sie, Sumak Kawsay zu Unrecht als Novität verstünden, diskreditiere die ecuadorianische Regierung den indigenen Kampf als prä- oder als anti-modern, als etwas, das der Vergangenheit angehöre und ihr verhaftet sei. Beides diene gleichermaßen dazu, den legitimen Widerstand der Indigenen zum Schweigen zu bringen, denn dieser werde damit zum einen historisch und zum anderen als politisches Anliegen negiert.

Abgesehen von ihrer Grundsatzkritik an der ecuadorianischen Regierung, die Ölförderprojekte auch gegen die erklärten Interessen indigener Bevölkerungsgruppen vorantreibe, versucht Gallardo sich mit ihrer derzeitigen Forschungsarbeit, der Denk- und Lebensweise der Indigenen im Widerstand gegen die kapitalistischen Interessen anzunähern und unser Verständnis von Sumak Kawsay zu präzisieren. Im wesentlichen dokumentiert und interpretiert sie die Aussagen einiger Frauen aus dem Kampf gegen die Ausbeutung der Ölvorkommen im Nationalpark Yasuni:

Indigene Frauen sprächen über Sumak Kawsay nicht als strategische Handlungsweise, sondern es sei einfach ihre Art zu leben. Sie lebten in einer "Jetztzeit", zutiefst verbunden mit der Natur, mit ihrem Land, mit dem Amazonas. Zeit bedeute für die Indigenen nicht Zeit im Sinne einer noch ungefüllten Zukunft oder einer Erinnerung an die Vergangenheit, sondern sie bedeute kontinuierliche, politische Aktion, die den Kampf ihrer Vorfahren und ihre Lebensweise für ihre Kinder tagtäglich erneuere. Für indigene Frauen sei Sumak Kawsay oder "der lebende Wald", wie die Frauen vom Amazonas es ausdrückten, ein integrales Konzept. Seine Bedeutung, sein Einspruch, sein Existenzgrund sei, dem Versuch des Kapitals zu widerstehen, die indigene Ratio nicht-produktiver Werte seiner Art der Wertschöpfung zu unterwerfen.

Alle Befragten, so Gallardo, seien überzeugt von einer starken körperlichen Verbindung mit dem Land als Mutter, die das Leben gebäre. Dieses sei ein starker Antrieb für die Entwicklung nicht-kapitalistischer Beziehungen und Werte und für die Entdeckung des Heiligen im Nicht-Menschlichen und im Menschlichen. Die Beziehungen gründeten auf den Nutzungswerten der Natur und nicht auf ihrer Kommodofizierung, ihres Gebrauchs als Handelsgut. Möglicherweise, könnte man meinen, stößt man hier auf eine gewisse Ungenauigkeit der Definition, ist doch der Unterschied zwischen dem Nutzwert und der Kommodifizierung des Genutzten höchstens ein gradueller. Und gewiß ist die Verbindung des Menschen mit seinen Lebensgrundlagen eine sehr körperliche, so wie man aufnimmt, verzehrt, verdaut und damit zerstört. Aber ist das eine Verbindung, die etwas anderes widerspiegelt als Unterwerfung?


Das Bild zeigt das Gesicht von Manuel Pomaquero Minta, halb von einer Pflanze verdeckt, darunter einen Auszug aus dem (englischsprachigen) Interview [9] -Quelle: Dan Norton und Stella Veciana, Challenge Yasuní Platform - Lizenz: Attribution-ShareAlike 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0) http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

"Challenge YASUNI-ITT" - Manuel Pomaquero Minta [9]
Quelle: Dan Norton und Stella Veciana, Challenge Yasuní Platform - Lizenz: Attribution-ShareAlike 3.0 Unported (CC BY-SA 3.0)
http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/

Am Ende der Veranstaltung befragt, inwiefern indigene Lebensweisen eine Alternative darstellen könnten und ob diese Gemeinschaften sich über Demokratie und über buen vivir auseinandersetzten, meinte Lucia Gallardo, daß sie dabei eigentlich weniger an Alternativen denke. Es handle sich im Gegenteil um eine andere Art und Weise, in der kapitalistischen Welt zu existieren. Diese Menschen erhielten tatsächlich andere Werte am Leben. Ihrer Meinung nach sei es in diesem Zusammenhang von ausschlaggebender Bedeutung zu realisieren, daß alles Leben mit anderen in Verbindung stehe. Darum sei es wichtig hinzusehen, zuzuhören, um ein größeres Verständnis auch dafür zu entwickeln, daß wir nicht voneinander abgeschiedene, getrennte Menschen sind. Sie sei bei verschiedenen Amazonas-Völkern gewesen und auch wenn sie vielfach die Sprache nicht verstehe, wüßte sie, daß es eine Menge Worte gebe, die in der Sprache dieser Menschen nicht existiere: eines davon sei Demokratie, ein anderes Entwicklung. Der Begriff Demokratie sei ihnen vielleicht unbekannt, aber sie hätten einen vollkommen anderen Ansatz, gemeinschaftlich zu handeln und ihren Widerstand gemeinsam zu organisieren. Mehr könne sie nicht dazu sagen, denn natürlich könne sie nicht stellvertretend für sie sprechen.

Mit Sicherheit kann man von einem Unvermögen unsererseits ausgehen zu verstehen, was der Verlust des Waldes beispielsweise als Lebensraum für Menschen bedeutet, die diesem mit Haut und Haar verbunden sind. Lucia Gallardo plädiert dafür, dieses Verständnis auch um unserer selbst willen zu entwickeln. Sie fordert, anderen Lebensweisen mit Achtung gegenüberzutreten und zu lernen. Ihre Vorstellung einer Koexistenz ist - genauso wie zu Zeiten Guaman Pomas - so nachvollziehbar wie problematisch. Ist es denkbar, daß sich die beiden Seiten - die kapitalistisch orientierte und die an einem gemeinschaftlichen Leben im Sinne von Sumak Kawsay interessierte - einigen, oder stehen sie einander am Ende doch unversöhnlich gegenüber?

Anmerkungen:

[1] Die Ausstellung wurde während der Degrowth-Konferenz in der Universität Leipzig gezeigt - weitere Informationen: Challenge Yasuní Platform
http://challengeyasuni.net/index.html

[2] http://www.multinationalmonitor.org/mm2007/092007/koenig.html

[3] http://programme.leipzig.degrowth.org/de/degrowth2014/public/speakers/278

[4] http://programme.leipzig.degrowth.org/de/degrowth2014/public/events/57

[5] Raúl Prada: Buen vivir as a model for state and economy, In: Beyond Development - Alternative Visions from Latin America, Rosa Luxemburg-Stiftung, August 2013. S. 145

[6] Über den Begriff der Geschichte I. Aus: Walter Benjamin: Erzählen - Schriften zur Theorie der Narration und zur literarischen Prosa, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2007, S. 138

[7] Felipe Guaman Poma de Ayala: El primer nueva cornica y buen gobierno (1615/1616) (Kobenhavn, Det Kongelige Bibliotek, GKS 2232 4) - Übersetzung der Bildunterschriften: SB-Redaktion
http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/info/en/frontpage.htm

[8] Felipe Guaman Poma de Ayala: El primer nueva cornica y buen gobierno (1615/1616) (Kobenhavn, Det Kongelige Bibliotek, GKS 2232 4)
http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/info/en/frontpage.htm

Im ersten Teil ("Neue Chronik") schlägt der Autor vor, die Geschichte der Menschen in den Anden vom Ursprung bis zu den letzten Inkas zu rekonstruieren, verbindet dies mit biblischer Geschichte und präsentiert ein detailliertes Bild der sozialen, politischen und religiösen Struktur des Inka-Imperiums (Tahuantinsuyu). Im zweiten Teil ("Gute Regierung") beklagt er die brutale Unterdrückung und die elenden Bedingungen, unter denen die Anden-Bevölkerung unter spanischer Herrschaft lebt, und schlägt eine Reihe von Maßnahmen zur Umkehr vor. Das Werk steht auf der Weltkulturerbeliste der UNESCO.
http://www.kb.dk/permalink/2006/poma/info/en/docs/petrocchi/2004/index.htm

[9] Interviewauszug Manuel Pomaquero Minta:
Entwicklung bedeutet etwas anderes als Wohlergehen [gutes, erfülltes Leben], Wohlergehen bedeutet, das Nötige zu haben, nicht das Unnötige - die Akkumulation von Reichtum und Dingen -, nicht allein das eigene, persönliche Wohlergehen hinsichtlich materieller Güter sondern Wohlergehen für die Tiere, den geo-physikalischen Ort, Wohlergehen für die ganze Umwelt, in der wir gut leben (Übersetzung: Redaktion Schattenblick)
Prof. Manuel Pomaquero Minta ist Leiter des Instituto Jatun Yachai Wasi, einer ecuadorianischen Universität für "traditionelles Wissen und neues Bewußtsein". Sie widmet sich dem traditionellen Wissen der Andenvölker mit dem Ziel, ein neues Bewußtsein und eine ganzheitliche Entwicklung anzustoßen, die harmonisch mit Pachamama zusammenwirkt. Das Zentrum liegt am Colta-See (Laguna de Colta) in der Provinz Chimborazo, einer Region, in der die originäre Bevölkerung noch sehr dicht vertreten ist.
www.jatunyw.edu.ec
Bildquelle: Challenge Yasuní Platform, Ausstellung und Website by: Dan Norton und Stella Veciana.
http://challengeyasuni.net/index.html


Bisherige Beiträge zur Degrowth-Konferenz in Leipzig im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → REPORT:

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30. April 2015


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