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BERICHT/011: Planspiel Stadtbereinigung - Metropolengeburt Hafencity (SB)


Stadtentwicklung als Soziallabor und Wachstumskatalysator



Die Entwicklung urbaner Räume orientiert sich in der neoliberalen Stadt [1] weniger an den Interessen und Bedürfnissen der in ihnen lebenden Menschen als an den Verwertungshorizonten der als Unternehmen konzipierten Metropole im globalen Standortwettbewerb. Stadtverwaltung und Privatwirtschaft arbeiten Hand in Hand an der Durchsetzung von Wertsteigerungsraten, die sich über den konventionellen Preisanstieg im Immobiliengewerbe hinaus durch einen räumlichen und baulichen Strukturwandel realisieren lassen, indem die attraktivsten Bedingungen für das globale Investivkapital geschaffen werden. Während arbeitsintensive Industrien der Rohstoffverarbeitung und Warenproduktion vorrangig auf die Kosteneffizienz niedriger Löhne, laxer Umweltstandards, geringer Gewerbesteuern und verkehrsgünstiger Lagen abonniert sind, werben die Metropolen der postfordistischen Kernstaaten Nordamerikas, Westeuropas und Ostasiens um die Ansiedlung der innovativsten und produktivsten Bereiche neoliberaler Wertschöpfung. Die Verwaltungszentralen der Finanzwirtschaft, des Industrie- und Handelskapitals, der Medien- und IT-Konzerne, der Gesundheitswirtschaft und Logistik nebst ihnen zuarbeitender Unternehmen, in die zahlreiche Dienstleistungen administrativer, beratender und wissenschaftlicher Art ausgelagert wurden, stehen im Mittelpunkt wachstumsorientierter Stadtentwicklungsstrategien.

Um diese Akteure zur Pacht oder zum Erwerb neuerrichteter Büro- und Geschäftsflächen zu animieren, bedarf es eines ganzen Bündels "investorenfreundlicher" Maßnahmen, die speziell auf die Belange der umworbenen Eliten der internationalen Manager- und Businessklasse zugeschnitten sind. Bei aller unterstellten Ortlosigkeit kapitalistischer Wertschöpfung im Zeitalter totaler Vernetzung sind gute Verkehrsanbindungen in Regionen mit wirtschaftsgeographisch zentraler Lage eine wesentliche Voraussetzung, um den hochmobilen Funktionären der Weltwirtschaft die Entscheidung für einen Standort schmackhaft zu machen. Gleiches gilt für ein kulturell arriviertes und ökologisch verträgliches Umfeld, das über ein gutes Angebot an Wohnungen, Restaurants, Sportstätten und Dienstleistungen aller Art verfügt.

Was für die Eliten weltweit tätiger Unternehmen und Organisationen ohne weiteres erschwinglich und der lokalen Wirtschaft aufgrund der von ihnen repräsentierten Kaufkraft willkommen ist, deckt sich mit den Lebensinteressen der einheimischen Bevölkerung nur bedingt. Die Belebung der lokalen und regionalen Wirtschaft, die als Hauptargument für ambitionierte Projekte der Stadtentwicklung herhält, geht mit Ansprüchen der Qualifizierung dafür erforderlicher Arbeitskräfte einher, die nur bestimmte Gruppen der Bevölkerung zu erfüllen in der Lage sind. Für alle anderen Bürger wirken sich die Aufwertungseffekte eher belastend in Form steigender Preise für Mieten und Dienstleistungen aller Art aus. Erschwerend hinzu kommt der Einsatz verfügbarer Steuergelder für ehrgeizige Vorzeigeprojekte, was zu Lasten aller anderen Bereiche der Daseinsvorsorge und Bemittelung geht, für die der öffentliche Haushalt zuständig ist. Schließlich kann der städteplanerische Zugriff erhebliche sozialräumliche Vertreibungs- und Segregationsprozesse in Gang setzen, wie die Gentrifizierung vieler Wohn- und Geschäftsviertel in jenen Städten belegt, die an vorderster Front neoliberaler Urbanität stehen.

Gebäude Am Sandtorkai - Foto: © 2013 by Schattenblick

Morgendliche Tristesse rechteckig parzelliert
Foto: © 2013 by Schattenblick

Gründerzeit unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Es liegt auf der Hand, daß derartige Veränderungen geschickt angefaßt werden müssen, um nicht schon im Vorbereitungsstadium zu scheitern. So wurde der Plan für die Hamburger Hafencity von 1991 an sechs Jahre lang im Geheimen erarbeitet, bevor ihn der damalige Bürgermeister Henning Voscherau am 7. Mai 1997 just an jenem exklusiven Ort der Öffentlichkeit vorstellte, an dem sein Amtsvorgänger Klaus von Dohnanyi 14 Jahre zuvor den neoliberalen Strukturwandel der Stadt unter dem Schlagwort "Unternehmen Hamburg" angeschoben hatte. Im Übersee-Club an der Binnenalster ist der Name Programm, treffen sich dort doch die einflußreichsten Bürger, um die Stadt zum Treibriemen ihrer merkantilen Interessen zu machen. Voscheraus "Vision HafenCity" bezog sich ausdrücklich auf die Veränderung der politischen Landschaft in Europa, die "Hamburg aus der Randlage des westeuropäischen Wirtschaftsgebietes ins Zentrum des zusammenwachsenden Gesamteuropas gerückt" habe. Die dadurch veränderten weltwirtschaftlichen Bedingungen hätten einen "Wettlauf" in Gang gesetzt, in dem "Hamburg besonders gewinnen" könne, wenn es "eine vorteilhafte Ausstrahlungskraft (...) auf neue und auch auf strukturell veränderte Wirtschaftsbeziehungen" entfalte. Dabei betonte er, "nicht so sehr über Hafen und Schifffahrt, sondern über Leistung und Dienstleistungen" [2] zu sprechen.

Diese Worte wurden mit Bedacht gewählt, denn das "weitreichende Projekt", das er nun als Ergebnis seiner jahrelang "in aller Stille" vollzogenen Bemühungen vorstellte, sollte dem Hafen nicht unerhebliche Wirtschaftsflächen entziehen, um die "Vision von der Rückkehr der Innenstadt an das Wasser mit Arbeiten, Freizeit und Wohnen (...) Realität werden" zu lassen. Was der SPD-Politiker, angetrieben vom Elan einer Gründerzeit, deren güldene Erwartungen sich nicht zuletzt daraus speisten, daß nach dem vermeintlichen Sieg über den Kommunismus keine weiteren sozialrevolutionären Störungen zu erwarten wären, mit geradezu konspirativer Energie vorangetrieben hatte, war die Umwandlung eines großen Teils des innenstädtischen Hafenrandes in eine Baufläche von hohem Wertsteigerungspotential. Voscherau wollte nicht nur den bereits im Besitz der Stadt befindlichen Grund und Boden der Hafenflächen einer völlig neuen Nutzung zuführen, sondern er veranlaßte die eigens für das Projekt als Tochter der stadteigenen Hamburgischen Hafen- und Lagerhaus Aktiengesellschaft (HHLA) gegründete Gesellschaft für Hafen- und Standortentwicklung (GHS) dazu, im Gebiet zwischen Kaispeicher A und Niederbaumbrücke weitere Flächen sowie Beteiligungen an dort angesiedelten Betrieben zu erwerben. In diesem Vorgehen kündigte sich bereits an, daß die neoliberale Transformation der Stadt ohne Rückgriff auf den Imperativ der "kreativen Zerstörung" gewachsener Sozialstrukturen und demokratischer Aushandlungsprozesse nicht gelingen kann.

Indem Voscherau und sein Kompagnon, der von ihm in seiner Rede im Übersee-Club eigens gewürdigte HHLA-Chef Peter Dietrich, "Investitionsplanungen (...) ohne Offenlegung des Hintergrundes an andere Stellen im Hafen umgelenkt" sowie ein "Sondervermögen Stadt und Hafen" zur "Finanzierung der geplanten sukzessiven, sich über eine Generation marktgerecht selbsttragenden Entwicklung und Verwertung der Flächen dieses Gebietes" konzipiert hatten, konnten sie gegenüber anderen an der Nutzung der betreffenden Flächen wie der allgemeinen Entwicklung des Hafens interessierten Akteuren ein exklusives Planungswissen geltend machen, das diese klar benachteiligte. So rannten die Gegner der Hafenerweiterung, wie Klaus Baumgardt von der Initiative "Rettet die Elbe" e.V. schon in den 90er Jahren in einer Analyse [3] der politischen Entscheidungsfindung zum Bau der Hafencity kritisierte, gegen unsichtbare Windmühlen an, als sie versuchten, das Dorf Altenwerder vor dem Abriß zu retten. Sie hatten 1993 argumentiert, daß die Kapazität des dort geplanten Containerterminals auch im vorhandenen Hafennutzungsgebiet untergebracht werden könnte, doch da war längst beschlossen, die für die Hafencity vorgesehene Fläche durch die Hafenerweiterung im Gebiet Altenwerders zu kompensieren.

Containerterminal Altenwerder - Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Stadt Hamburg siegt über das Dorf Altenwerder
Foto: © 2013 by Schattenblick

Wettbewerbsvorteil öffentliche Hand - Hamburg als Marktakteur

Der keineswegs "selbsttragende" Charakter der propagierten Aufwertungslogik zeigte sich darin, daß die von Voscherau in Aussicht gestellte Finanzierung des Baus der Hafenanlagen in Altenwerder durch eventuelle Überschüsse, die sich aus dem Verkauf der Bauflächen für die künftige Hafencity ergeben könnten, niemals zustandekam. Statt dessen wies das von der Hafencity Hamburg GmbH verwaltete "Sondervermögen Stadt und Hafen" Ende 2010 eine Unterfinanzierung der durch den Verkauf städtischer Grundstücke bestrittenen Entwicklungskosten der Hafencity von 287 Millionen [4] Euro auf, die letztlich von der öffentlichen Hand gedeckt werden [5].

So wird zwischen den hoheitlichen Kompetenzen des Senats und der zur Entwicklung der Hafencity von der Stadt gegründeten Kapitalgesellschaft hin- und herjongliert, um die aus dem Kontraktmanagement dieser virtuellen Public-Private-Partnership resultierenden Pflichten erfüllen zu können. Ein Blick auf die "als städtischer Entwicklungsmanager, Grundstückseigentümer und Bauherr der Infrastruktur" [6] fungierende HafenCity Hamburg GmbH zeigt, daß ihr unternehmerischer Anspruch nicht zuletzt durch ihre personelle Besetzung gewährleistet wird. Jürgen Bruns-Berentelg, ein "in leitenden Positionen bei britischen, amerikanischen und deutschen Immobilienunternehmen u. a. in der Geschäftsführung und im Vorstand" tätiger Immobilienökonom, der "auch an Großprojekten wie dem Hauptbahnhof in Berlin oder dem Sony Center am Potsdamer Platz gearbeitet" hat, firmiert als Vorsitzender der Geschäftsführung. Der Volkswirt Giselher Schultz-Berndt verantwortet als Geschäftsführer unter anderem "das finanzwirtschaftliche Management des Projektes und das Grundstücksgeschäft". [7]

Vorsitzender des Aufsichtsrats ist der amtierende Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz. Ihm stehen mit der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Jutta Blankau, der Kultursenatorin Barbara Kisseler, dem Senator für Wirtschaft, Verkehr und Innovation, Frank Horch sowie dem Finanzsenator Peter Tschentscher die Leiter derjenigen Behörden zur Seite, die dem konzeptionellen Entwurf der Hafencity am meisten Rechnung tragen. Die vom Aufsichtsrat für jeweils zwei Jahre berufenen neun Mitglieder des Beirats, der die Geschäftsführung in grundlegenden Entwicklungs- und Planungsfragen berät, setzen sich aus "mindestens sechs Fachmitgliedern und den Vorständen / Präsidenten der Handelskammer, der Handwerkskammer, der Architektenkammer und dem Trägerverband Innenstadt" zusammen. [7] De facto verfügen mehrheitlich Vertreter oder Fürsprecher von Kapital- und Wirtschaftsinteressen über den weiteren Verlauf des Projekts. Der Zweck der Auslagerung eines wesentlichen Teils der Willensbildung zur Stadtentwicklung in eine Unternehmensform wird von der HafenCity Hamburg GmbH damit begründet, daß die "Bündelung von nicht hoheitlichen Aufgaben in einer eigenen Gesellschaft Hamburgs (...) bei intensiver Arbeitsteilung und Kontrolle die Effizienz und Qualität der Stadtentwicklungsaufgabe und gleichzeitig eine hohe staatliche Steuerungsfähigkeit" [8] sichere.

Gebäude an den Marco-Polo-Terrassen - Foto: © 2013 by Schattenblick

Büroflächen futuristisch gestapelt
Foto: © 2013 by Schattenblick

Mit Superlativen Wachstumshoffnungen schüren

Ob das von der Stadt als "ideellem Gesamtkapitalisten" gelenkte Schiff am Ende in einen Hafen einfahren wird, in dem sich das Füllhorn der von Voscherau und seinen Nachfolgern prognostizierten Prosperität öffnet, scheint in Anbetracht des Problems, Nutzer für die bereits zur Verfügung stehenden wie noch fertigzustellenden Büroflächen zu finden, keinesfalls sicher zu sein. Dabei wird der in Anspruch genommenen Aufwertungsdynamik gemäß beim Ausbau jener innenstädtischen Flächen, die als Standort bis dahin auf ihnen angesiedelter Gewerbe und Hafenanlagen nicht mehr rentabel genug sein sollen, mit Superlativen nicht gespart. So sollen im "derzeit größten innerstädtischen Stadtentwicklungsprojekt Europas" [9], das die Hamburger City um 40 Prozent erweitern soll, insgesamt 2,32 Millionen Quadratmeter Bruttogeschoßfläche (BGF) entstehen, von denen bislang etwa 1 Million Quadratmeter durch den Verkauf der Grundstücke oder widerrufbarer Verkaufsoptionen gesichert seien. 45.000 Beschäftigte auf dementsprechend großen Dienstleistungsflächen und 12.000 Bewohner in 6000 Wohnungen sollen die zehn Quartiere der Hafencity nach ihrer Fertigstellung beherbergen. Dies alles soll mit einem geschätzten Gesamtinvestitionsvolumen von 10,4 Milliarden Euro realisiert werden, wovon 8 Milliarden auf Privatinvestoren und 2,4 Milliarden auf die Stadt entfallen. Dieser Anteil soll zu 1,5 Milliarden aus dem "Sondervermögen Stadt und Hafen" bestritten werden. Der Bau der U-Bahn und öffentlicher Gebäude wie die Hafen-Universität und die Elbphilharmonie sollen mit normalen Haushaltsmitteln finanziert werden.

Zwar sind bereits 450 Unternehmen in der Hafencity angesiedelt, doch ist sie noch weit davon entfernt, durch die derzeit rund 9200 Angestellten, zu denen sich noch 1800 Bewohner gesellen, wie ein normal belebter Stadtteil zu wirken. Dazu tragen eher die zahlreichen Touristen bei, die sich die Attraktion einer spektakulären Retortenstadt direkt am Wasser nicht entgehen lassen wollen, allerdings bei schlechtem Wetter und am Abend eine verwaist wirkende Kulisse hinterlassen. Dafür, daß die allein im zentralen Überseequartier, das das ökonomische Herz des Stadtteils bilden soll, bislang leerstehenden 50.000 Quadratmeter Bürofläche vermietet werden, muß die Stadt selber Sorge tragen. Wenn sie keine Mieter akquirieren kann, ziehen eigene Behörden zu Preisen, für die deren Budgets nicht vorgesehen sind, in die neuen Verwaltungsgebäude ein.

Die meisten Mietwohnungen liegen im Quadratmeterpreis zwischen 12 und 18 Euro so sehr über anderen begehrten Lagen in Hamburg, daß sie vor allem für Bewohner interessant sind, die in der Nähe ihres Arbeitsplatzes wohnen wollen. Zwar gibt es zugunsten einer sozialen Inklusion, ohne die sich ein solches Projekt unter sozialdemokratischer Regierung kaum vertreten ließe, auch einen gewissen Anteil an gefördertem Wohnungsbau, doch auch dort bewegen sich die Mieten zwischen 9 bis 13,5 Euro. Eigentumswohnungen in besonders exklusiver Lage wiederum sollen Quadratmeterpreise von bis zu 10.000 Euro erzielen [10]. So steht dem Wohnungsmangel in großen Teilen der Stadt in der Hafencity ein mehrheitlich teures Angebot an Miet- und Eigentumswohnungen gegenüber, was die in Frage kommende Bevölkerung dieses Reißbrettproduktes von vornherein auf bestimmte Gruppen einschränkt.

Weil die Investoren eine schnelle Verkehrsanbindung bevorzugen, wurde im Streit um die Frage, ob die Hafencity mit einer oberirdischen, kostengünstigen Stadtbahn oder mit neu zu errichtenden U-Bahn-Tunneln an den öffentlichen Nahverkehr angebunden wird, zugunsten letzterem entschieden. Der tiefere Sinn des kürzlich eröffneten, über zwei Stationen verfügenden und mit 323 Millionen Euro zu Buche schlagenden Teilstücks der U 4 liegt in der geplanten Verlängerung der Linie bis zu den Elbbrücken. So würde nicht nur die Erreichbarkeit der anderen Elbseite verbessert, wie in der Planung "Sprung über die Elbe" vorgesehen, sondern die Grundstücke im noch zu errichtenden Ostteil der Hafencity, deren Abschluß auf etwa 2025 terminiert ist, gewännen erheblich an Wert.

Wenn Touristen ohne jede räumliche Vorstellung, wie sie in die von hohen Gebäuden im Klinkerdekor umstellten Gassen der Hafencity gelangt sind, aus der U-Bahn steigen, dann könnten sie den Eindruck erhalten, in einem beliebigen Neubaugebiet in irgendeiner Metropole angekommen zu sein. Die hanseatischen Artefakte, mit denen hier und da versucht wird, einen Bezug zu lokalen Traditionen herzustellen, wirken wie bloße Ornamente einer Inszenierung von Stadt, in der Design alles und organisches soziales wie kulturelles Wachstum nichts ist. Die auf die ökonomische Ratio des Ortes geeichte Zweckarchitektur wurde von den unterschiedlichen Bauherrn und Architekten mit Fassaden und Strukturen versehen, die zum einen eine allzu homogen wirkende Straßenfront vermeiden, zum anderen Angst vor gewagten Experimenten erkennen lassen. So erschließt sich dem an einem organischen Stadtbild und aussageträchtiger Bauästhetik interessierten Passanten leicht, daß der versachlichte und synthetische Charakter der Hafencity nicht der Schaffung einer menschenfreundlichen und gemütlichen Lebenswelt gewidmet ist, sondern sich als Spitzenadresse am globalen Boulevard der Kapitalverwertung bewähren soll.

Innenhof im Überseequartier - Foto: © 2013 by Schattenblick

Schiefes Lächeln mit Zahnlückenappeal
Foto: © 2013 by Schattenblick

Der Kolonialismus des 21. Jahrhunderts in Stein gemeißelt

Den aufwendig gestalteten Hochglanzbroschüren der HafenCity Hamburg GmbH ist eine "Neudefinition von City" [11] zu entnehmen, laut der die "lebendige Stadt (...) Arbeiten und Wohnen, Kultur und Freizeit, Tourismus und Einzelhandel - anders als reine büro- und einzelhandelsdominierte City-Räume - " [9] miteinander verbindet. Allein das Verhältnis von Büro- und Wohnfläche belegt jedoch, daß die Schaffung einer attraktiven Umgebung für globales Investivkapital alle anderen Nutzungseffekte in den Schatten stellt. Neu an dem hier propagierten Verständnis metropolitaner Entwicklung ist die konsequente Nachordnung aller nicht ad hoc als verwertungsträchtig ausgemachter Felder urbanen Lebens hinter das Ziel des Aufbaus einer Global City, die beim Rennen um verbliebene Wachstumschancen ganz vorne mithalten will.

So wirbt die Überseequartier Beteiligungs GmbH, die das kommerzielle Zentrum der Hafencity als Gemeinschaftsprojekt des Investorenkonsortiums ING Real Estate, Groß & Partner Grundstückentwicklungsgesellschaft mbH und SNS Property Finance entwickelt, mit dem Flair eines historischen Handelsmerkantilismus, der die vermeintlich schönen Zeiten des europäischen Kolonialismus wieder aufleben läßt. Was in exotischen Namen für die Gebäudekomplexe des Überseequartiers wie "Sumatra", "Virginia", "Java", "Arabica", "Cinnamon" oder "Ceylon" widerhallt, ist der Griff nach den Schätzen einer Welt, deren Ressourcen längst so intensiv genutzt werden, daß ihre Aneignung nicht ohne erhebliche Verluste für diejenigen vonstatten geht, die auf ihre unmittelbare und unersetzbare Nutzung angewiesen sind. Die moderne Landnahme bedient sich der Privatisierung essentieller Ressourcen wie Wasser, Boden, Saatgut und Energie, sie wird durchgesetzt über den Hebel kreditgestützter Abhängigkeitsverhältnisse, die den neokolonialistischen Exploratoren Vorkaufs- und Landnutzungsrechte, Investitions- und Lizenzschutz garantieren, und sie macht letztlich das Leben als solches den Imperativen der Kapitalverwertung gegenüber rechenschaftspflichtig.

Ecke am Überseeboulevard - Foto: © 2013 by Schattenblick

Gelandet im Nirgendwo
Foto: © 2013 by Schattenblick

In dem von dem Joint Venture herausgegebenen Hochglanzprospekt "Beaufort" wird vor Windrose, Totenschädel und Segelschiff jenen "Freibeutern des Glücks" gehuldigt, die einst mit kostbaren Gewürzen und Teppichen, mit Tee und Kaffee aus fernen Ländern den Aufstieg Hamburgs zur Handelsmetropole ermöglichten. Noch heute sei das Fernweh nach exotischen Gestaden im Hamburger Hafen zu Hause, allerdings müsse man nicht mehr in die Ferne schweifen: "Denn die modernen Freibeuter des Glücks finden rund um den Überseeboulevard, der wie eine Schiffspassage das Quartier durchzieht, alles, um ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte zu stillen." [12] Die als Verkaufsanreiz entfachte und in Straßennamen wie "Vasco-Da-Gama-Platz", "Marco-Polo-Terrassen" oder "Shanghai-Allee" anklingende Romantik jener Zeit, als sich den Edelmetallen, Sklaven und Gewürzen nachjagenden europäischen Eroberern unendlich erscheinende Expansionsräume auftaten, in denen die eiserne Faust überlegener Waffengewalt die einzige Gewähr bot, schlägt um in das kleinräumliche Dispositiv einer Zentrale der Corporate Governance, in der sich nach den Früchten weltweiter Wertschöpfung nicht einmal mehr ausgestreckt werden muß, weil sie den Kapitänen und Steuerleuten der großen Wirtschaftsdampfer direkt in den Schoß fallen.

So sind die gewinnträchtigen Expansionszonen moderner Eroberer in einer Kapitalakkumulation verortet, die ihre Schätze auf dem Parkett der Finanz- und Kapitalmärkte, in den Schlüsseltechnologien der informationstechnischen Systeme und Life Sciences, in den Schaltzentralen der globalen Produktvermarktung und Unterhaltungsindustrie wie in den gesellschaftlichen Betriebssystemen legalistischer Verfügungsgewalt und akademischer Wissensproduktion sucht. Um trotz Krise ertragreiche Profitraten erzielen zu können, verlagert sich der Fokus unternehmerischen Interesses von der Warenproduktion und Konsumgüterindustrie auf die Bewirtschaftung des Menschen selbst, auf die Kommodifizierung seiner essentiellen Lebensgrundlagen, die Mobilisierung der Arbeitsgesellschaft noch vorenthaltener Leistungsreserven wie seiner geistigen und körperlichen Zurichtung auf effiziente Beherrschbarkeit. In von Grund auf neu konzipierten Projekten wie der Hafencity kann die sozialräumliche Struktur gebauter Umwelt nach Vorgabe sozialtechnokratischer Reengineeringslogik der Zurichtung des Menschen auf seine Verwertung so nachempfunden werden, daß sich Verhalten und Interessen demgemäß konditionieren lassen.

Was einst mit dem Siegel königlicher Kaperbriefe zum Raub freigegeben wurde, wird heute in internationaler Arbeitsteilung so organisiert, daß das Gros physischer und ökologischer Zerstörung hinter dem Horizont jener schönen Aussicht verschwindet, die sich dem Blick von der Terrasse eines Apartments in der Hafencity auf die Elbe eröffnet. Auf der Brücke des kapitalistischen Weltsystems stehend, die widrigen Wogen sozialen Elends, politischen Widerstands und ökologischer Katastrophen im Geleitzug aus Staatsgewalt und Kapitalexport durchschneidend, imaginiert sich das globale Kommando als omnipotente Macht.

Stadtpanorama spiegelt sich in Fassade - Foto: © 2013 by Schattenblick

Stadt im Spiegel
Foto: © 2013 by Schattenblick

Preis und Lage garantieren Exklusivität

Um im Gehäuse neoliberaler Zwangslogik seinen Mann oder seine Frau stehen zu können, wird der Mensch in der Hafencity in eine Lebensumgebung eingebettet, die beste Voraussetzungen dafür bietet, noch nicht erschlossene Potentiale seines Handlungswissens wie seiner Führungskompetenz zu aktivieren. Unbeeinträchtigt von den Widrigkeiten eines Sozialkampfes, bei dem es nicht um Karrierestationen, sondern Überlebensfragen geht, ausgestattet mit den Privilegien einer Servicekultur, die nur jenen zugedacht ist, denen selbständige Versorgung als ineffizienter Zeitverlust erscheint, empathisch verstärkt von der erfolgsorientierten Botschaft des urbanen Image-Designs, dessen warenförmige Reproduzierbarkeit jede Nachfrage ausschließt, gerät das angebliche Zukunftsmodell "für die europäische Innenstadt des 21. Jahrhunderts" [13] zum Soziallabor.

Man braucht keiner postapokalyptischen Fantasie á la "28 Weeks Later", einem in den Londoner Docklands, dem städtebaulichen Vorbild der Hafencity, gedrehten Endzeitfilm, zu verfallen, um aus ihrer Konzeption den sozial selektiven Gehalt einer Gesellschaftsordnung zu extrahieren, deren Klassengrenzen schon heute immer unüberwindlicher werden. Auch wenn der neue Business District in seiner nur mit Brücken zum Rest der Stadt verbundenen Randlage nicht dereinst zur vor plünderndem Mob und siechenden Epidemien festungsähnlich abgeschotteten Gated Community mutiert, wird er stets ein exklusives Pflaster bleiben. Dafür sorgen neben seinem peripheren Standort und dem lokalen Preisniveau auch die allgemeine Verdrängung mittelloser Menschen aus Hamburgs Zentrum im Rahmen einer Immobilienaufwertung, ohne die sich die Hafencity für die Stadt nicht rechnen kann. So manifestiert sich in der politischen und baulichen Realisierung großdimensionierter Stadtentwicklungsprojekte ein Herrschaftswissen, das die Ratio bloßer ökonomischer Vorteilserwägungen überschreitet, weil der Tauschwert des Geldes von der Sicherung der Eigentumsordnung, der Bereitstellung qualifizierter Arbeitskraft wie der Erschließung neuer Quellen der Produktivität nicht zu trennen ist.

Durchgang im Überseequartier - Foto: © 2013 by Schattenblick

Die Kabinette des Dr. Voscherau
Foto: © 2013 by Schattenblick

"Innovationshauptstadt Hamburg" - Den Menschen bewirtschaften

Ob die von Voscherau vor 16 Jahren ausgegebene Losung "Thinking big" am Ende zu einer besonders großen Subventionsruine führt oder die Hansestadt das vom amtierenden SPD-Senat gesteckte Ziel, "Innovationshauptstadt für Europa" zu werden, erreicht, ist nicht nur von der globalen Konjunkturentwicklung abhängig, sondern auch davon, ob die betroffene Bevölkerung sich weiter von der Überlebenssicherheit suggerierenden Aussicht auf ihre eigene Unterwerfung unter den Primat des Weltmarktes, der letztinstanzlich über Wohl und Wehe der Stadt entscheiden soll, verführen läßt. Das ehrgeizige Vorhaben, Hamburg durch "die zielgerichtete Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung" in eine Spitzenposition globaler Standortkonkurrenz zu katapultieren, soll laut dem Arbeitsprogramm des Senats vom 10. Mai 2011 [14] mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen vorangetrieben werden, die den Interessen der Wirtschaft und des Kapitals entgegenkommen.

So ginge die "Weiterentwicklung der anwendungsorientierten Forschungseinrichtungen" zu Lasten aller nicht verwertungskompatiblen Wissenschaften, was insbesondere gesellschaftskritische Bereiche beträfe. Die "Optimierung der bestehenden Hamburger Förderstruktur" und die "Förderung von technologieorientierten Existenzgründungen durch aufeinander aufbauende Finanzierungsinstrumente" konzentriert die vorhandenen Mittel auf Zwecke, die mit den sozialen Interessen ärmerer Teile der Bevölkerung nichts zu tun haben. Unter der Überschrift "Cluster stärken" werden Hochtechnologieprojekte favorisiert und Schwerpunkte auf das Wachstum des "e-Commerce", der "Gesundheitswirtschaft und Life Sciences" gelegt. Das dort ausgewiesene Ziel einer "vorbildlichen Gesundheitsversorgung" Hamburgs muß keinesfalls allen in der Stadt lebenden Menschen gleichermaßen zugutekommen, wenn die im Begriff der "Gesundheitswirtschaft" ohnehin angelegte Ökonomisierung der öffentlichen Gesundheitsvorsorge noch mit der Absicht einhergeht, "hervorragende Bedingungen für Unternehmen (zu) garantieren, die gesundheitsbezogene Produkte und Dienstleistungen auf dem europäischen und Weltmarkt anbieten".

Die Forderung, daß die "Sicherung des Fachkräftepotentials durch erfolgreiche Qualifizierungsinitiativen in den Clustern und Ergänzung um clusterübergreifende und berufsfeldorientierte Maßnahmen eine zunehmende Rolle" spielen soll, nimmt die verschärfte Benachteiligung und Ausgrenzung unzureichend qualifizierter Arbeitskräfte in Kauf, wie die Absicht, gegenüber der EU dafür einzutreten, "dass sich die Industriepolitik der EU und insbesondere die EU-Förderinstrumente stärker an den Clustern ausrichten", den egalitären Anspruch auf sozialen Ausgleich und demokratische Partizipation durch die Dominanz wachstums- und wettbewerbsorientierter Konzepte wie privatwirtschaftlicher Akteure schwächt.

Die städtebauliche Entwicklung Hamburgs ist mithin kein isolierter Prozeß der ökonomischen Aufwertung von Grund und Boden oder ein bloßes Schaufenster architektonischer Extravaganzen. Er ist vielmehr ein Element und Faktor jener neoliberalen Transformationslogik, deren gesellschaftliche Akzeptanz auf der Unterstellung beruht, sie diene letztendlich allen Menschen durch die Erschließung neuer Potentiale der Wettbewerbsfähigkeit und innovativer Formen der technologischen Bemittelung. Schon das durch die räumliche Konzentration hochproduktiver Entwicklungskompetenzen steiler werdende sozialräumliche Gefälle läßt ahnen, daß die längst widerlegte Propaganda, das Ansteigen der Flut hebe alle Boote auf ein höheres Niveau, auch in diesem Fall nicht stimmt. Der Blick auf andere Weltregionen, in denen kapital- und marktgesteuerte Modernisierungsprozesse das drastische Anwachsen sozialer Unterschiede, die Durchsetzung sklavenähnlicher Formen der Ausbeutung durch Arbeit und die Verdrängung ganzer Bevölkerungsgruppen in unwirtliche Elendsquartiere bewirkt haben, sollte auch jedes noch so glänzende Zukunftsversprechen dieser Art als Neuauflage des Sozialdarwinismus auf allerdings jeweils höherem Niveau seiner instrumentellen und propagandistischen Blendkraft durchschaubar machen.

Bauplakat am Überseequartier - Foto: 2013 by Schattenblick

Raumversprechen für Monaden des Konsums
Foto: 2013 by Schattenblick

Fußnoten:
[1] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0132.html

[2] http://www.ueberseeclub.de/vortrag/vortrag-1997-05-07.pdf

[3] http://www.umweltatlas-hamburg.de/1kapitel/141hacty.htm

[4] http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article108450429/Das-Sondervermoegen-Stadt-und-Hafen.html

[5 ]http://www.welt.de/print/die_welt/hamburg/article108450352/Senat-Viertelmilliarde-in-Sonderetat-geparkt.html

[6] http://www.hafencity.com/de/management/aufgaben-der-hafencity-hamburg-gmbh.html

[7] http://www.hafencity.com/de/management-1.html

[8] http://www.hafencity.com/de/ueberblick/die-hafencity-hamburg-in-daten-und-fakten.html

[9] http://www.hafencity.com/de/ueberblick/das-projekt-hafencity.html

[10] http://www.hafencity.com/de/faq/faq-wohnen-arbeiten.html

[11] http://www.hafencity.com/de/management/aufgaben-der-hafencity-hamburg-gmbh.html

[12] Überseequartier Beteiligungs GmbH: Beaufort - Das Überseequartier-Magazin, Juni 2010

[13] http://www.hafencity.com/de/ueberblick/hafencity-die-genese-einer-idee.html

[14] http://www.hamburg.de/contentblob/2867926/data/download-arbeitsprogramm-10-mai-2011.pdf

28. Februar 2013