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BERICHT/007: Nakba-Ausstellung in Köln - Aufklärung gegen Skandalisierung immun (SB)


Keine Konfliktbewältigung ohne Aufarbeitung der Geschichte

Wanderausstellung zur historischen Vertreibung der Palästinenser

Exponate in Nakba-Ausstellung - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Artefakte von historischer Bedeutung
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Der "Tag der Nakba" (15. Mai) hat im palästinensischen Kalender eine besondere Stellung. An ihm soll die Geschichte Palästinas vergegenwärtigt und historischer Ereignisse von schwerwiegender Bedeutung gedacht werden. Die "große Katastrophe" kam weder aus heiterem Himmel, noch als Verkettung unglücklicher Umstände schicksalsgleich über die Palästinenser. Der israelische Historiker Ilan Pappe hat auf Grundlage dezidierten Quellenstudiums den Nachweis geführt, daß die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina eine geplante und systematisch betriebene Deportation der einheimischen Bevölkerung einschloß. Indem er von einer ethnischen Säuberung Palästinas spricht [1], widerlegt er einen der zentralen Gründungsmythen Israels und fordert eine Revision der offiziellen Geschichtsschreibung seines Landes.

Diese repräsentiert die uneingeschränkte Deutungshoheit der Sieger, wie David Ben Gurion dies schon in seinen Kriegstagebüchern hervorhob: Es komme nicht auf die Authentizität historischer Bezugnahme, sondern auf deren Durchsetzung an. Diese machtbewußte Einschätzung eines der wichtigsten Gründerväter des Staates Israel schreibt seiner Nation ins Stammbuch, sich nicht nur nach ihren eigenen Maßgaben zu konstituierten, sondern zugleich einen ideologischen Begründungszusammenhang zu schaffen, der in den Rang historischer Faktizität erhoben wird. Was Wahrheit, Moral und Rechtmäßigkeit sei, bestimmen jene Interessen, die den Besiegten nicht nur die Existenzgrundlage, sondern darüber hinaus auch Stimme und Geschichte rauben.

Bereits 1937 und damit zehn Jahre vor dem UN-Teilungsplan legte Ben Gurion dar, daß man aus pragmatischen Erwägungen einen Staat in den festgelegten Grenzen akzeptieren könne. Niemand dürfe jedoch von ihm verlangen, auf seine Vision zu verzichten. Die Grenzen der zionistischen Vision seien Sache des jüdischen Volkes, und kein äußerer Faktor könne sie beschränken. Damit gab er gewissermaßen das Leitmotiv zionistischen Strebens vor, denn in diesem Entwurf tauchen die bei der Expansion vertriebenen Völkerschaften mit keinem Wort auf. Im Juni 1938 sagte Ben Gurion vor der Jewish Agency: "Ich bin für Zwangsumsiedlung, darin sehe ich nichts Unmoralisches." So nimmt es nicht Wunder, daß die zionistischen Führer das Ziel der ethnischen Säuberung nach dem Teilungsbeschluß der UNO 1947 mit politischen und militärischen Mitteln weiter verfolgten.

Nach vorherrschender Auffassung setzte die Flucht der Palästinenser sowohl vor als auch nach der israelischen Staatsgründung als Reaktion auf einen Aufruf der arabischen Führung ein, das Land vorübergehend zu verlassen, um dann mit den siegreichen arabischen Armeen zurückzukehren. Sie traten angeblich die Flucht trotz der Bemühungen der jüdischen Führung an, sie zum Bleiben zu veranlassen. In Wirklichkeit war das Gegenteil der Fall, denn, wie sich anhand von Quellen belegen läßt, arbeitete die zionistische Führung gezielt auf diese Flucht hin. Die Vertreibung der Palästinenser in die arabischen Nachbarländer war ihrer Auffassung nach unabdingbar für die israelische Staatswerdung.

Die Zeitspanne von 1948 bis 1952, die kurz nach der UN-Resolution über die Teilung Palästinas vom 29. November 1947 begann, war prägend für die weitere Entwicklung der arabisch-israelischen Beziehungen. Das jüdische Volk erlangte nach mehr als fünfzig Jahren zionistischer Besiedlung einen eigenen Staat, der zum Fixpunkt jüdischen Lebens auf der ganzen Welt und zu einem mächtigen politischen Faktor im Nahen Osten wurde. Die Palästinenser hingegen wurden zu einem Volk von Flüchtlingen, ihrer Heimat und jeder realistischen Hoffnung auf nationale Selbstbestimmung beraubt, wehrlos der Unterdrückung und Diskriminierung durch Juden wie Araber ausgeliefert.

Als der neugegründete Staat Israel den Krieg von 1948 gewonnen hatte, war das Schicksal der Palästinenser besiegelt. Israelische Milizen machten 537 palästinensische Ortschaften dem Erdboden gleich und vertrieben dabei 750.000 Bewohner ohne Entschädigung und Möglichkeit zurückzukehren. Anfang 1947 besaßen Juden sieben Prozent des palästinensischen Landes; drei Jahre später hatten sie 92 Prozent des Landes innerhalb des neuen Staats, einschließlich arabischer Häuser und jeglicher Art von Gebäuden erobert. Es handelte sich somit um eine hinsichtlich Ausmaß und Geschwindigkeit in der gesamten Kolonialgeschichte beispiellose Besitznahme, mit der nicht nur alle zivilisatorischen Spuren der vertriebenen Palästinenser vom Erdboden getilgt, sondern auch jede Erinnerung daran ausgelöscht wurde.

Im Jahr 1948 bestand die wichtigste Aufgabe des Jewish National Fund darin, die Dörfer und Bodenflächen der enteigneten Palästinenser in jüdisches Land umzuwandeln. Damit sollte sichergestellt werden, daß ihr Grundbesitz, ihre Häuser und Vermögen in die Hände der jüdischen Bevölkerung übergingen und nie wieder arabisiert werden konnten. Von welcher Brisanz die Kontroverse um eine mögliche Rückkehr der vertriebenen Palästinenser von Beginn an war, unterstrich die Ermordung Graf Folke Bernadottes am 17. September 1948 durch einen jüdischen Attentäter der sogenannten "Stern Bande" in Kairo. Der UN-Vermittler war damals der entschiedenste internationale Kritiker Israels in der Flüchtlingsfrage, und seine Vorschläge bildeten die Grundlage der UN-Resolution 194:

Die Generalversammlung bestimmt, daß die Flüchtlinge, die in ihre Heime zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühest möglichen Zeitpunkt tun sollen können, und daß jenen, die sich gegen eine Rückkehr entscheiden, Kompensation für ihren Besitz bzw. für den Schaden oder den Verlust an ihrem Besitz gezahlt werden soll.
(§ 11 der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948) [2]

Unmittelbar zuvor hatte der junge Staat Israel nach Vertreibung der arabischen Bevölkerung mit einer Volkszählung im November 1948 eine Rückkehr der Palästinenser auch gesetzlich unmöglich gemacht. Jeder, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht an seinem Wohnsitz befand, wurde zu einem Illegalen erklärt, der ausgewiesen werden konnte. Nur einen Tag nach Verabschiedung der UN-Resolution folgte die Notstandsverordnung über das Eigentum Abwesender vom 12. Dezember 1948, mit der die Flüchtlinge um ihren gesamten Besitz gebracht wurden. Dies zeigte in aller Deutlichkeit, daß es sich bei der Vertreibung der Palästinenser um einen Akt systematischen Raubes handelte, der maßgeblich für die Grundsteinlegung des zionistischen Staates war. Dieser ignorierte die UN-Resolution 194 wie auch alle folgenden, soweit sie nicht seinen Interessen entsprachen. Das Problem könne nur durch allgemeine und umfassende Friedensverhandlungen mit den arabischen Staaten gelöst werden, heißt es seither. Das Recht auf Rückkehr der Palästinenser lehnt Israel bis heute ab, da es dadurch seine demographische Identität als jüdischer Staat in Frage gestellt sieht.

Heute versucht der Jewish National Fund noch immer, den Palästinensern in der Westbank das Land zu nehmen. Nach einer jahrhundertelangen Besiedlung war der bäuerlichen Bevölkerung jeder Schritt und Tritt so vertraut, daß es in vielen Fällen keiner schriftlichen Unterlagen oder Grundbucheinträge bedurfte. Dies machte sich die israelische Verwaltung zunutze, um die Landrechte zahlloser palästinensischer Bauern in Frage zu stellen. Nachdem die Palästinenser von ihrem Besitz vertrieben worden waren oder aus anderen Gründen ihr Land nicht mehr bestellen konnten, fiel dieses automatisch dem Staat zu und ging damit in jüdischen Besitz über. Mit Hilfe dieses Prozesses können neue jüdische Siedlungen errichtet und Araber vollständig aus ihnen ferngehalten werden.

An diesem Beispiel wird deutlich, daß kritische Geschichtsforschung nicht nur die Kolonisierung der Vergangenheit offenlegt, sondern auch die Entsprechungen in der Gegenwart als bruchlose Fortführung derselben Bestrebungen ausweist. Wenngleich die Nakba also einen klar umrissenen Zeitraum in der Vergangenheit beschreibt, bedeutet das keineswegs, daß der damit dokumentierte Prozeß endgültig abgeschlossen ist. Das Ende der zionistischen Vision ist nach wie vor offen, was nicht zuletzt seinen Ausdruck darin findet, daß Israel noch immer ein Staat ohne definitiv festgelegte Grenzen ist. Im März 2011 verabschiedete die Knesset ein höchst umstrittenes Gesetz, das zwar nicht das Gedenken an die Vertreibung der Palästinenser verbietet, aber jene Institutionen bestraft, die solche Gedenkfeiern abhalten oder unterstützen. Das Nakba-Gesetz, das im Januar 2012 vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurde, erlaubt es dem Finanzministerium, staatliche Förderung für solche Institutionen zu kürzen. Betroffen ist auch, wer Israel nicht als "jüdischen Staat" anerkennen will.

Ungeachtet seiner ideologischen Verklärung zu einer eigenständigen Pionierleistung in einer Welt voller Feinde sind Gründung, Entwicklung und Bedeutung Israels und damit auch die Leiden der Palästinenser nur im Zusammenhang des internationalen Machtgefüges entschlüsselbar. Schon Theodor Herzl hatte stets betont, daß die Schaffung einer zionistischen Kolonie in Palästina die Rückendeckung einer Großmacht erfordere. Als sich die britischen Kolonialisten offiziell hinter den jüdischen Anspruch stellten, hielten sie ein Werkzeug zur Unterdrückung der Araber und Ausbootung Frankreichs in Händen. Der Zionismus diente sich der stärksten imperialistischen Macht an, avancierte zu deren unverzichtbarer Sturmtruppe und entwickelte schließlich als regionale Führungsmacht selbst imperialistische Züge. Der Staat Israel ist heute die Speerspitze der Weltmacht USA und deren Verbündeten in der Region, was ihm neben unerschöpflicher Alimentierung einen beispiellosen politischen und militärischen Rückhalt beschert.

Der Nahostkonflikt ist mithin keine Auseinandersetzung, die sich allein aus dem spezifischen Verhältnis zwischen Israelis und Palästinensern erklären und durch dessen Veränderung lösen ließe. Die Umwälzungen in der gesamten Region, die in aufbrechenden Sozialkämpfen ihren Ausgangspunkt hatten und in massive Einflußnahme der westlichen Mächte bis hin zum Angriffskrieg gegen Libyen und dem geplanten Waffengang in Syrien münden, unterstreichen den lange ausgeblendeten geopolitischen Kontext. Wenngleich das erstarrte Gefüge regionaler Beziehungen in Bewegung geraten ist und die zuvor unangefochtene Deutungshoheit israelischer Suprematie erkennbare Risse aufweist, bleibt die Durchsetzung einer Sicherheitsarchitektur im Sinne der Vereinigten Staaten und der Führungsmächte Europas wie auch der Europäischen Union doch maßgeblich für die künftige Entwicklung.

Neue Konflikte und Kriegsschauplätze drohen die verheerende Lebenswirklichkeit der Palästinenser einmal mehr in den Hintergrund medialer Wahrnehmung zu drängen. Sie sind ein Volk von Flüchtlingen, das keinen eigenen Staat besitzt, zum überwiegenden Teil fern des Herkunftslandes lebt und zu mehr als einem Drittel noch immer in Lagern existieren muß. Zu den etwa 750.000 Vertriebenen der Nakba kamen weitere 300.000 Flüchtlinge, die im Junikrieg 1967 ebenfalls nach Jordanien, Syrien, in den Libanon oder andere arabische Länder flohen. Während sie in Jordanien immerhin staatsbürgerliche Rechte erhielten und dort mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sehen sie sich andernorts systematischer Diskriminierung und mitunter offener Unterdrückung ausgesetzt. Unabhängig vom Kalkül arabischer Regimes, die sich ihrer als Verhandlungsmasse bedienten, genossen sie in der Bevölkerung der Nachbarländer Israels doch lange beträchtliche Sympathie. Eine weitere Zäsur stellte dann die Vertreibung der Palästinenser aus Kuwait 1991 unmittelbar nach dem Zweiten Golfkrieg dar, die binnen zweier Wochen knapp eine halbe Million Menschen in die Flucht zwang und damit fast das Ausmaß der Nakba erreichte.

Die Ermittlung zuverlässiger Bevölkerungszahlen der Palästinenser gestaltet sich schwierig, da sich deren höchste Bevölkerungsdichte in den Autonomiegebieten findet, die Mehrheit aber als Emigranten anderswo lebt. Das palästinensische Statistikamt gab am 20. Oktober 2004 die offizielle weltweite Anzahl an Palästinensern mit 9,6 Millionen an. Davon sind laut der Flüchtlingshilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNRWA) heute 3,7 Millionen als Flüchtlinge anerkannt. Das sind Personen, die aus ihren angestammten Gebieten vertrieben worden oder geflohen sind, sowie deren Nachkommen. Trotz der schwierigen Lebensbedingungen in den Flüchtlingslagern und den besetzten Gebieten findet dort ein anhaltendes Bevölkerungswachstum statt. So gehört die Geburtenrate im dicht besiedelten Gazastreifen seit Jahren zu den höchsten der Welt. Im Jahr 2010 machten Flüchtlinge etwa 40 Prozent der gesamten Bevölkerung der besetzten Gebiete sowie zwei Drittel der Bewohner Gazas aus. Sie sind in noch stärkerem Ausmaß als die übrige palästinensische Bevölkerung von Armut, Unterernährung, Arbeitslosigkeit und Entwürdigung betroffen.

Wenngleich die Nakba mithin ein historisches Kernstück des Nahostkonflikts darstellt, ist sie doch als Beispiel systematischer Vertreibung auch über den unmittelbaren Bezug hinaus von höchster Aktualität. Palästinenser, die nun schon seit mehreren Generationen Flüchtlinge ohne durchsetzbares Rückkehrrecht sind und zu Tausenden noch immer in Lagern leben, repräsentieren ein Flüchtlingsschicksal, wie es sich gerade an der südlichen und südöstlichen Flanke des zunehmend abgeschotteten Europas tagtäglich und in wachsendem Ausmaß wiederholt. Wie Israel die Nakba leugnet und selbst die Erinnerung an sie sanktioniert, weisen auch die Regierungen Europas jede Verantwortung für die Armutsmigration von sich, die sie als Angriff auf die Wirtschaftsleistung, sozialen Errungenschaften und kulturellen Werte diffamieren. Flüchtlingsströme werden auf Naturkatastrophen, Mißwirtschaft, innerstaatliche oder regionale Konflikte zurückgeführt. Hilfsleistungen sind nach dieser Lesart ein Akt der Humanität und Generosität, keinesfalls jedoch ein Versuch der Wiedergutmachung oder gar Solidarität, die Flüchtlinge geltend machen könnten.

Wie der Gründungsmythos des Staates Israel die systematische Vertreibung der Palästinenser, den Raub ihres Landes und die Aneignung ihres Besitzes vergessen machen will, blendet die europäische Staatsdoktrin gleichermaßen Kolonialgeschichte, neoimperialistische Ausplünderung und Angriffskriege der westlichen Mächte aus. Die Entmenschlichung des Flüchtlings beginnt stets mit der rhetorischen Frage, was man mit seinem selbstverschuldeten Schicksal, für das er und seinesgleichen allein verantwortlich sind, zu tun haben soll. Aus der grundsätzlichen Verweigerung seiner Aufnahme als Mitmensch und gleichberechtigter Bürger resultiert dann eine Kette militärischer, polizeilicher und administrativer Maßnahmen der Abwehr, Gefangennahme, Abschiebung oder Lagerhaltung, ihn zu drangsalieren und dehumanisieren: Er soll verschwinden - und das nicht nur physisch aus dem Gesichtsfeld, sondern gleichermaßen aus dem Gedächtnis, damit die eigene Existenzweise von jeder Erinnerung an die unablässige Übervorteilung anderer geläutert werden kann.

Palästina-Button und Nationalfarben - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Liebeserklärung an eine Zukunftshoffnung
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Nakba-Ausstellung - ein ziviles und demokratisches Anliegen als rotes Tuch

Flucht und Vertreibung sind durchaus Themen im politischen Diskurs der Bundesrepublik, wie nicht zuletzt der nach wie vor vorhandene politische Einfluß der Vertriebenenorganisationen und die im Rahmen nationalistischer Restauration erfolgende Aufwertung deutscher Opferschicksale im Zweiten Weltkrieg belegen. Wo sich ein rechter Geschichtsrevisionismus anschickt, auf diesem Wege die deutsche Kriegsschuld und das Vernichtungswerk der Wehrmacht in Osteuropa zu relativieren, um die Vormachtstellung der Berliner Republik in der EU mit Legitimation zu versehen, führen die Palästinenser als mittelbare Opfer der Vernichtung der europäischen Juden durch das NS-Regime nach wie vor ein Schattendasein. Zweifellos versuchen rechte Geschichtsrevisionisten auch auf diesem Feld, sich von historischer Schuld zu entlasten, indem sie die Besatzungspolitik des Staates Israel in den Kontext des Holocausts stellen. Dies kann jedoch nicht bedeuten, den Mantel des Schweigens über das an Palästinensern begangene Unrecht zu werfen, zumal sich deren Situation in keiner Weise verbessert, sondern zusehends unter die Räder eines westlichen Hegemonialstrebens gerät, für dessen Bündnispolitik die ohnmächtigen Opfer kolonialistischer Gewalt nur dann etwas zu bieten haben, wenn sie sich strategisch gegen ein Ziel imperialistischer Expansion instrumentalisieren lassen.

Wie im Fall des NATO-Staates Türkei, dessen eminente Bedeutung für die Vertragsstaaten des Nordatlantikpaktes die massive Unterdrückung und Entrechtung der kurdischen Bevölkerung des Landes nicht nur zu einer Fußnote europäischer Regierungspolitik hat werden lassen, sondern von dieser wesentlich mitgetragen wird, ist die völkerrechtliche Verpflichtung, die Eigenstaatlichkeit der Palästinenser zu ermöglichen, zu einem bloßen Lippenbekenntnis verkommen. Schlimmer noch, die Formation der neokonservativen Doktrin des Clash of Civilizations legitimiert eine westliche Frontstellung gegen mehrheitlich muslimische Gesellschaften, die den antikolonialistischen Widerstand der Palästinenser umstandslos zu einem terroristischen Verbrechen gegen das demokratische Israel erklärt. So irrational die kulturalistische Feindseligkeit gegenüber Menschen aus islamischen Gesellschaften ist, so rational erscheint die Mißachtung ihrer menschen- und völkerrechtlichen Ansprüche in der Realpolitik der dafür verantwortlichen Regierungen, läßt sich die Anerkennung autonomer Rechte einer Bevölkerung doch mit ihrer Unterwerfung nicht vereinbaren.

So kann es nicht erstaunen, wenn den Menschen und Gruppen, die sich für die nicht nur theoretische, sondern auch praktische Anerkennung dieser Rechte auf der Basis begangenen Unrechts einsetzen, in der Bundesrepublik keinen leichten Stand haben. Vorträgen auch jüdischer Kritiker der israelischen Besatzungspolitik werden kurzfristig die Räumlichkeiten entzogen, und auch die Veranstalter der Wanderausstellung zur Nakba stehen regelmäßig vor dem Problem, daß sich nur wenige Initiativen und Institutionen bereit finden, unter ihrem Dach über diesen Teil der palästinensischen Geschichte aufzuklären. Überregionale Beachtung fand etwa der Streit um die Düsseldorfer Nakba- Ausstellung [3], und ein Jahr später standen die Veranstalterinnen des Kölner Pendants vor dem Problem, den avisierten Veranstaltungsraum in einer evangelischen Kirche zu verlieren, weil das zuständige Presbyterium seine Zustimmung verweigerte.

Karte mit Friedenstaube - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Blickfang auf Büchertisch
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Wie gering eine öffentliche Resonanz auf die Nakba-Ausstellung ist, die nicht der Unterstellung des durch sie angeblich geförderten antiisraelischen oder gar antisemitischen Ressentiments frönt, läßt sich daran ermessen, daß die vom Verein Flüchtlingskinder im Libanon e. V. 2008 aus Anlaß des 60. Jahrestages der Nakba erarbeitete Schau bereits an etwa 80 Orten in Deutschland gezeigt wurde. Eine nicht der Skandalisierung, sondern dem Inhalt der dargebotenen Dokumente und Exponate gewidmete Berichterstattung hält sich auch nach mehrjähriger Dauer dieser Veranstaltungsreihe in engen Grenzen. Um so zahlreicher sind hingegen polemische Angriffe und den Vorwurf nazistischer Propaganda mobilisierende Affronts, wie eine exemplarische Dokumentation zu den Auseinandersetzungen um die Nakba-Ausstellung belegt [4].

Zwar fanden die Aktivistinnen der Gruppe FrauenWegeNahost schließlich mit dem interkulturellen Bildungs- und Begegnungszentrum Allerweltshaus e. V. einen öffentlichen Raum, dessen Organisatoren mutig genug waren, in der Vielfalt der unter ihrem Dach stattfindenden Aktivitäten auch der Sache der Palästinenser ein Forum zu geben. Die Versuche eines offensichtlich eigens zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Arbeitskreises Israel/Palästina, die Ausstellung mit Rückendeckung von Vertretern der Stadt Köln zu verhindern, fruchteten dieses Mal allerdings nicht, zeigten sich die Veranstalterinnen doch sehr konziliant und boten dem Arbeitskreis bei einem Treffen ein eigenes Forum im Rahmen des Begleitprogramms zur Präsentation seiner Gegenargumente an.

Besucherinnen der Ausstellung - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Genug Raum für ruhige Betrachtung
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Aus welchen Gründen man sich darauf nicht einließ, bleibt der Spekulation überlassen, doch konnten die Ausstellungsgegner zumindest nicht den so notorisch erhobenen wie irreführenden Vorwurf der einseitigen Darstellung dieses historischen Vorgangs aufrechterhalten. Die umfassende, in diversen schriftlichen Stellungnahmen Pro und Contra niedergelegte Debatte im Vorfeld der Nakba-Ausstellung [5] dokumentiert zu Genüge, daß deren Kritiker sich nicht darüber beklagen konnten, unterdrückt oder zensiert worden zu sein. Wenn jemand Grund hätte, sich dieses Vorwurfes zu bedienen, dann Vertreter der palästinensischen Gemeinde und ihre Unterstützer. Die etwa auch im Rahmen der kurzfristigen Aufkündigung der für einen Vortrag Ilan Pappes zugesagten öffentlichen Räumlichkeiten durch die Stadt München geltend gemachte Forderung [6], diesem hätte ein proisraelischer Kontrahent gegenübergestellt werden sollen, wurde noch keiner dementsprechenden Veranstaltung von Symphatisanten des israelischen Siedlerkolonialismus in Deutschland zur Auflage gemacht. Erhalten die dadurch unterdrückten Menschen eine Stimme, so scheint die Anwesenheit eines Moderators ihres Zorns hingegen unabdingliche Pflicht zu sein.

So konnte die Nakba-Ausstellung dank des bedachtsamen Vorgehens der Veranstalterinnen, sich dem auf sie ausgeübten Druck nicht zu beugen, sondern ihn durch sachliche Argumente und Angebote zur Güte ins Leere laufen zu lassen, wie geplant vom 11. bis 24. Juni 2012 im Allerweltshaus in Köln-Ehrenfeld stattfinden. Eröffnet mit einer Rede des als Schirmherr fungierenden Rechtsanwalts Christian Sterzing, von 2004 bis 2009 Leiter des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Ramallah und Herausgeber des Sammelbandes "Palästina und die Palästinenser - 60 Jahre nach der Nakba" [7], in der er sich ausgiebig mit dem Vorwurf der Einseitigkeit auseinandersetzte [8], und einer Einführung der Urheberin der Wanderausstellung, Ingrid Rumpf, konnte das Projekt seinen durchaus unspektakulären Lauf nehmen.

Treffen in der Ausstellung - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Suraya Hoffmann, Salah Abdel Shafi, Jibril Tayoub
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Auch nach der Eröffnung, zu der sich 120 Interessierte einfanden, stets gut besucht bot die Präsentation im Allerweltshaus eine Einführung in den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern aus eher unvertrauter Sicht. Während sich zahlreiche Menschen anhand von Schautafeln und in Gesprächen mit Palästinensern und Unterstützern davon überzeugen konnten, daß hier kein Haß gesät, sondern ein legitimes Anliegen artikuliert werden sollte, zogen es die Kölner Medien vor, das nun nicht mehr zu verhindernde Ereignis rundheraus zu ignorieren. Den eigens anberaumten Pressetermin nahm keiner der eingeladenen Pressevertreter wahr, und auch die Veranstaltungen des Begleitprogramms blieben von dieser Seite her unbeachtet.

Dabei hätte zumindest die Vorstellung der israelischen Initiative Zochrot, deren Vertreterin Liat Rosenberg eigens zu diesem Anlaß angereist war, am 22. Juni einen Besuch auch von Journalisten gelohnt. Die in Tel Aviv ansässige, 2002 von Eitan Bronstein gegründete Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, die Spuren palästinensischer Geschichte in Israel am Leben zu erhalten, indem sie Zeugnisse der palästinensischen Besiedelung wie arabische Orts- und Straßennamen dokumentiert und durch ihre Übertragung ins Hebräische im Diskurs der jüdischen Bevölkerung des Landes verankert. Indem Zochrot die Vertreibung der Palästinenser aus Sicht jüdischer Israelis aufarbeitet, wollen ihre Mitglieder diese Geschichte nicht nur dem Vergessen entreißen, sondern auch auf die Wiederherstellung eines Zusammenlebens hinarbeiten, das jahrhundertelang vor der kolonialistischen Okkupation Palästinas ohne größere Probleme möglich war.

Anwesend bei diesem Vortrag waren auch Professor Sami Adwan aus Bethlehem und Professor Eyal Naveh aus Tel Aviv. Sie stellten dort das im Peace Research Institute in the Middle-East (PRIME) zusammen mit dem verstorbenen israelischen Psychologen Dan Bar-On entwickelte Projekt eines israelisch-palästinensischen Schulbuchs vor. Es verfolgt die Absicht, Palästinensern wie Israelis die Sicht des jeweils anderen auf die eigene Geschichte nahezubringen. In dem von PRIME herausgegebenen Lehrbuch haben sechs jüdische und sechs palästinensische Historikerinnen und Pädagoginnen in hebräischer und arabischer Sprache eine praktisch zweigleisige Geschichte Palästinas und Israels verfaßt. Sie soll den Schülern nahebringen, daß jedes Narrativ wichtige Stationen der Geschichte der anderen Seite ausläßt. Wenn diese blinden Flecke durch ein umfassenderes historisches Bewußtsein verschwunden wären, so die Hoffnung der Initiatoren des Projekts, wäre der Weg offen für ein von tiefsitzenden Ressentiments freies Zusammenleben. Zwar wurde das Schulbuch für Oberstufenklassen nicht in die offiziellen Lehrpläne aufgenommen, doch steht es Geschichtslehrern im Westjordanland wie in Israel frei, außerhalb des regulären Unterrichts mit ihnen zu arbeiten.

Gruppe mit Botschafter Salah Abdel Shafi - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Würdevolles Auftreten kennt keine Bedingungen
Foto: © 2012 by Sabine Werner

Der Besuch des palästinensischen Botschafter Salah Abdel Shafi und des Generalsekretärs des Palästinensischen Hohen Rates für Jugend und Sport, Jibril Tayoub, am 19. Juni in der Nakba-Ausstellung würdigte das Ereignis auch von offizieller Seite, während mit einer abschließenden Debatte noch einmal dem konfrontativen Charakter des Anlasses Rechnung getragen wurde. Peter Liebermann und Dr. Fritz Bilz demonstrierten unter der Moderation von Sabine Werner von FrauenWegeNahost, daß man sich im offenen Gespräch durchaus über Konflikte verständigen kann, die im Gewaltverhältnis zwischen Besetzern und Besetzten immer wieder zum allseitigen Scheitern blutiger Eskalation entbrennen.

Gespräch mit zwei Kölner Bürgern - Foto: © 2012 by Rainer Luce

Peter Liebermann, Fritz Bilz, Sabine Werner
Foto: © 2012 by Rainer Luce

Mit einer Bilanz des Geschehenen und einem Ausblick auf die weitere Arbeit beschloß Suraya Hoffmann von FrauenWegeNahost am 24. Juni die Ausstellung. Sie wurde, wie die Veranstalterinnen im Nachhinein befanden, nicht zuletzt deshalb gut besucht, weil die Versuche, sie zu verhindern, dem allgemeinen Interesse keineswegs abträglich waren. Man kam also auch ohne die PR einer Presse und die Zuwendung einer Politik aus, deren Sachwalter sich selbst entbehrlich machen, wenn sie den Finger nicht in die Wunden legen, die die Menschen in Israel und Palästina wie in einer von den Krisen des Kapitals, der Ökologie, der Ernährung, der Energie und nicht zuletzt der politischen Systeme erschütterten Welt umtreiben.



Fußnoten:
[1] Ilan Pappe: Die ethnische Säuberung Palästinas, aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2007, 6. Auflage Februar 2009 ISBN 978-3-86150-791-8

[2] http://www.hagalil.com/palaestina/nahost/flucht.htm

[3] http://www.nzz.ch/nachrichten/politik/international/unerwuenschte_palaestina-ausstellung-1.10402907

[4] http://www.lib-hilfe.de/fakten_ausstellung_chrono.html

[5] http://www.friedensbildungswerk.de/html/berichte.html#nakbaBerichte

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/frie1029.html

[7] http://www.friedensbildungswerk.de/Bilder/berichtePublikat/2012NakbaVortragSchirmherrChristianSterzing.pdf

[8] http://www.boell.de/publikationen/publikationen-palaestina-und-die-palaestinenser-13372.html

Fahnen FrauenWegeNahost und Pace - Foto: © 2012 by Sabine Werner

Foto: © 2012 by Sabine Werner

19. Juli 2012