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BERICHT/003: Zu Besuch bei der Lebens- und Arbeitsgemeinschaft Organischer Landbau Bienenwerder (SB)


Eigentums(un)ordnung

Ein Kollektiv erwirbt privatisiertes Land und überschreibt es einem Verein


Die Kommunebewegung erlebt in Deutschland zur Zeit eine kleine Renaissance. Junge oder jung gebliebene Menschen schließen sich zusammen, um in der von ihnen gewählten Lebensform etwas anderes zu machen, als ihnen vom verbreiteten gesellschaftlichen Reproduktionsmodell der kleinfamiliären Paarbeziehung nahegelegt wird. Sie schlagen eine Brücke zu den sechziger, siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als sich immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenfanden, um gemeinsam zu leben und zu arbeiten, anstatt den Weg ihrer Eltern zu gehen, die in der traditionellen Ehe mit klar umrissener Rollenverteilung - Frau gebiert Kinder und organisiert den Haushalt, Mann schafft das Geld heran und bestimmt das Fernsehprogramm - lebten. Wo das Verlassen dieser ausgetretenen Wege Ängste auslöste, wurde gerne übersehen, daß die Sicherheit verheißende familiäre Struktur als grundlegendes soziales Element tragende gesellschaftliche Funktion erfüllt und genau nicht das versprochene Refugium gegenüber fremden Kräften und Verwertungsinteressen darstellt, sondern sich als deren Türöffner und Garant erweist.

Die Motive, Absichten und Ziele jener Kommunegemeinschaften konnten höchst unterschiedlich ausfallen und in Lebensformen münden, die von studentischen Bedarfsgemeinschaften, deren Mitglieder sich aus Kostengründen eine größere Wohnung teilten, bis zu Wohn- und Arbeitskollektiven reichen, welche die Idee verfolgten, ökonomische Subsistenz und damit eine Nische innerhalb der vorherrschenden Produktions- und Reproduktionsverhältnisse zu erlangen; aber sie konnten auch Lebensformen wie religiös orientierte Glaubensgemeinschaften, sozialtherapeutisch wie psychoanalytisch orientierte Gruppen oder linksradikale Kommunen hervorbringen, in denen der Widerspruch zwischen Theorie und Praxis aufgelöst werden sollte.

Heute bemühen sich viele kollektive Lebensgemeinschaften um Wohn- oder Arbeitsformen, die unter dem Begriff solidarische Ökonomie subsumiert werden können und oftmals unter dem Zeichen des Umweltschutzes und der Postwachstumsidee stehen. Wirtschaften mit weniger oder ohne Ausbeutung, lautet eine der Grundideen. Die gängige Eigentumsform wäre das Gemeingut und Vernetzung die verbreitete Kommunikationsform. Solidarische Ökonomie kann mal darauf hinauslaufen, daß ganze Dörfer energiepolitisch an einem Strang ziehen oder Belegschaften ihren Betrieb übernehmen. Mal werden urbane Wohnprojekte ins Leben gerufen oder Landkommunen gegründet, in denen gemeinschaftlich gearbeitet wird, vorzugsweise ökologisch und bioorganisch ausgerichtet. Eine dieser Lebens- und Arbeitsgemeinschaften hat der Schattenblick aus aktuellem Anlaß im Juli 2011 aufgesucht.


Von der Kollektivierung zur Privatisierung zur Kollektivierung

Wer jemals davon geträumt hat, mit vielen Gleichgesinnten aufs Land zu ziehen, um dort gesundes Obst und Gemüse anzubauen, sich selbst zu versorgen und mit einem Teil der Ernte ein bescheidenes Einkommen zu erwirtschaften, der dürfte seine Vorstellungen im brandenburgischen Bienenwerder am Rande des Naturparks Märkische Schweiz aufs wärmste angesprochen fühlen. Dort leben neun Erwachsene, zwei Kinder, ein Teenager, ein Ungeborenes sowie Pferde, Ziegen, Hunde, mindestens eine Katze und allerlei schnatterndes Federvieh unter einem Dach. Nein, nicht unter einem Dach, sondern unter vielen, denn so unscheinbar "Bienenwerder 2b" von der Straßenseite zunächst aussieht, betritt man den lichten, rundum von Gebäuden umsäumten Hof, zeigt sich erst die beeindruckende Größe dieses Bauernhofs. Hier könnte bequem die doppelte Zahl an Personen leben, ohne sich zu beengen - wenn nur die BVVG, jene vom Staat mit der Abwicklung des DDR-Nachlasses beauftragte Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft, dies zuließe. Die schreibt nämlich gemäß ihrem Auftrag fleißig jenes Land, dessen Pacht endet, zum Kauf aus. Um die 300.000 Hektar sollen noch in den nächsten Jahren an den Mann oder die Frau gebracht werden. Oder an den kapitalstarken Investor. Der Meistbietende erhält den Zuschlag.

Eingang Bienenwerder 2b - Foto: © 2011 by Schattenblick Blick in den Hofbereich - Foto: © 2011 by Schattenblick

Unscheinbar zur Straße hin ...
... mit sehr viel Platz im Innenhof
Foto: © 2011 by Schattenblick

Als Folge der Privatisierungspolitik des Bundes sah sich vor einigen Monaten die Bienenwerder Landkommune, die den Verein Organischer Landbau in Bienenwerder (O.L.i.B.) e. V. gegründet hat, genötigt, etwas zu tun, was ihre Mitgliederinnen und Mitglieder eigentlich zutiefst ablehnen: Sie wurden zu Landbesitzern und haben eine von der BVVG ausgeschriebene Fläche von 4,7 Hektar für 35.000 Euro erworben und das Land einem gemeinnützigen Verein überschrieben, um sicherzustellen, daß das Land nach biologischen Kriterien bewirtschaftet wird und dem Erhalt der Artenvielfalt dient. Rund zwei Monate darauf wurden weitere 50 Hektar ausgeschrieben, BVVG-Land, das sich unmittelbar an das der Gemeinschaft anschließt und für sie unverzichtbar ist, sollte das Projekt eine Zukunft haben, die den Vorstellungen der Beteiligten zum organischen Landbau entspricht.

Vor die folgenschwere Frage gestellt, kaufen oder nicht kaufen, entschieden sich die Bienenwerder abermals für den Erwerb und damit gegen ihren "eigentlichen" Grundsatz, daß Land niemandem gehören sollte. Am 12. Juli baten sie um Unterstützung und sandten einen öffentlichen Spendenaufruf aus, in dem sie ihr Dilemma beschrieben: "Wir wollen Land allerdings gar nicht besitzen, wir wollen, dass es denen zur Verfügung steht, die dort gemeinsam leben. Wir wollen, dass das Land sich selbst gehört, unkommerzieller Raum für nicht wirtschaftlich genutzte Flächen sowie Renaturierungsmaßnahmen bleibt. (...) Wir haben schon einiges an Geld zusammengelegt, den notwendigen Betrag für solch eine große Fläche und in so kurzer Zeit werden wir alleine nicht stemmen können. Wäre es nicht möglich, gemeinsam dieses Land zu erwerben und niemandem gehört's?"

Land, das zu DDR-Zeiten enteignet und kollektiviert wurde, wird von der BVVG wieder privatisiert. Dann wird es von der Bienenwerder Gemeinschaft erworben, um es erneut zu kollektivieren. Was für eine wechselvolle Geschichte! Neugierig geworden und in dem Wissen, daß sich an diesem Beispiel verschiedene gesellschaftliche Konfliktlinien miteinander kreuzen, beschloß der Schattenblick, nachzufassen. An einem stürmischen, regenreichen Tag erreichte ein SB-Team am Ende eines schlaglochübersäten Waldwegs den Bienenwerder Bauernhof. Ein Hofhund schlägt an, eine Klingel sucht man vergebens, der Haustürschlüssel steckt von außen. Da wiederholtes Klopfen und Rufen nicht das erhoffte Echo finden, treten wir über den knarrenden Dielenboden ein. In der geräumigen Küche treffen wir auf Tim und seinen kleinen Sohn Unai, der sich erfolgreich mit einer Stulle und der Frage, wie er den Honig darauf bekommt, abmüht.

Man stellt sich vor und kommt sofort ins Gespräch. Schon bald vergrößert sich die Runde. Conni trifft ein, regennaß bis auf die Knochen. "Alles steht unter Wasser, mir schwimmen die Beete weg", stöhnt sie. Wie Ronni, der kurz darauf die Küche betritt, und Olli, der heute nicht vor Ort ist, da er seinem Erwerbsjob nachgeht, zählt sie zu den fünf Gründungsmitgliedern des Wohn- und organischen Landbauprojekts. Zwei haben das Projekt bereits wieder verlassen, andere sind hinzugekommen. So wie Tim, seine Frau und beiden Kinder und Julia.

Seit drei Tagen regnet es, mehrmals am Tag müsse man in trockene Klamotten steigen, erfahren wir. Diese ersten Eindrücke bestätigen: Ob organischer oder konventioneller Landbau, alle Bäuerinnen und Bauern sind extrem vom Wetter abhängig. Und außerdem: Mit Wasser vollgelaufene Gummistiefel verlieren jegliche Romantik, wenn man sie denn selber tragen muß. Nach der langen Trockenheit sollten wir eigentlich froh um den vielen Regen sein, erklärt uns Ronni. Die brandenburgischen Böden sind sandig, sie halten das Wasser nicht, ergänzt Conni, doch in dieser Gegend befindet sich unter dem Sand eine feste Schicht, so daß sich die Wassermassen mittlerweile aufstauen.

Hausente im regennassen Gemüsegarten - Foto: © 2011 by Schattenblick Blick über den Gemüse- und Kräutergarten - Foto: © 2011 by Schattenblick

Da haben wir den Salat! - Hausenten haben im Gemüsegarten nichts zu suchen
Vielfältiger bioorganischer Anbau
Foto: © 2011 by Schattenblick

Bereitwillig berichten mal Tim, mal Ronni oder Conni und mal Julia über ihr Projekt, die viele Arbeit, vor allem aber über die Ungewißheit, wie es weitergeht. Julia erhält laufend Anrufe als Reaktion auf die Öffentlichkeitsarbeit und muß sich deshalb immer wieder von der Gesprächsrunde verabschieden. Die Sache läuft gerade heiß. Julia, die zur Zeit viel "Bürokram" macht, hat verschiedene Bundestags- und Landtagsabgeordnete angeschrieben, von denen mehrere Eingaben bei der BVVG gemacht und sich auf diese Weise für die Gemeinschaft eingesetzt haben. Denn das Projekt steht auf Messers Schneide. Die Bienenwerder haben über Spenden, Darlehen, Bankkredit und andere Wege genügend Geld zusammengekratzt, um die ausgeschriebene Fläche zu erwerben. Theoretisch. Den Zuschlag hat aber bereits jemand anderes erhalten, weswegen sich die Gemeinschaft dazu durchgerungen hat, den "Aristrokatenbonus" in die Waagschale zu werfen.

Mit dem "Aristrokatenbonus" hat es eine besondere Bewandtnis. Julia war von einer Bekannten darauf aufmerksam gemacht worden, daß seit dem 29. März dieses Jahres Alteigentümer oder deren Nachfahren Ansprüche an den Erwerb von BVVG-Land erheben dürfen. Da Julias "landadelige" Großmutter einst von der DDR enteignet wurde, kann die Enkelin Ansprüche nach "Paragraf 3 Absatz 5 Ausgleichsleistungsgesetz" geltend machen. Noch während unseres Besuchs ruft der Anwalt an und meldet, daß das Abwicklungsverfahren kurzzeitig ausgesetzt wird - ein erster Erfolg für die Bienenwerder Gemeinschaft, denn es bedeutet, daß die juristische Sachlage neu geprüft wird. Eine Chance, mehr nicht, aber auch nicht weniger. Als nächstes muß Julia den Ausgleichsbescheid glaubhaft machen, also das Tafelsilber der Oma und die Stickdecken mit dem Familienwappen vorzeigen, lacht sie.

Eine Pferdeheilpraktikerin schaut herein, grüßt freundlich und begibt sich dann zu dem kränkelnden Tier. In wechselnden Konstellationen sitzen wir nun am Küchentisch, und schon bald entspinnt sich das Gespräch um andere als die trockenen, wenngleich gewichtigen notariellen Fragen - um Fragen, die mit der Lebensform zusammenhängen und dem, was sich jeder von ihnen vorstellt, was sie oder ihn hierhergebracht hat, und vieles mehr.

Blick aus dem Haus auf den Gemüsegarten - Foto: © 2011 by Schattenblick

Land und Hof Eigentum des Vereins Organischer Landbau in Bienenwerder e. V.
Foto: © 2011 by Schattenblick

Das Leben in der Landkommune

Das Motiv Tims, sich vor drei Jahren dem Kollektiv endgültig anzuschließen, nachdem er eine Zeitlang gependelt war, liegt darin, die Dinge selber herstellen zu wollen, die er braucht, also Gemüse, Käse, Milch. Er will nichts "von irgendwelchen Ketten" konsumieren, "die einen Scheiß auf die Umwelt geben und der Menschheit auf lange Sicht die Lebensgrundlage rauben". Man müsse zusammenrücken und lernen, solidarisch zu sein. Es mache gar keinen Sinn, wenn jeder alles für sich haben wolle, anstatt es zu teilen. Das erzeuge nur immer mehr Müll. Umgekehrt wünscht er sich "einen schonenden Umgang mit der Welt um uns rum". Er setze nicht auf die Kleinfamilie, jene vermeintlich sichere kleinste Einheit, da habe er schon viele gesehen, die eine Bauchlandung hingelegt hätten. Auch er habe einmal in einem Angestelltenverhältnis gearbeitet und seine monatlichen Bezüge erhalten. Heute würde er zwar mehr arbeiten als damals, aber das sei auch gut so.

Conni, die eine siebzehnjährige Tochter hat, die ebenfalls in Bienenwerder lebt, aber erstmals sehr weit weg ist und einen Spanisch-Sprachkurs absolviert, hat sich auf den Kräuter-, Obst- und Gemüseanbau verlegt. Sie findet es toll, ein Produkt herzustellen, "das gut ist", das gebraucht wird, und dabei den Boden nicht zu ruinieren. Sie habe schon immer in Großgruppen gelebt, aus ihrer Sicht sei deshalb die Kleinfamilie "alternativ". Wenn sie sich entscheiden würde, von hier wegzugehen, vielleicht "weil alles blöd" wäre, und sie wieder nach Berlin ginge, würde sie wahrscheinlich nicht wieder in ein Projekt einsteigen und statt dessen mal die Alternative ausprobieren. Aber momentan sei es das beste für diesen Hof, das im Kollektiv zu machen. Das könne man nicht alleine bewältigen.

Es sei nicht damit zu rechnen, daß in absehbarer Zeit alle Mitglieder der Gemeinschaft von dem leben können, was sie produzierten, glaubt Conni. Wie die anderen geht auch sie nebenher einem Erwerbsjob in der Stadt nach, sonst würde das nicht funktionieren. Außerdem muß die Ware verkauft werden, was im wesentlichen darauf hinausläuft, daß Tomaten, Gurken, Rote Beete und all die anderen organisch angebauten Gemüse und Kräuter zu einem bestimmten Bioladen in Berlin gebracht werden. Der nenne sich Bio-Kraft-Keller, erklärt Conni, was ein erstauntes Augenbrauen-Heben unsererseits auslöst. Naja, den Laden habe ein Iraner gegründet und sich den Namen ausgesucht, schmunzelt sie. Der Iraner sei zwar wieder weg, aber den Namen wolle man nicht ändern, auch wenn einen die Leute hin und wieder darauf ansprächen und alternative Namensvorschläge unterbreiteten.

Ich finde die Bodenpreise nicht richtig, sie sind völlig entfernt davon, was ich hier erwirtschaften kann, sagt Julia, die keineswegs ihr Leben lang arbeiten will, nur um die Schulden für einen Landerwerb abzutragen, sondern der vorschwebt, hier einmal einen Ausbildungsbetrieb für die Landwirtschaftslehre aufzuziehen. Sie selbst hat eine Demeter-Ausbildung absolviert und bereitet sich auf die staatliche Prüfung zur Landwirtin vor. Als Lehrlinge kämen dann vielleicht Menschen aus Palästina, Afghanistan oder Irak in Frage, dort gebe es Landwirtschaft gar nicht als Lehrberuf. Ihr Beruf macht ihr einfach Spaß, wobei die momentane politische und wirtschaftliche Situation es nicht zulasse, daß sie als Landwirtin genügend Geld für ihre Produkte erhalte. Andererseits sollen die Biolebensmittel auch nicht so teuer sein, daß sie einfach nur für eine Elite hergestellt werden. Das sei ein Zwiespalt. Jeder Mensch habe ein Recht auf Nahrung, das sei universell, ebenso wie, daß die Nahrung gut ist. Am liebsten wäre ihr, wenn einige Lebensmittel produzierten, andere sie verbrauchten und daß dazwischen kein Geldwert geschaltet ist.

Er kenne es gar nicht anders, als im Kollektiv zu arbeiten, berichtet Ronni. Das habe er so gewollt. "Mit Chefchen und klassischer hierarchischer Struktur", würde ihm gar nicht mehr gefallen. Wahrscheinlich würde er entlassen, malt er sich lachend die für ihn absurde Situation in einem normalen Angestelltenverhältnis aus. Er kümmert sich um das Handwerkliche, was bei einem Hof dieser Größe für eine Person kaum zu stemmen ist. Eigenhändig hat er aus rohen Baumstämmen sämtliche Balken für die Erneuerung eines riesigen Dachstuhls zurechtgesägt. Nun lagern die Balken in einer Halle ab - eine Baustelle von vielen, die auf ihre Erfüllung wartet. Darüber hinaus arbeitet er sich in die Imkerei ein. Mit beeindruckendem Erfolg, wie das SB-Team anhand eines Glases Lindenblütenhonig zum Abschied ausgiebig überprüfen durfte und vollumfänglich versichern kann.

Jeder auf dem Hof findet seinen Platz, darin sind sich unsere Gastgeber einig. Verbindendes Element sind das Zusammenleben und die ökologische Landwirtschaft. Nicht alle wollen davon leben, aber "alle wollen hier einen Bezug zu all unseren Tieren aufbauen", umreißt Julia eine von allen geteilte Idee. Das bedeute, daß nicht auf einmal 50 Enten angeschafft oder irgendwo auf der Weide ein großer Stall für Milchkühe aufgestellt werde.

Mit dem Pferd pflügen lautet einer ihrer vielen Träume. So was wie hier für größere Dimensionen in der Republik fände ich gut, meint Ronni. Auf der ganzen Welt!, wirft Conni ein. "Ich glaube, wir werden noch ganz schön ringen miteinander, um die verschiedenen Bedürfnisse und Ziele und Visionen unter einen Hut zu kriegen", räumt Julia rundheraus ein, aber sagt ebenso unumwunden, daß man schon vieles geschafft habe und sich grundsätzlich einig sei. Ronni ergänzt: "Da knirscht's halt mal, aber das ist normal. Nun geht der Weg voran, und die Leute, die mit eingestiegen sind, gehen mit."

Gruppe bei Besichtigung des Geländes - Foto: © 2011 by Schattenblick Kollektivmitglieder beantworten Fragen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Ausführliche Erläuterungen im Allgemeinen ...
... und im Detail
Foto: © 2011 by Schattenblick

Suche nach Nischen in der Eigentumsordnung

Jeder sei willkommen, auch wenn er oder sie kein Geld habe, lautet ein gemeinsames Bekenntnis der Gruppe. Im Kollektiv leben, selbstbestimmt arbeiten ohne Hierarchie, antikapitalistisch - das sind einige der Stichwörter, mit denen die Bienenwerder ihr Selbstverständnis als Lebensgemeinschaft umschreiben. An dieser Stelle wäre allerdings nachzufragen, inwiefern die übergeordnete Gesellschaft Hierarchiefreiheit, Antikapitalismus und Selbstbestimmtheit zuläßt, bzw. ob die gesellschaftlich vorherrschenden Kräfte womöglich deshalb kein ernsthaftes Problem mit solchen Nischen haben, weil dadurch ihre Hegemonie nicht in Frage gestellt wird. So haben Bio-Produkte bundesweit einen Marktanteil von durchschnittlich sieben Prozent erlangt, fast sechs Prozent der landwirtschaftlichen Fläche werden ökologisch bewirtschaftet. Brandenburg ist hierbei mit rund neun Prozent Spitzenreiter. Allein in diesem Bundesland betreiben etwa 680 Betriebe auf 135.000 Hektar ökologischen Landbau (Stand: April 2008), Tendenz steigend. Die Bio-Branche boomt, sie hat ihr Nischendasein längst verlassen und ist heute ein relevanter Wirtschaftsfaktor.

Viele der Bewohnerinnen und Bewohner aus Bienenwerder 2b haben schon Erfahrungen in Wohngemeinschaften und ähnlichen Projekten gesammelt. Ronni beispielsweise sagt, er habe nie anders gelebt, seitdem er von zu Hause ausgezogen ist. Deshalb wissen sie um die potentiellen Gefährdungen des Kollektivs, nicht zuletzt durch die üblicherweise auftretenden Fluktuationen. Aber das hält sie nicht davon ab, ihre Vorstellungen weiterzuverfolgen. Dennoch ahnt man, daß die Eigentumsfrage auch für sie elementare Bedeutung hat und der Landerwerb ein gewisses Risiko für den Lebenszusammenhang bilden kann. Das Gespräch wird häufiger auf dieses heikle Thema gebracht.

Sollten sie das dringend gebrauchte Land aufgrund von Julias "Aristrokratenherkunft" erhalten, träte sie rechtlich als Käuferin auf, wäre Eigentümerin, könnte über das Land verfügen, hätte aber auch den Besitz an den Hacken. 15 Jahre lang dürfte sie das Land nicht veräußern. Doch was geschieht, wenn sich ihre Vorstellungen oder die einzelner Kollektivmitglieder irgendwann nicht mehr in Übereinstimmung bringen lassen? Wie kommt es zu einer Entscheidung, was dann getan wird? Wer trägt die finanzielle Schuldenlast, sollten sich die äußeren Umstände als so schwierig erweisen, daß einige wegziehen? Was wird dann aus dem Land, deren Erhalt ihre größte Sorge gilt? Kann es dauerhaft dem Verwertungsinteresse von Spekulanten entzogen und extensiv bewirtschaftet werden? Wird es gar irgendwann einmal dem kleinen Unai als Lebens- und Erwerbsgrundlage dienen?

Fragen, denen sich auch die Bienenwerder stellen, wenngleich gegenwärtig die unsichere Rechtslage und die Arbeit sehr viel Zeit beanspruchen. Als problematisch könnte sich die Vorstellung erweisen, sich von der unleidlichen Eigentumsfrage mittels der Übertragung des Lands auf einen Verein entledigen zu wollen. Dem wurden die 4,7 Hektar überschrieben, aber das Vereinsrecht birgt Fallen. Wie sicher kann ausgeschlossen werden, daß diese rechtliche Situation von Außenstehenden ausgenutzt wird, um sich des Eigentums zu bemächtigen? Vielleicht böte ein anderes Konzept Schutz, das bei den Bienenwerdern ebenfalls im Gespräch ist: Wenn das Projekt überhaupt in feste Strukturen eingebunden werden sollte, dann nach der Art des Mietshäuser-Syndikats, erklärt uns Julia. Analog dazu sei die Gründung eines Acker-Syndikats vorstellbar. Dem würde man sich dann womöglich anschließen.

Jenes ursprünglich in Freiburg gegründete und immer mehr Verbreitung findende Mietshäuser-Syndikat unterstützt Wohnprojekte finanziell mit Hilfe eines gemeinschaftlich verwalteten Solidarfonds. Wobei über die Gründung einer GmbH, an der zu gleichen Stimmanteilen der jeweilige Hausverein und das Syndikat beteiligt sind, sichergestellt werden soll, daß ein Verkauf der Immobilie nicht ohne die Zustimmung beider Gesellschafter vonstatten gehen kann. Die Bienenwerder stellen sich vor, daß auf ähnliche Weise Land zu einer Art Gemeingut und damit der Spekulation und Bereicherung entzogen wird. Aber noch gibt es kein Acker-Syndikat und noch besitzen sie nicht die 50 Hektar.

Außeneinsatz

Ein absolutes Muß dieser Reise bestand natürlich in einer Führung über das gesamte Anwesen. Eigentlich hätte unser "Außeneinsatz" leicht ins Wasser fallen können, was er gewissermaßen auch tat, aber im Gegensatz zu den bunten Blumen, die ihre Köpfe hängen ließen ob der tagelangen Serie an Regengüssen, ließen sich weder Gastgeber noch SB-Team von ihrem Vorhaben abbringen. Bereitwillig gaben Conni und Ronni ausführliche Erklärungen zu den zahlreichen Baustellen und Vorhaben, aber auch unverkennbaren Erfolgen ab. Die mit Folie bespannten Gewächshäuser trotzen dem Wind und sichern den empfindlichen und pflegeintensiven Tomatenpflanzen einen trockenen Standort. Thymian, Rucola und andere Kräuter und Salate sowie Lauchgewächse indessen haben die liebe Not, nicht weggeschwemmt zu werden.

Plötzlich schallt uns aus einiger Entfernung aufgeregtes Schnattern entgegen. Merkwürdige Tiere, durchfährt es mich, die sehen ja aus wie schlanke Pinguine! Sie eilen im hohen Tempo auf uns zu, und noch während ich überlege, daß sie wohl Futter von uns haben wollen und ich sie dann trefflich fotografieren könne, rennt die ganze Schar ohne Verzögerung an uns vorbei, um kurz darauf unseren Blicken zu entschwinden. Das sind indische Laufenten, klärt uns Conni auf, die werden wegen der Schnecken gehalten.

Indische Laufenten - Foto: © 2011 by Schattenblick Blumen lassen im Regen die Köpfe hängen - Foto: © 2011 by Schattenblick

Indische Laufenten - eine blitzschnelle Truppe
Kein Wetter für Sommerblumen
Foto: © 2011 by Schattenblick

Irgendwann brachte jemand die vorsichtige Frage auf: "Wollt ihr die Kläranlage auch noch sehen?" Unverdrossene Antwort: "Unbedingt!" Das Frischwasser der Gemeinschaft stammt aus einem Brunnen, das Abwasser soll später einmal über eine dreistufige Kläranlage und einen Teich geleitet und auf natürliche Weise gereinigt werden. Übrigens, gleiche Entschlossenheit, trotz des Regens "alles mitzunehmen", darf ganz entschieden auch der Haushund für sich reklamieren. Der hat uns ständig unauffällig begleitet, außerhalb wie innerhalb der Gebäude, er war unterm Küchentisch ebenso anzutreffen wie beim Besuch der Pferdebox. Ihm schien es zu genügen und wohl auch ein stilles Vergnügen, einfach nur da zu sein, wo die Menschen sind. Wohingegen die Ziegen, die gegen Ende unseres regennassen Rundgangs reingetrieben wurden, es ausgesprochen eilig hatten, trockenere Gefilde zu erreichen.

Ziegen hinterm Zaun - Foto: © 2011 by Schattenblick Ziegen werden reingetrieben - Foto: © 2011 by Schattenblick

Gespannte Erwartung ...
... dann endlich geht's ins Trockene!
Foto: © 2011 by Schattenblick

An- und abschließend traf man sich noch einmal in der behaglich warmen Küche bei heißem Kamillentee und einer Vesper mit Brot und selbstgemachten Ziegenkäse in Öl und frischem Thymian - ein Gedicht! Die durchaus gesunde Skepsis Connis gegenüber Journalisten mündete schließlich bei einem abschließenden Gespräch auf der Veranda in der Frage: Und, ihr ward jetzt einige Stunden hier, was wird daraus? Nun, was daraus geworden ist, haben Sie, werte Leserinnen und Leser, soeben gelesen. Das Projekt und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter verdienen jegliche Unterstützung, die sie gebrauchen können, in welcher Form auch immer.

Fünf Stunden und zwei gut gefüllte Bäuche später, den Kopf voller Eindrücke, mit vielen Anregungen und noch viel mehr Fragen im Gepäck, der Abschied. Unser Navi schlaumeiert: Achtung, Sie befinden sich auf einem unbefestigten Weg - "Ach nee, das haben wir noch gar nicht bemerkt ..." Es geht zurück. Die wassergefüllten Schlaglöcher haben sich mittlerweile zu kleinen Seen verbunden - verbündet, möchte man sagen -, am Forsthaus und Waldparkplatz vorbei führt der Weg auf die Straße. Die ist asphaltiert. Der Navi, unser kleiner Tyrann, scheint fürs erste beruhigt. Wir treten die Heimreise an.

Trecker mit Mistanhänger - Foto: © 2011 by Schattenblick

Kein Reisegefährt, aber sehr nützliches Arbeitsmittel

29. Juli 2011