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SERIE/076: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 16.04.2008 bis 20.04.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

38. Teil - 16.04.2008 bis 20.04.2008


16.4.08

Heute morgen, kaum war ich aus der Zelle, rief N., die Russin, mir schon auf dem Gang zu: "A. ist weg". Gleich gestern mittag, nachdem sie mich eingeschlossen hatten, wurde sie auf D II verlegt, gegen ihren Willen. Wir hatten beide schon lange damit gerechnet, zu gut haben wir uns verstanden, zu viel miteinander geredet, zusammengehockt und gelacht. Die Schweine passen schon auf, daß es uns nicht zu gut geht hier. Toll, morgen hat A. auch noch ihren Termin beim Scheidungsrichter. Für sie ist eine Kindermörderin gekommen und Mn., A.'s bisherige Zellengenossin, ist ganz außer sich, N. auch. Sie hassen solche Leute und die 31er Verräter. N. meinte, sie hätten A. wegen mir verlegt, um mich zu treffen und Mn. sagte heute morgen, sie glaubt, daß die Beamten Angst vor mir haben. Gestern habe ich wieder experimentiert, mit Papier, heute kommt Plastik, morgen Kerze und Feuerzeug, dann, am Freitag, die "Ideal-Binde". Hoffentlich hält sie, was ihr Name verspricht.


17.4.08

Heute mittag habe ich eine halbe Stunde Federball mit N., der Russin, gespielt, es ging ganz gut. Vermisse A., heute ist ihr Scheidungstermin. Sie will nicht einwilligen, es kann aber sein, daß der Richter die Sache als Härtefall behandelt, sie hat ja ihre Mutter und ihre Schwiegermutter angegriffen und verletzt. Mal sehen, was dabei herauskommt.

Heute nachmittag hat Beamtin L. mir einen Brief von Da. übergeben "Ein Brief für Sie". Ich fragte nach meinen Zeitungen "Später". Das war gegen 15.30 Uhr. Ungefähr eine Stunde später brachte mir eine andere Beamtin 1 Stück Käse, das Abendessen. Zeitungen? Vielleicht später. Jetzt ist es fast 19.00 Uhr. Wie viele Schickanen wollen sie sich noch einfallen lassen?


19.4.08

Gestern kam ein(e), wie nennt man das korrekt? Eine Ex-Frau, die mitten in einer Geschlechtsumwandlung verhaftet wurde auf die D I. Sie ist männlich umoperiert, der Unterkörper noch weiblich. "Es" nennt sich Sa. (Männername), sieht schon sehr männlich aus, hat eine tiefe Stimme und baggert die Frauen ganz schön an. Gestern beim Hofgang saß Si. ganz vertraut und leicht errötet mit ihm auf einer Bank, heute morgen sagte er im Vorrübergehen zu S.: "Na, du süsse kleine Maus". Es hat lange Wochen auf der Krankenabteilung verbringen müssen, weil sie nicht wussten, wohin damit. Heute morgen hat die alte Rollwägelchen-Frau wieder schrecklich geweint und geschrien. Mittags hat sie sich dann von ihrer schrecklichsten und widerlichsten Seite gezeigt.

Wir haben (als Ersatz "für A.)" am Dienstag eine junge Frau, die ihr Kind getötet hat, bekommen. Diese Frauen stehen in der "Hierarchie" hier ganz unten und werden - mit Recht - vor den anderen geschützt. Die nette alte Rollwägelchen-Frau schrie und pöbelte auf dem Gang herum, dass Kindermörder "weg" müssten und noch vieles mehr in dieser Richtung. Eine Beamtin sprach sie an, sie solle aufhören und sie wurde dann auch ruhiger. Zu ihrem Glück hat sie ihren "Freifahrtschein", der sie vor Repressionen schützt. Vor dem Hofgang hat sich A. hochgeschlichen und wir haben im Aufenthaltsraum ein bisschen gequatscht. Eine Ausrede hätten wir gehabt, sie hatte noch Essen in der Fensterbank des Aufenthaltsraumes. Ob das allerdings die Beamtinnen, insbesondere L. hätten gelten lassen steht auf einem anderen Blatt. A. wird jetzt erst nach dem Trennungsjahr geschieden, d.h. im November und kann jetzt mit Hilfe des Jugendamtes um ihren Teil am Sorgerecht für ihren Sohn kämpfen. In 7 Wochen hat sie Verhandlung, dann weiß sie wenigstens, woran sie ist. Während unseres Gesprächs im Aufenthaltsraum platzte Mn. herein und entdeckte irgendwann A., die sich hinter einem Mauervorsprung versteckt hatte. Sie war baff: "Ihr traut euch was." Hoffentlich hält sie die Klappe.


19.4.08

Heute mittag konnte ich ein bisschen mit A. reden und habe ihr von meiner gestrigen Erfahrung mit Buthan (3 Feuerzeuge) berichtet, ein regelrechter Trip, interessant, aber auch beängstigend. Sie hat auch was probiert und trug heute ein Halstuch. Mal sehen, wer es eher schafft. Mittags habe ich mit Mn. Tischtennis gespielt und wir haben uns dabei mit Sa. unterhalten. Er ist nett.


20.4.08

Gestern den ganzen Tag mit dem Strick, d.h., einer Verbandsbinde und einer Strumpfhose herumexperimentiert, im Liegen, im Stehen, nichts außer Schmerzen. Hinterher Plastiktüte. Warum werde ich nicht bewußtlos. Andere, die nur ein bisschen herumspielen und es gar nicht wollen, sterben dabei. Verrückt. Ich kann so nicht mehr leben, werde es immer weiter probieren. Ich muss nur einmal Glück haben, das reicht.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2010