Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → REDAKTION

SERIE/074: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 04.04.2008 bis 11.04.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

36. Teil - 04.04.2008 bis 11.04.2008


4.4.08

A. hatte heute lange ihren Anwalt hier, M. wurde von ihrem Freund besucht. Bei mir nix. Ich bin eifersüchtig. Bescheuert! Heute habe ich den Antrag auf Lockerungen abgegeben. Mal sehen, was passiert.

Die Rollwägelchen-Frau dreht wieder am Rad, hat in den letzten Tagen dauernd herumgeschrien und den Notruf gedrückt. Sie kann sich - durch ihren kindlichen Hirnschaden bedingt - wohl nicht beherrschen und steuern, beleidigt dann auch die Beamten. Heute nachmittag "durfte" sie nicht aus der Zelle, hämmerte mit ihrem Wägelchen gegen die Tür und vor kurzem hat sie auch wieder angefangen, zu singen.


5.4.08

Heute nachmittag war ein Blues-Konzert von 6 Musikern in der Anstaltskirche, es dauerte 1 ¼ Stunden und hat wirklich Spaß gemacht, zuzuhören. A. und ich saßen ganz oben auf der hintersten Bank in der Hälfe der Kirche, in der normalerweise die Männer sitzen. Das erste Mal habe ich gemerkt, wie wohltuend sich Live-Musik von Musikkonserven, welcher Art auch immer, unterscheidet. Weich und lebendig war sie. Einige Frauen haben getanzt, eine aus der Jugend table-dance-artig und sehr sexy, den Hardcore-Lesben sind beinahe die Augen herausgefallen. Jedenfalls war heute der "schönste" Nachmittag, seitdem ich in Aichach bin. Als wir zurückgingen sagte eine Beamtin, als sie sah, A. und ich blieben etwas hinter den anderen zurück: "Schließen Sie sich der Masse an". Das! Aichacher Motto, es könnte hier über dem Eingangstor stehen!

An der Zelle der alten Rollwägelchen-Frau hängt ein Zettel "Krankenhaus seit 4.4.". Sie haben sie gestern abend also noch weggebracht, jetzt schon zum zweitenmal.


6.4.08

Früh war ich beim katholischen Gottesdienst und bin wie üblich zwei Meter neben dem Weg unter den herrlich blühenden japanischen Zierkirschbäumen entlang gegangen. Als ich das auch beim Rückweg tat, sagte eine Beamtin ich solle auch auf dem Weg gehen. Ich fragte: "Was ist so schlimm daran, wenn ich hierlang gehe?" "Was haben Sie davon" "Ich kann unter den blühenden Bäumen langgehen". "Haben Sie keine Bäume in Ihrem Hof?" "Nicht wirklich". Naja, wir haben zwar ein paar Bäume im Hof, aber keine, die zur Zeit blühen. Außerdem ist Baum nicht gleich Baum.

Mittags ist die Rollwägelchen-Frau wieder da. Schon. Sie sagt, sie wurde im Krankenhaus nicht behandelt, nur beobachtet.

Mittlerweile verstehe ich mich sogar mit der Küchengang ganz gut. A. meint, daß sie mich mögen, weil ich mich nicht unterordne. Habe mich länger mit S. unterhalten, die wegen Drogenhandel und Herstellung von Amphetaminen, die man wohl bei entsprechendem Wissen in den eigenen 4 Wänden herstellen kann, hier ist. Eine "Freundin" hat sie verraten.

Heute wurde ich gleich zweimal von verschiedenen Beamtinnen (L. und eine andere) beim Teeholen sofort wieder auf die D I zitiert.


7.4.08

Habe neulich gelesen, daß in England, durch die Gentechnik ermöglicht, Chimären, also Kreuzungen von Menschen und Tieren "erzeugt" wurden, die dann, noch im Embryonalzustand "vernichtet" wurden. Bisher waren "nur" Tiere "Sachen", die man ungestraft vernichten durfte, jetzt sind es Wesen, halb Mensch, halb Tier. Von da aus ist es nur ein winziger Schritt zum Untermenschen. Salto rückwärts.

Wäschetausch: Ich komme als letzte aus der Kammer, die anderen stehen schon da und warten auf mich. Beamtin K.: "Wir warten schon auf Sie, damit Sie nicht verloren gehen". Ich: "Das könnte schon passieren". K.: "Das weiß ich, deswegen haben Sie auch meine besondere Aufmerksamkeit". Ich: "Ja, ich weiß". K.: "Aber das nehmen Sie ja nicht so ernst". Ich: "Doch, das nehme ich schon ernst".

Hinterher holten A. und ich uns Tee und standen mit unseren Tassen am Fenster des unteren Flures. P. kam und unterhielt sich mit A., neben uns spielten zwei Gefangene Tischtennis. Plötzlich hieß es: Fr. Luthardt, Fr. H., ins Büro! Eine Tischtennisspielerin dreht sich um und sagt hämisch "Jetzt seid ihr dran und kriegt eine Anzeige". Sie freut sich. Als ich dort ankam, stand A. schon da und debattierte mit den Beamtinnen. Sie kam noch glimpflich davon, es hieß "Wir werden das beobachten". Bei mir dagegen: "Sie sind schon mehrmals verwarnt worden".

"Nein, ich bin mehrmals angesprochen worden". "Das war das letzte Mal". Mein Gott, was soll das? Ich habe ruhig am Fenster gestanden und etwas Tee getrunken, nur im "falschen" Stockwerk. Was für ein Verbrechen!


9.4.08

Heute habe ich die Rechnung für meinen viertägigen Bunkeraufenthalt bekommen: 44,46 Euro. Die Leute, die arbeiten, sind noch bescheidener dran: 1. können sie in der Zeit im Bunker nicht arbeiten und bekommen keinen Lohn 2. müssen sie für jeden Tag im Bunker ca. 11 Euro bezahlen und 3. verlieren sie ihren Urlaubsanspruch für Lockerungen wie z.B. Ausgang, Urlaub und müssen wieder bei Null anfangen. Nachmittags bei der Postausgabe haben A. und ich Tränen gelacht. Sie hatte eine Schmuckpaketmarke bestellt, weil sie sich eine Sonnenbrille schicken lassen wollte. Die Marke kam aus der Kleiderkammer, darauf stand der handschriftliche Vermerk: "Genehmigt: eine Sonnenbrille. Die Augen müssen sichtbar sein."


11.4.08

Heute, Freitag, hatte der "Sicherheitstrakt", d.h. wir längeren Aufschluss, so daß A. und ich von 17.00 - 18.30 im EG Tischtennis spielen konnten. Das geht alle 2 Wochen. Um diese Zeit werden manchmal noch Notfälle in die Krankenabteilung geführt und müssen dann an uns vorbei. Heute eine sehr dicke und noch dazu höchstschwangere Frau, die aussah, als wenn sie jeden Moment gebären würde. Sie konnte kaum laufen. Als sie mit der Beamtin an mir vorbeiging, hörte ich, wie die zu ihr sagte: "Das sind ja doch erhebliche Beschuldigungen gegen Sie". Was mag sie gemacht haben? Ein ähnliches Bild des Jammers sahen wir beim vorigen Mal, als eine Asthmatikerin an uns vorbeigeführt wurde. Die Frau sah schrecklich aus, wie vom Tode gezeichnet. Stationär auf die KA wurden beide nicht aufgenommen.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


*


Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Februar 2010