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SERIE/070: Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L. - 23.02.2008 bis 28.02.2008


Das Gefängnis-Tagebuch der Heide L.

32. Teil - 23.02.2008 bis 28.02.2008


23.2.08

Heute vor einem Jahr wurde ich verhaftet. Was für ein beschissenes Jubiläum! Früh habe ich auf D II auf die Öffnung des Büros gewartet, um meine Blutdruckmedikamente zu bekommen. Es war noch geschlossen, so drehte ich eine Runde auf dem Gang dort und blieb vor dem großen Fenster auf der Schmalseite stehen, schaute hinaus, übrigens geht der Blick von dort aus sinnigerweise direkt auf einen Friedhof, als aus einer Zelle eine junge Frau schoss und schrie "Du sollst hier nicht auf den Gang, das stresst mich!" Ich war baff, fragte "Bist Du eine Beamtin?", "Nein, aber ich kann einer Beamtin bescheid sagen". Mir fehlten die Worte und ich starrte sie an, sagte dann nur "Geil". Sie verschwand wieder in ihrer Zelle. Was ist los mit diesen Leuten, neulich verhielt sich N. bei mir genauso. Wurde die Gehirnwäsche erfolgreich durchgeführt oder war das Denunziantentum schon vorher in ihnen?


24.2.08

Herrlich warmes Frühlingswetter. Habe heute mit A. auf dem Flur lange über verschiedene Arten des Sichaufhängens diskutiert. Wenn das jemand hören würde. Heute morgen wieder Biatlon im Fernsehen, stundenlang, die neue Paradedisziplin der Deutschen, mit dem, was sie schon immer am besten konnten und was wohl für immer ihre vermeintliche Stärke sein wird - auf vorgespurten Bahnen laufen und schießen.

Nachts gegen 23.30 ertönt jetzt immer das laute und irre Gelächter einer Frau im D-Flügel. Es klingt furchterregend und wirklich verrückt, so daß man fast froh sein kann, der Verursacherin nicht zu begegnen.


26.2.08

Gestern war Fr. T. da, sie würde mit mir 2-3 mal Ausgänge machen, begeistert war sie allerdings nicht. Mal sehen, ob ich überhaupt Lockerungen bekomme in nächster Zeit. Sie erzählte auch, was ich schon von "unserer" R. wusste: daß Frauen freiwillig länger hier bleiben, als sie müssen, weil sie eine Ausbildung machen und sich verpflichtet haben, diese nicht abzubrechen (Einen Scheiß auf die Verpflichtung) oder weil sie Angst haben, nicht "heile" durch ihre Bewährung zu kommen. Was für Sklavenseelen, die sich freiwillig wie Tiere in Käfige sperren lassen. Ich wäre ignorant, meinte Fr. T. Ja, in dem Punkt ganz bestimmt. Sie sagte auch, dass es Frauen gibt, die ihren "Urlaub" von der Arbeit hier drin geniessen, weil sie auf dem Gang umherlaufen und in Ruhe waschen und kochen können. Genau aus solchen Frauen besteht die "Küchen-Mafia" auf der D I.


27.2.08

Heute war ich das erstemal in der Kunstgruppe. Ju., die großmäulige US-Amerikanerin war auch da und auch mit anderen hatte ich ein bißchen Streß, aber nur ein bißchen. Einige fanden mich genauso blöd wie ich sie. Wir sollten uns über ein Bild vorstellen, ich habe eine Raubkatze gemalt, bin aber nicht fertig geworden, Fußfesseln und Gitter male ich beim nächsten Mal dazu. Die Bilder, die wir malen, gehören generell der Anstalt, weil sie das Material bezahlt hat. Und diese kann sie auch ausstellen und verkaufen, ohne das wir einwilligen müssen oder am Erlös beteiligt werden. Die Schweine. Wir können einen Antrag stellen, unsere Bilder kaufen zu dürfen. P., eine Freundin von Mo. war auch da, sie hat ein Bild mit asiatischen Schriftzeichen gemalt. Auf die Frage der Kursleiterin, was diese Zeichen bedeuten, sagte sie: "Stolz und Ehre". Naja, solange keine Deutschlandfahne danebenhängt. Sie hat mir angeboten, ihre Einzelzelle, die sie demnächst bekommt, an mich abzutreten. Sie würde dafür noch länger in der Doppelzelle, die sie zur Zeit bewohnt bleiben. Das fand ich schon rührend nett, unglaublich! Sie war auch schon auf der D I und weiß, wie schrecklich es hier ist.

Gestern hatten A. und ich vereinbart, daß wir nicht immer gleich aufhören zu spielen, wenn jemand fragt, ob er mitspielen kann. Heute waren nur wir beide und N. auf dem Hof, und als wenn N. es gerochen hätte, hat sie garnicht gefragt.

Heute nachmittag hieß es während des Aufschlusses auf einmal "Alle in die Zellen" und wir wurden für ca. ¼ Stunde weggesperrt, weil offenbar jemand "durchgedreht" ist und gewaltsam in die Krankenstation gebracht wurde. Ich habe die Bullen bzw. Sicherheitsbeamten ja bei meiner gewaltsamen Verbringung in die Monitorzelle erleben dürfen und es ist klar, dass sie dabei weder Zuschauer noch Zeugen haben wollen. Mittlerweile empfinde ich blanken Hass, wenn ich Uniformen nur sehe.


28.2.08

Das Theater gestern war wohl, weil eine Frau in der Monitorzelle mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen hat und sich auch irgendwie "aufgeritzt" hatte, keine Ahnung, wie sie das gemacht hat. Die Schweine, erst machen sie die Leute verrückt, und wenn sie sich dann aus Verzweiflung umbringen wollen, spielen sie die Fürsorglichen, pumpen sie Chemie voll und stecken sie auf der KA in sog. "Beruhigungszellen". So spielen Katzen mit Mäusen, nur die wissen nicht, was sie tun.

Heute vormittag war der Strom abgestellt. Neuer Direktor (Ab Anfang 2008), neue Überwachung?

Heute ist eine Neue gekommen, eine Nichte von "unserem" Hardliner XY., Bayerischer Spitzenpolitiker. Sie hat mit Drogen gedealt, hat jetzt Unmengen ihrer Kollegen (mehr als 140!, manche sagen 180.) bei den Bullen hingehängt und dank dem Verräterparagraphen 31 eine sehr milde Strafe bekommen. Das passt zu dem XY-Clan. Darum ist sie als Verräterin auch hier auf dem Sicherheitstrakt, zu ihrem eigenen Schutz. Ich mag die meisten Drogenleute nicht, aber noch weniger mag ich Verräter.



Anmerkungen der Schattenblick-Redaktion:

Bei diesem Gefängnistagebuch handelt es sich um die persönlichen Aufzeichnungen der Heide L., die deren subjektive Erlebnisse und Einschätzungen widerspiegeln. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte Dritter wurde gleichwohl durch Anonymisierung auf sämtliche Namensnennungen verzichtet. Der Text wurde in Hinsicht auf Orthographie und Interpunktion originalgetreu übertragen.


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Quelle:
Gefängnistagebuch von Heide Luthardt
© 2010 Irmgard Luthardt und Dr. Hans Luthardt


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2010